„Es ist 1996″… eine kleine Remineszenz

Gestern vor 20 Jahren haben die Spice Girls ihre Debutsingle „Wannabe“ veröffentlicht. Anlass genug, ein wenig über die Welt von eben diesem Gestern zu sinnieren.

„Es ist 1996, meine Freundin ist weg und bräunt sich, in der Südsee…“ rappten Fettes Brot damals. Das war die Zeit, als Deutschrap noch in den Kinderschuhen steckte, die Reime und der „Flow“ klangen noch gar hölzern. Das Deutsche schien damals einfach nicht kompatibel mit schnellem Sprechgesang. Es sollte noch ein paar Jahre dauern, ehe ein gewisser King Kool Savas die kleine Hip Hop Welt eines Besseren belehren sollte. Eben dieser Savas stand auch am Beginn einer neueren Generation von Rappern, die richtig böse Worte und Zeilen zum Besten brachten, richtiges Dissen eben. Fettes Brot, Fanta 4 und die wenigen anderen, denen die 1990er gehören sollten, waren jedenfalls noch richtig lieb und unschuldig.

Internet gab es damals zwar bereits, aber in den meisten Wohnzimmern hatte es noch nicht Eingang gefunden. Zum Surfen ging man zu Freunden mit entsprechendem Anschluss. Obwohl die Websites noch äußerst rudimentär waren, übte das Internet schon damals eine starke Faszination aus. Allzu Zeit verbrachte man allerdings nicht am PC, zumal die Eltern sich daran störten, wenn man allzu exzessiv davon Gebrauch machte; zum einen belegte man ja die Telefonleitung (man musste sich extra einwählen, konnte also nicht gleichzeitig telefonieren oder überhaupt angerufen werden, während jemand online war), zum anderen kostete ja jede Minute Geld. „Unbegrenztes Internet“ war damals noch nicht in Sicht, das sollte doch noch ein wenig dauern (das hieß dann „Chello“ und wurde von UPC angeboten; das waren auch jene, die Internet „über Kabel“ brachten, also vom Telefonanschluss entkoppelten).

Smartphones gab es damals nicht, eh klar. Handies begannen gerade einmal ihren Siegeszug, waren relativ groß und die Bildschirme gerade einmal zweifärbig; dafür hielt der Akku vergleichsweise ewig. Facebook, Twitter, Google, Instagram, Snapchat und Co schienen noch unendlich fern, der Gedanke daran hätte wohl etwas Absurdes gehabt. Allenfalls vergnügte man sich in den ersten Chatrooms. Wenn man Freunde treffen wollte, blieb man entweder nach der Schule sogleich beieinander oder rief sich via Festnetz zusammen. Da gingen meist die Eltern ans Telefon, man stellte sich artig vor und frage leicht beschämt, ob denn „der/die XYZ“ zuhause sei. Zu spät kommen war damals noch keine Lappalie, zumal die weitgehende Abwesenheit von Mobiltelefonen auch zeitliche Grenzen setzte. Wenn ein Freund nicht einigermaßen zeitgerecht auftauchte, ging man leicht wütend wieder, allenfalls rief man von einer Telefonzelle, die es damals ja noch an vielen Ecken gab, daheim an. Die wichtigsten Nummern hatte man notiert oder kannte sie auswendig.

Gespielt wurde damals noch immer am Gameboy, manche auch mit dem Sega Gamegear, der hatte sogar Farben und mit TV-Aufsatz konnte man darauf fernsehen (!). Daheim dominierte der Supernintendo, auch hier spielte SEGA mit seinem Mega Drive nur zweite Geige. Allerdings setzte Sony mit seiner Playstation gerade dazu an, die Videospielewelt zu erobern. Bessere Grafik, Controller mit ungleich mehr Tasten und CDs statt Cartridge, das war dann doch eine ziemliche Innovation, die auch den Nintendo 64 recht alt aussehen ließen.

Die österreichische Innenpolitik stand unter dem Schatten der sich schon lange selbst überlebten rotschwarzen Dauerkoalition (1996  beerbte Viktor Klima, ein „Managertyp“ wie heute Christian Kern, Franz Vranitzky, den Urvater der „Nadelstreif-Sozialisten“) und dem omnipräsenten Jörg Haider. Schon damals wurde viel über „die Ausländer“ und Integration diskutiert. Die EU-Mitgliedschaft war noch jung, der EURO noch in weiter Ferne, bezahlt wurde in Schilling. Ein 1000er (ca. 70€) war damals richtig viel wert, zum 100er sagte man „Kilo“. Im ehemaligen Jugoslawien war nach dem Dayton-Abkommen relative Ruhe eingekehrt, viele der damals nach Österreich geflüchteten blieben jedoch, in der Schule wurden Freundschaften geschlossen, die bis heute halten. Am Boulevardhimmel herrschte neben der Krone damals noch „Täglich Alles“ (die war bunt und zusammengeheftet, was das Lesen immens erleichterte“), dafür aber kein „Österreich“. Im Fernsehen gab es nur Orf 1 und 2, Privatfernsehen war damals noch rechtliches Niemandsland, eine rechtliche Grundlage für Privatradios wurde erst 1997 geschaffen. Österreich war in Europa mit der Öffnung seines Medienmarkts insgesamt also sehr spät dran, es war das letzte Land ohne via Antenne empfangbarem Privatfernsehen Europas. Die Bezeichnung „Medien-Albanien“ kam also nicht ungefähr(weil selbst Albanien, das sich gerade erst von der jahrzehntelangen stalinistischen Diktatur unter Enver Hoxha erholte, früher Privatfernsehen kannte). Viele gönnten sich zwecks größerer Vielfalt daher eine Satellitenschüssel oder „Kabelfernsehen“, um sich Zugang zum ungleich größeren und spannenderen deutschen Senderangebot zu verschaffen.

Sportlich war 1996 das Jahr, in dem Rapid Wien das Finale im Cup der Cupsieger erreichte, wo man gegen Paris Saint Germain knapp mit 1:0 unterlag. Die Helden dieser Zeit hießen Michael Konsel, Carsten Jancker, Peter Stöger, Didi Kühbauer, Andi Heraf, Trifon Ivanov (siehe dazu http://www.abseits.at/fusball-in-osterreich/kommentar-trifon-ivanov-a-walk-down-the-memory-lane/) oder Christian Stumpf (um nur jene zu nennen, die mir ohne langes Nachdenken in den Sinn gekommen sind). Die Champions League gewann Juventus Turin mit Del Piero, Ravanelli und Vialli oder Didier Deschamps, die EM 1996 ging an Deutschland im Finale gegen Tschechien, persönlicher Held des Turniers war Karel Poborsky. Neben dem Fussball erfreute Basketball sich größter Beliebtheit, irgendwie waren damals alle Jugendlichen Fans der Chicago Bulls, so ziemlich jeder hatte eine Kappe, ein T-Shirt oder ein Dress mit dem roten Bullen drauf; wenig verwunderlich, Michael Jordan war nach seiner leicht wundersamen Baseball-Abstinenz zurückgekehrt und hatte soeben daran angesetzt, sich mit einem zweiten Threepeat (so nennt man das, wenn man 3x in Folge die Meisterschaft gewinnt) endgültig zur Legende zu machen.

Das sind jetzt freilich nur einige wenige Aspekte des Jahres 1996, die mir anlässlich der Nachricht, dass „wannabe“ wirklich 20 Jahre her ist, in den Sinn gekommen sind. Langsam wird man so alt, wie man es nie sein wollte, bis man nur noch von der guten alten Zeit spricht – „nur alte Menschen leben so, dass sie bei den Erfahrungen und Erfolgen einer vergangenen Zeit verharren und vom Gegenwärtigen nicht mehr berührt werden“ kann man in Robert Musils Mann ohne Eigenschaften lesen. Das Spiel ließe sich also ewig so weiterspinnen. Ob man das gerne und oft macht, ist freilich eine Frage der Einstellung und des Charakters: Wie man bei Philip Zimbardo und John populärwissenschaftlichen Werk „The Time Paradox“ nachlesen kann, gibt es eben unterschiedlichste Umgangsformen mit der Zeit. Manche leben eher im Moment, andere blicken stets nach vorne. Da spielt die Vergangenheit folglich keine so große Rolle, dementsprechend schwer fällt das Erinnern, zumal man darin bisweilen ohnehin keinen allzu großen Nutzen zu erkennen vermag. Aber manche schwelgen eben öfters mal im Gestern und wissen folglich nur allzu gut, was „back in the days“ so alles passiert ist. Was auch die große Frage in den Raum stellt, wie die Welt im Jahr 2036 aussehen wird. Man darf angesichts der weitreichenden Veränderungen der letzten beiden Jahrzehnte jedenfalls gespannt sein.

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