„Trump Is Speaking Like Hitler, Stalin, and Mussolini“ schrieb Anne Applebaum, unter anderem frischgebackene Preisträgerin des Friedenspreises des deutschen Buchhandels, in einem kürzlich erschienen Atlantic-Artikel. Vielleicht ein guter Anlass für Zitateforschung: Eine Spurensuche durch Adolf Hitlers „Mein Kampf“. Und nein, Trump ist kein neuer Hitler. Aber das sagt auch niemand (zumindest niemand, den/die man ernst nimmt).
„Ungeziefer“, „Schädling“ („vermin“). Donald Trump hat seine politischen Gegner mit diesem Begriff bedacht. Keine Rivalen, sondern – absolute (mit Carl Schmitt gesprochen) – Feinde. Und hier hakt Applebaum ein. Trumps Sprache überschreitet Grenzen, tut es schon lange, aber es ist ein Gewöhnungseffekt eingetreten. Daher die Parallele zu den politischen Ungetümen des 20. Jahrhunderts, die ihre Gegner und Feinde, ja ganze Bevölkerungsgruppen, rhetorisch de-humanisiert haben. Wer kein Mensch ist, hat auch keinen Anspruch, als solcher behandelt zu werden, so die simple wie brutale Logik. Um Applebaum zu zitieren:
The word vermin, as a political term, dates from the 1930s and ’40s, when both fascists and communists liked to describe their political enemies as vermin, parasites, and blood infections, as well as insects, weeds, dirt, and animals. The term has been revived and reanimated, in an American presidential campaign, with Donald Trump’s description of his opponents as “radical-left thugs” who “live like vermin.
This language isn’t merely ugly or repellant: These words belong to a particular tradition. Adolf Hitler used these kinds of terms often. In 1938, he praised his compatriots who had helped “cleanse Germany of all those parasites who drank at the well of the despair of the Fatherland and the People.” In occupied Warsaw, a 1941 poster displayed a drawing of a louse with a caricature of a Jewish face. The slogan: “Jews are lice: they cause typhus.” Germans, by contrast, were clean, pure, healthy, and vermin-free. Hitler once described the Nazi flag as “the victorious sign of freedom and the purity of our blood. Stalin used the same kind of language at about the same time. He called his opponents the “enemies of the people,” implying that they were not citizens and that they enjoyed no rights. He portrayed them as vermin, pollution, filth that had to be “subjected to ongoing purification,” and he inspired his fellow communists to employ similar rhetoric. In my files, I have the notes from a 1955 meeting of the leaders of the Stasi, the East German secret police, during which one of them called for a struggle against “vermin activities” (there is, inevitably, a German word for this: Schädlingstätigkeiten), by which he meant the purge and arrest of the regime’s critics. In this same era, the Stasi forcibly moved suspicious people away from the border with West Germany, a project nicknamed “Operation Vermin.
This kind of language was not limited to Europe. Mao Zedong also described his political opponents as “poisonous weeds.” Pol Pot spoke of “cleansing” hundreds of thousands of his compatriots so that Cambodia would be “purified.”””
Soweit, so schlecht. Was kann man hierzu noch sagen? Nun, weniger in eigenen Worten. Ja, Trump-Hitler-Vergleiche laufen Gefahr, das Böse des 20. Jahrhunderts zu bagatellisieren. Allgemein sind Nazi-Vergleiche meistens schlecht, oft schlecht und eigentlich nie gut. Und dass sie inflationär aufkommen, ist schon lange bekannt (wer es nicht kennt: Google „Godwin’s Law“).
Also besser schweigen, keine Vergleiche machen, jeden Politiker für sich stehen lassen, keine Parallelen ziehen, Warnungen ausgesprochen lassen? Ich habe keine Antwort, vielleicht gibt es keine, vielleicht kenne nur ich sie nicht. Geschichte kann ein Lehrmeister sein, aber sie wiederholt sich nicht, jedenfalls nicht zur Gänze. Irgendwas ist dann doch immer anders.
„Mein Kampf“ 2024
Und damit wären wir beim eigentlichen Thema, den rhetorischen Vorläufern und eben auch Unterschieden. Und damit bei Hitlers „Mein Kampf“, also jenem Buch, bei dem das Missverhältnis zwischen Verbreitung und tatsächlicher Lektüre wohl so groß ist wie bei kaum einem anderen. Die deutschen Haushalte der 1920er, 1930er und 1940erjahre hatten es zu Hause stehen, viele wohl auch darüber hinaus. Zur Verbreitung und den damit einhergehenden siehe den dazugehörigen Wikipedia-Eintrag:
Ab 1930 wurde eine einbändige Volksausgabe gedruckt. Sie kostete zunächst 8 RM, später 7,20 RM. Ab 1932 erschien außerdem eine zweibändige kartonierte Ausgabe für 5,70 RM (2,85 RM pro Band). Bis Januar 1933 wurden von sämtlichen Ausgaben insgesamt 287.000 Exemplare verkauft. Hitler erhielt pro verkauftem Buch 10 Prozent Tantiemen. … Danach schnellte die Auflage stark in die Höhe. Von Januar bis zum 17. November 1933 wurden laut Plöckinger 854.127 Exemplare verkauft.[16] Im ganzen Jahr 1933 wurden etwa 1.080.000 Exemplare verkauft. Aufgrund der großen Nachfrage beteiligten sich ab 1933 immer mehr Druckereien an der Herstellung von Mein Kampf – bis 1944 insgesamt 22 verschiedene in 14 Städten, darunter Innsbruck, Riga und Straßburg. 1933 wurde eine Ausgabe in Blindenschrift herausgegeben.[18] Ab 1936 wurde aufgrund eines Runderlasses des Reichsministeriums des Innern – „soweit die finanzielle Lage der Gemeinden es zulasse“ – von vielen Standesämtern deutschen Brautpaaren anstatt der Bibel Mein Kampf auf Kosten der jeweiligen Stadtkasse geschenkt. Es wurde von Parteimitgliedern erworben und von Schülern im Unterricht verwendet. Um dieses für den Parteiverlag und ihn einträgliche Geschäft nicht zu gefährden, erwirkte Hitler eine besondere Regelung der Reichsschrifttumskammer, dass das Buch im Buchhandel nicht aus zweiter Hand verkauft werden durfte. Bis 1939 stieg die Gesamtauflage auf 5,45 Millionen und erreichte bis 1944 10,9 Millionen Stück.
So, und was steht drin? Das weiß kaum wer so recht, es hat ja, wie gesagt, kaum wer gelesen und der Inhalt hat aufgrund seines offensichtlich antisemitischen bzw. allgemein hetzerischen Inhalts strafrechtliche Eelevanz. Aber es ist, wenn man es will, dennoch zugänglich (zumindest in Auszügen).
Dem Leser bietet sich eine unangenehme, mäandernde und seltsame Lektüre. Aber ich persönlich versuche, Dinge im Original zu lesen. Erst Primär, dann Sekundärliteratur. Oder umgekehrt. Aber jedenfalls nicht nur Zweiteres.
Die Worte „Ungeziefer“ und „Schädling“ kommen darin in der Tat vor. Beide – wenig überraschend – in Absätzen, die vor Hitlers Antisemitismus nur so strotzen. Von „betrügerischen Gonssenschaft dieser jüdischen Volksvergifter“ ist im ersten die Rede, gegen die schon im August 1914, also dem für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs entscheidenden Zeitraum, hätte vorgegangen werden sollen: „Wenn an der Front die Besten fielen, dann konnte man zu Hause wenigstens das Ungeziefer vertilgen.“ Von „der ungeheuren jüdischen Presse“ im zweiten, die „viel zu sehr nach dem Gesichtspunkt geführt [wurde], daß Gesinnung vor die Leistung zu treten hätte. Ein ganz falscher Standpunkt,
insofern die Gesinnung ja nichts Äußerliches sein darf, sondern geradezu ihren schönsten Ausdruck in der Leistung findet. Wer für sein Volk wirklich Wertvolles schafft, bekundet damit eine ebenso wertvolle Gesinnung, während ein anderer, der bloß Gesinnung heuchelt, ohne in Wirklichkeit seinem Volke nützliche Dienste zu verrichten, ein Schädling jeder wirklichen Gesinnung ist.„
„Mein Kampf“ erschien erstmals 1925. Radikaler Antisemitismus und die die damit Dehumanisierung waren also schon lange vor Hitlers Machtergreifung in seinem Denken angelegt. Keine spätere Selbstradikalisierung, sondern Umsetzung von Vorhandenem. Und genau hier setzen die Warnungen vor Mensch-Tier-Vergleichen an. Nicht, weil Trump oder sonstwer Hitler wäre oder werden würde. Sondern weil es Grenzen gibt, die von der Geschichte gezogen wurden. Oder zumindest gezogen werden sollten.