Von Internationalen Organisationen als eigenständige, übermenschliche Wesen
Erst unlängst titelte der Spiegel „Vereinte Nationen nennen Türkei-Deal illegal“, ähnliche Schlagzeilen waren auch in anderen Medien zu lesen. Aber gibt es „die UNO“ in dieser Form eigentlich? Wer oder was ist sie genau? Hat „die UNO“ einen eigenen Willen und kann sie dementsprechend etwas sagen beziehungsweise kritisieren?
Die UNO ist eigentlich die UN. Das „O“ hat sich im Sprachgebrauch etabliert, aber offiziell sind es die „United Nations“, zu deutsch die „Vereinten Nationen“. Das O steht bekanntermaßen für „Organisation“. Rechtlich lassen sich internationale Organisationen folgendermaßen definieren:
The term ‘international organization’ refers to an international organization established by a treaty or other instrument governed by international law and possessing its own legal personality. International organizations may include as members, in addition to states, other entities. [International Law Commission, organizations may include as members, in addition to states, other entities [Report of the International Law Commission, Fifty-fifth Session’ [5 May–6 July and 7 July–8 August 2003], GAOR 58th Session Supp 10, 38
Diese sehr allgemein gehaltene Definition verlangt nach einer weiteren Klarstellung, insbesondere aufgrund der Bezugnahme auf die eigene Rechtspersönlichkeit (siehe dazu den Beitrag von Kirsten Schmalenbach in der Max Planck Encyclopedia of International Law). Schmalenbach betont daher die eigenständige Willensbildung, die sich von jenem ihrer Mitglieder unterscheidet, als Wesensmerkmal Internationaler Organisationen.
Daher kann „die UNO“ grundsätzlich durchaus etwas verurteilen, kritisieren, fordern oder für gut befinden. Das liegt sogar in ihrem Wesenskern. Aufgrund ihrer enormen Größe und Komplexität gilt es oftmals zu unterscheiden. In erster Linie zwischen den mit der Gründung 1945 etablierten 6 Hauptorganen (Generalversammlung, Sicherheitsrat, Wirtschafts- und Sozialrat, der seit der Unabhängigkeit von Palau 1994 inaktive Treuhandschaftsrat, der Internationale Gerichtshof (IGH) und das UN-Sekretariat) und den zahlreichen weiteren Organen aller Art. Wobei man sehr schnell den Überblick verlieren kann.
Im Falle des geplanten Flüchtlingsaustauschs wurde die Kritik etwa vom UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Zeid Raad al-Hussein (der, am Rande erwähnt, allgemein ein gutes Standing genießt; als höchst problematisch gilt jedoch sein Verhältnis zum Recht auf freie Meinungsäußerung und Blasphemie; Näheres zu seiner langen Karriere innerhalb der UN findet sich hier), geäußert. Er ist streng vom UN-Menschenrechtsrat und seinem Vorgänger, der UN-Menschenrechtskommission zu unterscheiden (sie wurde aufgrund ihres Anti-Israel-Bias und ihrer allgemein fragwüdigen Praxis in Sachen Menschenrechte ersetzt; der Menschenrechtsrat hat allerdings mit ähnlichen Problem zu kämpfen, Saudi-Arabien hatte erst im Oktober 2015 den Vorsitz über eines seiner Panel bekommen).
Das Amt des UN-Hochkommissars für Menschenrechte wurde 1993 durch die UN-Generalversammlung auf Empfehlung der Weltmenschenrechtskonferenz in Wien geschaffen. Es ist das Hauptorgan der UN in Sachen Menschenrechte und Teil des UN-Sekretariats. Der Hochkommissar untersteht bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben dem UN-Generalsekretär. Zu seinen Aufgaben gehört unter anderem „(i) To promote and protect the effective enjoyment by all of all civil, cultural, economic, political and social rights“, darunter gehören auch Stellungnahmen zu geplanten Maßnahmen mit möglichen Auswirkungen auf die Einhaltung der Menschenrechte.
Aufgrund seiner Stellung innerhalb des Systems der Vereinten Nationen kann man also durchaus davon sprechen, dass er beziehungsweise sein Amt in menschenrechtlichen Belangen als „die UNO“ auftritt.
Hans Kelsen zu juristischen Personen
Was freilich nichts daran ändert, dass es sich wie bei allen größeren Verbandseinheiten (kein rechtlicher Begriff!) um juristische Personen und somit um menschengemachte Konstrukte handelt. Was oft falsche Bilder hervorruft. Hans Kelsen hat der Gleichsetzung der juristischen Person mit Organismen, wie wir sie bereits bei Hobbes und später bei de Vattel oder Hegel finden, vehement widersprochen:
Juristic Person as Real Being (Organism)
The basic error of the theory that the juristic person is represented by its organs in the way a ward is represented by its guardian or a principal by his agent is that the juristic person is thought of as a kind of human being. If the physical person is a man, then the juristic person must be, it is thought, a superman. The theory that the juristic person, though only a fiction, has a will, viz., the will of the organ which is „attributed“ to it, is therefore not so different from the theory that the juristic person, especially the corporation, is a real entity, an organism, a superman which has a will of its own which is not the will of its members, that the will of the juristic person is a real will which the law of the State recognizes and – as some writers contend – has to recognize. The theory that the juristic person is a real entity and has a real will has sometimes the conscious or unconscious tendency to induce the legislator to a definite regulation with reference to corporations, to justify this regulation as the only „possible“ and hence the only right one.
The idea that corporations are real beings with a real will is on a level with the animistic beliefs which led primitive man to endow things in nature with a „soul.“ Like animism, this juristic theory duplicates its object. An order regulating the behavior of individuals is personified and then the personification is regarded as a new entity, distinct from the individuals but still in some mysterious fashion „formed“ by them. The duties and rights of the individuals stipulated by this order are then attributed to the superhuman being, the superman consisting of men. And so the order is hypostatized – that is to say: the order is made into a substance, and this substance is regarded as a separate thing, a being distinct from the order and the human beings whose behavior is regulated by this order.Hans Kelsen, General Theory of Law and State (Harvard University Press 1949) 108
Ungeachtet der juristischen Implikationen ist das Bild von juristischen Personen (hier: der UN) als eigenständige Wesen, die Dinge kritisiert oder gutheißt, zwar anschaulich, aber mit Vorsicht zu genießen. Geisteschichtlich läuft die Überhöhung von juristischen Personen dazu, die dahinterstehenden Individuen und deren Beweggründe beziehungsweise Lebensumstände in Vergessenheit geraten zu lassen. Man kann nicht oft genug betonen – wie das etwa George Scelle bereits Anfang des 20. Jahrhunderts getan hat –, dass Individuen das einzig wahre Rechtssubjekt des Völkerrechts darstellen (freilich nicht im formaljuristischen, sondern im symbolisch-moralischen Sinne; siehe dazu Alexander Orakhelashvili, ‚The Position of the Individual in International Law‘, (2000) 31(2) California Western International Law Journal 241, verfügbar unter http://scholarlycommons.law.cwsl.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1255&context=cwilj).