Terrorismus: Wenn die Stimmung kippt

Die tragischen Ereignisse der letzten Tage scheinen zwei Strategien im Umgang mit Terrorismus zu offenbaren: Die einen werden apathisch bis gleichgültig, die anderen wütender denn je.

„Jetzt ist es schon wieder passiert“ – so manches Gespräch der letzten Tage begann auf diese Art und Weise. Es scheint immer schwieriger, mit den sich überschlagenden Ereignissen Schritt zu halten. Die Reaktionen scheinen ritualisiert einem immer gleichen Muster zu folgen: Was ist wo passiert, was war der Hintergrund, woher kommen die Täter, wie hießen sie, Amoklauf oder Terror, hat der Islamische Staat sich schon bekannt, gibt es ein Bekenner- oder ein Drohvideo, war es ein lone wolf oder eine strategisch angelegte Aktion. Was tun, müssen wir wirklich mit Terror leben, die Rechten haben nur scheinbare Lösungen, man muss das Kind beim Namen nennen, wie weit reicht die Willkommenskultur (die es so vielleicht nie gegeben hat), wie weit geht die Schuld des Westens, bei einem Autounfall stirbt man eher als durch Terrorismus, der Islam hat nichts damit zu tun, der Islam ist die Wurzel allen Übels, es gibt den Islam als solchen doch gar nicht, wo bleibt die Reaktion, die Demos der muslimischen Community, irgendwer gießt zusätzlich Öl ins Feuer.

Die einen reagieren durch zunehmende Apathie; was noch vor Kurzem für enormes Aufsehen gesorgt hätte, bringt heute nicht mehr die großen Einschaltquoten, retweets und Facebook-likes. „Je suis“ und Profilfoto in die jeweilige Landesfahne tauchen war gestern. Der Neuigkeitsgehalt hält sich mittlerweile in Grenzen, irgendwann ähneln die Darstellungen der Abfolge sich dann doch zu stark, irgendwann verliert die Tat etwas von ihrem Schrecken. Ich selbst nehme mich da gar nicht heraus: Erst unlängst dachte ich beim Vorbeigehen an der französischen Botschaft, wo einmal mehr Kränze und Kerzen hinterlegt wurden, reflexartig an die Anschläge von Paris – die Lastwagenattacke von Nizza fielen mir und meiner Begleitung erst nach längerem Nachdenken ein.

Die anderen reagieren durch zunehmende Wut. Ihnen gelten die Formeln von „stärkerem Zusammenhalt“ oder davon, dass man sich durch Terrorismus nicht den Lebensstil verderben lasse, als Bankrotterklärungen, als Ausdruck politischer Hilflosigkeit. Die Debatte ist emotional überhitzt, nicht wenige fragen sich, wie lange das noch weitergehen soll, ob das mal aufhört oder wir uns eben erst am Anfang befinden. Es will sich nun einmal niemand an Terrorismus gewöhnen. Die Alternativlosigkeit derartiger Aussichten beunruhigen. Allfällige Verweise auf die tatsächliche Sicherheitslage werden als unangebrachte Relativierungen und haltlose Beschwichtigungen wahrgenommen, offizielle Zahlen angezweifelt. Hier liegt ein großes Risiko für die staatliche Ordnung: Wenn man dem Staat und seinen Vertretern die Bewerkstelligung der Kernaufgabe Sicherheit nicht zutraut, hat er ein gewaltiges Legitimitätsproblem.

Fest steht: Die Stimmung ist am Kippen oder bereits gekippt. Ob und wann es besser wird ist eine Frage der Perspektive. Im Moment haben jedenfalls die Pessimisten die Oberhand.

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