Wer eine Reise tut, der hat was zu erzählen. Und seine Gründe dafür. Welche eigentlich?
Die Klassiker sind schnell bei der Hand: Fernweh, etwas erleben, Interessen für fremde Länder und Kulturen, Entspannung, abschalten. Flughäfen voller hoffnungsvoller Gesichter, das angenehme Gefühl, einzuchecken, die erste abfallende Last, nachdem man den großen Koffer/Rucksack abgibt. Noch zum Supermarkt, vielleicht kurz wo hinsetzen (für die ganz Pünktlichen jedenfalls).
Was treibt uns fort? Push- und Pull-Effekte. Die Routine in der Heimat, die die Zeit so ereignislos macht und daher so schnell vergehen lässt. Woanders lauert an jeder Ecke ein neuer Eindruck, was angenehm entschleunigt. Dann ist zwar im Nachhinein immer noch alles so schnell gegangen, aber wenigstens nicht währenddessen. Dazu der Andere, der eingebildete, virtuelle Zeuge fürs eigene Leben. Menschen beeindrucken, die man kaum kennt oder vielleicht nicht einmal mag. In einer komplexen Welt, in der es oft so schwierig erscheint, das Richtige zu tun, hilft oft sogar ein gedankenloser Click als Bestätigung.
Vielleicht auch eine schwerwiegendere Situation. Urlaub dient sogar ex lege der Erholung, der Erhaltung der Vitalität im Arbeits- und, damit zusammenhängend, Privatleben. Vielleicht erscheint der Zustand in der Heimat wenn schon nicht unerträglich, dann doch äußerst anstrengend. Schreit danach, sich woanders hin zu begeben. Den Kopf frei zu bekommen. „Auf andere Gedanken kommen“, zumal Freunde Sätze wie „du brauchst Ablenkung“ von sich geben. Dabei aber vergessen, dass Gedankenmessies ihren Kopfmüll überallhin mitnehmen. Körper im Flieger, Kopf bleibt am Gate, vielleicht noch vorm Sicherheits-Check. Dann wird es schwierig, aus einer Reise eine reinigende Wirkung (eben eine Reisigung) herauszuziehen.
Ding will Weile haben. Der Kurztrip reißt nur an, aber nicht raus. Bis der Kopf nachzügelt, vergeht oft ein wenig Zeit. Daher nehmen viele gezielte Auszeiten, längere Auszeiten. Drei Wochen Minimum, gerne auch mal Monate. Sabbatical gibt es auch noch.
Dann trifft man Menschen, die mehr Stempel im Pass als haben als die Vereinten Nationen Mitglieder. Reisen als Notwendigkeit, weil die Welt da draußen so groß wie die Zeit auf ihr beschränkt ist.
Ihre Antagonisten bleiben daheim. Wenn schon keine Stuben-, dann doch Städtehocker. Ihr unerklärtes Idol ist Immanuel Kant, der sein Königsberg nie verlassen haben soll.
Für sie gibt es spätestens seit dem Ende des Kalten Krieges und dem Paradigma der mehr oder minder offenen Grenzen kaum noch Platz. Wer daheimbleibt, verpasst nicht nur etwas: Mehr noch, er missachtet, er schätzt die sich ihm bietenden Möglichkeiten nicht. Ein Frevel an dieser mühselig erreichten Zeit und denjenigen, die sie nicht erleben können.
Eine Möglichkeit definiert sich allerdings gerade dadurch, dass man sie in Anspruch nehmen kann, aber nicht muss. Auch wenn unsere Zeit das Reisen zelebriert: Es darf selbst heute ebenso in Ordnung sein, wenn einen gerade nichts in die Ferne zieht.