Zum amerikanisch-iranischen „Tankerkrieg“

Im Golf von Oman wurden zwei Öltanker angegriffen. Die USA beschuldigen den Iran, der wiederum jede Verantwortung von sich weist. Droht nun ein Krieg? Und was sagt das Völkerrecht?


Das gute alte Gewaltverbot

Ganz allgemein gilt das Gewaltverbot gemäß Artikel 2(4) UN-Charter nicht nur für Angriffe gegen fremdes Staatsgebiet, sondern auch für militärische und andere Schiffe: Der verletzte Staat ist jener, in dem das Schiff registriert wurde, das Schiff ist gewissermaßen eine Ausweitung seines Territoriums – ein Grundsatz, der sich bereits im berühmten Lotus-Fall des Ständigen Internationalen Gerichtshofs findet:

a ship on the high seas is assimilated to the territory of the State the flag of which it flies … a ship is placed in the same position as national territory

PCIJ, Series A No 10, 25

Kriegsschiffe

In Bezug auf Kriegsschiffe legt die Generalversammlungs-Resolution zur Definition von Aggression außerdem fest, dass

der Angriff der Streitkräfte eines Staates auf die Land-, See- oder Luftstreitkräfte oder auf die See- und Luftflotte eines anderen Staates;

als Aggression anzusehen ist.

Hinzu kommt der territoriale Aspekt: Wenn sich ein Schiff zum Zeitpunkt der Attacke innerhalb von Hoheitsgewässern (also nicht auf Hoher See oder der ausschließlichen Wirtschaftszone) eines anderen Staats befindet, ist dieser (ebenfalls) verletzt.

Selbstverteidigung?

Sofern die Attacke ein gewisses Ausmaß annimmt, handelt es sich darüber hinaus nicht nur um einen Verstoß gegen das Gewaltverbot, sondern auch um einen bewaffneten Angriff. Gegen einen solchen steht dem betroffenen Staat das Recht auf Selbstverteidigung gemäß Artikel 51 zu. So hat der Internationale Gerichtshof hat im Oil Platforms-Fall zwischen den USA und dem Iran aus dem Jahr 2003 entschieden, dass er die Möglichkeit, einen Minenangriff auf ein einziges Militärschiff als „bewaffneten Angriff“ anzusehen, nicht ausschließen kann („The Court does not exclude the possibility that the mining of a single military vessel might be sufficient to bring into play the „inherent right of self-defence.“)

Wer ist geschädigt?

Auf den konkreten Fall bezogen folgt daraus, dass die USA selbst nicht unmittelbar in ihren Rechten verletzt wurden: Weder befand sich eines der Schiffe auf ihrem Hoheitsgebiet, noch sind sie in den USA registriert. Eigentümer der Schiffe sind vielmehr Japan und Norwegen. Ob sie sich zum des Angriffs auf dem Gebiet des Irans oder des Omans befanden, konnte ich nicht herausfinden (Hinweise immer gern gesehen). Es gilt jedenfalls auch in Meerengen das Recht auf friedliche Durchfahrt, der Iran darf fremde Schiffe nicht gewaltsam von der Durchquerung seines maritimen Gebiets abhalten.

NATO-Anlassfall?

Norwegen ist NATO-Mitglied. Wenn es den Angriff auf sein Schiff entsprechend einstuft, kommt die kollektive Selbstverteidigung zum Tragen. Die USA wären damit dazu berechtigt, Norwegen gegen den Angriff zu verteidigen, der NATO-Vertrag beinhaltet in Artikel V eine Beistandspflicht. Eine solche befindet sich ebenso in Artikel V des Sicherheitsvertrags zwischen Japan und den USA aus dem Jahr 1960. Auch hier müsste Japan sich als Opfer eines bewaffneten Angriffs sehen.

Zeitliches Naheverhältnis und Notwendigkeit

Gleichzeitig gelten eine Reihe von zusätzlichen Verpflichtungen, darunter das Kriterium der Notwendigkeit und Unmittelbarkeit von Selbstverteidigung. Staaten müssen innerhalb einer angemessenen Zeitspanne reagieren. Wenn der Angriff bereits vorbei ist, könnet das Selbstverteidigungsrecht überhaupt nicht mehr zustehen:

A State can no longer claim to be acting in self-defence if, for example, it drops bombs on a country which has made an armed raid into its territory after the raid has ended and the troops have withdrawn beyond the frontier. If, however, the attack in question consisted of a number of successive acts, the requirement of the immediacy of the self-defensive action would have to be looked at in the light of those acts as a whole.

Roberto Ago, 8th report on State responsibility, Yearbook of the International Law Commission 1980, para 122

Je mehr Zeit bis zur Verteidigungshandlung vergeht, desto eher scheint es dafür keine Notwendigkeit zu geben. Wenn es zu ungerechtfertigten Verzögerungen kommt wandelt sich das Selbstverteidigungsrecht in Richtung (unerlaubte) gewaltsame Gegenmaßnahme. Nach einem beendeten Angriff besteht die Pflicht, vor der Verteidigungshandlung zu verhandeln (siehe dazu Yoram Dinstein, War, Aggression and Self-Defence (Cambridge University Press 2017), 268f).

Gleichzeitig muss die Zeit für Beweise oder Vorbereitungshandlungen mit einbezogen werden, wobei die militärischen Kapazitäten ebenso eine Rolle spielen wie die geographische Lage des Angreiferstaats (je weiter er weg liegt, desto länger kann es dauern, ihn zu erreichen, man denke an den Falklands-Krieg).

Prä-emptive Selbstverteidigung

Für das Selbstverteidigungsrecht gelten also zeitliche Einschränkungen: Wenn der Angriff vorbei ist – wie im gegenständlichen Szenario –, steht es nur zu, wenn der angreifende Staat weiterhin eine Gefahr darstellt, also zukünftige Angriffe erwartet werden können und/oder keine nicht-gewaltsamen Mittel wie die friedliche Streitbeilegung auf dem Verhandlungsweg oder über Anrufung eines internationalen Gerichtsweg, zur Verfügung stehen. Das Ausmaß des vorangegangenen Angriffs ist von zusätzlicher Bedeutung: je geringer die Auswirkungen, desto kürzer greift das Recht auf Selbstverteidigung (siehe dazu James A. Green (2015), ‚The ratione temporis elements of self-defence‘, (2015) 2/1 Journal on the Use of Force and International Law 97-118 und Terry D. Gill, ‚When Does Self-Defence End?‘ in Marc Weller (ed), The Oxford Handbook on the Use of Force in International Law (Oxford University Press 2015) 737).

What now?

Sofern die Angriffe sich als hinreichend schwerwiegend einstufen lassen, könnten die USA sowohl Norwegen als auch Japan zur Hilfe kommen – auch mit Waffengewalt. Neben der zeitlichen Nahebeziehung und der Notwendigkeit wäre dabei aber auch die Verhältnismäßigkeit zu bedenken: die USA dürfen also nicht mit allzu drastischen Mitteln (denkbar wäre ein Regime Change oder eine Zerstörung der gesamten iranischen Flotte) reagieren. Der Iran könnte allenfalls versuchen, einen US-Angriff mit einem Gelöbnis abwenden, keine weiteren Angriffe auszuführen – was freilich das Vertrauen der USA voraussetzen würde. Ein angesichts der angespannten US-iranischen Beziehungen denkbar unrealistisches Szenario.

Krieg mit dem Iran?

Was bleibt, ist die Sorge. Trumps Sicherheitsberater John Bolton ist für seine Angriffslust bekannt, hatte er doch schon 2015 einen Angriff auf den Iran gefordert. Auch Mike Pompeo hat davon gesprochen, „alle Handlungsoptionen inklusive militärischen Maßnahmen in Betracht zu ziehen.“ Außerdem sind es nur noch zwei Jahre bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen. Militärschläge steigen zumindest kurzfristig die Popularität (man erinnere sich an Syrien).

[Update]: Mittlerweile hat Donald Trump die Attacken als „very minor“ bezeichnet. Außerdem sei der Golf vom Oman nicht von allzu hoher strategischer Bedeutung für die USA. Auf die Frage, ob er militärische Mittel andenke, hat er mit “I wouldn’t say that. I can’t say that at all” geantwortet. Man darf also zumindest vorerst wieder aufatmen.

[Update 2]: Der Iran hat rund um den 20. Juni über der Straße von Hormus eine US-Militärdrohne abgeschossen (die genaue Uhrzeit und weitere Details sind unbekannt). Der Iran sah eine Verletzung seiner Gebietssouveränität, den USA zufolge habe sie sich wiederum auf internationalem Luftraum befunden. Der Oberkommandant der iranischen Revolutionsgarden sprach von einer „klaren Botschaft“ gegenüber den USA: Der Iran „beabsichtige nicht, mit irgendeinem Land in den Krieg zu ziehen, aber er sei dazu bereit“. Schauen wir mal, was (hoffentlich nicht) passiert.

Ein Kommentar zu „Zum amerikanisch-iranischen „Tankerkrieg“

Hinterlasse einen Kommentar