Je öfter von etwas gesprochen wird, desto weniger weiß man, was es eigentlich ist. Das zeigt sich auch bei dem, was wir als Recht verstehen. Ein Annäherungsversuch an einen schwierigen Begriff.
Im allgemeinsten Sinne meint das Recht die Summe aller Normen, die das Verhalten von Rechtssubjekten – also natürliche Personen sowie öffentliche und private juristische Personen – regeln.
Drei Elemente des Rechts
Speziellere und exaktere Definitionen des Rechts gibt es zuhauf. Ihnen ist gemein, dass sie sich um drei Wesenselemente drehen, die unterschiedlich gewichtet werden und dementsprechend zu anderen Definitionen führen können:[1]
- Die inhaltliche Richtigkeit, worunter Fragen der Moral, der Gerechtigkeit oder auch Analysen zu seinen wirtschaftlichen Auswirkungen fallen können,
- die Wirksamkeit, die sich aus der sozialen Akzeptanz und, sofern diese nicht ausreicht, auf die Androhung beziehungsweise Umsetzung allfälliger Sanktionen stützt sowie
- das ordnungsgemäße, also im Rahmen des (verfassungs-)gesetzlichen Rahmens Zustandekommen der Rechtsnorm.
Vorrangige Bedeutung kommt dem zweiten Element zu; Recht wird heute zumeist staatlich, jedenfalls als zwangsbewährt gedacht. Günther Winkler, der vom Recht als „eine durch die Zwangsgewalt des Staates gewährleistete Ordnung von Vorschriften für das Zusammenleben von Menschen in der Rechtsgemeinschaft“[2] spricht. Ludwig von Mises betont dabei den Zwang und, genauer, das Element der Gewalt(-androhung), wenn er vom Recht als „die Gesamtheit der Regeln, die (diejenigen) die über den Staat, d.h. über die Gewaltanwendung, verfügen, im Gebrauchte der Gewalt befolgen […]“ spricht.[3]
Etwas weiter, weil soziologisch und nicht notwendigerweise staatsbezogen, kann man Max Weber zufolge von Recht sprechen, wenn es „äußerlich garantiert ist durch die Chance physischen oder psychischen Zwanges durch ein auf Erzwingung der Innehaltung oder Ahndung der Verletzung gerichetes Handeln eines eigens darauf eingestellten Stabes von menschen. […] Uns soll für den Begriff >>Recht […] die Existenz eines Erzwingungs-Stabes entscheidend sein. Dieser braucht natürlich in keiner Art dem zu gleichen, was wir heute gewohnt sind. Insbesondere ist es nicht nötig, dass eine >>richterliche<< Instanz vorhanden sei. Auch die Sippe (bei der Blutrache und Fehde) ist ein solcher Stab, wenn für die Art ihres Reagierens Ordnungen irgendwelcher Art tatsächlich gelten.“[4]
Die alte Streitfrage: Rechtspositivismus vs. Naturrecht
Die zentrale und bekannte Streitfrage rund um die Definition des Rechts dreht sich darum, ob der Rechtsbegriff das erste Element, also die inhaltliche Richtigkeit, notwendigerweise mit einschließt. Während der Rechtspositivist ganz klar allein auf die anderen beiden Elemente abstellt, betonen Nichtpositivisten (oftmals Naturrechtler) die Notwendigkeit des Einbeziehens eines moralischen Gehalts.
So spricht Hans Kelsen von einer „Rechtsordnung [als] eine Vielheit von generellen und individuellen Normen, die menschliches Verhalten regeln, das heisst als gesollt bestimmen. Dass ein Verhalten in einer Norm bestimmt oder, was dasselbe ist, Inhalt einer Norm ist, bedeutet, dass es gesollt ist. Der Begriff der Norm und der Begriff des Sollens fallen zusammen. Darunter, dass ein Verhalten in einer Norm als gesollt bestimmt ist, wird hier nicht nur verstanden, dass es geboten, sondern auch dass es positiv erlaubt oder ermaechtigt ist.“[5]
Durch das Konzept der Grundnorm rückt er obendrein das dritte der eingangs erwähnten Elemente in den Vordergrund – jede Norm muss sich für ihre Geltungskraft auf eine darüberstehende Ermächtigungsnorm berufen können, bis – um einen unendlichen Rekurs zu unterbinden – als letzte Instanz die Grundnorm erreicht ist. Fragen des Inhalts wiederum schließt er explizit aus, deswegen „kann jeder beliebige Inhalt Recht sein.“[6]
Dagegen wandte sich beispielsweise Robert Alexy und die Verbindungsthese, derzufolge „der Begriff des Rechts so zu definieren ist, dass er moralische Elemente enthält. Dabei schließt kein ersntzunehmender Nichtpositivist die Elemente der ordnungsgemäßen Gesetztheit und der sozialen Wirksamkeit aus dem Rechtsbegriff aus. Was ihn vom Positivisten unterscheidet, ist vielmehr die Auffassung, dass der Begriff des Rechts so zu definieren ist, dass er neben diesen Merkmalen, die auf Tatsachen abstellen, auch moralische Elemente einschließt.“[7]
Was ist nun also Recht? Was bleibt, ist die leidlich bekannte juristische Standardantwort – das kommt drauf an. Die Debatte zwischen Naturrecht und Rechtspositivisten ist seit den Verbrechen im nationalsozialistischen Deutschland neu aufgeflammt und bis heute nicht eindeutig geklärt. Fest steht, dass beide Denkrichtungen pervertiert wurden. Ein abschließendes Urteil muss daher unterbleiben.
Quellen:
[1] Robert Alexy, Begriff und Geltung des Rechts (Verlag Karl Alber 2011), 29.
[2] Günther Winkler, Das Recht und die Rechtswissenschaft (Jan Sramek Verlag 2014), 5.
[3] Ludwig von Mises, Im Namen des Staates (Verlag Bonn Aktuell 1978), 69.
[4] Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (Zweitausendeins 1910/2008, 24 und 25.
[5] Hans Kelsen, Der Begriff der Rechtsordnung, (1958) 1/3-4 Logique & Analyse 150, 150.
[6] Hans Kelsen, Reine Rechtslehre (1960), 201.
[7] Alexy, op.cit., 17.