la guerre c’est quoi? – Zum Kriegsbegriff und dessen Bedeutung für neutrale Staaten

2015 gab es laut Heidelberger Institut für Konfliktforschung 409 politische Konflikte (dieselbe Zahl wie 2014), von denen 16 das Ausmaß eines Krieges erreicht haben. Doch was genau ist ein Krieg eigentlich? Und inwiefern ist diese Definition bedeutsam?

Der Krieg im modernen Völkerrecht

Heute ist der Begriff des Krieges weitgehend aus dem Völkerrecht verschwunden. Die UN Charter beispielsweise verwendet ihn lediglich an drei Stellen. Zum einen nennt sie in der Präambel das Ziel, nachfolgende Generationen von der “scourge of war” (die “Geißel des Krieges” in der deutschen Übersetzung), worunter die ersten beiden Weltkriege gemeint sind, zu bewahren. Zum anderen verweist sie auf die sogenannten Feindstaaten („enemy states“) der UN-Mitglieder während des Zweiten Weltkriegs. Insbesondere sollte die UN Charter damals keine gegen Deutschland und Japan ergriffenen Maßnahmen außer Kraft setzen oder untersagen (Artikel 107). Diese Bestimmungen sind heute selbstredend obsolet. Sie befinden sich allerdings nach wie vor in der UN Charter, obwohl die Generalversammlung bereits 1995 ihre Absicht erklärt hat, die Verweise auf „Feindstaaten“ zu löschen (ein gutes Beispiel für die Schwerfälligkeit des UN-Apparats im Allgemeinen und in Bezug auf Reformen der Charter im Besonderen).

Statt Krieg spricht etwa Artikel 1 (der die “Ziele und Grundsätze” beinhaltet) von „international peace and security“, „friendly relations among nations“ oder „peaceful means.“ Ihr zentraler Eckpfeiler ist das Gewaltverbot nach Artikel 2(4), der in bewusster Abkehr vom Kellogg-Briand-Pakt aus dem Jahr 1928 nicht den Krieg, sondern jegliche Gewaltanwendung oder -androhung verbietet. Staaten sollten den Einsatz militärischer Mittel eben nicht damit rechtfertigen können, dass diese unterhalb der Schwelle kriegerischen Handelns lägen. Ebenso werden die Kompetenzen des Sicherheitsrats im Rahmen von Kapitel VII durch einen „act of aggression“, „breach of the peace“ oder „threat to the peace“ (Artikel 39) ausgelöst. Daher kann der Sicherheitsrat etwa auch bei schwerwiegenden Menschenrechtsverstößen von Seiten der Staatsgewalt gegenüber dem eigenen Volk in Abwesenheit eines Bürgerkriegs militärische Maßnahmen autorisieren.

Die Genfer Konventionen

Auch das humanitäre Völkerrecht, also das in bewaffneten Konflikten geltende Recht, hat den Kriegsbegriff über weite Strecken verbannt. Die Genfer Konventionen sprechen im jeweils identen Artikel 2 von „allen Fällen eines erklärten Krieges oder jedes anderen bewaffneten Konflikts […], der zwischen zwei oder mehreren der Hohen vertragschließenden Parteien entsteht, und zwar auch dann, wenn der Kriegszustand von einer dieser Parteien nicht anerkannt wird.“ Etwaige Kriegserklärungen sind somit irrelevant für die Anwendung des humanitären Völkerrechts. Außerdem ist es von allen Konfliktparteien einzuhalten, unabhängig davon, ob sie rechtmäßig handeln oder nicht. Staaten, die sich verteidigen oder auf Grundlage einer Autorisierung des Sicherheitsrats sind ebenso gebunden wie angreifende Staaten. Das ius in bello – das Recht im Krieg – ist streng vom ius ad bellum – das Recht auf Krieg, also die Frage, unter welchen Umständen man Gewalt anwenden darf zu trennen. Dementsprechend legt die Präambel des ersten Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen die Anwendung des humanitären Völkerrechts „ohne jede nachteilige Unterscheidung, die auf Art oder Ursprung des bewaffneten Konflikts oder auf Beweggründen beruht, die von den am Konflikt beteiligten Parteien vertreten oder ihnen zugeschrieben werden“ fest.

Der allen vier Genfer Konventionen gemeinsame Artikel 3 wiederum spricht von einem bewaffneten Konflikt, „der keinen internationalen Charakter aufweist und der auf dem Gebiet einer der Hohen Vertragsparteien entsteht.“ Beim Bürgerkrieg handelt es sich folglich um keine völkerrechtliche Kategorie, vielmehr spricht man von einem nicht-internationalen bewaffneten Konflikt, der weder erlaubt, noch verboten ist. Seine Rechtmäßigkeit ist schlichtweg nicht Gegenstand des Völkerrechts, sondern des jeweiligen innerstaatlichen Rechts.

Die Genfer Konventionen definieren weder den Begriff des Krieges, noch den des bewaffneten Konflikts. Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien hat hier bereits im Zuge seines ersten Falls (in dem es um Duško Tadić ging) wertvolle Arbeit geleistet. Ein bewaffneter Konflikt existiert diesem zufolge „whenever there is a resort to armed force between States“[1], während ein nicht-internationaler bewaffneter Konflikt vorliegt, sobald innerhalb eines Staats ein gewisses Ausmaß der Anwendung von Waffengewalt zwischen der Staatsgewalt und organisierten (nicht-staatlichen) bewaffneten Gruppen oder nur zwischen solchen Gruppen erreicht wird („whenever there is […] protracted armed violence between governmental authorities and organised armed groups or between such groups within a State)”[2] In Bezug auf Syrien gelangte das Internationale Komitee des Roten Kreuzes beispielsweise erst im Juli 2012 zu der Feststellung, dass im gesamten Land ein bewaffneter Konflikt vorliegt.

Die Dichotomie internationaler – nicht-internationaler bewaffneter Konflikt ist angesichts der regelmäßigen Einmischung von außen und der Grenzüberschreitung der Kampfhandlungen nur schwer haltbar. Ebenso kann gleichzeitig ein internationaler und ein nicht-internationaler bewaffneter Konflikt vorliegen (so etwa in Libyen; damals war der Kampf zwischen Gaddafis Truppen und der NATO ein internationaler, jener mit den „Rebellen“ wiederum ein nicht-internationaler bewaffneter Konflikt).

Krieg und Neutralitätsrecht

Der Kriegsbegriff ist heute allerdings nicht gänzlich obsolet. Er spielt insbesondere für das Neutralitätsrecht eine Rolle. Die völkerrechtliche Definition des Krieges hat sich jedoch kaum gewandelt. Daher kann hier auf die Klassiker des Völkerrechts aus dem 19. und frühen 20. Jahrhunderts zurückgegriffen werden.

Henry Wheaton beispielsweise sprach vom „öffentlichen Krieg“ („public war“) als „[a] contest by force between independent sovereign States.“[3] Ebenso definiert ihn John Westlake als “the state or condition of governments contending by force”[4] oder Franz von Liszt als den „mit Waffengewalt geführte[n] Kampf zweier oder mehrerer Staaten […] Der Kriegszustand als der Inbegriff der durch den Krieg erzeugten Rechtsverhältnisse beginnt entweder mit der förmlichen Kriegserklärung oder aber mit dem tatsächlichen Ausbruch der Feindseligkeiten auf beiden Seiten.“[5] Die dahinterstehenden Absichten oder dahinterstehende Rechtsgründe spielen in diesen Definitionen folglich keine Rolle. Im Gegensatz dazu bezeichnet Lassa Oppenheim den Krieg als die “contention between two or more States through their armed forces for the purpose of overpowering each other and imposing such conditions of peace as the victor pleases. War is a fact recognised, and with regard to many points regulated, but not established, by International Law.”[6]

Man kann das Vorliegen eines Krieges somit entweder an die zwischenstaatliche Waffengewalt oder aber auf den ausdrücklichen (durch eine Kriegserklärung) oder konkludenten (also aus der tatsächlichen Vornahme von kriegerischen Handlungen ableitbaren), Kriegsführungswillen – den „animus belligerendi“ – der beteiligten Parteien abstellen knüpfen. Dem bekannten österreichischen Völkerrechtler Karl Zemanek zufolge ist letzterer entscheidend:

[im klassischen Verständnis vom Krieg] gehört die militärische Gewaltanwendung nicht zu den notwendigen Tatbestandsmerkmalen, da zwischenstaatliche Gewalt auch bloß wirtschaftlich oder rechtlich ausgeübt werden kann. Viele lateinamerikanische Staaten befanden sich während des Zweiten Weltkrieges im Kriegszustand mit dem Deutschen Reich, ohne einen Schuß abzufeuern. Anderseits fanden ab 1931 jahrelang militärische Auseinandersetzungen zw Japan und China in der Mandschurei statt, die aber von keiner der beiden Seiten als „Krieg„ bezeichnet wurden. Die Existenz des völkerrechtlichen Zustandes „Krieg“ hängt also vom Willen der Betroffenen ab. Und von der Existenz dieses Zustandes hängt wiederum die Anwendung des Neutralitätsrechts ab. Daran hat sich bis heute nichts geändert.[7]

Andere wiederum verlangen das Vorliegen eines Kriegsführungswillens in Verbindung mit objektiv vorliegenden Maßnahmen.[8] Dadurch würde das Neutralitätsrecht auch zur Anwendung kommen, wenn ein, mehrere oder gar alle Staaten einen Krieg führen, obwohl sie dessen Existenz beziehungsweise die dazugehörige Absicht explizit ausschließen beziehungsweise zurückweisen.

Conclusio

Obwohl der Kriegsbegriff weitgehend aus dem Völkerrecht verschwunden ist, spielt er vor allem politisch nach wie vor eine Rolle. Beim „war on terror“ handelt es sich etwa um keinen Krieg im rechtlichen Sinne, vielmehr soll mit diesem Narrativ die Ernsthaftigkeit der Lage verdeutlicht werden. Der „war on terror“ trat als zentraler Dreh- und Angelpunkt der US-Außenpolitik an die Stelle des Kalten Krieges und der kommunistischen Bedrohung.[9]

Auch die Anschläge von Paris waren entgegen der Formulierung von François Hollande kein „kriegerischer Akt“ („acte de guerre“) beziehungsweise handelt es sich beim Kampf gegen den „Islamischen Staat“ nicht um Krieg, da dieser kein Staat im Sinne des Völkerrechts ist. So gesehen lässt es sich, wie dies etwa der ehemalige österreichische Verteidigungsminister Gerald Klug getan hat, durchaus vertreten, dass bei Terrorismus keine Neutralität gibt und dementsprechend militärischer Beistand geleistet werden kann. Gleichzeitig gilt es jedoch zu bedenken, dass im Falle des von Frankreich und anderen Staaten mit Ausnahme Russlands und des Iran geführten Kampfs gegen den „Islamischen Staat“ kein Einverständnis der Regierung Baschar al-Assads (der formell immer noch das syrische Staatsoberhaupt ist) vorliegt. So gesehen ist die Sache nicht völlig eindeutig; bislang spielt diese Frage jedoch insofern keine Rolle, als Österreich sich ohnehin nicht direkt beteiligt. Die Rechtmäßigkeit etwaiger Überfluggenehmigungen wurde bislang ebenfalls weitgehend ignoriert, zumal Deutschland den österreichischen Luftraum laut eigenen Angaben nicht benötigt, da es von der Türkei aus fliegt. Über weitere Überflüge ist bislang allem Anschein nach nichts Offizielles bekannt.

 

Fußnoten:

[1] ICTY, The Prosecutor v. Dusko Tadić, Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, IT-94-1-A, 2 October 1995, para. 70.

[2] Ibid.

[3] Henry Wheaton, Elements of International Law (1836/1904), 416

[4] John Westlake, International Law, Vol. II, War (1912), 1

[5] Franz von Liszt, Das Völkerrecht. Systematisch dargestellt (1898), 207 & 211

[6] Lassa Oppenheim, International Law, Vol. II (1905), 56.

[7] Karl Zemanek, ‚Ändert sich das völkerrechtliche Neutralitätsrecht und mit ihm die österreichische Neutralität?‘ (1992) ÖJZ 177

[8] Ulrike Pieper, Neutralität von Staaten (Peter Lang 1997), 7.

[9] Walter Russell Mead, Power, Terror, Peace, and War. America’s Grand Strategy in a World at Risk (Vintage Books 2005, Kindle Edition), 91

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