es gibt viele Gründe, den Mann ohne Eigenschaften zu lesen (ich selbst sitze seit gut 1 ½ Jahren daran, mal mehr, mal weniger). Seine Zugehörigkeit zum großen Bildungskanon der Bücher, die jeder gelesen haben sollte aber kaum jemand gelesen hat, stammt ja nicht von ungefähr. Unter anderem, weil man darin allerhand Weisheiten zu den großen Themen des Lebens findet.
Von der österreichischen Seele über Politik bis hin zu Gesellschaft und – wie könnte es anders sein – der Liebe; so lässt Musil seinen Ulrich etwa folgende hochtrabende Worte sprechen:
Ich stelle also fest: Schönheit oder Erregung kommt in die Welt, indem man fortläßt. Offenbar ist unsere Haltung inmitten der Wirklichkeit ein Kompromiß, ein mittlerer Zustand, worin sich die Gefühle gegenseitig an ihrer leidenschaftlichen Entfaltung hindern und ein wenig zu Grau mischen. Kinder, denen diese Haltung noch fehlt, sind darum glücklicher und unglücklicher als Erwachsene. Und ich will gleich hinzufügen, auch die Dummen lassen aus; Dummheit macht ja glücklich. Ich schlage also als erstes vor: Versuchen wir einander zu lieben, als ob Sie und ich die Figuren eines Dichters wären, die sich auf den Seiten eines Buchs begegnen. Lassen wir also jedenfalls das ganze Fettgerüst fort, das die Wirklichkeit rund macht
Auch der heute immer schlagender werdende Gegensatz zwischen Arbeit und Beruf im Sinne von Berufung, also dem Traum, einer erfüllenden Betätigung nachzugehen, die sich nicht wie reiner Brotverdienst anfühlt, dem man nur des Geldes wegen nachgeht, findet sich schon in Ulrichs Gedanken (die er gleich im Anschluss an oberes Zitat ausführt):
»Und ich bin so unverständig,« erwiderte ihr [Diotimas] Vetter [Ulrich]»daß ich behaupte, es dürfe keine ›Erholungen‹ geben! Welch ein Leben, das man zeitweilig mit Erholungen durchlöchern muß! Würden wir in ein Bild Löcher stoßen, weil es zu schöne Ansprüche an uns stellt?! Sind in der ewigen Seligkeit etwa Urlaubswochen vorgesehen? Ich gestehe Ihnen, daß mir sogar die Vorstellung des Schlafs manchmal unangenehm ist.«
Nur zwei von vielen Passagen, die über ihre Entstehungszeit hinaus Anspruch auf Gültigkeit haben. Zwei von vielen Gründen, den Mann ohne Eigenschaften tatsächlich zu lesen – mag er zwischenzeitlich auch noch so schleppend sein.