31. Auch schon egal.

Die frühen 30er (war aber in den späten 20ern auch nicht wesentlich anders). Das ist so nicht mehr jung, jedenfalls nicht mehr ganz so jung. Aber auch noch nicht alt, jedenfalls nicht wirklich alt.

Die ersten sind gestorben, Verkehrsunfälle oder Suizid rangieren weit oben, aber auch andere Gründe finden sich in der Wundertüte der Einzelschicksale. Manche, sie lassen sich an der Hand eines jahrelangen Vorarbeiters im Sägewerk abzählen, haben Kinder. Einige sind immerhin in eine gemeinsame Wohnung gezogen. Oder wohnen schon ganz lange zusammen. Andere sind frisch getrennt und wollen jetzt irgendwas nachholen, das es oft gar nicht gibt; haben zu wenig um ihre Beziehung gekämpft oder zu lange. Von außen hat man es kommen sehen oder auch nicht. Die ersten bleiben übrig oder befürchten es zumindest. Die ersten Beziehungsautisten haben sich herauskristallisiert. Wer in Panik verfällt, bekommt ein „geh, das ist doch eh noch jung“, ein „das ist alles nicht mehr wie früher“ oder ein „wir leben heute ja viel länger“ als Trostpflaster.

Vielleicht gibt es erste, seltener gar zweite berufliche Erfolge zu feiern. Einen Weg zu gehen, den man für den seinigen hält. Bei null anfangen fühlt sich weit weg an. Ein neues Studium werden jetzt nur noch die wenigsten beginnen (warum überlegen so viele Menschen, ob sie nicht doch hätten Mediziner werden sollen? Das erfüllende Gefühl, anderen zu helfen? Dann unterhaltet euch mal mit Spitalsärzten). Andere sind von einem Weg abgekommen, auf dem sie sich eigentlich niemals befunden haben.

Erste Schritte in dem, was sie echtes Leben nennen. Kinder duzen einen schon ewig nicht mehr, Jugendliche seit Kurzem und Studenten nicht mehr lange. Viele sind in den Zug mit der Aufschrift „Selbstverwirklichung, etwas, das Spaß macht, einen erfüllt“ eingestiegen, ohne anzukommen. Fragen beim Schaffner nach, ob sie eh richtig sitzen. Erste Ziele wie Studienabschluss sind vielleicht erreicht, die große Frage nach dem „was danach“ bleibt aber unbeantwortet. Manche haben sich das eventuell anders vorgestellt. „Soll das alles sein“ hat mal irgendwer in irgendeinem Lied gefragt (ok, habe es gegooglet; es war Fettes Brot. Gibt es die noch?): Ist es das, was sie Leben heißen?

Beim Weggehen, sofern man überhaupt noch „weggeht“ und den damit einhergehenden hohen Preis bezahlen möchte, den eine intensiven Nacht nach dem Aufstehen mit sich bringt, ist man vielleicht noch nicht der älteste (denn es gibt immer einen, der älter ist: den creepy dude an der Bar). Aber zur jüngeren Hälfte gehört man nicht mehr, etwaige Gespräche mit Angehörigen anderer Generationen oder auch nur simple Beobachtungen offenbaren dann doch die feinen Unterschiede. In der Schlange vorm Club taucht manchmal die drängende Frage auf, was man da eigentlich zu suchen hat. Vielleicht breitet sich gar das Klischeebild vom warmen weichen Bett daheim und dem guten Buch mitsamt Milch und Keksen im Kopf aus. Weggehen ist halt irgendwie nicht mehr das, was es einmal (vielleicht aber auch nie) war.

Beim Sporteln kommt man noch mit, aber man geht nicht zu jedem Pressball, hechtet nicht jedem Ball nach, überlegt manchmal 2x, ob man sich einen Sprint antut. Spätestens am Tag danach kommen die Schmerzen, die Knie fühlen sich an, als würden sie einen Ölwechsel brauchen, der Rücken drückt, die Hüfte knackt. Vielleicht wurde man das ein oder andere Mal operiert. Es gibt jüngere, die schneller laufen und höher springen. Da bleibt nur die Flucht in Abkürzungen und Stellungsspiel, kaschiert durch Selbstbezeichnungen als Routinier. Der ein oder andere erzählt dann, als müsste er sich rechtfertigen, von seinen Verletzungen und davon, wie fit er anno dazumal nicht war.

Überhaupt drehen Gespräche sich immer öfter um die Gesundheit und die gute alte Zeit. Jetzt versteht man, wieso die Eltern zu Weihnachten keine großen materiellen Wünsche hatten, sondern allgemeine Phrasen von „Glück und Gesundheit“ gedroschen haben.

Die ersten Freundschaften von denen man dachte, dass sie ewig halten würden, sind zerbrochen. Wegen Geld. Wegen dem anderen Geschlecht. Weil man sich „auseinanderlebt“, weil man eben älter wird und sich verändert und das irgendwann nicht mehr kompatibel ist. Es irgendwann nicht mehr reicht, dass man back in the days Playstation gespielt, ganze Sommer im Park / Schwimmbad zusammen verbracht und sonstwas gemacht hat.

Die Eltern werden langsam, aber stetig, älter. Sehnen sich nach der Pension oder sind schon dort. Die Großeltern sind schon gegangen oder werden es in voraussehbarer Zeit tun. Sie haben ihren Soll erfüllt und warten. Oma vergisst manchmal, wie Familienmitglieder heißen oder gar wer sie sind. Opa stirbt früher, weil Männer eben früher sterben. Oma ist einsam und erinnert alle in ihrem Umfeld daran, dass niemand allein alt werden möchte. Dennoch besucht man sie nicht oft genug, selbst Telefonate sind so eine Sache. So eine richtige gemeinsame Basis hat man dann doch nicht.

Der Überschwang ist oft der Routine gewichen, vielleicht war er bei genauerer Betrachtung aber eigentlich nie so wirklich da. Auf Naivität folgt Ernüchterung. Auf Skepsis und überhaupt alles in Frage stellen (mitunter falsche) folgt Sicherheit, eventuell sogar Unbelehrbarkeit. Man könnte glatt zum Stammwähler einer Partei werden. Der Charakter ist geformt, das dauert ja bis spätestens Mitte 30, heißt es. Aso, na dann; gut zu wissen.

Conclusio? Keine, warum auch. Weitermachen, wie bisher oder eben anders. Vielleicht eine Zeit lang raus aus dem Trott, möglichst weit weg, weil in der Nähe scheint ja irgendwie doch alles gleich. Besser einen Indientrip, Thailand finden auch viele toll. Selbsterfahrung, Selbstentdeckung, spirituelle Reinigung. „Die moderne Welt, diese Smartphones, dieses Schnelllebige, das macht einen doch fertig“ heißt es dann. Eh. In fernen Ländern glänzt aber oft alles so lange, bis man nicht mehr als Urlauber da ist, sondern die Sprache lernt und dort arbeitet, um zu merken, dass es dort vielleicht anders, aber eben nicht notwendigerweise besser ist. Andere suchen ihr Heil in Therapien, versuchen sich als Künstler oder betätigen sich in Vereinen. Auf der Suche nach dem Sinn wartet ein ganzer Bazar voller Rezepte.

 

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