Terror, was ist das?

Die Reaktionen auf die Wahnsinnstat in Nizza konfrontieren uns leider einmal mehr mit der leidigen Frage nach der Definition von Terrorismus. Auch wenn der Begriff nicht ganz eindeutig ist, besteht doch mehr Klarheit, als viele glauben.

Die unmittelbaren Reaktionen auf Nizza gingen unisono von einem terroristischen Anschlag aus (Barack Obama übte sich in relativer Zurückhaltung, indem er von „what appears to be a horrific terrorist attack“ sprach); demgemäß wurden jene, die aufgrund des unklaren Ermittlungsstands und der Möglichkeit eines Amoklaufs zur Vorsicht mahnten, sehr schnell der (unangebrachten) Relativierung bezichtigt (und haben so manch anderes abbekommen; fragen Sie mal Armin Wolf).

Terrorismus im Völkerrecht

Ein immer wieder gehörter Stehsatz besagt, dass es keine (eindeutige) völkerrechtliche Terrorismusdefinition gibt. Das stimmt allerdings nur bedingt. So gibt es zwar keine allgemeine und von weitläufig ratifizierte „Anti-Terrorismuskonvention“ oder dergleichen. Wohl aber operieren zahlreiche Verträge, sonstige Dokumente und natürlich die jeweiligen innerstaatlichen Rechtsordnungen auf Grundlage unterschiedlicher Terrorismusdefinitionen.

Ohne jetzt ins Detail zu gehen und die jeweiligen Gemeinsamkeiten, Anwendungsbereiche und Unterschiede herauszuarbeiten, lassen sich daraus zumindest gemeinsame Nenner destillieren, die uns zu folgender – zugegebenermaßen sehr breiten – Definition bringen:

(1.) Die gegen Menschen gerichtete Anwendung physischer Gewalt, um (2.) die Zielbevölkerung in Angst zu versetzen oder einzuschüchtern und dadurch die  Regierung zu gewissen Handlungen oder Unterlassungen zu nötigen.

Ein politischer, religiöser oder ideologischer Hintergrund ist somit nicht zwingend erforderlich. Außerdem braucht es keine dahinterstehendes Kollektiv beziehungsweise eine terroristische Organisation, auch auch eine Einzelperson („lone wolf“) kann als Terrorist gelten. Obendrein sei angemerkt, dass – hier besteht nach wie vor ein politischer Zankapfel der Debatte – es völkerrechtlich keinen „Staatsterrorismus“, also die  systematische staatliche Anwendung von Gewalt gegen die gesamte oder Teile der eigenen oder fremder Bevölkerungen, gibt. Die Behandlung des alten, aus der Zeit der Dekolonialisierung und den jeweiligen nationalen Befreiungskämpfen stammenden Aphorismus „one man’s terrorist is another man’s freedom fighter“ wurde insbesondere von einem durch den damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan einberufenen Expertengremium (das High-level Panel on Threats, Challenges and Change) in dessen Bericht „A more secure world: Our shared responsibility“ zurückgewiesen:

The search for an agreed definition usually stumbles on two issues. The first is the argument that any definition should include States’ use of armed forces against civilians. We believe that the legal and normative framework against State violations is far stronger than in the case of non-State actors and we do not find this objection to be compelling. The second objection is that peoples under foreign occupation have a right to resistance and a definition of terrorism should not override this right. The right to resistance is contested by some. But it is not the central point: the central point is that there is nothing in the fact of occupation that justifies the targeting and killing of civilians.

Terrorismus im österreichischen Recht

Für den österreichischen Kontext, wo es bereits nach der Amokfahrt von Graz ähnliche Diskussionen gab, ist außerdem § 278c Strafgesetzbuch relevant. Sie entspricht über weite Strecken der allgemeinen völkerrechtlichen Definition und beinhaltet drei Voraussetzungen, die allesamt erfüllt sein müssen.

  1. Die Begehung einer der dort genannten Straftaten (darunter beispielsweise Mord, Körperverletzung, Erpressung, gefährliche Drohung, aber auch – im Gegensatz zur allgemeinen völkerrechtlichen Definition – schwere Sachbeschädigung und Datenbeschädigung „wenn dadurch eine Gefahr für das Leben eines anderen oder für fremdes Eigentum in großem Ausmaß entstehen kann“), wobei die Tat
  2. dazu geeignet sein muss, eine „schwere oder längere Zeit anhaltende Störung des öffentlichen Lebens oder eine schwere Schädigung des Wirtschaftslebens herbeizuführen“ und
  3. außerdem „mit dem Vorsatz begangen wird, die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern, öffentliche Stellen oder eine internationale Organisation zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu erschüttern oder zu zerstören.“

Um es praktisch zu veranschaulichen: Wenn jemand einen oder mehrere Menschen in einer Weise umbringt, die das öffentliche Leben wesentlich beeinträchtigt und damit das Ziel verfolgt, den Staat oder auch eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu bewegen, zu dem es sonst nicht gekommen wäre. Sofern hinter der Tat von Nizza also, auf die österreichische Rechtslage gemünzt,beispielsweise die Absicht stand, Frankreich dazu zu bewegen, die Luftangriffe gegen den „Islamischen Staat“ zu beenden, handelte es sich zweifelsohne um einen terroristischen Akt.

Hinsichtlich der Detailfragen und darüber, ob und inwiefern die genannten Elemente erfüllt sind, könnte man jetzt sehr, sehr lange diskutieren. Fest steht jedoch, dass man Terrorattentate von anderen Wahnsinnstaten, allen voran Amokläufen, gut abgrenzen kann. Was man gerade angesichts der aktuellen medialen und allgemein-politischen Überhitzung auch unbedingt sollte.

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