DIe Sky Shield Initiative gibt mal wieder einen wunderbaren Anlass, über unser aller Lieblingsthema zu reden: Die Neutralität.
Also: Österreich und anscheinend auch die Schweiz wollen dabei sein, allerdings mit Vorbehalten. Wie die aussehen, steht derzeit nicht fest. Die gemeinsame und abgestimmte Beschaffung von Kampfmitteln zur Luftabwehr – das Zauberwort lautet „Interoperabilität“ – und der Austausch von Daten sind jedenfalls KEIN PROBLEM. Da braucht es auch keine eigene Neutralitätserklärung.
Ungleich spannender sind aber ohnehin andere Fragen: Kommandostruktur, Beistandspflicht, Operationen fremder Streitkräfte auf österreichischem Gebiet. Denn: Vieles ist derzeit noch unklar, wir sind ja erst in einer Frühphase. Falls Sobald Sky Shield ein Militärbündnis ist/wird, kann Österreich nicht (mehr) oder nur unter Auflagen (weiter) dabei sein. Übrigens weiß niemand so genau, was ein Militärbündnis ist. Reflexartig wird dann auf die NATO verwiesen. Bei der EU spricht man wiederum von einem „Verteidigungsbündnis“ (allen voran der Verfassungsrechtler Theo Öhlinger). Wo genau der substantielle Unterschied liegt, konnte mir allerdings noch niemand so genau beantworten.
Aber zurück zur Sky Shield Initiative. Im Falle eines Falles – also einer Beistandspflicht – müsste Österreich erklären, nicht zur Verteidigung anderer Länder verpflichtet zu sein. Also dasselbe Spiel wie bei der irischen Klausel. Daneben bräuchte der Beitritt zu einem Militärbündnis eine 2/3-Mehrheit im Nationalrat, weil er eine Verfassungsänderung benötigen würde. Allfällige Unterstützungsleistungen müssten also im Rahmen der EU-Bündnisklausel erfolgen, nicht (nur) via Sky Shield (die Schweiz kann damit nicht verteidigt werden bzw. bräuchte es hierfür einen entsprechenden Ratsbeschluss). Die Sky Shield initiative liegt schließlich außerhalb der EU bzw. ihrer Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und ist damit für sich genommen auch nicht von Artikel 23j B-VG gedeckt (das ist die Rechtsgrundlage für unsere Beteiligung an sicherheits- und außenpolitischen Maßnahmen der EU, dieser Artikel genießt auch Vorrang gegenüber dem Neutralitätsgesetz).
So, was hat es mit den Vorbehalten auf sich? Das ist eine Art präventiver Schritt, nicht nur aus außen-, sondern auch aus innepolitischen Gründen. Bei der Neutralität hört sich der österreichische (und auch schweizerische) Spaß schließlich auf. Also gleich klarstellen, dass man von allfälligen Verpflichtungen eines Luft-Verteidigungsbündnis ausgenommen sein muss und/oder will.
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Was schreibt man da also hinein? Nun, allen voran möchte man anscheinend die Beteiligung an internationalen Konflikten ausschließen. Da gilt es vorab etwas Wesentliches zu bedenken: Jedes, wirklich jedes militärische Vorgehen eines Staates gegen einen anderen Staat ist ein solcher internationaler Konflikt. Also auch eine einzelne Rakete oder bewaffnete Drohne.
Bei einem Angriff auf Österreich ist die Unterstützung durch andere Länder jedenfalls möglich. Da greift das kollektive Selbstverteidigungsrecht, auf Anfrage hin kann uns jeder unterstützen: die NATO, die USA, Deutschland, Liechtenstein, die Ukraine und alle anderen (außer dem Angreifer). Neutralität heißt nicht, sich verprügeln lassen zu müssen. Eh kloa.
Aber wollen wir das weiterspinnen. Also das machen, was so oft im Hörsaal bei Jus-Lehrveranstaltungen passiert, wenn Studierende immer abstrusere „was wäre wenn“-Konstellationen überlegen (man liebt oder hasst diese Diskussionen ja): Was, wenn eine „Transit“-Rakete oder Drohne ÜBER österreichischen Luftraum fliegt, um ein Ziel in einem anderen Land anzugreifen. Das ist dann ja kein bewaffneter Angriff (im Sinne von Artikel 51 UN-Charter) auf Österreich, sondern „nur“ eine Verletzung der Souveränität. Österreich darf derartige Objekte dennoch abschießen, das steht außer Frage. ABER muss es auch?
Schwierig: Zum einen würde das auf eine Beteiligung in einem Krieg hinauslaufen, die es ohne den Abschuss nicht gäbe. Anderseits ist der neutrale Staat dazu verpflichtet, dass sein Gebiet – und dazu gehört wie gesagt der Luftraum – von anderen nicht für kriegerische Handlungen genutzt wird. Man wird dadurch nicht zur Kriegspartei (abgesehen davon ist dieser Status rechtlich ohnehin irrelevant, solange man im Rahmen des Selbstverteidigungsrechts handelt)
Dazu kommt eine weitere Frage: Darf ein anderes, allen voran das eigentlich anzugreifende Land, bereits auf österreichischem Gebiet (remember: der Luftraum gehört auch zu Österreich, für eine Definition der vertikalen Staatsgrenze siehe hier; wir reden hier nicht von Space Law und Star Wars!) operieren und gegebenenfalls ein Kampfflugzeug, eine Rakete oder bewaffnete Drohne abschießen? Eigentlich nein, Österreich muss seinen Luftraum vollumfänglich selbst sichern (siehe dazu auch den Wortlauf des Neutralitätsgesetzes).
Nur: Praktisch gesehen wäre das allein aufgrund der geographischen Lage Österreichs (vor allem im Westen) in Verbindung mit der Geschwindigkeit moderner Flugkörper und Kampfjets eine Notwendigkeit: Was im Übrigen erklärt, wieso das Vereinigte Königreich bei der Sicherung seines Luftraums auch das neutrale Irland miteinbezieht und es sogar eine dahingehende Vereinbarung aus dem Jahr 1952 (!) gibt. Schwieriges Terrain, nicht nur bilateral, sondern auch aus Sicht der Neutralität. Es zeigt außerdem, dass gerade kleinere Länder oft Zugeständnisse an strategische Realitäten machen müssen (mehr Realität als die Frühphase des Kalten Krieges gibt es wohl kaum). Zumal die Beziehungen zwischen Irland und dem Vereinigten Königreich damals um einiges angespannter waren als heute. Ganz unheikel sind sie aber bis heute nicht. Der irische Außenminister wird daher nicht müde, zu erklären, dass britische Flugzeuge nicht bewaffnet sein, keine Militöroperation und keine Übung ausführen dürfen und eine entsprechende Genehmigung brauchen:
Under the Air Navigation (Foreign Military Aircraft) Order, 1952, all foreign aircraft seeking to overfly Irish sovereign airspace or land in the State must request the permission of the Minister for Foreign Affairs. Specific criteria in relation to the granting of such permission have been put in place by successive Governments. These criteria include that the aircraft be unarmed and carry no arms, ammunition or explosives. In addition, such craft must not form any part of a military operation or exercise. … the [Irish] Government’s engagement in international security cooperation is aimed at ensuring public safety and is conducted with full respect for Irish sovereign decision-making authority and for Ireland’s long-standing policy of military neutrality.
https://www.oireachtas.ie/en/debates/question/2021-09-30/209/
Vieles von dem oben Gesagten ist theoretische Gedankenspielerei, wie gesagt. Hoffentlich bleibt das so. Sie zeigt jedenfalls, wie die Neutralität gerade im Luftraum und im Zeitalter von Überschall-Raketen & Co. nicht nur auf juristische, sondern auch auf räumliche Grenzen stößt.
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