Die US-Nemokratie

Oligarchie, Faschismus, „flawed democracy“: Es gibt viele Thesen dazu, wie die USA sich unter Donald Trump entwickeln werden. Eine fehlt (mir) aber – vielleicht werden sie zu einer Nemokratie, also einem Staat, in dem niemand so wirklich herrscht. Eine halbernste, aber eben auch nicht rein-ironische Mutmaßung.

Die USA sind vieles, mächtigster Staat der Welt, größtes Militär der Welt, eine der größten Volkswirtschaften der Welt. Und, zumindest im Selbstbild, eine der ältesten, ja vielleicht die älteste Demokratie der Welt (nein, das antike Griechenland zählt nicht).

Ob und wie lange das noch so bleibt, sei dahingestellt. Die Demokratie ist in den USA schon lange bedroht, von Andrew Jackson, ihrem ersten populistischen Präsidenten über die Macht des „industriell-militärischen Komplexes“ oder sonstiger Konzerne bis hin zu Donald Trump, der „first anti-democratic president in US history. On too many days, beginning in the early hours, he flaunts his disdain for democratic institutions, the ideals of equality and social justice, civil discourse, civil virtues, and America itself“, wie es die frühere US-Außenministerin Madeleine Albright in ihrem Buch Faschism. A Warning anno 2018 und damit während Trumps erster Amtszeit ausdrückte.

Die Nemokratie

Vieleicht übersehen wir bei all dem Gerede über Trump und seine Freunde aber etwas. Vielleicht greifen Begriffe wie Olgarchie und Timokratie (Herrschaft der Reichen, des Geldes als solchem), Faschismus zu kurz. Vielleicht brauchen wir ein neues Konzept: die Nemokratie (lateinisch „nemo“ für „Niemand“ und „kratie“ vom Griechischen „Kratos„, Herrschaft, Macht), also die Herrschaft durch niemanden, die besteht, aber nicht ausgeübt wird. Nicht im anarchischen Sinne (der Staat besteht ja weiter fort), sondern im bürokratischen. Was heißt das? Lassen Sie es mich kurz weiter erklären.

In einer Bürokratie herrscht die Verwaltung, aber niemand ist verantwortlich. Das macht sie so gefährlich, „die Bürokratie, also der Verwaltungsmassenmord, schafft natürlich wie jede Bürokratie eine Anonymität: die Person wird ausgelöscht.“(Hannah Arendt). Es gibt nur eine politisch handelnde Spitze, einen Monokraten, ein letztlich verantwortliches Organ.

In einer Nemokratie herrscht nicht einmal die Verwaltung, weil sie es nicht soll, weil sie keine „preußische Prägung“ im Sinne Max Webers hat, weil es keinen effektiv handelnden, politische Entscheidungen treffenden Minister gibt und auch nicht geben soll. Der Libertarianism der Marke Musk und, mehr noch, Thiel definiert sich ja genau dadurch, dass der Staat eben nicht herrschen, ja im Endeffekt nicht (mehr) existieren soll. „If Trump wins, we do have an opportunity to do kind of a once in a lifetime deregulation and reduction in the size of the government,” wie Musk beim „All-In Summit 2024“ verlautbart und damit vor der Wahl hatte. Musk und seine Unternehmen streiten seit Jahren mit Regierungsbehörden. Jetzt hat er als „Berater“ von Trump die Möglichkeit, sie schlichtweg abzuschaffen.

Libertarianism

Die Nemokratie ist damit ein Übergangsstadium zur Libertären Anarchie. In der libertären Anarchie gibt es keinen Staat, sondern private Zusammenschlüsse und Sicherheitsorganisationen. Die Mitgliedschaft ist freiwillig, jederzeit kündbar und ent-territorialisiert. Ich kann mit meinen Nachbarn eine Bürgerwehr errichten, muss aber nicht. Zur Not bin ich ein free rider, der sich (weil die Bürgerwehr nur ihre Mitglieder schützt) entweder vollumfänglich selbst verteidigen können oder einen Vertrag mit einer Sicherheitsfirma abschließen sollte – aber nicht muss. Für Libertäre gibt es keinen Staat, auch nicht in seiner minimalen („Nachtwächter“-)Variante.

Bis es soweit ist, falls es jemals so weit kommt, bleibt die Herrschaft, aber sie wird von niemandem ausgeübt. Trump mag das Sprachrohr, der charismatische (wertfrei gesprochen!) Herrscher im Sinne Max Webers sein, also jemand, der auf Grundlage seiner Persönlichkeit an der Spitze steht, nicht aufgrund von traditioneller Loyalität oder als bloßer Vollzieher der Gesetze. Das ist aber nicht das Entscheidende: Der libertäre Wesenskern der Trump-Administration ist Elon Musks Ministerium zum „Aufräumen“, das „‘Department of Government Efficiency’“ (DOGE). Im radikalsten Sinne geht es hier nicht um die Steigerung staatlicher Effizienz und das Einsparen von Kosten, sondern um ein Ende des Staates als solchem. Weil die Ineffizient liegt im Wesen des Staates, „bureaucratic management is wasteful, inefficient, slow, and rolled up in red tape. [The plain citizen] simply cannot understand how reasonable people allow such a mischievous system to endure. Why not adopt the well-tried methods of private business?„, wie Ludwig von Mises, der wohl wichtigste Vordenker des Liberalismus im 20. Jahrhundert (wohl aber kein Anarchist, sondern ein „Minimalstaatler“). Das ist die Frage, die libertäre Tech-Milliardäre stellen und wohl auch schon beantwortet haben.

Und das ist ein Weg, den die USA mit Musk, Thiel und Co nun beschreiten könnten, ein Weg, der mit der Abwesenheit von staatlicher Zwangsherrschaft endet, die „private property anarchy, anarcho-capitalism, or ordered anarchy“:

All land is privately owned, including all streets, rivers, airports, and harbors. With respect to some pieces of land, the property title may be unrestricted; that is, the owner is permitted to do whatever he pleases with his property as long as he does not physically damage the property of others. With respect to other terri tories, the property title may be more or less restricted. As is currently the case in some housing developments, the owner may be bound by contractual limitations on what he can do with his property (restrictive covenants, voluntary zoning), which might include residential rather than commercial use, no buildings more than four stories high, no sale or rent to unmarried couples, smokers, or Germans, for instance.

Hans-Hermann Hoppe, Democracy. The God that failed (), 163

Am Ende steht der Staat

Ob es dazu kommt, hängt davon ab, ob die (Staats-)Macht wirklich von denen abgeschafft wird, die sie haben. Auch der Kommunismus hatte davon geträumt, den Staat absterben zu lassen (Engels). Der Staat ist hier steht Unterdrückungsmittel der herrschenden Klasse. Wennb die Arbeiter den Staat übernehmen, sollen sie den ewigen Kreislauf der Unterdrückung unterbrechen und das Instrument der Herrschaft als solches abschaffen.

Soweit die Theorie. In der Praxis standen Lenin,. Stalin und Co. Wer Macht hat, will sie behalten. Ob Libertäre mit Macht den Staat und damit den dahinterstehenden Machtapparat wirklich abschaffen, wird sich weisen. Bis dahin steht die Zeit der Nemokratie. Wen der Zweck der Herrschaft darin besteht, (Zwangs-)Herrschaft abzuschaffen, herrscht eben niemand.

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