Ich habe den Mann ohne Eigenschaften ausgelesen. Damit ich sagen kann, dass ich den Mann ohne Eigenschaften ausgelesen habe. Gut, nicht ganz, das wäre doch ein gar unrühmliches Motiv. Aber ein Buch zu lesen, das jeder kennt und kaum wer ganz gelesen hat, bringt schon einen gewissen Reiz mit sich. In der Pension (so es sie mal gibt) folgt dann James Joyce und sein Ulysses.
Jedenfalls habe ich auf meinem Kindle viel markiert. Das Buch schleppt sich so dahin, die Rahmenhandlung existiert wohl nur, weil Musil dann doch nicht einfach nur ein Buch mit seinen Gedanken veröffentlichen wollte. Die Zitate sind daher entsprechend ungeordnet. Aber vielleicht kann sie ja auch jemand anderes gebrauchen. Und sei es, um ab und an zu gut-bildungsbürgerlich aus dem Mann ohne Eigenschaftn zu zitieren.
Moosbrugger war einer jener Grenzfälle, die aus der Jurisprudenz und Gerichtsmedizin auch den Laien als die Fälle der verminderten Zurechnungsfähigkeit bekannt sind. Bezeichnend für diese Unglücklichen ist es, daß sie nicht nur eine minderwertige Gesundheit, sondern auch eine minderwertige Krankheit haben. Die Natur hat eine merkwürdige Vorliebe dafür, solche Personen in Hülle und Fülle hervorzubringen; natura non fecit saltus, sie macht keinen Sprung, sie liebt die Übergänge und hält auch im großen die Welt in einem Übergangszustand zwischen Schwachsinn und Gesundheit. Aber die Jurisprudenz nimmt nicht Notiz davon. Sie sagt: non datur tertium sive medium inter duo contradictoria, zu deutsch: der Mensch ist entweder imstande, rechtswidrig zu handeln, oder er ist es nicht, denn zwischen zwei Gegensätzen gibt es nichts Drittes und Mittleres. Durch diese Fähigkeit wird er strafbar, durch diese seine Eigenschaft der Strafbarkeit wird er Rechtsperson, und als Rechtsperson hat er teil an der überpersönlichen Wohltat des Rechts.
==========
Die Genauigkeit dagegen, die die Psychiater in ihrem Verhalten zu der großen Frage, ob man Moosbrugger zum Tode verurteilen dürfe oder nicht, an den Tag legten, war ganz und gar exakt, denn sie traute sich nicht mehr zu sagen, als daß sein Krankheitsbild keinem bisher beobachteten Krankheitsbild genau entspreche, und überließ die weitere Entscheidung den Juristen. Es ist ein Bild des Lebens, das der Gerichtssaal bei dieser Gelegenheit bot, denn alle die lebhaften Menschen des Lebens, die es gänzlich unmöglich fänden, einen Kraftwagen zu benützen, der älter als fünf Jahre ist, oder eine Krankheit nach den Grundsätzen behandeln zu lassen, die vor zehn Jahren die besten waren, die überdies ihre ganze Zeit freiwillig-unfreiwillig der Förderung solcher Erfindungen widmen und davon eingenommen sind, alles zu rationalisieren, was in ihren Bereich kommt, überlassen die Fragen der Schönheit, der Gerechtigkeit, der Liebe und des Glaubens, kurz alle Fragen der Humanität, soweit sie nicht geschäftliche Beteiligung daran haben, am liebsten ihren Frauen, und solange diese noch nicht ganz dazu genügen, einer Abart von Männern, die ihnen von Kelch und Schwert des Lebens in tausendjährigen Wendungen erzählen, denen sie leichtsinnig, verdrossen und skeptisch zuhören, ohne daran zu glauben und ohne an die Möglichkeit zu denken, daß man es auch anders machen könnte.
==========
Aus der frühesten Zeit des ersten Selbstbewußtseins der Jugend, die später wieder anzublicken oft so rührend und erschütternd ist, waren heute noch allerhand einst geliebte Vorstellungen in seiner Erinnerung vorhanden, und darunter das Wort »hypothetisch leben«. Es drückte noch immer den Mut und die unfreiwillige Unkenntnis des Lebens aus, wo jeder Schritt ein Wagnis ohne Erfahrung ist, und den Wunsch nach großen Zusammenhängen und den Hauch der Widerruflichkeit, den ein junger Mensch fühlt, wenn er zögernd ins Leben tritt.
==========
Der Staat gibt Geld für jede Dummheit her, für die Lösung der wichtigsten moralischen Fragen hat er aber nicht einen Kreuzer übrig. Das liegt in seiner Natur, denn der Staat ist das dümmste und boshafteste Menschenwesen, das es gibt.«
==========
Ein Mann, der die Wahrheit will, wird Gelehrter; ein Mann, der seine Subjektivität spielen lassen will, wird vielleicht Schriftsteller; was aber soll ein Mann tun, der etwas will, das dazwischen liegt?
==========
Er ahnt: diese Ordnung ist nicht so fest, wie sie sich gibt; kein Ding, kein Ich, keine Form, kein Grundsatz sind sicher, alles ist in einer unsichtbaren, aber niemals ruhenden Wandlung begriffen, im Unfesten liegt mehr von der Zukunft als im Festen, und die Gegenwart ist nichts als eine Hypothese, über die man noch nicht hinausgekommen ist. Was sollte er da Besseres tun können, als sich von der Welt freizuhalten, in jenem guten Sinn, den ein Forscher Tatsachen gegenüber bewahrt, die ihn verführen wollen, voreilig an sie zu glauben! Darum zögert er, aus sich etwas zu machen; ein Charakter, Beruf, eine feste Wesensart, das sind für ihn Vorstellungen, in denen sich schon das Gerippe durchzeichnet, das zuletzt von ihm übrig bleiben soll. Er sucht sich anders zu verstehen; mit einer Neigung zu allem, was ihn innerlich mehrt, und sei es auch moralisch oder intellektuell verboten, fühlt er sich wie einen Schritt, der nach allen Seiten frei ist, aber von einem Gleichgewicht zum nächsten und immer vorwärts führt. Und meint er einmal, den echten Einfall zu haben, so nimmt er wahr, daß ein Tropfen unsagbarer Glut in die Welt gefallen ist, deren Leuchten die Erde anders aussehen macht.
==========
Er sagte zu Diotima, dem Soldaten sei im Beratungszimmer eine bescheidene Rolle angemessen. Es verstehe sich überdies aus politischen Rücksichten von selbst, daß das Kriegsministerium bei der Bildung der Ausschüsse nicht berücksichtigt werden konnte. Dennoch wage er zu behaupten, die geplante Aktion solle nach außen wirken, was aber nach außen wirke, sei die Macht eines Volks. Er wiederholte, daß der berühmte Philosoph Treitschke gesagt habe, Staat sei die Macht, sich im Völkerkampf zu erhalten. Die Kraft, die man im Frieden entfalte, halte den Krieg fern oder kürze seine Grausamkeit zumindest ab.
==========
»Glauben Sie, gnädige Frau, daß irgendein Mensch, der heute für oder gegen eine Sache kämpft,« fragte Ulrich »wenn er morgen durch ein Wunder zum unumschränkten Beherrscher der Welt gemacht würde, noch am gleichen Tag das täte, was er sein Leben lang gefordert hat? Ich bin überzeugt, er würde sich einige Tage Aufschub gönnen.«
==========
Ulrich fühlte zuweilen mit aller Eindringlichkeit, daß Diotima sehr schön sei. Sie kam ihm dann wie ein junges, hohes, volles Rind von guter Rasse vor, sicher wandelnd und mit tiefem Blick die trockenen Gräser betrachtend, die es ausrupfte.
==========
So setzt die Oberste Deutsche Heeresleitung ihre letzte Hoffnung, England auszuschalten und den Krieg doch noch siegreich zu beenden, auf einen uneingeschränkten U-Boot-Krieg gegen alle Zufuhr Englands über See. Dieser U-Boot-Krieg bringt England zwar in eine Krise, doch er führt zur gleichen Zeit zur Kollision mit den USA. Die Vereinigten Staaten von Amerika, obwohl offiziell neutral, stellen einen großen Teil der Transportflotte und der Einfuhrgüter für die englische Versorgung. So werden auch die „neutralen“ USA und ihre Schiffe Opfer der deutschen Seekriegsführung gegen England. Das Verhältnis der USA zu Deutschland bekommt zu der Zeit einen weiteren Dämpfer. Als Rußland 1917 als besiegtes Land aus dem Krieg ausscheidet, ist die Möglichkeit eines Sieges der Mittelmächte Deutschland, Österreich-Ungarn und Türkei nicht mehr ganz ausgeschlossen. Dies hätte Konsequenzen für die USA gehabt. England und Frankreich haben ihre Kriegskosten nach Verbrauch der eigenen Staatsfinanzen komplett durch amerikanische Banken finanzieren lassen.
==========
Körperliche Verwandtschaft bei starkem Wesensgegensatz beunruhigt übrigens, und es genügt dazu auch schon die Vorstellung der Verwandtschaft, das Selbstbewußtsein; Geschwister können sich manchmal in einer Weise nicht ausstehen, die weit über alles hinausreicht, was daran gerechtfertigt sein könnte, und bloß davon kommt, daß sie einander schon durch ihr Dasein in Zweifel ziehen und eine leise verzerrende Spiegel Wirkung aufeinander haben.
==========
merkwürdigerweise hat die Mehrzahl der Menschen entweder einen verwahrlosten, von Zufällen geformten und entstellten Körper, der zu ihrem Geist und Wesen in fast keinen Beziehungen zu stehen scheint, oder einen von der Maske des Sports bedeckten, die ihm das Aussehen der Stunden gibt, wo er sich auf Urlaub von sich selbst befindet. Denn das sind die Stunden, wo der Mensch einen nachlässig aus den Journalen der schönen und großen Welt aufgenommenen Wachtraum des Aussehenwollens weiterspinnt. Alle diese gebräunten und muskulösen Tennisspieler, Reiter und Wagenlenker, die nach höchsten Rekorden aussehen, obgleich sie gewöhnlich ihre Sache bloß gut beherrschen, diese Damen in großer Kleidung oder Entkleidung sind Tagesträumer und unterscheiden sich von den gewöhnlichen Wachträumern nur dadurch, daß ihr Traum nicht im Gehirn bleibt, sondern gemeinsam in freier Luft, als ein Gebilde der Massenseele körperlich, dramatisch, man möchte in Erinnerung an mehr als zweifelhafte okkulte Phänomene sagen, ideoplastisch gestaltet wird.
==========
Würde irgendeiner nicht in Verlegenheit geraten, wenn plötzlich das geschehen sollte, was er sein Leben lang leidenschaftlich gefordert hat? Wenn zum Beispiel plötzlich über die Katholiken das Gottesreich hereinbräche oder über die Sozialisten der Zukunftsstaat? Aber vielleicht beweist das nichts; man gewöhnt sich an das Fordern und ist nicht gleich darauf gefaßt, ans Verwirklichen zu kommen; vielleicht werden das viele nur natürlich finden. Ich frage also weiter: Ohne Zweifel hält ein Musiker die Musik für das Wichtigste, und ein Maler das Malen; wahrscheinlich sogar ein Betonfachmann das Bauen von Betonhäusern. Glauben Sie, daß der eine sich darum den lieben Gott als einen Spezialfachmann für Eisenbeton vorstellen wird und die anderen eine gemalte oder auf dem Flügelhorn geblasene Welt der wirklichen vorziehen? Sie werden diese Frage für unsinnig halten, aber der ganze Ernst liegt darin, daß man doch dieses Unsinnige verlangen müßte! Und jetzt glauben Sie, bitte, nicht,« wandte er sich ihr vollkommen ernst zu »daß ich damit nichts anderes sagen will, als daß jeden das schwer zu Verwirklichende reizt und daß er das verschmäht, was er wirklich haben kann. Ich will sagen: daß in der Wirklichkeit ein unsinniges Verlangen nach Unwirklichkeit steckt!«
==========
Es gibt übrigens in der Welt viele Dinge, die einzeln für den Menschen etwas ganz anderes bedeuten als beisammen; zum Beispiel Wasser ist in zu großen Mengen ein genau um den Unterschied zwischen Trinken und Ertrinken geringeres Vergnügen als in kleinen, und um Gifte, Vergnügungen, Muße, Klavierspiel, Ideale ist es ähnlich bestellt, ja wahrscheinlich um alles, so daß es ganz und gar von dem Grad seiner Dichtigkeit und anderen Umständen abhängt, was etwas ist. Hinzugefügt werden muß also bloß, daß auch das Genie keine Ausnahme davon macht,…
==========
Während der schöne Geist in der gleichen Weise wie Goethe und Michelangelo, Napoleon und Luther bewundert sein will, weiß heute kaum noch irgendwer den Namen des Mannes, der den Menschen den unsagbaren Segen der Narkose geschenkt hat, niemand forscht im Leben von Gauß, Euler oder Maxwell nach einer Frau von Stein, und die wenigsten kümmert es, wo Lavoisier und Cardanus geboren wurden und gestorben sind. Statt dessen lernt man, wie ihre Gedanken und Erfindungen durch die Gedanken und Erfindungen anderer, ebenso uninteressanter Personen weiter entwickelt worden sind, und beschäftigt sich unausgesetzt mit ihrer Leistung, die in anderen weiterlebt, nachdem das kurze Feuer der Person längst schon abgebrannt ist.
==========
dort, wo man weniger auf die Person als auf die Sache sieht, ist merkwürdigerweise immer von frischem eine neue Person da, die die Sache vorwärts führt; wogegen sich dort, wo man auf die Person achtet, nach Erreichung einer gewissen Höhe das Gefühl einstellt, es sei keine ausreichende Person mehr da und das wahrhaft Große gehöre der Vergangenheit an!?
Die Welt zerrisse, wenn alles als wahr gelten dürfte, was dafür gehalten wird, und jeder Wille als erlaubt, der sich selbst so vorkommt. Es ist darum unser aller Pflicht, die eine Wahrheit und den rechten Willen festzustellen und, soweit uns dies gelungen ist, mit unerbittlichem Pflichtbewußtsein darüber zu wachen, daß es auch in der klaren Form wissenschaftlicher Anschauung niedergelegt werde.
==========
aber soviel wird Dir bekannt sein, daß die beliebteste Einbruchspforte dieser sich fälschlich Humanität nennenden Rechtsunsicherheit die Bestrebung bildet, den die Strafe ausschließenden Begriff der Unzurechnungsfähigkeit in der unklaren Form einer verminderten Zurechnungsfähigkeit auch auf jene zahlreichen Individuen auszudehnen, die weder geisteskrank, noch moralisch normal sind und das Heer jener Minderwertigen, moralisch Schwachsinnigen bilden, von dem unsere Kultur leider immer mehr verseucht wird. Du wirst Dir selbst sagen, daß der Begriff einer solchen verminderten Zurechnungsfähigkeit – wenn sich das überhaupt einen Begriff nennen läßt, was ich bestreite! – aufs engste mit der Fassung zusammenhängen muß, die wir den Vorstellungen der vollen Zurechnungsfähigkeit bzw. Unzurechnungsfähigkeit geben, und ich komme damit auf den eigentlichen Gegenstand meiner Mitteilung.
==========
Es ist natürlich nicht einfach so, daß man anfängt, konservativ zu werden, wenn man zu bequem für Ausschweifungen geworden ist; sondern, wenn wir auch alle als Revolutionäre geboren werden, eines Tages bemerkt man, daß ein einfach guter Mensch, wie immer seine Intelligenz zu bewerten sein möge, ein verläßlicher, heiterer, tapferer, treuer Mensch also, nicht nur einen unerhörten Genuß bereitet, sondern auch der wirkliche Erdstoff ist, in dem das Leben ruht. Das ist eine Altvordernweisheit, aber sie bedeutet den entscheidenden Wechsel des Geschmacks, der in der Jugend natürlich auf das Exotische gerichtet ist, zum Geschmack des Mannes.
==========
Von den Unglücksvögeln und Glückspilzen abgesehen, leben alle Menschen gleich schlecht, aber sie leben es in verschiedenen Etagen. Diese Selbstgefühlslage der Etage ist für den Menschen heute, der ja im allgemeinen wenig Ausblick auf den Sinn seines Lebens hat, ein überaus anstrebenswerter Ersatz. In großen Fällen kann sie sich zu einem Höhen- und Machtrausch steigern, so wie es Leute gibt, die in einem hohen Stockwerk schwindlig werden, auch wenn sie sich bei geschlossenen Fenstern in der Zimmermitte stehen wissen.
==========
Nichts setzte ihn so in Erstaunen wie die Zahl der Vereine, die es gibt. Es meldeten sich Land- und Wasser-, Mäßigkeits- und Trinkvereine, kurz Vereine und Gegenvereine. Diese Vereine forderten die Bestrebungen ihrer Mitglieder und störten die der anderen. Es machte den Eindruck, daß jeder Mensch mindestens einem Vereine angehöre. »Erlaucht,« sagte Ulrich erstaunt »das kann man nicht mehr Vereinsmeierei nennen, wie man es arglos gewohnt ist; das ist der ungeheuerliche Zustand, daß in der Art von Ordnungsstaat, die wir erfunden haben, jeder Mensch noch einer Räuberbande angehört …!«
==========
ein Gedanke, der nicht einen praktischen Zweck hat, ist wohl eine nicht sehr anständige heimliche Beschäftigung; namentlich aber solche Gedanken, die ungeheure Stelzschritte machen und die Erfahrung nur mit winzigen Sohlen berühren, sind unordentlicher Entstehung verdächtig. Früher hat man ja wohl von Gedankenflug gesprochen, und zur Zeit Schillers wäre ein Mann mit solchen hochgemuten Fragen im Busen sehr angesehen gewesen; heute dagegen hat man das Gefühl, daß mit so einem Menschen etwas nicht in Ordnung sei, wenn das nicht gerade zufällig sein Beruf ist und seine Einkommensquelle. Man hat die Sache offenbar anders verteilt. Man hat gewisse Fragen den Menschen aus dem Herzen genommen. Man hat für hochfliegende Gedanken eine Art Geflügelfarm geschaffen, die man Philosophie, Theologie oder Literatur nennt, und dort vermehren sie sich in ihrer Weise immer unübersichtlicher, und das ist ganz recht so, denn kein Mensch braucht sich bei dieser Ausbreitung mehr vorzuwerfen, daß er sich nicht persönlich um sie kümmern kann.
==========
Die leuchtende, schaukelnde Schachtel, in der er fuhr, kam ihm wie eine Maschine vor, in der einige hundert Kilogramm Menschen hin und her geschüttelt wurden, um Zukunft aus ihnen zu machen. Vor hundert Jahren sind sie mit ähnlichen Gesichtern in einer Postkutsche gesessen, und in hundert Jahren wird weiß Gott was mit ihnen los sein, aber sie werden als neue Menschen in neuen Zukunftsapparaten genau so dasitzen,
==========
Größtenteils entsteht Geschichte aber ohne Autoren. Sie entsteht nicht von einem Zentrum her, sondern von der Peripherie. Aus kleinen Ursachen. Wahrscheinlich gehört gar nicht so viel dazu, wie man glaubt, um aus dem gotischen Menschen oder dem antiken Griechen den modernen Zivilisationsmenschen zu machen. Denn das menschliche Wesen ist ebenso leicht der Menschenfresserei fähig wie der Kritik der reinen Vernunft; es kann mit den gleichen Überzeugungen und Eigenschaften beides schaffen, wenn die Umstände danach sind, und sehr großen äußeren Unterschieden entsprechen dabei sehr kleine innere.
==========
Das jetzt geltende System sei das der Wirklichkeit und gleiche einem schlechten Theaterstück. Man sage nicht umsonst Welttheater, denn es erstehen immer die gleichen Rollen, Verwicklungen und Fabeln im Leben. Man liebt, weil und wie es die Liebe gibt; man ist stolz wie die Indianer, die Spanier, die Jungfrauen oder der Löwe; man mordet sogar in neunzig von hundert Fällen nur deshalb, weil es für tragisch und großartig gehalten wird. Vollends die erfolgreichen politischen Gestalter der Wirklichkeit haben, von den ganz großen Ausnahmen abgesehen, viel mit den Schreibern von Kassenstücken gemein; die lebhaften Vorgänge, die sie erzeugen, langweilen durch ihren Mangel an Geist und Neuheit, bringen uns aber gerade dadurch in jenen widerstandslosen schläfrigen Zustand, worin wir uns jede Veränderung gefallen lassen. So betrachtet, entsteht Geschichte aus der ideellen Routine und aus dem ideell Gleichgültigen, und die Wirklichkeit entsteht vornehmlich daraus, daß nichts für die Ideen geschieht. Man könne es kurz so zusammenfassen, behauptete er, daß es uns zu wenig darauf ankäme, was geschehe, und zuviel darauf, wem, wo und wann es geschehe, so daß uns nicht der Geist der Geschehnisse, sondern ihre Fabel, nicht die Erschließung neuen Lebensgehalts, sondern die Verteilung des schon vorhandenen wichtig seien, genau so, wie es wirklich dem Unterschied von guten und bloß erfolgreichen Stücken entspreche. Daraus ergebe sich aber als das wahre Gegenteil, daß man zuerst die Haltung der persönlichen Habgier gegenüber den Erlebnissen aufgeben müßte. Man müßte die also weniger wie persönlich und wirklich und mehr wie allgemein und gedacht oder persönlich so frei ansehn, als ob sie gemalt oder gesungen wären. Man dürfte ihnen nicht die Wendung zu sich geben, sondern müßte sie nach oben und außen wenden. Und wenn das persönlich gälte, so müßte außerdem kollektiv etwas geschehen, was Ulrich nicht recht beschreiben konnte und eine Art Keltern und Kellern und Eindicken des geistigen Saftes nannte, ohne das sich der Einzelne natürlich nur ohnmächtig und seinem Gutdünken überlassen fühlen könne.
==========
die Liebe begnügt sich nicht damit, daß die Einheit der Natur auf Gegensätzen ruht, sondern sie will in ihrem Verlangen nach zärtlicher Gesinnung eine Einheit ohne Widersprüche,…
==========
Wie könnte man von allen Menschen Tugend verlangen, wenn eine tugendhafte Handlung nicht eine solche wäre, die sich beliebig oft wiederholen ließe?!
==========
Stell dir bloß vor, wie das heute vor sich geht: Wenn ein bedeutender Mann eine Idee in die Welt setzt, so wird sie sogleich von einem Verteilungsvorgang ergriffen, der aus Zuneigung und Abneigung besteht; zunächst reißen die Bewunderer große Fetzen daraus, so wie sie ihnen passen, und verzerren ihren Meister wie die Füchse das Aas, dann vernichten die Gegner die schwachen Stellen, und über kurz bleibt von keiner Leistung mehr übrig als ein Aphorismenvorrat, aus dem sich Freund und Feind, wie es ihnen paßt, bedienen. Die Folge ist eine allgemeine Vieldeutigkeit. Es gibt kein Ja, an dem nicht ein Nein hinge. Du kannst tun, was du willst, so findest du zwanzig der schönsten Ideen, die dafür, und wenn du willst, zwanzig, die dagegen sind. Man könnte fast schon glauben, es ist wie in der Liebe und im Haß und beim Hunger, wo der Geschmack verschieden sein muß, damit jeder zum Seinen kommt.«
==========
Gott, aus Gründen, die uns noch unbekannt sind, ein Zeitalter der Körperkultur heraufzuführen scheint; denn das einzige, was den Ideen einigermaßen Halt gibt, ist der Körper, zu dem sie gehören, und dabei hättest du als Offizier überdies einen…
==========
man weiß, daß neue und bedeutende Gedanken selten einen einzigen Finder haben, und andererseits bringt das Gehirn, eines Menschen, der zu denken gewohnt ist, unaufhörlich Gedanken von verschiedenem Wert hervor: den Abschluß, die wirksame, erfolgreiche Form müssen Einfälle darum immer von außen erhalten, nicht nur aus dem Denken, sondern aus den ganzen Lebensumständen der Person.
==========
dem Tagtraum Platz, daß alle Worte, Geschehnisse und Forderungen in ihrer von der Oberfläche abgewandten Tiefe ein und dasselbe seien. In solchen Augenblicken schwieg selbst der Ehrgeiz, die Ereignisse der Wirklichkeit waren fern wie der Lärm vor einem Garten, ihn dünkte, die Seele sei aus ihren Ufern getreten und nun erst wahrhaft anwesend. Man kann nicht lebhaft genug versichern, daß dies keine Philosophie war, sondern ein ebenso körperhaftes Erlebnis, wie wenn man den vom Tageshimmel überstrahlten Mond stumm im Vormittagslicht hängen sieht. In diesem Zustand speiste zwar schon der junge Paul Arnheim beherrscht in einem vornehmen Restaurant, ging sorgfältig gekleidet in jede Gesellschaft und tat überall das, was zu tun war; aber man konnte sagen, daß es dabei von ihm zu ihm ebensoweit war wie zum nächsten Menschen oder Ding, daß die Außenwelt nicht an seiner Haut aufhörte und die Innenwelt nicht bloß durch das Fenster der Überlegung hinausleuchtete, sondern daß sie beide sich zu einer ungeteilten Abgeschiedenheit und Anwesenheit vereinten, die so mild, ruhig und hoch war wie ein traumloser Schlaf. In moralischer Beziehung zeigte sich dann eine wahrhaft große Gleichgültigkeit und Gleichwertigkeit; es war nichts klein und nichts groß, ein Gedicht und ein Kuß auf eine Frauenhand wogen ebensoviel wie ein mehrbändiges Werk oder eine politische Großtat, und alles Böse war so sinnlos, wie im Grund auch alles Gute in diesem Umfangensein von der zärtlichen Urverwandtschaft aller Wesen überflüssig wurde.
==========
sobald er die Überlegenheit seiner männlichen Verhältnisse über die träumerisch jugendlichen erkannte, ging er daran, unter Führung der neuen Manneserkenntnisse eine Verschmelzung beider Erlebnisgruppen zu bewerkstelligen. Tatsächlich tat er damit eben das, was alle die vielen und die Mehrzahl der Gebildeten ausmachenden Menschen tun, die nach dem Eintritt ins Erwerbsleben ihre früheren Interessen nicht ganz verleugnen wollen, ja im Gegenteil jetzt erst ein ruhiges, reifes Verhältnis zu den schwärmerischen Antrieben ihrer Jugend finden. Die Entdeckung des großen Gedichtes des Lebens, an dem sie sich mitarbeiten wissen, schenkt ihnen den Mut des Dilettanten wieder, den sie zur Zeit, wo sie ihre eigenen Gedichte verbrannten, verloren hatten; sie dürfen sich, am Leben dichtend, wahrhaft als geborene Fachleute ansehen und gehen daran, ihr tägliches Tun mit geistiger Verantwortung zu durchdringen, fühlen sich vor tausend kleine Entscheidungen gestellt, damit es sittlich und schön sei, nehmen sich an der Vorstellung ein Muster, daß Goethe so gelebt habe, und erklären, daß sie ohne Musik, ohne Natur, ohne Betrachtung des unschuldigen Spiels von Kindern und Tieren und ohne ein gutes Buch das Leben nicht freuen würde. Dieser so durchseelte Mittelstand ist unter Deutschen noch immer der Hauptkonsument der Künste und aller nicht zu schwierigen Literatur, aber seine Mitglieder sehen auf Kunst und Literatur, die ihnen früher als Vollendung ihrer Wünsche vorgekommen waren, begreiflicherweise und wenigstens mit einem Auge so herab wie auf eine Frühstufe – wenn diese auch in ihrer Art vollendeter ist, als es ihnen gegönnt war, – oder sie halten davon, was etwa ein Eisenblechfabrikant von einem Gipsfigurenbildhauer halten müßte, wenn er die Schwäche besäße, dessen Produkte schön zu finden.
==========
Niemals kam für ihn geistiger Umsturz, grundsätzliche Neuerung in Frage, sondern stets nur Verflechtung ins Bestehende, Besitzergreifung, sanfte Korrektur, moralische Neubelebung des verblaßten Privilegs der in Geltung befindlichen Mächte. Er war kein Snob, kein Anbeter des ihm überlegenen Teils der Vornehmen; bei Hof eingeführt und in Berührung mit dem Hochadel wie mit den Spitzen der Bürokratie getreten, suchte er sich keineswegs dieser Umgebung als Nachahmer, sondern nur als Liebhaber konservativ feudaler Lebensgewohnheiten anzupassen, der seine bürgerliche, sozusagen Frankfurterisch-Goethesche Herkunft weder vergißt, noch vergessen machen will.
==========
Er war wohl innerlich überzeugt, daß die schaffenden Menschen – und an ihrer Spitze, sie zu einem neuen Zeitalter zusammenfassend, die das Leben lenkenden Kaufleute – berufen seien, die alten Mächte des Seins irgendwann in der Herrschaft abzulösen, und das gab ihm einen gewissen stillen Hochmut, dem die seither eingetretene Entwicklung das Zeugnis der Berechtigung ausgestellt hat; aber wenn man diesen Herrschaftsanspruch des Geldes auch als gegeben voraussetzt, so war doch noch die Frage offen, die angestrebte Macht richtig anzuwenden. Die Vorgänger der Bankdirektoren und Großindustriellen hatten es leicht, sie waren Ritter und machten aus ihren Gegnern Hirschsuppe, wofür sie die Waffen des Geistes dem Klerus überließen; der zeitgenössische Mensch dagegen besitzt zwar im Geld, wie Arnheim es verstand, die heute sicherste Methode der Behandlung aller Beziehungen, aber wenn sie auch hart und genau wie ein Fallbeil sein kann, kann sie auch so empfindlich wie ein Rheumatiker sein – man denke bloß an das Ziehen und Lahmen in den Kursen beim geringsten Anlaß! – und hängt auf das zarteste mit allem zusammen, was von ihr beherrscht wird. Durch dieses zarte Zusammenhängen aller Lebensgebilde, das nur blinder Ideologenhochmut vergessen kann, kam Arnheim dazu, im königlichen Kaufmann die Synthese von Umsturz und Beharren, Macht und bürgerlicher Zivilisiertheit, vernünftigem Wagnis und charaktervollem Wissen zu erblicken, zuinnerst aber eine Symbolgestalt der sich vorbereitenden Demokratie; durch rastlose und strenge Arbeit an seiner eigenen Persönlichkeit, geistige Organisation der ihm zugänglichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenhänge und durch Gedanken über Führung und Aufbau des ganzes Staates wollte er einer neuen Zeit in die Arme wirken, wo die durch Geschick und Natur ungleichen Gesellschaftskräfte richtig und fruchtbar geordnet sind und das Ideal an den notwendigerweise einschränkenden Realitäten nicht zerbricht, sondern sich reinigt und befestigt.
==========
Um das mit sachlichem Anklang auszudrücken, hatte er also die Interessenfusion Seele-Geschäft durch Ausbildung der Dachvorstellung Königs-Kaufmann zur Durchführung gebracht, und das Gefühl der Liebe, das ihn einstens empfinden geheißen, alles sei im Grunde nur eines, lag jetzt als Kern in seiner Überzeugung von Einheit und Harmonie der Kultur und der menschlichen Interessen.
==========
Gewiß hatten sich schon viele Frauen naher Beziehungen zu ihm glücklich geschätzt, aber wenn es nicht parasitäre Naturen waren, so waren es tätige, studierte Frauen und Künstlerinnen, denn mit der ausgehaltenen und der selbst erwerbenden Gattung Frau konnte man sich auf Grund klarer Verhältnisse verständigen; die moralischen Bedürfnisse seiner Natur hatten ihn immer in Beziehungen geführt, wo der Instinkt und die ihn begleitenden unvermeidlichen Auseinandersetzungen mit Frauen an der Vernunft einen gewissen Halt hatten.
==========
Eine Frau, die man nicht hat, ist so, wie wenn der Mond nachts immer höher steigt und saugt und saugt am Herzen; wenn man sie aber gehabt hat, möchte man mit dem Stiefel in ihrem Gesicht herumtreten.
==========
Man könnte die Gefahr der Verbindung mit großen Dingen darum auch als ein Gesetz von der Erhaltung der geistigen Materie bezeichnen, und es scheint ziemlich allgemein zu gelten. Die Reden hochgestellter, im Großen wirkender Personen sind gewöhnlich inhaltsloser als unsere eigenen. Gedanken, die in einer besonders nahen Beziehung zu besonders würdigen Gegenständen stehen, sehen gewöhnlich so aus, daß sie ohne diese Begünstigung für sehr zurückgeblieben gehalten würden. Die uns teuersten Aufgaben, die der Nation, des Friedens, der Menschheit, der Tugend und ähnlich teuere tragen auf ihrem Rücken die billigste Geistesflora. Das wäre eine sehr verkehrte Welt; aber wenn man annimmt, daß die Behandlung eines Themas desto unbedeutender sein darf, je bedeutender dieses Thema selbst ist, dann ist es eine Welt der Ordnung. Allein, dieses Gesetz, das so viel zum Verständnis des europäischen Geisteslebens beizutragen vermag, liegt nicht immer gleich klar zu Tage, und in Zeiten des Übergangs von einer Gruppe großer Gegenstände zu einer neuen kann der den Dienst der großen Gegenstände suchende Geist sogar umstürzlerisch aussehen, obgleich er nur die Livree wechselt. Ein solcher Übergang war schon damals zu bemerken, als die Menschen, von denen hier berichtet wird, ihre Sorgen und Triumphe hatten.
==========
»man muß der Jugend nachgeben,« sagte er zu sich »man wird unmöglich, wenn man sie einfach ablehnt.«
==========
Der Feldwebel, wenn Sie mir dieses untergeordnete Beispiel gestatten, muß sich natürlich um das Wohlergehen jedes einzelnen Mannes in seiner Kompanie kümmern; der Stratege dagegen rechnet mit dem Menschentausend als kleinster Einheit und muß auch zehn solcher Einheiten auf einmal opfern können, wenn es ein höherer Zweck verlangt.
==========
Der General, als der einzige Offizier, fühlte sich offenbar nicht ganz am Platze und beklagte sich über die Wandelbarkeit der öffentlichen Meinung, weil einige Ausführungen über die Heiligkeit des Menschenlebens Beifall fanden.
==========
Es ist wahrscheinlich eine gut begründete Erscheinung, daß in Zeiten, deren Geist einem Warenmarkt gleicht, für den richtigen Gegensatz dazu Dichter gelten, die gar nichts mit ihrer Zeit zu tun haben. Sie beschmutzen sich nicht mit zeitgenössischen Gedanken, liefern sozusagen reine Dichtung und sprechen in ausgestorbenen Mundarten der Größe zu ihren Gläubigen, als wären sie soeben bloß zu vorübergehendem Erdaufenthalt aus der Ewigkeit zurückgekommen,
==========
letzten Endes kommen alle Gedanken aus den Gelenken, Muskeln, Drüsen, Augen, Ohren und den schattenhaften Gesamteindrücken, die der Hautsack, zu dem sie gehören, von sich im ganzen hat. Die vergangenen Jahrhunderte haben vielleicht einen schweren Irrtum begangen, indem sie auf Verstand und Vernunft, auf Überzeugung, Begriff und Charakter zu viel Wert legten; es war so, wie wenn man Registratur und Archiv für den wichtigsten Teil eines Amts halten wollte, weil sie ihr Büro in der Zentrale haben, obgleich sie nur Hilfsämter sind, die ihre Weisungen von außen empfangen.
==========
Dieser Mensch erweckte in ihm eine Vorstellung reiner Männlichkeit. Er war des vielen Redens mit sich selbst ein wenig überdrüssig, und das Vergnügen, sich einen wortkargen Menschen auszumalen, war ihm sehr angenehm. Er stellte sich vor, daß Tuzzi gewiß schon als Knabe andere Knaben nicht habe leiden können, wenn sie viel redeten; aus denen entstehen später die schöngeistigen Männer, während die Knaben, die lieber zwischen den Zähnen durchspucken, als daß sie den Mund öffneten, Männer werden, die nicht gerne etwas Unnützes denken und in der Tat, in der Intrige, im einfachen Ertragen oder Abwehren eine Entschädigung für den unentbehrlichen Zustand des Fühlens und Denkens suchen, der sie irgendwie so sehr beschämt, daß sie Gedanken und Gefühle am liebsten nur benützen, um andere Menschen irrezuführen.
==========
beinahe kein Mensch liest heute noch, jeder benützt den Schriftsteller nur, um in der Form von Zustimmung oder Ablehnung auf eine perverse Weise seinen eigenen Überschuß an ihm abzustreifen.«
==========
Jeder reiche Mann betrachtet Reichtum als eine Charaktereigenschaft. Jeder arme Mann gleichfalls. Alle Welt ist stillschweigend davon überzeugt. Nur die Logik macht einige Schwierigkeiten, indem sie behauptet, daß Geldbesitz vielleicht gewisse Eigenschaften verleihen, aber niemals selbst eine menschliche Eigenschaft sein könne. Der Augenschein straft das Lügen. Jede menschliche Nase riecht unweigerlich sofort den zarten Hauch von Unabhängigkeit, Gewohnheit, zu befehlen, Gewohnheit, überall das Beste für sich zu wählen, leichter Weltverachtung und beständig bewußter Machtverantwortung, der von einem großen und sicheren Einkommen aufsteigt. Man sieht es der Erscheinung eines solchen Menschen an, daß sie von einer Auslese der Weltkräfte genährt und täglich erneuert wird. Das Geld zirkuliert in seiner Oberfläche wie der Saft in einer Blüte; da gibt es kein Verleihen von Eigenschaften, kein Erwerben von Gewohnheiten, nichts Mittelbares und aus zweiter Hand Empfangenes: zerstöre Bankkonto und Kredit, und der reiche Mann hat nicht bloß kein Geld mehr, sondern er ist am Tag, wo er es begriffen hat, eine abgewelkte Blume. Mit der gleichen Unmittelbarkeit wie früher die Eigenschaft seines Reichseins bemerkt jetzt jeder die unbeschreibliche Eigenschaft des Nichts an ihm, die wie eine brenzliche Wolke von Unsicherheit, Unverläßlichkeit, Untüchtigkeit und Armut riecht. Reichtum ist also eine persönliche, einfache, nicht ohne Zerstörung zerlegbare Eigenschaft.
==========
Nur Leute, die kein Geld haben, stellen sich Reichtum wie einen Traum vor; Menschen, die ihn besitzen, beteuern dagegen bei jeder Gelegenheit, wo sie mit Leuten zusammentreffen, die ihn nicht besitzen, welche Unannehmlichkeit er bedeute.
==========
er mußte es sich jedesmal versichern, daß, von einem genügend hohen Standpunkt betrachtet, Gedanken, Wissen, Treue, Talent, Umsicht und dergleichen als Eigenschaften erscheinen, die man kaufen kann, weil sie in Hülle und Fülle vorhanden sind, wogegen die Fähigkeit, sich ihrer zu bedienen, Eigenschaften voraussetzt, welche nur die wenigen besitzen, die eben schon auf der Höhe geboren und aufgewachsen sind.
==========
Reiche Leute versichern dann auch mit Vorliebe bei jeder Gelegenheit, daß das Geld am Werte eines Menschen nichts ändere; sie wollen damit sagen, daß sie auch ohne Geld soviel wert wären wie jetzt, und sind immer gekränkt, wenn ein anderer sie mißversteht. Leider widerfährt ihnen das gerade im Verkehr mit geistvollen Menschen nicht selten. Solche besitzen merkwürdig oft kein Geld, sondern nur Pläne und Begabung, aber sie fühlen sich dadurch in ihrem Wert nicht gemindert, und nichts scheint ihnen näher zu liegen, als einen reichen Freund, für den das Geld keine Rolle spielt, zu bitten, daß er sie aus seinem Überfluß zu irgendeinem guten Zweck unterstütze. Sie begreifen nicht, daß der reiche Mann sie mit seinen Ideen unterstützen möchte, mit seinem Können und seiner persönlichen Anziehungskraft.
==========
so, wie man sich vor ungefähr zwei Menschenaltern noch in Geschäftsbriefen mit blauen Redeblümlein geschmückt hat, könnte man heute schon alle Beziehungen von der Liebe bis zur reinen Logik in der Sprache von Angebot und Nachfrage, Deckung und Eskompte ausdrücken, jedenfalls ebenso gut, wie man sie psychologisch oder religiös ausdrücken kann, aber man tut es doch nicht.
==========
Allerdings wußte sie nicht, was kommen sollte; aber sie war überzeugt, daß es die unendliche Aufgabe aller Liebenden sei, sich als das zu erhalten, was man füreinander in den höchsten Augenblicken gewesen ist.
==========
es ist auch klar, daß Menschen, die unliebsames Aufsehen erregen, den Druck der Welt zu spüren bekommen.
==========
Der wundervolle Gedanke, daß die Frau den Mann sowohl als Mutter wie als Geliebte in sich aufnehmen müsse, machte sie weich und aufgeregt. Sie wußte nicht, wie er dahergekommen sei, aber er schmolz ihre Widerstände und gab ihr doch Macht.
==========
»aber dann« fuhr er fort »ist dieser Bismarck gekommen, und das eine Gute hat er jedenfalls gehabt, daß er gezeigt hat, wie man Politik machen muß: Nicht mit Reden und Gescheitheit! Trotz seiner Schattenseiten hat er erreicht, daß seit seiner Zeit, so weit die deutsche Zunge reicht, jeder Mensch weiß, daß in der Politik von Gescheitheit und Reden nichts zu erhoffen ist, sondern nur von schweigender Überlegung und Tat!«
==========
Die Bewohner dieser kaiserlich und königlichen kaiserlich königlichen Doppelmonarchie fanden sich vor eine schwere Aufgabe gestellt; sie hatten sich als kaiserlich und königlich österreichisch-ungarische Patrioten zu fühlen, zugleich aber auch als königlich ungarische oder kaiserlich königlich österreichische. Ihr begreiflicher Wahlspruch angesichts solcher Schwierigkeiten war »Mit vereinten Kräften!« Das hieß viribus unitis. Die Österreicher brauchten aber dazu weit größere Kräfte als die Ungarn. Denn die Ungarn waren zuerst und zuletzt nur Ungarn, und bloß nebenbei galten sie bei anderen Leuten, die ihre Sprache nicht verstanden, auch für Österreich-Ungarn; die Österreicher dagegen waren zuerst und ursprünglich nichts und sollten sich nach Ansicht ihrer Oberen gleich als Österreich-Ungarn oder Österreicher-Ungarn fühlen, – es gab nicht einmal ein richtiges Wort dafür. Es gab auch Österreich nicht. Die beiden Teile Ungarn und Österreich paßten zu einander wie eine rot-weiß-grüne Jacke zu einer schwarz-gelben Hose; die Jacke war ein Stück für sich, die Hose aber war der Rest eines nicht mehr bestehenden schwarz-gelben Anzugs, der im Jahre achtzehnhundertsiebenundsechzig zertrennt worden war. Die Hose Österreich hieß seither in der amtlichen Sprache »Die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder«, was natürlich gar nichts bedeutete und ein Name aus Namen war, denn auch diese Königreiche, zum Beispiel die ganz Shakespeareschen Königreiche Lodomerien und Illyrien gab es längst nicht mehr und hatte es schon damals nicht mehr gegeben, als noch ein ganzer schwarz-gelber Anzug vorhanden war. Fragte man darum einen Österreicher, was er sei, so konnte er natürlich nicht antworten: Ich bin einer aus den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern, die es nicht gibt, – und er zog es schon aus diesem Grunde vor, zu sagen: Ich bin ein Pole, Tscheche, Italiener, Friauler, Ladiner, Slowene, Kroate, Serbe, Slowake, Ruthene oder Wallache, und das war der sogenannte Nationalismus. Man stelle sich ein Eichhörnchen vor, das nicht weiß, ob es ein Eichhorn oder eine Eichkatze ist, ein Wesen, das keinen Begriff von sich hat, so wird man verstehn, daß es unter Umständen vor seinem eigenen Schwanz eine heillose Angst bekommen kann; in solchem Verhältnis zu einander befanden sich aber die Kakanier und betrachteten sich mit dem panischen Schreck von Gliedern, die einander mit vereinten Kräften hindern, etwas zu sein. Seit Bestehen der Erde ist noch kein Wesen an einem Sprachfehler gestorben, aber man muß wohl hinzufügen, der österreichischen und ungarischen österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie widerfuhr es trotzdem, daß sie an ihrer Unaussprechlichkeit zugrunde gegangen ist.
==========
Se. Erlaucht hatte Staatsrecht studiert und dort als eine ziemlich über die ganze Welt verbreitete Definition gefunden, daß ein Volk nur dann Anspruch habe, für eine Nation zu gelten, wenn es eine eigene Staatsform besitze, und daraus folgte für ihn, daß die kakanischen Nationen eben höchstens Nationalitäten seien.
==========
daß der Mensch erst in dem ihm übergeordneten Gemeinschaftsleben einer Nation seine volle und wahre Bestimmung finden könne, und weil er das niemand vorenthalten wissen wollte, schloß er daraus auf die Notwendigkeit, den Nationalitäten und Stämmen einen Staat überzuordnen. Er glaubte überdies an eine göttliche Ordnung, wenn diese auch für das menschliche Auge nicht jederzeit durchsichtig sei, und in den revolutionär modernen Stunden, die er manchmal hatte, war er sogar zu dem Gedanken imstande, daß die in der Neuzeit so sehr bekräftigte Idee des Staats vielleicht nichts anderes sein könnte als die von Gott eingesetzte Idee der Majestät, in einer eben erst beginnenden verjüngten Erscheinungsform.
==========
Im allgemeinen war man damals unter vorgeschrittenen Leuten für aktiven Geist; man hatte die Pflicht der Hirnmenschen erkannt, die Führung der Bauchmenschen an sich zu reißen.
==========
Wahnsinnige sollen mit Vorliebe anderen Menschen vorwerfen, daß sie wahnsinnig seien;
==========
Eitel ist ein Mensch, der sich beneidenswert vorkommt, wenn zu seiner Linken der Mond über Asien aufgeht, während zu seiner Rechten Europa im Sonnenuntergang verdämmert; so hat er mir einmal eine Reise über das Marmarameer beschrieben! Wahrscheinlich geht der Mond hinter dem Blumentopf eines verliebten kleinen Mädchens schöner auf als über Asien!«
==========
Wir sind, wenigstens in Deutschland, von der Liebe zu anerkannten Persönlichkeiten wie die Betrunkenen gerührt, die einem neuen Mann um den Hals fallen und ihn aus ebenso dunklen Gründen nach einer Weile umstoßen.
==========
»Wir sagen heute noch: ich liebe diese Frau, und ich hasse jenen Menschen, statt zu sagen, sie ziehen mich an oder stoßen mich ab. Und um einen Schritt genauer müßte man hinzufügen, daß ich es bin, der in ihnen die Fähigkeit erweckt, mich anzuziehen oder abzustoßen. Und noch um einen Schritt genauer müßte man dem hinzufügen, daß sie in mir die Eigenschaften hervorkehren, die dazu gehören. Und so weiter; man kann nicht sagen, wo da der erste Schritt geschieht, denn das ist eine gegenseitige, eine funktionale Abhängigkeit so wie zwischen zwei elastischen Bällen oder zwei geladenen Stromkreisen. Und wir wissen natürlich längst, daß wir auch so fühlen müßten, aber wir ziehen es noch immer beiweitem vor, die Ursache und Ur-Sache in den Kraftfeldern des Gefühls zu sein, die uns umgeben; selbst wenn unsereiner zugibt, er mache einen anderen nach, drückt er es so aus, als ob das eine aktive Leistung wäre! Darum habe ich Sie gefragt und frage Sie noch einmal, ob Sie schon je maßlos verliebt oder zornig oder verzweifelt gewesen sind. Denn dann begreift man bei einiger Beobachtungsgabe ganz genau, daß es einem mitten in der höchsten Erregung seiner selbst nicht anders geht wie einer Biene am Fenster oder einem Infusorium in vergiftetem Wasser: man erleidet einen Bewegungssturm, man fährt blind nach allen Seiten, man schlägt hundertmal gegen das Undurchdringliche und einmal, wenn man Glück hat, durch eine Pforte ins Freie, was man sich natürlich hinterdrein, in erstarrtem Bewußtseinszustand, als planvolle Handlung auslegt.«
==========
»Um maßlos zu sein,« erklärte er ruhig »muß man ganz genau und sachlich sein. Zwei Ich, die es wissen, wie fraglich Ich heute ist, halten sich aneinander, so stelle ich mir das vor, wenn es durchaus Liebe sein muß, und nicht bloß eine übliche Betätigung; sie sind so ineinander verkettet, daß eines die Ursache des anderen ist, wenn sie fühlen, ins Große verändert zu werden, und treiben wie ein Schleier. Da ist es ungeheuer schwer, keine falschen Bewegungen zu machen, selbst wenn man eine Zeitlang schon die richtigen hat. Es ist einfach schwer, in der Welt das Richtige zu fühlen! Ganz entgegen einem allgemeinen Vorurteil, gehört beinahe Pedanterie dazu. Übrigens habe ich Ihnen gerade das sagen wollen. Sie haben mir sehr geschmeichelt, Diotima, als Sie mir die Möglichkeit eines Erzengels zusprachen; bei aller Bescheidenheit, wie Sie gleich sehen werden. Denn nur wenn Menschen ganz sachlich wären – und das ist ja beinahe dasselbe wie unpersönlich –, dann wären sie auch ganz Liebe. Weil sie nur dann auch ganz Empfindung und Gefühl und Gedanke wären; und alle Elemente, die den Menschen bilden, sind zärtlich, denn sie streben zueinander, nur der Mensch selbst ist es nicht. Maßlos verliebt sein, ist also etwas, das Sie vielleicht gar nicht möchten …!«
==========
»Der Kaufmann dient dem menschlichen Fortschritt und begnügt sich mit einem erlaubten Nutzen. Er hat es dabei genau so schlecht wie jeder andere!«
==========
So war in den letzten Jahren, ehe der große Krieg die Folgerung daraus zog, unter jungen Menschen auch viel von Liebe und Gemeinschaft die Rede, und besonders die jungen Antisemiten im Haus des Bankdirektors Fischel standen im Zeichen alles umfassender Liebe und Gemeinschaft. Wahre Gemeinschaft ist das Wirken eines inneren Gesetzes, und das tiefste, einfachste, vollkommenste und erste ist das Gesetz der Liebe. Wie schon bemerkt worden, nicht Liebe im niederen, sinnlichen Sinn; denn körperlicher Besitz ist eine mammonistische Erfindung und wirkt nur trennend und entsinnend. Und natürlich kann man auch nicht jeden Menschen lieben. Aber vor eines jeden Charakter kann man Achtung haben, sofern er als wahrhafter Mensch strebt, unter strengster eigener Verantwortlichkeit. So stritten sie im Namen der Liebe gemeinsam über alles.
==========
»Ich denke« sagte Ulrich »jeder Fortschritt ist zugleich ein Rückschritt. Es gibt Fortschritt immer nur in einem bestimmten Sinn. Und da unser Leben im Ganzen keinen Sinn hat, hat es im Ganzen auch keinen Fortschritt.«
==========
»Wie es sein könnte! So denken Sie immer; nie werden Sie die Frage zu beantworten suchen, wie es sein müßte!« »Ihr seid so vorschnell. Immer muß ein Ziel, ein Ideal, ein Programm da sein, ein Absolutes. Und was am Ende herauskommt, ist ja doch ein Kompromiß, ein Durchschnitt! Wollen Sie nicht zugeben, daß es auf die Dauer ermüdend und lächerlich ist, immer das Äußerste zu tun und wollen, nur damit etwas Mittleres hervorkommt?«
==========
»Aber wie komme ich denn dazu, ein Buch schreiben zu müssen?!« meinte Ulrich. »Mich hat doch eine Mutter geboren und kein Tintenfaß!«
==========
Wie alle jungen Leute aus ihrer Freundschaft überschätzte sie die Kraft des Buchs.
==========
Der Mensch, der sich besitzt; der Mensch, der seine Überzeugungen besitzt; der Mensch, der sich besitzen läßt, von einem anderen oder von seinen eigenen Leidenschaften oder bloß von seinen Gewohnheiten oder von seinen Erfolgen; der Mensch, der etwas erobern will; der Mensch, der überhaupt etwas will: alles das lehnen Sie ab? Sie wollen Wanderer sein. Schweifende Wanderer, hat Hans es einmal genannt, wenn ich nicht irre. Zu einem anderen Sinn und Sein? Stimmt das?«
==========
»Niemals lieben wir die, welche wir umarmen, am tiefsten …!«
==========
In einer Zeit, wo so wenig Verantwortung herrscht für das, was man tut oder denkt, wie in der gegenwärtigen, war es keineswegs nur persönlicher Ehrgeiz, was solche Einwände machte, sondern geradezu ein überpersönliches Bedürfnis, die in den Händen der Arnheims gewachsene Macht (dieses Gebilde, das ursprünglich aus dem Drang nach Geld entstanden, dann aber längst ihm entwachsen war, seine eigene Vernunft, seinen eigenen Willen hatte, sich vergrößern, festigen mußte, erkranken konnte, rostete, wenn es rastete!) in Einklang mit den Mächten und Rangordnungen des Daseins zu bringen, woraus er auch von Diotima, soviel er wußte, nie ein Hehl gemacht hatte.
==========
Eine Zeit, in der alles erlaubt ist, hat noch jedesmal die in ihr gelebt haben unglücklich gemacht. Zucht, Enthaltsamkeit, Ritterlichkeit, Musik, die Sitte, das Gedicht, die Form, das Verbot, alles das hat keinen tieferen Zweck, als dem Leben eine eingeschränkte und bestimmte Gestalt zu verleihen. Es gibt kein grenzenloses Glück. Es gibt kein großes Glück ohne große Verbote. Selbst im Geschäft darf man nicht jedem Vorteil nachlaufen, sonst kommt man zu nichts. Die Grenze ist das Geheimnis der Erscheinung, das Geheimnis der Kraft, des Glücks, des Glaubens und der Aufgabe, sich als winziger Mensch in einem Universum zu behaupten.
==========
Das Wort vermag Großes, aber es gibt Größeres! Die wahre Wahrheit zwischen zwei Menschen kann nicht ausgesprochen werden. Sobald wir sprechen, schließen sich Türen; das Wort dient mehr den unwirklichen Mitteilungen, man spricht in den Stunden, wo man nicht lebt …«
==========
Die Ichsucht ist die verläßlichste Eigenschaft des menschlichen Lebens. Der Politiker, der Soldat und der König haben mit ihrer Hilfe deine Welt durch List und Zwang geordnet. Das ist die Melodie der Menschheit; Du und ich müssen es zugeben. Den Zwang abschaffen, hieße die Ordnung verweichlichen; den Menschen zum Großen befähigen, obgleich er ein Bastard ist, das erst ist unsere Aufgabe!«
==========
»Aber ist das Geld nicht eine ebenso sichere Methode der Behandlung menschlicher Beziehungen wie die Gewalt und erlaubt uns, auf ihre naive Anwendung zu verzichten? Es ist vergeistigte Gewalt, eine geschmeidige, hochentwickelte und schöpferische Spezialform der Gewalt. Beruht nicht das Geschäft auf List und Zwang, auf Übervorteilung und Ausnützung, nur sind diese zivilisiert, ganz in das Innere des Menschen verlegt, ja geradezu in das Aussehen seiner Freiheit gekleidet? Der Kapitalismus, als Organisation der Ichsucht nach der Rangordnung der Kräfte, sich Geld zu verschaffen, ist geradezu die größte und dabei noch humanste Ordnung, die wir zu Deiner Ehre haben ausbilden können; ein genaueres Maß trägt das menschliche Tun nicht in sich!«
==========
Dieses betet das Geld, die Ordnung, das Wissen, Rechnen, Messen und Wägen, alles in allem also den Geist des Geldes und seiner Verwandten an und beklagt das zugleich. Während es in seinen Arbeitsstunden hämmert und rechnet und sich außerhalb ihrer so benimmt wie eine Horde Kinder, die von dem Zwang des »Also was machen wir jetzt?«, der am Grunde einen bitteren Ekelgeschmack hat, aus einer Übertriebenheit in die nächste gejagt wird, wird es eine innere Mahnung zur Umkehr nicht los.
==========
daß der Mensch eines anderen Aufstiegs fähig gemacht werden müsse, als auf dem Irrweg der Regelmäßigkeit, Vorschrift, Maßeinheit und dergleichen, dessen Ergebnisse so völlig uninnerlich und im letzten Grunde unwesentlich sind. Es ist keine Frage, daß man diesen anderen Weg Religion nennt;
==========
»Ein seiner Verantwortung bewußter Mann« sagte sich Arnheim überzeugt »darf schließlich auch, wenn er Seele schenkt, nur die Zinsen zum Opfer bringen und niemals das Kapital!«
==========
vor dem Krieg in der europäischen Staatenfamilie allgemein verbreitet gewesene Abneigung gegen Deutschland. Vielleicht war Deutschland geistig das am wenigsten einheitliche Land, wo jeder etwas für seine Abneigung finden konnte; es war das Land, dessen alte Kultur am ehesten unter die Räder der neuen Zeit geraten und zu großartigen Worten für Talmi und Kommerz zerschnitten worden war; es war außerdem streitsüchtig, beutegierig, prahlerisch und gefährlich unzurechnungsfähig wie jede erregte große Masse: aber alles das war schließlich nur europäisch, und es hätte den Europäern höchstens ein wenig zu europäisch sein können.
==========
Aus dem Kannsein entsteht zur namenlosen Überraschung aller Beteiligten plötzlich das Ist, und was bei diesem höchst ungeordneten Vorgang wegfällt, nicht stimmt, überschüssig ist und den Geist nicht befriedigt, scheint jenen atmosphärisch verteilten, zwischen allen Geschöpfen schwingenden Haß zu bilden, der für die gegenwärtige Zivilisation so kennzeichnend ist und die vermißte Zufriedenheit mit dem eigenen Tun durch die leicht erreichbare Unzufriedenheit mit dem der anderen ersetzt. Der Versuch, diese Unlust in besonderen Wesen zusammenzufassen, ist bloß etwas, das zum ältesten psychotechnischen Besitzstand des Lebens gehört. So zog der Zauberer den sorgsam vorbereiteten Fetisch aus dem Leib des Kranken, und so verlegt der gute Christ seine Fehler in den guten Juden und behauptet, daß er durch ihn zu Reklame, Zinsen, Zeitungen und ähnlichem verleitet worden sei; man hat im Lauf der Zeiten den Donner, die Hexen, die Sozialisten, die Intellektuellen und die Generale verantwortlich gemacht, und in den letzten Zeiten vor dem Krieg ist auch, aus Sondergründen, die daneben ganz verschwinden, eines der großartigsten und beliebtesten Mittel in diesem wunderlichen Vorgang Preußen-Deutschland gewesen. Der Welt ist eben nicht nur Gott abhanden gekommen, sondern auch der Teufel. So wie sie das Böse in Unwunschbilder verlegt, verlegt sie das Gute in Wunschbilder, die sie dafür verehrt, daß sie das tun, was man in eigener Person untunlich findet. Man läßt andere Leute sich anstrengen, während man auf einem Sitzplatz zuschaut, das ist der Sport; man läßt Leute die einseitigsten Übertreibungen reden, das ist der Idealismus; man schüttelt das Böse ab und die davon bespritzt werden, das sind die Unwunschbilder.
==========
es erschien gerade den geistig vornehmsten Kakaniern, die sich als die Erben und Träger der berühmten, von Beethoven bis zur Operette führenden kakanischen Kultur fühlten, als ganz natürlich, daß man mit den Reichsdeutschen verbündet und verbrüdert war und sie nicht ausstehen konnte. Man gönnte ihnen eine kleine Zurechtweisung und war, wenn man an ihre Erfolge dachte, immer ein wenig bekümmert über die heimatlichen Zustände. Diese heimatlichen Zustände bestanden aber in der Hauptsache darin, daß Kakanien, ein Staat, der ursprünglich so gut wie jeder und besser als mancher andere gewesen war, im Lauf der Jahrhunderte ein wenig die Lust an sich selbst verloren hatte.
==========
daß Weltgeschichte gemacht wird wie andere Geschichten auch; das heißt, den Autoren fällt selten etwas Neues ein und sie schreiben, was die Verwicklungen und die Ideen angeht, gerne voneinander ab.
==========
»Es ist uns dieser Versuch nicht gleich ganz aufs erste geglückt, aber wer etwas Großes will, darf sich nicht vom Augenblickserfolg abhängig machen;
==========
jene bekannte Nationalitätenpolitik Kakaniens, lief aber darauf hinaus, daß in ungefähr halbjährlichem Wechsel die Regierung bald strafend gegen irgendeine unbotmäßige Nationalität vorging, bald weise vor ihr zurückging, und wie in einem Schenkelglas die eine Hälfte steigt, wenn die andere sinkt, entsprach dem das Verhalten gegen die deutsche »Nationalität«. Diese hatte in Kakanien eine besondere Rolle inne, denn sie hatte in ihrer Masse eigentlich immer nur das eine gewollt, daß der Staat stark sei. Sie hatte am längsten den Glauben festgehalten, daß die kakanische Geschichte doch irgendeinen Sinn haben müsse, und erst allmählich, als sie begriff, daß man in Kakanien als Hochverräter anfangen und als Minister enden, aber auch umgekehrt seine Ministerlaufbahn wieder als Hochverräter fortsetzen könne, begann auch sie sich als unterdrückte Nation zu fühlen.
==========
Die geistigen Menschen, die er jetzt auf allen seinen Wegen traf, waren nicht befriedigt. Sie hatten an allem etwas auszusetzen, überall geschah ihnen zuwenig oder zuviel, niemals schienen in ihren Augen die Dinge zu stimmen. Nachgerade waren sie ihm zuwider geworden. Sie glichen den unglücklichen empfindlichen Leuten, die immer dort sitzen, wo es zieht. Sie schimpften auf die Überwissenschaftlichkeit und auf die Unwissenheit, auf die Roheit und auf die Überfeinerung, auf die Streitsucht und auf die Gleichgültigkeit: wohin ihre Blicke sich richteten, überall war ein Spalt offen! Ihre Gedanken kamen niemals zur Ruhe und gewahrten den ewig wandernden Rest aller Dinge, der nirgends in Ordnung kommt. So waren sie schließlich überzeugt, daß die Zeit, in der sie lebten, zu seelischer Unfruchtbarkeit bestimmt sei und nur durch ein besonderes Ereignis oder einen ganz besonderen Menschen davon erlöst werden könne. Auf diese Weise entstand damals unter den sogenannten intellektuellen Menschen die Beliebtheit der Wortgruppe Erlösung. Man war überzeugt, daß es nicht mehr weitergehe, wenn nicht bald ein Messias komme. Das war je nachdem ein Messias der Medizin, der die Heilkunde von den gelehrten Untersuchungen erlösen sollte, während deren die Menschen ohne Hilfe krank werden und sterben; oder ein Messias der Dichtung, der imstande sein sollte, ein Drama zu schreiben, das Millionen Menschen in die Theater reißen und dabei von voraussetzungslosester geistiger Hoheit sein sollte: und außer dieser Überzeugung, daß eigentlich jede einzelne menschliche Tätigkeit nur durch einen besonderen Messias sich selbst wieder zurückgegeben werden könne, gab es natürlich auch noch das einfache und in jeder Weise unzerfaserte Verlangen nach einem Messias der starken Hand für das Ganze. So war es eine recht messianische Zeit, die damals kurz vor dem großen Kriege, und wenn selbst ganze Nationen erlöst werden wollten, so bedeutete das eigentlich nichts Besonderes und Ungewöhnliches.
==========
Überzeugung, daß der Krieg nichts ist wie die Fortsetzung des Friedens mit stärkeren Mitteln, eine kraftvolle Art der Ordnung, ohne die die Welt nicht mehr bestehen kann.
==========
Wahrscheinlich läßt sich sogar auch umgekehrt behaupten, daß viele fröhliche Menschen nicht um das geringste glücklicher sind als traurige, denn Glück strengt genau so an wie Unglück;
==========
darf man sich unter dem berühmten kakanischen Nationalismus nicht etwas besonders Wildes vorstellen. Er war mehr ein geschichtlicher als ein wirklicher Vorgang. Die Menschen dort hatten einander recht gern; sie schlugen sich zwar die Köpfe ein und bespien einander, aber das taten sie nur aus Rücksichten höherer Kultur, wie es ja auch sonst vorkommt, daß ein Mensch, der unter vier Augen einer Fliege nicht weh tun mag, unter dem Bild des Gekreuzigten im Richtsaal einen Menschen zum Tode verurteilt. Und man darf wohl sagen: Jedesmal, wenn ihre höheren Ichs eine Pause machten, atmeten die Kakanier auf und fühlten sich als brave Eßwerkzeuge, zu denen sie gleich allen Menschen geschaffen waren, sehr erstaunt über ihre Erfahrungen als Werkzeuge der Geschichte.
==========
die Wirkung eines großen und ganzen Mannes ist wie die der Schönheit; sie verträgt so wenig eine Leugnung, wie man einen Ballon anbohren darf oder einer Statue einen Hut auf den Kopf setzen. Eine schöne Frau wird häßlich, wenn sie nicht gefällt, und ein großer Mann, wenn man ihn nicht beachtet, wird vielleicht etwas Größeres, aber er hört auf, ein großer Mann zu sein.
==========
sobald jemand im Rufe steht, ein Napoleon zu sein, gewinnt er auch seine verlorenen Schlachten.
==========
immerhin könnte sich aus der Tatsache, daß du ein schwarzer Mann bist, mancher Vorteil für dich ergeben. In der Tätigkeit würdest du auch erst ganz erkennen, wieviel dir die Jahre genützt haben, die du unter meiner unmittelbaren Aufsicht zugebracht hast, und das eine kann ich dir jetzt schon sagen: du gehörst einer Rasse an, die noch etwas vom Adel der Natur besitzt. In den mittelalterlichen Rittersagen haben schwarze Könige immer eine ehrenvolle Rolle gespielt. Wenn du das in dir pflegst, was geistig adelig ist, deine Würde, deine Güte, Offenheit, den Mut zur Wahrheit und den noch größeren Mut, dich der Unduldsamkeit, Eifersucht, Mißgunst und der kleinen nervösen Gehässigkeit zu enthalten, von denen die meisten Menschen heute gezeichnet sind, wenn du das zustande bringst, wirst du sicher auch deinen Weg als Kaufmann gehen, denn es ist unsere Aufgabe, der Welt nicht nur Waren zu bringen, sondern auch eine bessere Form des Lebens.«
==========
»Es gibt jetzt fast nur noch Schriftsteller und keine Menschen mehr, die Bücher lesen« fuhr er fort. »Haben Sie sich, Herr General, schon einmal gefragt, wieviel Bücher jährlich gedruckt werden? Ich glaube mich zu erinnern, daß es über hundert Bücher täglich allein in Deutschland sind. Und mehr als tausend Zeitschriften werden jährlich gegründet! Jeder schreibt; jeder bedient sich jedes Gedankens als seines eigenen, wenn es ihm paßt; niemand denkt an eine Verantwortung für das Ganze! Seit die Kirche ihren Einfluß verloren hat, gibt es keine Autorität mehr in unserem Chaos. Es gibt kein Bildungsvorbild und keine Bildungsidee. Es ist unter diesen Umständen nur natürlich, daß Gefühle und Moral ohne Anker gleiten und der festeste Mensch zu wanken beginnt!«
==========
In der ganzen Welt ist heute alles laut und plump; aber in Deutschland ist es noch lauter. In allen Ländern plagen sich die Menschen von früh bis spät, ob sie nun arbeiten oder sich vergnügen; aber bei uns stehen sie noch früher auf und gehen noch später zu Bett. In aller Welt hat der Geist des Rechnens und der Gewalt den Zusammenhang mit der Seele verloren; aber wir in Deutschland haben die meisten Kaufleute und das stärkste Militär.« Er blickte entzückt rund um den Platz. »In Österreich ist alles das noch nicht so entwickelt. Hier gibt es noch Vergangenheit, und die Menschen haben sich etwas von der ursprünglichen Intuition bewahrt. Wenn sie überhaupt noch möglich ist, so könnte nur von hier die Erlösung des deutschen Wesens vom Rationalismus ausgehen. Aber ich fürchte,« fügte er seufzend hinzu »es wird schwerlich gelingen. Eine große Idee findet heute zu viel Widerstände; große Ideen sind nur noch dazu gut, einander am Mißbrauchtwerden zu hindern, wir leben sozusagen im Zustand eines mit Ideen bewaffneten Moralfriedens.«
==========
daß in der Welt desto weniger Persönliches übrigbleibt, je mehr Wahres wir entdecken, denn es besteht schon lange ein Kampf gegen das Individuelle, dem immer mehr Boden abgenommen wird. Ich weiß nicht, was zum Schluß von uns übrig bleiben wird, wenn alles rationalisiert ist. Vielleicht nichts, aber vielleicht gehen wir dann, wenn die falsche Bedeutung, die wir der Persönlichkeit geben, verschwindet, in eine neue ein wie in das herrlichste Abenteuer.
==========
Dummheit macht ja glücklich. Ich schlage also als erstes vor: Versuchen wir einander zu lieben, als ob Sie und ich die Figuren eines Dichters wären, die sich auf den Seiten eines Buchs begegnen. Lassen wir also jedenfalls das ganze Fettgerüst fort, das die Wirklichkeit rund macht.«
==========
Schönheit oder Erregung kommt in die Welt, indem man fortläßt. Offenbar ist unsere Haltung inmitten der Wirklichkeit ein Kompromiß, ein mittlerer Zustand, worin sich die Gefühle gegenseitig an ihrer leidenschaftlichen Entfaltung hindern und ein wenig zu Grau mischen. Kinder, denen diese Haltung noch fehlt, sind darum glücklicher und unglücklicher als Erwachsene.
==========
Schönheit oder Erregung kommt in die Welt, indem man fortläßt. Offenbar ist unsere Haltung inmitten der Wirklichkeit ein Kompromiß, ein mittlerer Zustand, worin sich die Gefühle gegenseitig an ihrer leidenschaftlichen Entfaltung hindern und ein wenig zu Grau mischen. Kinder, denen diese Haltung noch fehlt, sind darum glücklicher und unglücklicher als Erwachsene. Und ich will gleich hinzufügen, auch die Dummen lassen aus; Dummheit macht ja glücklich. Ich schlage also als erstes vor: Versuchen wir einander zu lieben, als ob Sie und ich die Figuren eines Dichters wären, die sich auf den Seiten eines Buchs begegnen. Lassen wir also jedenfalls das ganze Fettgerüst fort, das die Wirklichkeit rund macht.«
==========
ich bin so unverständig,« erwiderte ihr Vetter »daß ich behaupte, es dürfe keine ›Erholungen‹ geben! Welch ein Leben, das man zeitweilig mit Erholungen durchlöchern muß! Würden wir in ein Bild Löcher stoßen, weil es zu schöne Ansprüche an uns stellt?! Sind in der ewigen Seligkeit etwa Urlaubswochen vorgesehen? Ich gestehe Ihnen, daß mir sogar die Vorstellung des Schlafs manchmal unangenehm ist.«
==========
Es ist unmöglich, den Gedanken eines Buchs aus der Seite zu lösen, die ihn umgibt. Er winkt uns wie das Gesicht eines Menschen, das in einer Kette anderer an uns vorbeigerissen wird und für kurze Weile bedeutungsvoll auftaucht. Ich übertreibe wohl wieder ein wenig; aber nun möchte ich Sie fragen: was geschieht denn in unserem Leben anderes als das, was ich beschrieben habe? Ich will schweigen von den genauen, meß- und definierbaren Eindrücken, aber alle anderen Begriffe, auf die wir unser Leben stützen, sind nichts als erstarren gelassene Gleichnisse.
==========
Gesetz, daß auf Zeiten großer Festigkeit stürmische Umlagerungen folgen,
==========
In den Nächten saß der dicke Kopf, den unbefriedigte Wollust erzeugt, auf ihren Schultern wie eine Kokosnuß, deren affenhaarige Schale durch einen Irrtum der Natur nach innen gewachsen ist, und schließlich wurde sie so voll ohnmächtigen Zorns wie ein Trinker, dem man die Flasche entzogen hat.
==========
Gedanken haben ja ursprünglich keine Logik, wie sehr man sie ihnen auch zuschreiben mag; erst der phantasielose Widerstand der Wirklichkeit bringt die Achtsamkeit auf die Widersprüche in das Gedicht Mensch.
==========
es hatte mit Liebe nicht mehr zu tun wie das Aufblinken eines Fisches.
==========
Man weiß nicht recht, wie diese Veränderung entsteht, die aus eigenwilligen Menschen in gewissen Augenblicken eine einwillige Masse macht, die der größten Überschwenglichkeit im Guten wie im Bösen fähig und der Überlegung unfähig ist, auch wenn die Menschen, aus denen sie besteht, zumeist ihr Leben lang nichts so gepflegt haben wie Maß und Besonnenheit. Wahrscheinlich springt die auf Entspannung drängende Erregung einer Menge, die keinen Ausweg für ihre Gefühle hat, auf jede Bahn über, die sich unversehens öffnet, und voraussichtlich werden es unter allen die Erregbarsten, Empfindlichsten und Widerstandsunfähigsten sein, das heißt aber auch die Extremen, zu plötzlicher Gewalttat oder rührseligem Edelmut Fähigen, die das Beispiel geben und den Weg öffnen; sie bedeuten in der Masse die Punkte des geringsten Widerstandes, aber der Schrei, der mehr durch sie hinausstößt, als daß er von ihnen ausgestoßen würde, der Stein, der ihnen in die Hand kommt, das Gefühl, in das sie ausbrechen, legen den Weg frei, auf dem die anderen, die ihre Erregung aneinander bis zur Unerträglichkeit gesteigert haben, besinnungslos nachdrängen, und sie geben den Handlungen ihrer Umgebung die Form der Massenhandlung, die von allen halb als Zwang und halb als Befreiung empfunden wird.
==========
Durch diese zur Virtuosität ausgebildete ›Indirektheit‹ wird heute das gute Gewissen jedes Einzelnen wie der ganzen Gesellschaft gesichert; der Knopf, auf den man drückt, ist immer weiß und schön, und was am anderen Ende der Leitung geschieht, geht andere Leute an, die für ihre Person wieder nicht drücken. Finden Sie es abscheulich? So lassen wir Tausende sterben oder vegetieren, bewegen Berge von Leid, richten damit aber auch etwas aus! Ich möchte beinahe behaupten, daß sich darin, in der Form der sozialen Arbeitsteilung, nichts anderes ausdrückt als die alte Zweiteilung des menschlichen Gewissens in gebilligten Zweck und in Kauf genommene Mittel, wenn auch in einer grandiosen und gefährlichen Weise.«
==========
Versteh mich gut: Ich sage nicht, du bist ein armer Teufel, das ist einer, der das Böse will, weil er es nicht besser versteht; du bist ein großer Teufel, du weißt, was gut wäre, aber du tust gerade das Gegenteil von dem, was du möchtest! Du findest das Leben, wie wir alle es führen, abscheulich, und darum sagst du zum Trotz, man soll es weiterführen. Und du sagst furchtbar anständig: ›Ich betrüge meine Freunde nicht!‹, aber du sagst es bloß, weil du dir schon hundertmal gedacht hast: ›Ich möchte Clarisse haben!‹ Aber weil du ein Teufel bist, hast du auch etwas von Gott in dir, Ulo! Von einem großen Gott! Einem, der lügt, damit man ihn nicht erkennen soll! Du möchtest mich –«
==========
»Papa möchte mit den Orden begraben werden, weil er die individualistische Staatstheorie für falsch hält! Er empfiehlt uns die universalistische. Der Mensch empfange erst aus der schöpferischen Gemeinschaft des Staats einen überpersönlichen Zweck, seine Güte und Gerechtigkeit; allein sei er nichts, und darum bedeute der Monarch ein geistiges Symbol: und kurz und gut, der Mensch muß sich bei seinem Tod sozusagen in seine Orden einwickeln, wie man einen gestorbenen Seemann in die Flagge gewickelt ins Meer versenkt!«
==========
Eine solche alte Feindschaft war natürlich längst kein Gefühl mehr, sondern eine Denkgewohnheit; wenn nicht irgend etwas die Affekte der Feindseligkeit gerade neu aufreizte, so waren sie gar nicht mehr da, und es hatte sich der gesammelte Inhalt zahlloser vergangener unliebsamer Vorgänge in die Form eines geringschätzigen Urteils über einander geballt, das so unabhängig vom Kommen und Gehen der Gefühle war wie eine vorurteilslose Wahrheit.
==========
»Feige sterben oftmal vor ihrem Tod – Die Tapferen niemals kosten vom Tode außer einmal – Von all den Wundern, die ich noch habe gehört – es scheint für mich sehr seltsam, daß Menschen sollten fürchten – sehend, daß Tod, ein notwendiges Ende – wird kommen, wann er will kommen
==========
Als er sich aber nach wenigen Minuten dieses intellektuellen Behagens nüchtern vergegenwärtigt hatte, welche Folgen es haben würde, wenn er seinem Ehrgeiz nachgäbe und jetzt noch als Nachzügler den akademischen Weg einschlüge, begegnete es ihm zum erstenmal, daß er sich für ein Unternehmen zu alt fühlte, und seit seiner Knabenzeit hatte er diesen halb unpersönlichen Begriff der Jahre nicht als etwas empfunden, das einen selbständigen Gehalt habe, und ebensowenig bisher den Gedanken gekannt: du vermagst etwas nicht mehr zu tun!
==========
Sie wollte wissen, was »Schicksal« ist. »Ein Mittelding zwischen ›Meine Zahnschmerzen‹ und ›König Lears Töchter‹!« erwiderte Ulrich. »Ich gehöre nicht zu den Menschen, die mit diesem Wort gern umgehn.«
==========
Sie wollte wissen, was »Schicksal« ist. »Ein Mittelding zwischen ›Meine Zahnschmerzen‹ und ›König Lears Töchter‹!« erwiderte Ulrich. »Ich gehöre nicht zu den Menschen, die mit diesem Wort gern umgehn.« Aber für junge Menschen gehört es zum Gesang des Lebens; sie möchten ein Schicksal haben und wissen nicht, was es ist.
==========
Agathe war siebenundzwanzig. Jung genug, noch einige von den hohlen Empfindungsformen bewahrt zu haben, die man zuerst ausbildet; alt genug, schon den anderen Inhalt zu ahnen, den die Wirklichkeit einfüllt. Sie erwiderte: »Altwerden ist wohl selbst schon ein Schicksal!« und war sehr unzufrieden mit dieser Antwort, in der sich ihre jugendliche Schwermut auf eine Weise ausdrückte, die ihr nichtssagend vorkam.
==========
»Überhaupt« – fuhr er fort – »widerfährt es mir, je älter ich werde, desto öfter, daß ich etwas gehaßt habe, das später und auf Umwegen trotzdem in der gleichen Richtung wie mein eigener Weg verläuft, so daß ich ihm die Daseinsberechtigung mit einem Mal nicht mehr absprechen kann; oder es geschieht, daß sich die Schäden an Ideen oder Geschehnissen zeigen, für die ich mich ereifert habe. Über größere Strecken scheint es also ganz gleichgültig zu sein, ob man sich erregt und in welchem Sinn man seine Erregung eingesetzt hat. Es kommt alles ans gleiche Ziel, und es dient alles einer Entwicklung, die undurchsichtig und unfehlbar ist.«
==========
»Heute macht das Schicksal eher den Eindruck der übergeordneten Bewegung einer Masse« meinte er; »man steckt darin und wird mitgewälzt.«
==========
Er erinnerte sich, schon einmal auf den Gedanken gekommen zu sein, es käme heute jede Wahrheit in ihre Halbheiten geteilt auf die Welt, und trotzdem könnte sich auf diese windige und bewegliche Weise eine größere Gesamtleistung ergeben, als wenn jeder ernst und einsam nach ganzer Pflicht strebe. Er hatte diesen ihm wie ein Haken im Selbstgefühl sitzenden Gedanken, der dennoch nicht ohne die Möglichkeit der Größe war, sogar schon einmal mit dem Schluß vorgetragen, den er nicht ernst meinte, daß man also tun könne, was man wolle! Denn nichts lag ihm so fern wie dieser Schluß, und gerade jetzt, wo ihn sein Schicksal abgesetzt zu haben schien und ihm nichts übrig ließ zu tun, in diesem für seinen Ehrgeiz gefährlichen Augenblick, wo er sonderbar angetrieben auch noch das Letzte abgeschlossen hatte, was ihn mit seinen älteren Zeiten verband, diese nachzüglerische Arbeit, gerade in diesem Augenblick also, wo er persönlich ganz blank war, fühlte er statt eines Ablassens von sich die neue Spannung, die seit seiner Abreise entstanden war.
==========
»Was man heute noch persönliches Schicksal nennt, wird verdrängt von kollektiven und schließlich statistisch erfaßbaren Vorgängen« wiederholte Ulrich.
==========
Sie hatte ihn, nachdem die erste Überraschung vorbei war, hie und da mit anderen betrogen: »Wenn man es so nennen will,« dachte sie »daß einem Geschöpf ohne Erfahrung, dessen Sinne schweigen, die Bemühungen eines Manns, der nicht der eigene ist, im ersten Augenblick wie Donnerschläge vorkommen, die an die Tür prallen!« Denn sie hatte wenig Begabung zur Untreue bewiesen: Liebhaber kamen ihr, sobald sie sie erst kennen gelernt hatte, nicht bezwingender vor als Gatten, und es dünkte sie bald, daß sie ebensogut die Tanzmasken eines Negerstamms ernstnehmen könnte wie die Liebeslarven, die der europäische Mann anlegt.
==========
Da Agathe belesen war, aber vermöge ihrer Natur nicht geneigt, sich auf Theorien einzulassen, hatte sie oft Gelegenheit, wenn sie ihre eigenen Erlebnisse mit den idealen der Bücher und des Theaters verglich, sich darüber zu wundern, daß weder ihre Verführer sie gefesselt hatten wie die Falle ein Wild, was dem donjuanischen Selbstbildnis entsprochen hätte, dessen Haltung sich damals ein Mann zu geben pflegte, wenn er gemeinsam mit einer Frau ausrutschte, noch daß sich ihr Zusammenleben mit ihrem Gatten strindbergisch zu einem Kampf der Geschlechter gestaltete, worin die gefangene Frau, wie es die Nebenmode war, ihren herrisch-unbehilflichen Gebieter mit den Mitteln der List und Schwäche zu Tode peinigte.
==========
Freilich war er wohl mehr einer jener Menschen, die immer gut handeln; in ihnen selbst ist keine Güte, dachte Agathe. Es scheint, daß die Güte in dem Maß, wie sie zu gutem Willen oder Taten wird, aus dem Menschen verschwindet! Wie hatte Ulrich gesagt? Ein Bach, der Fabriken treibt, verliert sein Gefälle. Auch, auch das hatte er gesagt, aber nicht war es das, was sie suchte. Jetzt hatte sie’s: »Es scheint, daß eigentlich nur Menschen, die nicht viel Gutes tun, imstande sind, sich ihre ganze Güte zu bewahren«! Aber in dem Augenblick, wo sie diesen Satz hatte, einleuchtend so, wie ihn Ulrich gesprochen haben mußte, kam er ihr durchaus unsinnig vor.
»Das glaubt jeder leicht von sich, daß er nichts Böses tun könne, weil er doch ein guter Mensch sei!«
==========
»Bereust du nie, was du tust?« fragte Agathe rasch. »Ich habe den Eindruck, daß du nie etwas bereust. Etwas Ähnliches hast du auch einmal selbst gesagt.« »Gott im Himmel,« gab nun Ulrich zur Antwort, der wieder ausschritt »in jedem Minus steckt ein Plus. Vielleicht habe ich so etwas gesagt, aber man braucht das doch nicht allzu wörtlich zu nehmen.« »In allem Minus ein Plus?« »In allem Schlechten etwas Gutes. Oder wenigstens in vielem Schlechtem. Gewöhnlich steckt in einer menschlichen Minusvariante eine nicht erkannte Plusvariante: das habe ich wahrscheinlich sagen wollen. Und wenn du etwas bereust, so kannst du doch gerade darin die Kraft finden, etwas so Gutes zu tun, wie du es sonst nie zustandebrächtest. Nie ist das, was man tut, entscheidend, sondern immer erst das, was man danach tut!«
==========
»Durch mein ganzes Leben« fuhr sie fort »hat man mir vorgeworfen, daß ich keinen Willen habe, nichts liebe, nichts verehre, mit einem Wort, daß ich kein zum Leben entschlossener Mensch sei. Papa hat es mir vorgehalten, Hagauer hat es an mir getadelt: Nun sag mir du, um Gotteswillen, sag mir endlich, in welchen Augenblicken erscheint uns etwas im Leben notwendig?!« »Wenn man sich im Bett umdreht!« erklärte Ulrich unwirsch. »Was heißt das?!« »Verzeih« bat er »das gewöhnliche Beispiel. Aber es ist wirklich so: Man ist unzufrieden mit seiner Lage; man denkt unaufhörlich daran, sie zu ändern, und faßt einen Vorsatz nach dem andern, ohne ihn auszuführen; endlich gibt man es auf: und mit einemmal hat man sich umgedreht! Eigentlich müßte man sagen, man ist umgedreht worden. Nach keinem anderen Muster handelt man sowohl in der Leidenschaft als auch in den lang geplanten Entschlüssen.« Er sah sie nicht an dabei, er antwortete sich selbst.
==========
Andererseits bekennt sich aber der Staat für seine überpersönliche Person selbst auf das nackteste zu dem Grundsatz, daß man rauben, morden und betrügen dürfe, so daraus Macht, Zivilisation und Glanz entstehe.
==========
Unser Zeitalter trieft ohnehin von Tatkraft. Es will nicht mehr Gedanken, sondern nur noch Taten sehn. Diese furchtbare Tatkraft rührt nur davon her, daß man nichts zu tun hat. Innerlich meine ich. Aber schließlich wiederholt jeder Mensch auch äußerlich sein Leben lang bloß ein und dieselbe Tat: er kommt in einen Beruf hinein und darin vorwärts. Ich glaube, hier sind wir wieder bei der Frage, die du mir vorhin unter freiem Himmel gestellt hast. Es ist so einfach, Tatkraft zu haben, und so schwierig, einen Tatsinn zu suchen! Das begreifen heute die wenigsten. Darum sehen die Tatmenschen wie Kegelspieler aus, die mit den Gebärden eines Napoleon imstande sind, neun hölzerne Dinger umzuwerfen. Es würde mich nicht einmal wundern, wenn sie am Ende gewalttätig übereinander herfielen, bloß wegen der ihnen über den Kopf wachsenden Unbegreiflichkeit, daß alle Taten nicht genügen!…«
==========
»Weißt du, es ist etwas kindisch, was wir da reden« sagte er nicht ohne Mißmut. »Die Welt ist voll tätiger Entscheidung, und wir sitzen da und reden in fauler Üppigkeit von der Süßigkeit des Gutseins und den theoretischen Töpfen, in die man sie füllen könnte!«
==========
Das ließ sich nun also wohl Liebe nennen; aber es gibt Verliebte, die in die Liebe wie in die Sonne blicken, sie werden bloß blind, und es gibt Verliebte, die das Leben zum ersten Mal staunend erblicken, wenn es von der Liebe beleuchtet wird:
==========
als sie mit plötzlich erwachter Lebendigkeit und in gemeinsamer Anstrengung mit dem Jugendgespielen in wenigen Monaten alle Hindernisse überwand, die einer Heirat aus ihrer beider Jugend erwuchsen, obwohl die Familien der Liebesleute gegen einander nichts einzuwenden hatten, war sie mit einemmal nicht mehr vereinsamt gewesen und gerade dadurch sie selbst.
==========
nur alte Menschen leben so, daß sie bei den Erfahrungen und Erfolgen einer vergangenen Zeit verharren und vom Gegenwärtigen nicht mehr berührt werden.
==========
Gerechtigkeit und Rücksicht sind bei jungen Leuten keine beliebten Tugenden.
==========
das tiefe europäische Bedürfnis, nichts zu übertreiben. Kein Europäer geißelt sich, beschmiert sich mit Asche, schneidet sich die Zunge ab, gibt sich wirklich hin oder zieht sich auch nur von allen Menschen zurück, vergeht vor Leidenschaft, rädert oder spießt heute noch; aber jeder hat zuweilen das Bedürfnis danach, so daß es schwer zu sagen ist, worin eigentlich das Vermeidenswerte liege, ob im Wünschen oder im Nichttun. Warum sollte also gerade ein Asket hungern; das bringt ihn nur auf störende Einbildungen?! Eine vernünftige Askese besteht in der Abneigung gegen das Essen bei ständig gut unterhaltener Ernährung! Eine solche Askese verspricht Dauer und erlaubt dem Geist jene Freiheit, die er nicht hat, wenn er in leidenschaftlicher Auflehnung vom Körper abhängig ist! Solche bitter-lustige Erklärungen, die sie von ihrem Bruder gelernt hatte, taten Agathe nun kräftig wohl, denn sie zerlegten das »Tragische«, woran starr zu glauben ihrer Unerfahrenheit lange wie eine Verpflichtung vorgekommen war, in Ironie und eine Leidenschaft, die weder einen Namen, noch ein Ziel hatte und schon darum keineswegs mit dem abgeschlossen war, was sie erlebt hatte.
==========
ich war tausend Kilometer von der Geliebten fort geflohen, und als ich mich sicher jeder Möglichkeit ihrer wirklichen Umarmung fühlte, heulte ich sie an wie der Hund den Mond!«
==========
»Gewöhnlich altern die Erinnerungen zugleich mit den Menschen,« erklärte er ihr »und die leidenschaftlichsten Vorgänge werden mit der Zeit perspektivisch-komisch, als ob man sie am Ende von neunundneunzig hintereinander geöffneten Türen sähe. Aber manchmal, wenn sie mit sehr starken Gefühlen verknüpft waren, altern einzelne Erinnerungen nicht und halten ganze Schichten des Wesens bei sich fest.
==========
Auch Gefühle sind jetzt nicht an der Zeit. Gedanken und Gefühle, das ist mehr für Leute, die nichts zu tun haben.
In dieser Zeit waren Scham und verhinderte Lust in dem Kranken, der sich in seinen Busch zurückgezogen hatte, zu einer Einheit der Enttäuschung zusammengeschmolzen, die seine hohle Figur wie eine bittere Masse ausgoß. Als er ins innerste Dunkel gelangt war, knickte er zusammen, ließ sich zur Erde fallen, und sein Kopf hing wie ein Blatt vom Hals hinab. Die Welt stand strafend vor ihm, und er sah seine Lage ungefähr so, wie sie den beiden vorübergehenden Männern erschienen wäre, wenn sie ihn entdeckt hätten. Aber nachdem dieser Mann eine Weile trockenen Auges über sich geweint hatte, ging wieder die ursprüngliche Veränderung mit ihm vor sich, diesmal sogar mit einem Mehr an Trotz und Rache vermischt.
==========
daß es im höchsten Zustand eines Menschen kein Gut und Böse gebe, sondern nur Glaube oder Zweifel; daß feste Regeln dem innersten Wesen der Moral widersprächen und der Glaube höchstens eine Stunde alt werden dürfe; daß man im Glauben nichts Niedriges tun könne; daß Ahnung ein leidenschaftlicherer Zustand sei als Wahrheit: Und Agathe war jetzt im Begriff, das Gebiet der moralischen Umfriedung zu verlassen und sich auf jene grenzenlose Tiefe hinauszuwagen, wo es keine andere Entscheidung gibt als die, ob man steigen wird oder fällt.
»Der Pazifismus in den Händen von Dilettanten schließt ohne Zweifel eine große Gefahr ein«
==========
er hatte da zwei Dinge zusammengebracht, die wirklich entfernt verwandt waren, so komisch es auch sein mochte, Liebe und Pazifismus dadurch verbunden zu sehn, daß beide in ihm den Eindruck einer dilettantischen Ausschweifung hervorriefen.
==========
Monarchien sind heute im Nachteil, weil sie mit Anständigkeit belastet sind!
==========
Leugnen wir nicht, daß in der Vergangenheit immer nur geredet worden ist: Wir haben für ewige und große Worte und Ideale gelebt; für eine Steigerung des Menschlichen; für unsere innerste Eigenart; für eine wachsende Gesamtfülle des Daseins. Wir haben eine Synthese angestrebt, wir haben für neue Schönheitsgenüsse und Glückswerte gelebt, und ich will nicht leugnen, daß das Suchen nach Wahrheit ein Kinderspiel ist gegen den ungeheuren Ernst, selbst eine Wahrheit zu werden: Aber es war eine Überspannung gegenüber dem gegenwärtigen geringen Wirklichkeitsgehalt der Seele, und wir haben in einer traumhaften Sehnsucht sozusagen für nichts gelebt!«
==========
»Es ist etwas Gesundes daran, wenn man heute darauf verzichtet, den verschütteten Eingang zur Seele zu suchen, und lieber danach trachtet, mit dem Leben fertig zu werden, wie es ist!« schloß sie.
==========
Es fuhr Ulrich durch den Kopf, daß jener kleine, unaufgeklärte Rest von Unbestimmtheit, der in jeglichem moralischen Erlebnis übrigbleibt, worüber er mit Agathe so viel gesprochen hatte, wohl eigentlich die Ursache dieser menschlichen Unsicherheit sein müsse;
==========
da vergangener Schmerz im Vergleich mit gegenwärtigem ein harmloser alter Freund ist,
==========
»Der einzige, der Sie selbstlos liebt, bin ich; weil ich durchaus nichts zu tun und keine Pflichten habe. Aber Gefühle ohne Ablenkung sind zerstörend: das haben Sie inzwischen selbst erfahren, und Sie haben mir immer ein berechtigtes, wenn auch nur instinktives Mißtrauen entgegengebracht.«
==========
»Sie begehen den Fehler aller Männer« tadelte sie. »Sie behandeln den Liebespartner nicht als gleichberechtigt, sondern bloß als Ergänzung für Sie selbst und sind dann enttäuscht. Haben Sie sich nie die Frage vorgelegt, ob nicht vielleicht der Weg zu einer beschwingten und harmonischen Erotik nur durch härtere Selbsterziehung führe?!«
»Es ist zweifellos eine ekelhafte Angewohnheit des wohlhabenden Bürgertums, daß es in Geisteskranken und Verbrechern etwas Dämonisches sieht.«
==========
»Wenn man etwas Großes will, wie doch zum Beispiel wir in der Kunst, dann ist es einem verboten, sich über anderes Sorge zu machen«;
==========
wir nennen das Demokratie, aber diese ist bloß der politische Ausdruck für den seelischen Zustand des ›Man kann so, aber auch anders‹. Wir sind das Zeitalter des Stimmzettels. Wir bestimmen ja schon jedes Jahr unser sexuelles Ideal, die Schönheitskönigin, mit dem Stimmzettel, und daß wir die positive Wissenschaft zu unserem geistigen Ideal gemacht haben, heißt nichts anderes als den Stimmzettel den sogenannten Tatsachen in die Hand zu drücken, damit sie an unser Statt wählen. Das Zeitalter ist unphilosophisch und feig; es hat nicht den Mut zu entscheiden, was wert und was unwert ist, und Demokratie, auf das knappeste ausgedrückt, bedeutet: Tun, was geschieht! Nebenbei bemerkt, ist das ja einer der ehrlosesten Zirkelschlüsse, die es in der Geschichte unserer Rasse bisher gegeben hat.«
==========
daß wegen der Über-Intellektualisierung des Mannes unter Umständen die Frau die instinktive Führung zur Tat übernehmen werde,
==========
Ich bin ein Gegner der Assimilation, wie sie der englische Adel praktiziert; das ist ein langwieriger und unsicherer Prozeß: Aber geben Sie den Juden ihr wahres Wesen zurück, und Sie sollen sehen, wie diese ein Edelstein, ja geradezu ein Adel besonderer Art unter den Völkern sein werden, die sich um den Thron Seiner Majestät dankbar scharen oder, wenn Sie sich das lieber alltäglich und ganz deutlich vorstellen wollen, auf unserer Ringstraße spazieren gehn, die dadurch so einzigartig in der Welt dasteht, daß man auf ihr inmitten der höchsten westeuropäischen Eleganz, wenn man mag, auch einen Mohammedaner mit seinem roten Kappl, einen Slowaken im Schafpelz oder einen Tiroler mit nackten Beinen sehen kann!« Hier konnte Ulrich nicht anders, als seiner Bewunderung für den Scharfblick Sr. Erlaucht Ausdruck zu geben, dem es nun auch vorbehalten gewesen sei, den »wahren Juden« zu entdecken.
==========
bedenken Sie auch, was es heißt, wenn wir später mit einem dankbaren jüdischen Staat verbündet wären, statt mit den Reichsdeutschen und Preußen! Wo unser Triest sozusagen das Hamburg des Mittelländischen Meeres ist, abgesehen davon, daß man diplomatisch unüberwindlich wird, wenn man außer dem Papst auch noch die Juden für sich hat!«
==========
›Hast du schon etwas von der Psychoanalyse gehört?‹ fragt er mich. Ich hab nicht recht gewußt, was ich antworten darf. ›Also‹ sagt er ›du wirst vielleicht erwidern, daß sie eine Schweinerei ist. Darüber wollen wir nicht streiten, das sagen alle Leute; trotzdem laufen sie zu diesen neumodischen Ärzten mehr als in unsern katholischen Beichtstuhl. Ich sag dir, sie laufen in hellen Scharen hin, weil das Fleisch schwach ist! Sie lassen ihre heimlichen Sünden besprechen, weil ihnen das ein großes Vergnügen ist, und wenn sie schimpfen, so sag ich dir, was man schimpft, das kauft man! Ich könnte dir aber auch beweisen, daß das, wovon sich ihre ungläubigen Ärzte einbilden, daß sie es erfunden haben, nichts ist, als was die Kirche schon in ihren Anfängen gemacht hat: den Teufel austreiben und die Besessenen heilen. Bis ins einzelne geht diese Übereinstimmung mit dem Ritual des Exorzismus, zum Beispiel, wenn sie mit ihren Mitteln versuchen, den Besessenen dahin zu bringen, daß er von dem zu erzählen anfangt, was in ihm steckt: das ist auch nach der Kirchenlehre genau der Wendepunkt, wo sich der Teufel zum erstenmal anschickt auszufahren! Wir haben uns bloß entgehen lassen, das rechtzeitig den veränderten Bedürfnissen anzupassen und statt von Unflaterei und Teufel von Psychose, Unbewußtem und dergleichen heutigem Zeug zu reden.‹ Finden Sie das nicht sehr interessant?« fragte Graf Leinsdorf. »Es kommt aber vielleicht noch interessanter, denn: ›Wir wollen jedoch nicht davon reden, daß das Fleisch schwach ist,‹ hat er gesagt ›sondern davon sprechen, daß auch der Geist schwach ist! Und da ist die Kirche wohl klug gewesen und hat sich nichts passieren lassen! Der Mensch fürchtet nämlich den Teufel, der ihm ins Fleisch fährt, auch wenn er so tut, als bekämpfe er ihn, lange nicht so sehr wie die Erleuchtung, die ihm vom Geist kommt. Du hast Theologie nicht studiert, aber du hast wenigstens Achtung vor ihr, und das ist mehr als ein weltlicher Philosoph in seiner Verblendung je erreicht: ich kann dir sagen, die Theologie ist so schwer, daß einer, wenn er sich fünfzehn Jahre nur mit ihr allein beschäftigt hat, erst weiß, daß er nicht ein einziges Wort von ihr wirklich versteht! Und da möchte natürlich kein Mensch glauben, wenn er wüßte, wie schwer es im Grunde ist, alle würden sie bloß auf uns schimpfen! Geradeso würden sie schimpfen, – verstehst du jetzt?‹ hat er listig gesagt – ›wie sie jetzt auf die anderen schimpfen, auf die, was ihre Bücher schreiben und Bilder malen und Behauptungen aufstellen. Und wir lassen heute deren Anmaßung mit freudigem Herzen Raum, denn du kannst mir schon glauben: je ernster es einer von denen meint, je weniger er bloß für die Unterhaltung sorgt, und für seine Einkünfte, je mehr er also in seiner irrigen Weise Gott dient, desto fader ist er den Leuten, und desto mehr schimpfen sie auf ihn. ›Das ist das Leben nicht!‹ sagen sie. Wir aber wissen ja, was das wahre Leben ist, und werden es ihnen auch zeigen, und weil wir auch warten können, wirst du vielleicht selbst noch erleben, daß sie voller Wut über die vergebliche Gescheitheit zu uns zurückgelaufen kommen. An unseren eigenen Familien kannst du es heute schon beobachten: und zur Zeit unsrer Väter haben sie, weiß Gott, geglaubt, daß sie aus dem Himmel eine Universität machen werden!‹
==========
wir zivilen Politiker können nicht warten, wir müssen nun einmal aus dem Leben, wie es ist, das Gute herauspressen. Der Mensch lebt ja nicht vom Brot allein, sondern auch von der Seele: die Seele gehört sozusagen dazu, daß er das Brot recht verdauen kann; und darum muß man einmal –«: Graf Leinsdorf war der Meinung, daß die Politik die Seele antreiben müsse. »Das heißt, es muß etwas geschehen,« sagte er »das verlangt unsere Zeit. Dieses Gefühl haben heute sozusagen alle Menschen, nicht nur die politischen. Die Zeit hat so was Interimistisches, was auf die Dauer niemand aushält.« Er hatte die Idee gefaßt, daß man dem zitternden Gleichgewicht der Ideen, auf dem das nicht minder zitternde Gleichgewicht der europäischen Mächte ruhte, einen Stoß geben müsse. »Es ist beinah Nebensache, was für einen!« versicherte er Ulrich, der mit gespieltem Schreck erklärte, Se. Erlaucht sei in der Zeit ihrer Trennung beinahe ein Revolutionär geworden.
==========
»Ich habe Ihnen schon vorhin angedeutet, daß wir lernen müssen, volkswirtschaftlich zu denken; die einseitige Nationalitätenpolitik hat das Reich in die Wüste geführt: dem Kaiser nun ist dieses ganze tschechisch-polnisch-deutsch-italienische Freiheitsgewurstel – ich weiß nicht, wie ich Ihnen das sagen soll, sagen wir halt: von tiefstem Herzen Wurst. Was Seine Majestät im tiefsten Herzen empfindet, ist nur der Wunsch, daß die Wehrvorlagen ohne Abstriche bewilligt werden, auf daß das Reich stark sei, und dann noch eine lebhafte Abneigung gegen alle Anmaßungen der bürgerlichen Ideenwelt, die er sich wahrscheinlich aus dem Jahre achtundvierzig bewahrt hat. Aber mit diesen beiden Empfindungen ist Seine Majestät ja nichts anderes als sozusagen der Erste Sozialist im Staate: Ich denke, Sie erkennen jetzt die großartige Perspektive, von der ich spreche! Bleibt bloß die Religiosität, in der noch ein unüberbrückbarer Gegensatz besteht, und darüber müßte ich noch einmal mit Seiner Eminenz sprechen.«
==========
»Schaun Sie, das Volk verlangt heute eine starke Hand; eine starke Hand braucht aber schöne Worte, sonst läßt sich das Volk sie heute nicht gefallen.
In diesem Augenblick hatte Agathe daran gedacht, daß auch Ulrich sein Leben vorbeigehn lasse, als währte es ewig. »Vielleicht ist es ein Fehler, daß wir uns nicht erst als Greise kennen gelernt haben«
==========
In diesem Augenblick hatte Agathe daran gedacht, daß auch Ulrich sein Leben vorbeigehn lasse, als währte es ewig. »Vielleicht ist es ein Fehler, daß wir uns nicht erst als Greise kennen gelernt haben« sagte sie zu sich selbst und hatte die schwermütige Vorstellung zweier Nebelbänke, die am Abend zur Erde sinken.
==========
merken muß, ohne sie zu verstehen. Aber offenbar gehören alle Mittel, die, wie der Besitz von Gift und »Waffen oder das Aufsuchen bestehbarer Gefahren, das Ende etwas in die Nähe rücken, zur Romantik der Lebenslust; und es mag sein, daß das Leben der meisten Menschen so bedrückt, so schwankend, mit soviel Dunkel in der Helle und im ganzen so verkehrt verläuft, daß erst durch eine entfernte Möglichkeit, es zu beenden, die ihm innewohnende Freude befreit wird.
==========
so, wie es jeder junge Mensch tut, wenn ihm beispielsweise abends vor dem Einschlafen nach einem gesund verbrachten Tag im Bett einfällt: es ist unvermeidlich, daß ich einmal an einem ebenso schönen Tag wie heute tot sein werde. Auch macht es durchaus nicht Lust zu sterben, wenn man einem andern dabei zusehen muß, und das Ableben ihres Vaters hatte sie mit Eindrücken gequält, deren Grauen von neuem hervorkam, seit sie nach der Abreise ihres Bruders allein in dem Haus zurückgeblieben war. Aber: »Ich bin ein wenig tot« – dieses Gefühl hatte Agathe oft, und gerade in Augenblicken wie diesem, wo sie sich soeben erst der Wohlbildung und Gesundheit ihres jungen Leibs bewußt gewesen war, dieser gespannten Schönheit, die in ihrem geheimnisvollen Zusammenhalt so grundlos ist wie der Zerfall der Elemente im Tode, geriet sie leicht aus dem Zustand ihrer glücklichen Sicherheit in einen des Bangens, Staunens und Verstummens, wie man ihn empfindet, wenn man aus einem lebhaft erfüllten Raum plötzlich unter den Schimmer der Sterne tritt. Ungeachtet der Vorsätze, die sich in ihr regten, und trotz der Genugtuung darüber, daß es ihr gelungen sei, sich aus einem verfehlten Leben zu retten, fühlte sie sich jetzt ein wenig von sich abgelöst und bloß in undeutlichen Grenzen mit sich verbunden. Kühl dachte sie an den Tod als einen Zustand, wo man aller Mühen und Einbildungen enthoben ist, und stellte sich ihn als ein inniges Eingeschläfertwerden vor: man liegt in Gottes Hand, und diese Hand ist wie eine Wiege oder wie eine Hängematte, die an zwei große Bäume gebunden ist, die der Wind ein klein wenig schaukelt. Sie stellte sich den Tod als eine große Beruhigung und Müdigkeit vor, befreit von allem Wollen und aller Anstrengung, von jeder Aufmerksamkeit und Überlegung, ähnlich der angenehmen Kraftlosigkeit, die man an den Fingern empfindet, wenn sie der Schlaf von irgendeinem letzten Ding der Welt, das sie noch festhalten, vorsichtig loslöst. Ohne Zweifel hatte sie sich aber damit eine recht bequeme und nachlässige Vorstellung vom Sterben gemacht, wie es eben bloß dem Bedürfnis von jemand entsprach, der den Anstrengungen des Lebens nicht günstig gesinnt ist, und am Ende erheiterte sie sich selbst an der Beobachtung, wie sehr das an die Ottomane erinnere, die sie in den strengen väterlichen Salon hatte stellen lassen, um lesend darauf zu liegen, als einzige von ihr aus eigener Kraft im Haus vorgenommene Veränderung. Trotzdem war der Gedanke,
==========
so, wie es jeder junge Mensch tut, wenn ihm beispielsweise abends vor dem Einschlafen nach einem gesund verbrachten Tag im Bett einfällt: es ist unvermeidlich, daß ich einmal an einem ebenso schönen Tag wie heute tot sein werde. Auch macht es durchaus nicht Lust zu sterben, wenn man einem andern dabei zusehen muß, und das Ableben ihres Vaters hatte sie mit Eindrücken gequält, deren Grauen von neuem hervorkam, seit sie nach der Abreise ihres Bruders allein in dem Haus zurückgeblieben war. Aber: »Ich bin ein wenig tot« – dieses Gefühl hatte Agathe oft, und gerade in Augenblicken wie diesem, wo sie sich soeben erst der Wohlbildung und Gesundheit ihres jungen Leibs bewußt gewesen war, dieser gespannten Schönheit, die in ihrem geheimnisvollen Zusammenhalt so grundlos ist wie der Zerfall der Elemente im Tode, geriet sie leicht aus dem Zustand ihrer glücklichen Sicherheit in einen des Bangens, Staunens und Verstummens, wie man ihn empfindet, wenn man aus einem lebhaft erfüllten Raum plötzlich unter den Schimmer der Sterne tritt. Ungeachtet der Vorsätze, die sich in ihr regten, und trotz der Genugtuung darüber, daß es ihr gelungen sei, sich aus einem verfehlten Leben zu retten, fühlte sie sich jetzt ein wenig von sich abgelöst und bloß in undeutlichen Grenzen mit sich verbunden. Kühl dachte sie an den Tod als einen Zustand, wo man aller Mühen und Einbildungen enthoben ist, und stellte sich ihn als ein inniges Eingeschläfertwerden vor: man liegt in Gottes Hand, und diese Hand ist wie eine Wiege oder wie eine Hängematte, die an zwei große Bäume gebunden ist, die der Wind ein klein wenig schaukelt. Sie stellte sich den Tod als eine große Beruhigung und Müdigkeit vor, befreit von allem Wollen und aller Anstrengung, von jeder Aufmerksamkeit und Überlegung, ähnlich der angenehmen Kraftlosigkeit, die man an den Fingern empfindet, wenn sie der Schlaf von irgendeinem letzten Ding der Welt, das sie noch festhalten, vorsichtig loslöst. Ohne Zweifel hatte sie sich aber damit eine recht bequeme und nachlässige Vorstellung vom Sterben gemacht, wie es eben bloß dem Bedürfnis von jemand entsprach, der den Anstrengungen des Lebens nicht günstig gesinnt ist, und am Ende erheiterte sie sich selbst an der Beobachtung, wie sehr das an die Ottomane erinnere, die sie in den strengen väterlichen Salon hatte stellen lassen, um lesend darauf zu liegen, als einzige von ihr aus eigener Kraft im Haus vorgenommene Veränderung. Trotzdem war der Gedanke, das Leben aufzugeben, bei Agathe alles andere als bloß ein Spiel. Es erschien ihr tief glaubwürdig, daß auf eine so enttäuschende Bewegtheit ein Zustand folgen müsse, dessen beseligende Ruhe in ihrer Vorstellung unwillkürlich eine Art von körperlichem Gehalt annahm.
==========
Musik nicht hören, aber alle Clowns sahen sie an. Sie sagte sich, daß in diesem Augenblick ihr Tod für niemand und nichts ein Verlust wäre, und für sie selbst mochte er auch nur den äußeren Abschluß eines inneren Absterbens bedeuten.
==========
die Bevorzugung des Fühlens vor dem Gefühl, wie sie das Kennzeichen aller gefühlvollen Menschen ist, kommt ebenso wie der Wunsch, fühlen zu machen und fühlen gemacht zu werden, der das Gemeinsame aller dem Gefühl dienenden Einrichtungen ist, auf eine Herabsetzung von Rang und Wesen der Gefühle gegenüber ihrem Augenblick als einem persönlichen Zustand hinaus und weiterhin auf jene Seichtheit, Entwicklungshemmung und völlige Belanglosigkeit, für die es nicht am allgemeinen Beispiel mangelt.
==========
Seraphische Liebe hatte er die einmal genannt. Man könnte auch sagen: Liebe ohne Gegenspieler, dachte er. Oder ebensogut: Liebe ohne Geschlechtlichkeit. Man liebe heute überhaupt nur geschlechtlich: unter Gleichen möge man sich nicht ausstehn, und in der geschlechterweisen Verkreuzung liebe man sich mit einer wachsenden Auflehnung gegen die Überschätzung dieses Zwangs. Von beidem sei die seraphische Liebe aber befreit. Sie sei die von den Gegenströmungen der sozialen und sexuellen Abneigungen befreite Liebe. Man könnte sie, die allenthalben in Kompanie mit der Grausamkeit des heutigen Lebens zu spüren sei, wahrhaftig die Schwesterliebe einer Zeit nennen, die für Bruderliebe keinen Platz habe, – sagte er sich, ärgerlich zusammenzuckend.
==========
obwohl er zum Schluß nun so dachte, träumte er daneben und abwechselnd damit von einer Frau, die sich in keiner Weise erreichen läßt. Sie schwebte ihm vor wie die späten Herbsttage im Gebirge, wo die Luft etwas zum Sterben Ausgeblutetes in sich hat, die Farben aber in höchster Leidenschaft brennen. Er sah die blauen Fernblicke vor Augen, ohne Ende in ihrer geheimnisvoll reichen Abstufung. Er vergaß ganz die Frau, die wirklich vor ihm ging, war fern jedem Begehren und vielleicht nah der Liebe.
==========
Diotima geht von einer Entdeckung aus, die sie ›die ständige Lustbereitschaft der Frau‹ nennt. Du kannst dir darunter etwas vorstellen?« »Bei Diotima nicht!« »Sei nicht so unfein!« tadelte ihn seine Freundin. »Diese Theorie ist sehr delikat, und ich muß mich bemühen, sie dir so zu erklären, daß du keine falschen Schlüsse aus dem Umstand ziehst, daß ich dabei mit dir allein in deiner Wohnung bin. Also diese Theorie beruht darauf, daß eine Frau auch dann geliebt werden kann, wenn sie nicht will. Verstehst du jetzt?« »Ja.« »Das läßt sich leider auch nicht leugnen. Hingegen soll der Mann sehr oft, auch wenn er lieben will, nicht können. Diotima sagt, daß das wissenschaftlich bewiesen sei. Glaubst du das?« »Es soll vorkommen.« »Ich weiß nicht?« zweifelte Bonadea. »Aber Diotima sagt, wenn man das im Licht der Wissenschaft betrachtet, so versteht es sich von selbst. Denn im Gegensatz zur beständigen Lustbereitschaft der Frau ist der Mann, also kurz gesagt, des Mannes männlichster Teil, sehr leicht einzuschüchtern.«
==========
Diotima sagt, daß das Leitmotiv aller männlichen Liebeshandlungen, und besonders das der männlichen Überheblichkeit, die Angst ist. Große Männer zeigen sie; damit meint sie den Arnheim. Kleinere verschleiern sie hinter brutaler körperlicher Anmaßung und mißbrauchen das Seelenleben der Frau: damit meine ich dich!
==========
du mußt bedenken, daß sich ein Mann, wenn er wirklich leidenschaftlich ist, gegen eine Frau wie ein Henker gegen sein Opfer beträgt. Das gehört zum Geltungsstreben, wie man das jetzt nennt. Und anderseits wirst du nicht leugnen, daß der Sexualtrieb auch für die Frau wichtig ist?!«
==========
die sexuelle Beziehung verlangt zu ihrem beglückenden Verlauf ein Gleich und Gleich. Man muß den Liebespartner, wenn man eine glückhafte Umarmung aus ihm herausholen will, als gleichberechtigt gelten lassen, und nicht nur als eine willenlose Ergänzung für sich selbst« fuhr sie fort, in die Ausdrucksweise ihrer Meisterin geraten, wie sich ein Mensch auf einer glatten Fläche von seiner eigenen Bewegung unwillkürlich und geängstigt fortgeführt sieht. »Denn wenn schon keine andere menschliche Beziehung ein ständiges Drücken und Gedrücktwerden verträgt um wieviel weniger verträgt das erst die sexuelle –!«
==========
Wahrscheinlich hat jeder die Sexualität, die er verdient,
Etwas schönfinden, heißt ja wahrscheinlich vor allem, es finden: mag es eine Landschaft oder eine Geliebte sein, da liegt es, blickt dem geschmeichelten Finder entgegen und scheint einzig und allein nur auf ihn gewartet zu haben;
»Du mußt wissen,« begann er seiner Schwester zu erzählen »daß ich eine Art von Eigenliebe nicht kenne, ein gewisses zärtliches Verhältnis zu mir selbst, das scheinbar den meisten anderen Menschen natürlich ist. Ich weiß nicht, wie ich das am besten beschreibe. Ich könnte zum Beispiel sagen, daß ich immer Geliebte gehabt habe, zu denen ich in einem Mißverhältnis stand. Sie sind Illustrationen zu plötzlichen Einfällen gewesen, Karikaturen meiner Laune: also eigentlich nur Beispiele meines Unvermögens, in natürliche Beziehungen zu anderen Menschen zu treten. Schon das hängt damit zusammen, wie man sich zu sich selbst verhält. Im Grunde genommen, habe ich mir immer Geliebte ausgesucht, die ich nicht mochte –«
==========
»Wenn ich ein Mann wäre, ich würde mir gar kein Gewissen daraus machen, mit den Frauen aufs unzuverlässigste umzugehn. Ich würde sie auch nur aus Zerstreutheit und Staunen begehren!« »Ja? Würdest du? Das ist nett von dir!« »Sie sind lächerliche Schmarotzer. Gemeinsam mit dem Hund teilen sie das Leben des Mannes!«
==========
die ursprünglichste und einfachste Idee, wenigstens in jüngeren Jahren, ist schon die, daß man ein verfluchter und neuer Kerl sei, auf den die Welt gewartet habe. Aber über das dreißigste Jahr hält das nicht vor!« Er überlegte einen Augenblick und sagte dann: »Nein! Es ist so schwer von sich selbst zu reden: eigentlich müßte ich ja gerade sagen, daß ich nie unter einer dauernden Idee gestanden habe. Es fand sich keine. Eine Idee müßte man lieben wie eine Frau. Selig sein, wenn man zu ihr zurückkehrt. Und man hat sie immer in sich! Und sucht sie in allem außer sich! Solche Ideen habe ich nie gefunden. Ich bin immer in einem Mann-Mannesverhältnis zu den sogenannten großen Ideen gestanden; vielleicht auch zu den mit Recht so genannten: Ich glaubte mich nicht zur Unterordnung geboren, sie haben mich gereizt, sie zu stürzen und andere an ihre Stelle zu setzen. Ja, vielleicht bin ich gerade von dieser Eifersucht zur Wissenschaft geführt worden, deren Gesetze man in Gemeinschaft sucht und auch nicht für unverbrüchlich ansieht!«
==========
»jedenfalls habe ich es auf diese Weise, daß ich keine oder jede Idee mit mir verbinde, verlernt, das Leben wichtig zu nehmen.
==========
die meisten Menschen sind heute ähnlich. Zwar täuschen sich viele eine dringliche Lebensfreude vor, nach der Art, wie man die Volksschulkinder lehrt, munter durch die Blümelein zu springen, aber es ist immer eine gewisse Absichtlichkeit dabei, und sie fühlen das. In Wahrheit können sie einander ebenso kaltblütig morden, wie herzlich miteinander auskommen. Unsere Zeit nimmt die Geschehnisse und Abenteuer, von denen sie voll ist, ja sicher nicht ernst.
==========
Faden des Gesprächs zurück. »Wahrscheinlich verändert sich in den Jahren der Geschlechtsreifung unsere Eigenliebe« sagte er ohne Übergang. »Denn da wird eine Wiese von Zärtlichkeit, in der man bis dahin gespielt hat, abgemäht, um Futter für einen bestimmten Trieb zu gewinnen.« »Damit die Kuh Milch gibt!« ergänzte Agathe nach einer kleinsten Zeit ungezogen und würdevoll, aber ohne die Augen zu öffnen. »Ja, das hängt wohl alles zusammen« meinte Ulrich und fuhr fort: »Es gibt also einen Augenblick, wo unser Leben fast alle seine Zärtlichkeit verliert, und diese zieht sich auf jene einzige Ausübung zusammen, die dann damit überladen bleibt: Kommt dir das nicht auch so vor, als ob überall auf der Erde eine entsetzliche Dürre herrschte, während es an einem einzigen Ort unaufhörlich regnete?!«
==========
»Wenn ich mich an meine früheste Zeit erinnere, so möchte ich sagen, daß damals Innen und Außen kaum noch getrennt waren. Wenn ich auf etwas zu kroch, kam es auf Flügeln zu mir her; und wenn sich etwas ereignete, das uns wichtig war, so wurden davon nicht etwa bloß wir erregt, sondern die Dinge selbst begannen zu kochen. Ich will nicht behaupten, daß wir dabei glücklicher gewesen sind als später. Wir besaßen uns ja noch nicht selbst; eigentlich waren wir überhaupt noch nicht, unsere persönlichen Zustände waren noch nicht deutlich von denen der Welt abgeschieden. Es klingt sonderbar, und ist doch wahr, wenn ich sage, unsere Gefühle, unsere Willnisse, ja wir selbst waren noch nicht ganz in uns darin. Noch sonderbarer ist, daß ich ebenso gut sagen könnte: waren noch nicht ganz von uns entfernt. Denn wenn du dich heute, wo du ganz im Besitz deiner selbst zu sein glaubst, ausnahmsweise einmal fragen solltest, wer du eigentlich seist, wirst du diese Entdeckung machen. Du wirst dich immer von außen sehn wie ein Ding. Du wirst gewahren, daß du bei einer Gelegenheit zornig wirst und bei einer anderen traurig, so wie dein Mantel das eine Mal naß und das andre Mal heiß ist. Mit aller Beobachtung wird es dir höchstens gelingen, hinter dich zu kommen, aber niemals in dich. Du bleibst außer dir, was immer du unternimmst, und es sind davon gerade nur jene wenigen Augenblicke ausgenommen, wo man von dir sagen würde, du seist außer dir. Zur Entschädigung haben wir es allerdings als Erwachsene dahin gebracht, bei jeder Gelegenheit denken zu können ›Ich bin‹, falls uns das Spaß macht. Du siehst einen Wagen, und irgendwie siehst du schattenhaft dabei auch: ›ich sehe einen Wagen‹. Du liebst oder bist traurig und siehst, daß du es bist. In vollem Sinn ist aber weder der Wagen, noch ist deine Trauer oder deine Liebe, noch bist du selbst ganz da. Nichts ist mehr ganz so da, wie es in der Kindheit einmal gewesen ist. Sondern es ist alles, was du berührst, bis an dein Innerstes verhältnismäßig erstarrt, sobald du es erreicht hast eine ›Persönlichkeit‹ zu sein, und übriggeblieben ist, umhüllt von einem durch und durch äußerlichen Sein, ein gespenstiger Nebelfaden der Selbstgewißheit und trüber Selbstliebe. Was ist da nicht in Ordnung? Man hat das Gefühl, irgend etwas wäre noch rückgängig zu machen! Man kann doch nicht behaupten, daß ein Kind ganz anders erlebe als ein Mann! Ich weiß keine entscheidende Antwort darauf, wenn es auch diesen und jenen Gedanken darüber geben mag. Aber seit langem habe ich es in der Weise beantwortet, daß ich die Liebe zu dieser Art Ichsein und dieser Art Welt verloren habe.«
==========
»Kein Mensch weiß doch, welche von den vielen umherlaufenden Hälften die ihm fehlende ist. Er ergreift eine, die ihm so vorkommt, und macht die vergeblichsten Anstrengungen, mit ihr eins zu werden, bis sich endgültig zeigt, daß es nichts damit ist. Entsteht ein Kind daraus, so glauben beide Hälften durch einige Jugendjahre, sie hätten sich wenigstens im Kind vereint; aber das ist bloß eine dritte Hälfte, die bald das Bestreben merken läßt, sich von den beiden anderen möglichst weit zu entfernen und eine vierte zu suchen. So ›hälftet‹ sich die Menschheit physiologisch weiter, und die wesenhafte Einung steht wie der Mond vor dem Schlafzimmerfenster.«
==========
»So wie an den Mythos vom Menschen, der geteilt worden ist, könnten wir auch an Pygmalion, an den Hermaphroditen oder an Isis und Osiris denken: es bleibt doch immer in verschiedener Weise das gleiche. Dieses Verlangen nach einem Doppelgänger im anderen Geschlecht ist uralt. Es will Liebe eines Wesens, das uns völlig gleichen, aber doch ein anderes als wir sein soll, eine Zaubergestalt, die wir sind, die aber doch eben auch eine Zaubergestalt bleibt und vor allem, was wir uns bloß ausdenken, den Atem der Selbständigkeit und Unabhängigkeit voraushat. Unzählige Male ist dieser Traum vom Fluidum der Liebe, das sich, unabhängig von den Beschränkungen der Körperwelt, in zwei gleichverschiedenen Gestalten begegnet, schon in einsamer Alchimie den Retorten der menschlichen Köpfe entstiegen –«
==========
wie jeder junge Mensch habe ich mich anfangs in Arbeit, in Abenteuer und Vergnügen gestürzt; es schien mir gleich zu sein, was man unternehme, sofern es nur mit vollem Einsatz geschehe. Erinnerst du dich, daß wir einmal über die ›Moral der Leistung‹ gesprochen haben? Sie ist das uns eingeborene Bild, nach dem wir uns richten. Aber je älter man wird, desto deutlicher erfährt man, daß dieses scheinbare Übermaß, diese Unabhängigkeit und Beweglichkeit in allem, diese Souveränität der treibenden Teile und der Teilantriebe – sowohl die deiner eigenen gegen dich wie die deine gegen die Welt – kurz, daß alles was wir als ›Gegenwartsmenschen‹ für eine Kraft und uns auszeichnende Arteigentümlichkeit gehalten haben, im Grunde nichts ist als eine Schwäche des Ganzen gegenüber seinen Teilen. Mit Leidenschaft und Wille ist dagegen nichts auszurichten. Kaum willst du ganz und mitten in etwas sein, siehst du dich schon wieder an den Rand gespült: das ist heute das Erlebnis in allen Erlebnissen!«
==========
»Nach deiner Erfahrung kann man also nie wirklich aus Überzeugung handeln und wird es nie können. Ich meine« verbesserte sie sich »mit Überzeugung nicht irgendeine Wissenschaft, auch nicht die moralische Dressur, die man uns beigebracht hat, sondern, daß man sich ganz bei sich sein fühlt und daß man sich auch bei allem andern sein fühlt, daß irgend etwas gesättigt ist, was jetzt leer bleibt, ich meine etwas, wovon man ausgeht und wohin man zurückkehrt. Ach ich weiß ja selbst nicht, was ich meine,« unterbrach sie sich heftig »ich hatte gehofft, daß du es mir erklären wirst!«
Sieh doch, man versteht im Leben so viel, ohne damit einverstanden zu sein; und mit jemand von vornherein einverstanden zu sein, ehe man ihn erst versteht, ist darum eine so märchenhaft schöne Sinnlosigkeit, wie wenn Wasser im Frühling von allen Seiten zu Tal rinnt!«
==========
»Sobald es mir gelingt, gegen Agathe gar keine Selbst- und Ichsucht mehr zu haben und kein einziges häßlich-gleichgültiges Gefühl, dann zieht sie die Eigenschaften aus mir hinaus wie der Magnetberg die Schiffsnägel! Ich werde moralisch in einen Uratomzustand aufgelöst, wo ich weder ich, noch sie bin! Vielleicht ist so die Seligkeit?!«
==========
»Auch« sagte Ulrich und sah ihr zu. »Die Liebe ist ursprünglich ein einfacher Annäherungstrieb und Greifinstinkt. Man hat sie in die zwei Pole Herr und Dame zerlegt, mit irrsinnigen Spannungen, Hemmungen, Zuckungen und Ausartungen, die dazwischen entstanden sind. Wir haben von dieser aufgeschwollenen Ideologie heute genug, die fast schon so lächerlich ist wie eine Gastrosophie. Ich bin überzeugt, die meisten würden es gern sehn, wenn diese Verbindung eines Hautreizes mit dem gesamten Menschentum wieder rückgängig gemacht werden könnte, Agathe! Und bald oder später kommt ein Zeitalter schlichter sexueller Kameradschaft herauf, wo Knabe und Mädchen einträchtig-verständnislos vor einem alten Haufen zerbrochener Triebfedern stehen werden, die früher Mann und Frau gebildet haben!«
==========
Und Agathe fragte: »Gibt es wirklich keine Liebe?« »Doch!« sagte Ulrich. »Aber sie ist ein Ausnahmefall. Man muß das trennen: Da ist erstens ein körperliches Erlebnis, das zur Klasse der Hautreize gehört; das läßt sich auch ohne moralisches Zubehör, ja ohne Gefühl, als reine Annehmlichkeit wachrufen. Dann sind, zweitens, gewöhnlich Gemütsbewegungen vorhanden, die sich allerdings mit dem körperlichen Erlebnis heftig verbinden, aber doch nur so, daß sie mit geringen Abweichungen bei allen Menschen die gleichen sind; diese Hauptaugenblicke der Liebe möchte ich in ihrer zwangsläufigen Gleichheit immer noch eher zum Körperlich-Mechanischen als zur Seele rechnen. Endlich ist aber da auch das eigentlich seelische Erlebnis des Liebens: bloß hat es mit den beiden anderen Teilen gar nicht notwendig zu tun. Man kann Gott lieben, man kann die Welt lieben; ja vielleicht kann man überhaupt nur Gott oder die Welt lieben. Jedenfalls ist es nicht nötig, daß man einen Menschen liebt. Tut man es aber, reißt das Körperliche die ganze Welt an sich, so daß sie sich gleichsam umstülpt –«
==========
»Was jeder von uns empfindet, ist die schattenhafte Verdopplung seiner selbst in der entgegengesetzten Natur. Ich bin Mann, du bist Frau; man sagt, daß der Mensch zu jeder Eigenschaft auch die schattenhaft angelegte oder unterdrückte Gegeneigenschaft in sich trägt: jedenfalls besitzt er die Sehnsucht nach ihr, wenn er nicht heillos mit sich selbst zufrieden ist. Dann ist also mein ans Licht gekommener Gegenmensch in dich geschlüpft, und der deine in mich, und sie fühlen sich großartig in den vertauschten Körpern, einfach weil sie vor ihrer früheren Umgebung und dem Ausblick aus ihr hinaus nicht allzuviel Achtung haben!«
==========
begabte Frauen sind auch unerbittliche Beobachter der Männer, die sie lieben; sie haben bloß keine Theorien und machen darum von ihren Entdeckungen keinen Gebrauch, außer wenn sie gereizt werden.
==========
Da kannst du auch noch sagen, daß es ein Sultansbedürfnis gibt, ganz allein anzubeten und angebetet zu werden unter Ausschluß der übrigen Welt; im alten Orient hat es den Harem hervorgebracht, und heute hat man dafür die Familie, die Liebe und den Hund. Und ich kann sagen, daß die Sucht, einen Menschen so allein zu besitzen, daß ein anderer gar nicht herankann, ein Zeichen der persönlichen Einsamkeit in der menschlichen Gemeinschaft ist, das selbst Sozialisten selten verleugnen. Wenn du es so ansehen willst, sind wir nichts als eine bürgerliche Ausschreitung.
»O Gott!« rief er ungeduldig aus. »Ich weiß doch auch, daß durch Gleichgültigkeit und durch die Leichtigkeit, mit der man sich heute ein gutes Gewissen beschaffen kann, weit mehr Menschenleben zugrunde gerichtet werden als durch den bösen Willen einzelner! Und es ist bewundernswert, daß du jetzt sagen wirst, jeder muß darum sein Gewissen schärfen und muß jeden Schritt aufs genaueste prüfen, ehe er ihn tut.« Clarisse unterbrach ihn, indem sie den Mund öffnete, aber sie überlegte es sich anders und gab keine Antwort. »Auch ich denke ja an die Armut, den Hunger, die Verkommenheit jeder Art, die unter Menschen zugelassen werden, oder an die Einstürze von Bergwerken, deren Verwaltungsräte an den Sicherheitseinrichtungen gespart haben,« fuhr Walter kleinlaut fort »und habe dir ja alles schon zugegeben.« »Aber zwei Liebende dürfen dann einander auch nicht lieben, solange ihr Zustand nicht ›reines Glück‹ ist« sagte Clarisse. »Und die Welt wird sich nicht eher bessern, als es solche Liebende gibt!« Walter schlug die Hände zusammen. »Begreifst du nicht, wie lebensungerecht solche großen, blendenden, ungemischten Forderungen sind!« rief er aus.
==========
eine Überzeugung besaß sie nun schon geraume Zeit: die Pflicht, das Vorrecht, die Aufgabe dessen, was man Gewissen, Wahn, Wille nennt, ist es, die starke Gestalt, die Lichtgestalt zu finden. Es ist die, wo nichts zufällig ist, worin kein Raum ist zu schwanken, wo Glück und Zwang zusammenfallen. Andere Leute haben das »wesentlich leben« genannt, sprachen vom »intelligiblen Charakter«, bezeichneten den Instinkt als die Unschuld und den Intellekt als die Sünde:
==========
Aus Gründen, die in erster Linie mit Walters empfindungsreichem Nichtstun zusammenhingen, weiter aber aus heldenhafter Ehrsucht, der immer die Mittel gefehlt hatten, war sie bis zu dem Gedanken geführt worden, jeder Mensch könne sich durch etwas, das er gewalttätig unternehme, ein Denkmal voransetzen und werde dann von diesem nachgezogen.
==========
das Leben ist voll solcher Beziehungen, wo einer den andern duckt und verdrängt, der sich nicht dagegen auflehnt.
==========
das Leben ist voll solcher Beziehungen, wo einer den andern duckt und verdrängt, der sich nicht dagegen auflehnt. Genau genommen und nach Siegmunds eigener Überzeugung: gerade das gesunde Leben ist so. Denn die Welt wäre wahrscheinlich schon zur Zeit der Völkerwanderung zugrunde gegangen, wenn sich jeder bis auf den letzten Blutstropfen gewehrt hätte. Statt dessen haben sich aber immer die Schwächeren nachgiebig verzogen und haben andere Nachbarn gesucht, die von ihnen verdrängt werden konnten; und nach diesem Muster vollziehen sich die menschlichen Beziehungen in ihrer Mehrheit noch bis heute, und alles wird dabei mit der Zeit von selbst gut.
==========
der Arzt herrscht, anders als der Beamte, nicht durch fremde Macht, sondern durch sein persönliches Können, er kommt zu Menschen, die von ihm Hilfe erwarten und sie fügsam entgegennehmen!
Sieh doch, man versteht im Leben so viel, ohne damit einverstanden zu sein; und mit jemand von vornherein einverstanden zu sein, ehe man ihn erst versteht, ist darum eine so märchenhaft schöne Sinnlosigkeit, wie wenn Wasser im Frühling von allen Seiten zu Tal rinnt!«
==========
»Sobald es mir gelingt, gegen Agathe gar keine Selbst- und Ichsucht mehr zu haben und kein einziges häßlich-gleichgültiges Gefühl, dann zieht sie die Eigenschaften aus mir hinaus wie der Magnetberg die Schiffsnägel! Ich werde moralisch in einen Uratomzustand aufgelöst, wo ich weder ich, noch sie bin! Vielleicht ist so die Seligkeit?!«
==========
»Auch« sagte Ulrich und sah ihr zu. »Die Liebe ist ursprünglich ein einfacher Annäherungstrieb und Greifinstinkt. Man hat sie in die zwei Pole Herr und Dame zerlegt, mit irrsinnigen Spannungen, Hemmungen, Zuckungen und Ausartungen, die dazwischen entstanden sind. Wir haben von dieser aufgeschwollenen Ideologie heute genug, die fast schon so lächerlich ist wie eine Gastrosophie. Ich bin überzeugt, die meisten würden es gern sehn, wenn diese Verbindung eines Hautreizes mit dem gesamten Menschentum wieder rückgängig gemacht werden könnte, Agathe! Und bald oder später kommt ein Zeitalter schlichter sexueller Kameradschaft herauf, wo Knabe und Mädchen einträchtig-verständnislos vor einem alten Haufen zerbrochener Triebfedern stehen werden, die früher Mann und Frau gebildet haben!«
==========
Und Agathe fragte: »Gibt es wirklich keine Liebe?« »Doch!« sagte Ulrich. »Aber sie ist ein Ausnahmefall. Man muß das trennen: Da ist erstens ein körperliches Erlebnis, das zur Klasse der Hautreize gehört; das läßt sich auch ohne moralisches Zubehör, ja ohne Gefühl, als reine Annehmlichkeit wachrufen. Dann sind, zweitens, gewöhnlich Gemütsbewegungen vorhanden, die sich allerdings mit dem körperlichen Erlebnis heftig verbinden, aber doch nur so, daß sie mit geringen Abweichungen bei allen Menschen die gleichen sind; diese Hauptaugenblicke der Liebe möchte ich in ihrer zwangsläufigen Gleichheit immer noch eher zum Körperlich-Mechanischen als zur Seele rechnen. Endlich ist aber da auch das eigentlich seelische Erlebnis des Liebens: bloß hat es mit den beiden anderen Teilen gar nicht notwendig zu tun. Man kann Gott lieben, man kann die Welt lieben; ja vielleicht kann man überhaupt nur Gott oder die Welt lieben. Jedenfalls ist es nicht nötig, daß man einen Menschen liebt. Tut man es aber, reißt das Körperliche die ganze Welt an sich, so daß sie sich gleichsam umstülpt –«
==========
»Was jeder von uns empfindet, ist die schattenhafte Verdopplung seiner selbst in der entgegengesetzten Natur. Ich bin Mann, du bist Frau; man sagt, daß der Mensch zu jeder Eigenschaft auch die schattenhaft angelegte oder unterdrückte Gegeneigenschaft in sich trägt: jedenfalls besitzt er die Sehnsucht nach ihr, wenn er nicht heillos mit sich selbst zufrieden ist. Dann ist also mein ans Licht gekommener Gegenmensch in dich geschlüpft, und der deine in mich, und sie fühlen sich großartig in den vertauschten Körpern, einfach weil sie vor ihrer früheren Umgebung und dem Ausblick aus ihr hinaus nicht allzuviel Achtung haben!«
==========
begabte Frauen sind auch unerbittliche Beobachter der Männer, die sie lieben; sie haben bloß keine Theorien und machen darum von ihren Entdeckungen keinen Gebrauch, außer wenn sie gereizt werden.
==========
Da kannst du auch noch sagen, daß es ein Sultansbedürfnis gibt, ganz allein anzubeten und angebetet zu werden unter Ausschluß der übrigen Welt; im alten Orient hat es den Harem hervorgebracht, und heute hat man dafür die Familie, die Liebe und den Hund. Und ich kann sagen, daß die Sucht, einen Menschen so allein zu besitzen, daß ein anderer gar nicht herankann, ein Zeichen der persönlichen Einsamkeit in der menschlichen Gemeinschaft ist, das selbst Sozialisten selten verleugnen. Wenn du es so ansehen willst, sind wir nichts als eine bürgerliche Ausschreitung.
Es ist bekannt, daß ein männliches Wesen, solange es noch zeugungsfähig ist, kurze Pausen der Ehe ähnlich empfindet, wie wenn ein leichtes Joch von ihm abgenommen würde, auch wenn es gar keine bösen Ausführungen damit verbindet und nach Ablauf der Erholung erfrischt sein Glück wieder auf sich nimmt.
==========
die Intelligenz eines Menschen ist kein abgeschlossenes und beziehungsloses Vermögen, ihre Mängel ziehen sittliche Mängel nach sich, spricht man doch von moralischem Blödsinn, ebenso wie sittliche Mängel, was allerdings seltener beachtet wird, imstande sind, die Verstandeskräfte in der ihnen beliebenden Richtung abzulenken oder zu blenden!
==========
jede andere Frau, die sich von einem Mann freimacht, den sie nicht mag, wird entweder einen besseren suchen oder sich durch Unternehmen anderer, aber ebenso natürlicher Art entschädigen.
==========
»Aber gib doch nur acht!« bat ihn Agathe. »Bin ich die zeitgemäße, wirtschaftlich oder geistig irgendwie tätige Frau? Nein. Bin ich die verliebte Frau? Auch nicht. Bin ich die gute, ausgleichende, vereinfachende, nestbildende Gefährtin und Mutter? Schon gar nicht. Was bleibt da noch übrig? Wozu bin ich also auf der Welt? Die Geselligkeit, in der wir uns bewegen, das muß ich dir doch gleich sagen, ist mir im Grunde völlig gleichgültig. Und ich glaube beinahe, was es an Musik, Dichtung und Kunst gibt, das gebildete Kreise entzückt, könnte ich auch ganz gut entbehren.
==========
»Es ist ja furchtbar lustig, daß es Zeiten wie unsere gibt, wo alle jungen Menschen für das Schlechte eingenommen sind!« warf er lachend ein, um das Gespräch vom Persönlichen zu entfernen. »Diese heutige Vorliebe für das moralisch Gruselige ist natürlich eine Schwäche. Wahrscheinlich bürgerliche Übersättigung am Guten; sein Ausgelutschtsein. Ich selbst habe auch ursprünglich gedacht, daß man zu allem Nein sagen müsse; alle haben so gedacht, die heute zwischen fünfundzwanzig und fünfundvierzig sind; aber das war natürlich nur eine Art Mode: ich könnte mir vorstellen, daß jetzt bald der Umschwung und mit ihm eine Jugend kommt, die sich statt der Unmoral wieder die Moral ins Knopfloch stecken wird. Die ältesten Esel, die nie in ihrem Leben das Erregende der Moral verspürt und bei Gelegenheit bloß moralische Gemeinplätze von sich gegeben haben, werden dann plötzlich Vorläufer und Pioniere eines neuen Charakters sein!«
==========
Ein Forscher darf vor nichts Abscheu haben und wird von einem schönen Krebsfall unter Umständen freudiger erregt als von einer schönen Frau. Ein Wissender weiß, daß nichts wahr ist und die ganze Wahrheit erst am Ende aller Tage liegt. Die Wissenschaft ist amoralisch. Dieses ganze herrliche Eindringen ins Unbekannte entwöhnt uns der persönlichen Beschäftigung mit unserem Gewissen, ja es gewährt uns nicht einmal die Genugtuung, sie ganz ernst zu nehmen.
==========
die Kunst? Bedeutet sie nicht dauernd ein Schaffen von Bildern, die mit dem des Lebens nicht übereinstimmen? Ich rede nicht von dem falschen Idealismus oder von der Üppigkeit des Aktmalens zu Zeiten, wo man bis zur Nasenspitze angezogen lebt« scherzte er nun wieder. »Aber denk an ein wirkliches Kunstwerk: Hast du nie das Gefühl gehabt, daß etwas daran an den brenzlichen Geruch erinnert, der von einem Messer aufsteigt, das du an einem Stein schleifst? Es ist ein kosmischer, meteorischer, gewittriger Geruch, himmlisch unheimlich!?«
==========
Sie war so traurig, wie es ein Mensch ist, der alles verloren hat. Warum, wußte sie nicht.
==========
»Das Leben bietet ebensoviel Gelegenheit zur Kräftigung des Willens wie zu seiner Schwächung; man soll niemals fliehn vor den Schwierigkeiten, sondern soll sie zu beherrschen suchen!« sagte der Fremde
==========
»Sie sind wahrscheinlich noch zu jung, um zu wissen, daß unser Leben sehr einfach ist. Es ist unüberwindlich verworren nur dann, wenn man an sich denkt; aber in dem Augenblick, wo man nicht an sich denkt, sondern sich fragt, wie man einem andern helfen könne, ist es sehr einfach!«
==========
»Die Überschätzung des Persönlichen ist ein moderner Aberglaube. Es wird ja heute so viel von Kultur der Persönlichkeit geredet, von Ausleben und Lebensbejahung. Aber durch solche unklaren und vieldeutigen Worte verraten ihre Bekenner nur, daß sie Nebel brauchen, um den eigentlichen Sinn ihrer Auflehnung zu verhüllen! Was soll denn bejaht werden? Alles miteinander und durcheinander? Entwicklung ist immer an Gegendruck gebunden, hat ein amerikanischer Denker gesagt. Wir können die eine Seite unserer Natur gar nicht entwickeln, ohne die andere im Wachstum zurückzuhalten. Und was soll denn ausgelebt werden? Der Geist oder die Triebe? Die Launen oder der Charakter? Die Selbstsucht oder die Liebe? Soll unsere höhere Natur sich ausleben, so muß die niedere Entsagung und Gehorsam lernen.«
==========
»Tiefe Lebenswahrheit wird nicht durch Debattieren vermittelt, – sagt schon Platon; der Mensch vernimmt sie als lebendige Deutung und Erfüllung seiner selbst! Glauben Sie mir, was den Menschen wahrhaft frei macht, und was ihm die Freiheit nimmt, was ihm wahre Seligkeit gibt und was sie vernichtet: das unterliegt nicht dem Fortschritt, das weiß jeder aufrichtig lebende Mensch ganz genau im Herzen, wenn er nur hinhorcht!«
==========
sie wußte zwar, daß in der Politik die Religion eine große Rolle spiele, aber man ist so gewohnt, die der Öffentlichkeit dienenden Ideen nicht ernst zu nehmen, daß die Vermutung, die Parteien des Glaubens bestünden aus gläubigen Menschen, leicht so übertrieben erscheinen kann wie die Forderung, ein Postsekretär müsse ein Markenliebhaber sein.
==========
Wie sollen denn die an einem Ereignis unmittelbar Beteiligten im voraus wissen, ob es ein großes wird? Doch höchstens, weil sie sich einbilden, daß es eines ist! Wenn ich also paradox sein darf, möchte ich behaupten, daß die Weltgeschichte früher geschrieben wird, als sie geschieht; sie ist zuerst immer so eine Art Tratsch. Und da stehen die energischen Menschen eben vor einer sehr schwierigen Aufgabe.«
Dann bemerkte man alles Nennenswerte aus den Ministerien (der Minister für Unterricht und Kultur hatte sich bei Sr. Erlaucht im Herrenhaus persönlich vom Erscheinen entbunden, weil er am gleichen Tag zur Einweihung eines großen Altargitters nach Linz mußte.) Dann bemerkte man, daß die ausländischen Botschaften und Vertretungen eine »Elite« entsandt hätten. Dann »aus Industrie, Kunst und Wissenschaft« bekannte Namen, und eine alte Allegorie des Fleißes lag in dieser unabänderlichen Zusammenstellung dreier bürgerlichen Tätigkeiten, die sich von selbst der schreibenden Feder bemächtigte.
==========
Kakanien war ja das friedlichste Land der Welt, aber irgendwann hatte es in der tiefen Unschuld seiner Überzeugung, Kriege gebe es doch nicht mehr, den Einfall gehabt, seine Beamten in Rangklassen einzuteilen, die denen der Offiziere entsprachen, und hatte ihnen sogar ebensolche Uniformen und Abzeichen verliehn.
==========
bewahrt, und ein guter Schankwirt trinkt nicht selbst. Ein guter Schankwirt weiß auch die Geheimnisse aller seiner Gäste, aber er macht nicht von allem Gebrauch, was er weiß; er mengt sich niemals mit einer eigenen Ansicht in die Debatte, erzählt aber und merkt sich mit Behagen alles, was Tatsache, Anekdote oder Witz ist.
==========
»Man sagt, daß er ein großer Dichter sein soll« wiederholte Sektionschef Tuzzi unsicher, und Meseritscher erwiderte fest: »Wer sagt das«! Die Kritiker im Feuilleton sagen das! Was zählt das schon, Herr Sektionschef?!« fuhr er fort. »Die Sachverständigen sagen das. Was sind die Sachverständigen? Manche sagen das Gegenteil. Und man hat Beispiele, daß Sachverständige heute so und morgen anders sagen. Kommt es überhaupt auf sie an? Was wirklich ein Ruhm ist, muß schon bei den Unverständigen angelangt sein, dann ist er erst verläßlich! Wenn ich Ihnen sagen soll, was ich denke: Von einem bedeutenden Mann darf man nicht wissen, was er macht, außer daß er ankommt und abreist!«
==========
Wenn man überzeugt ist, daß man in einer sehr wichtigen, sehr schönen und sehr großen Zeit lebe, verträgt man nicht die Vorstellung, daß in ihr noch etwas besonders Wichtiges, Schönes und Großes geschehen könnte.
==========
Die Schönheit des Mannes ist nur ein sekundäres Geschlechtsmerkmal« meinte Ulrich. »Primär erregend ist an ihm die Hoffnung auf seinen Erfolg.
==========
Darauf hat der Leinsdorf gesagt: ›Das ist schon ganz richtig. Böse Menschen gibt es eigentlich überhaupt nicht, denn das Böse kann niemand wollen; das sind nur Irregeleitete. Die Leute sind heute eben nervös, weil in Zeiten wie den heutigen so viele Zweifler entstehn, die an nichts Festes glauben.‹
==========
Nichts ist in der Diplomatie so gefährlich wie das unsachliche Reden vom Frieden! Jedesmal, wenn das Bedürfnis danach eine gewisse Höhe erreicht hat und nicht mehr zu halten war, ist noch ein Krieg daraus entstanden! Das kann ich Ihnen aktenmäßig beweisen!«
==========
ist einmal ein gutes Wort!« bedankte ihn Fischel. »Die Wahrheit liegt nämlich immer in der Mitte, und das vergessen heute alle, wo man nur extrem ist!
==========
Ulrich meinte, die Wahrheit werde ungefähr in der Mitte liegen. »Das ist einmal ein gutes Wort!« bedankte ihn Fischel. »Die Wahrheit liegt nämlich immer in der Mitte, und das vergessen heute alle, wo man nur extrem ist!
==========
wollen, können wir ja auch vom Gegenteil ausgehn. Gehn wir also vielleicht von der Tatsache aus, daß der Mensch geknechtet werden muß, weil er alleinig und von selbst niemals das Rechte tut: darin sind wir möglicherweise leichter einer Meinung. Die Masse braucht eine starke Hand, sie braucht Führer, die mit ihr energisch umgehn und nicht bloß reden, also mit einem Wort, sie braucht über sich den Geist der Tat; die menschliche Gesellschaft besteht eben sozusagen nur aus einer kleinen Anzahl von Freiwilligen, die dann auch die nötige Vorbildung haben, und aus Millionen ohne höheren Ehrgeiz, die nur zwangsweise dienen: so ist es doch ungefähr?!
==========
Gehn wir also vielleicht von der Tatsache aus, daß der Mensch geknechtet werden muß, weil er alleinig und von selbst niemals das Rechte tut: darin sind wir möglicherweise leichter einer Meinung. Die Masse braucht eine starke Hand, sie braucht Führer, die mit ihr energisch umgehn und nicht bloß reden, also mit einem Wort, sie braucht über sich den Geist der Tat; die menschliche Gesellschaft besteht eben sozusagen nur aus einer kleinen Anzahl von Freiwilligen, die dann auch die nötige Vorbildung haben, und aus Millionen ohne höheren Ehrgeiz, die nur zwangsweise dienen: so ist es doch ungefähr?!
==========
»Erstens kommt es doch wirklich nicht auf ein bisserl Antisemitismus an, wenn die Leute schon einmal überhaupt Anti sind, die Deutschen gegen die Tschechen und Madjaren, die Tschechen gegen die Madjaren und die Deutschen, und so halt weiter ein jeder gegen alle. Und zweitens ist gerade das österreichische Offizierkorps immer international gewesen, da braucht man nur die vielen italienischen, französischen, schottischen, ja was weiß ich für Namen anzusehn; auch einen General der Infanterie von Kohn haben wir, der ist Korpskommandant in Olmütz!«
==========
Er verlangsamte unauffällig seinen Schritt, um solange wie möglich von alledem zu kosten, und diese wollüstige Verzögerung schien dem Verhältnis dieser beiden Menschen zu einander zu entsprechen, die nie ganz zusammenkommen konnten.
==========
Se. Erlaucht war ärgerlich über das Eindringen »völkischer« Elemente in die Parallelaktion, das er selbst veranlaßt hatte. Verschiedene politische und gesellschaftliche Rücksichten hatten ihn dazu gezwungen; er selbst anerkannte nur das »Staatsvolk«. Seine politischen Freunde hatten ihm geraten: »Es schad’t doch nichts, wenn du dir anhörst, was sie von Rasse und Reinheit und Blut sagen; wer nimmt denn überhaupt ernst, was einer redet!« »Aber da sprechen sie ja vom Menschen geradeso, als ob er ein Vieh wäre!« hatte Graf Leinsdorf abgewehrt, der eine katholische Auffassung von der Würde des Menschen besaß, die ihn einzusehen hinderte, daß man die Ideale der Hühner- und Pferdezucht auch auf Gottes Kinder anwenden könne, obwohl er ein Großgrundbesitzer war.
==========
das ganze Leben machte auf ihn diesen Eindruck, als bestünde neben einem Zustand der Klugheit im einzelnen sowie in den amtlichen Vorkehrungen, zu denen er wie bekannt auch Glauben und Wissenschaft rechnete, ein völliger Zustand der Unzurechnungsfähigkeit im ganzen. Da tauchten immer wieder Ideen auf, die man noch nicht kannte, erhitzten die Leidenschaften und verschwanden nach Jahr und Tag wieder; da liefen die Leute bald dem, bald jenem nach und fielen von einem Aberglauben in den andren; da jubelten sie das eine Mal Seiner Majestät zu, und das andere Mal hielten sie verabscheuungswürdige Brandreden im Parlament: aber herausgekommen war noch nie etwas dabei!
==========
»Das ist die Psychologie der Masse, Erlaucht!« mischte sich der gelehrte General wieder ein. »Soweit es die Masse angeht, versteh ich das sehr gut. Die Masse wird nur von Trieben bewegt, und dann natürlich von denen, die den meisten Individuen gemeinsam sind: das ist logisch! Das heißt, das ist natürlich unlogisch: Die Masse ist unlogisch, sie benützt logische Gedanken gerade nur zum Aufputzen! Wovon sie sich wirklich leiten läßt, das ist einzig und allein die Suggestion! Wenn Sie mir die Zeitungen, den Rundfunk, die Lichtspielindustrie und vielleicht noch ein paar andere Kulturmittel überantworten, so verpflichte ich mich, in ein paar Jahren – wie mein Freund Ulrich einmal gesagt hat – aus den Menschen Menschenfresser zu machen! Gerade darum braucht die Menschheit ja auch eine starke Führung! Erlaucht wissen das übrigens besser als ich! Aber daß auch der unter Umständen so hochstehende einzelne Mensch nicht logisch sein soll, das kann ich nicht glauben, obwohl es auch der Arnheim behauptet.«
==========
Ob der Mensch nur seinen Affekten folgt, nur das tut, fühlt, ja sogar denkt, wozu ihn unbewußte Ströme des Verlangens oder die sanftere Brise der Lust treiben, wie man heute annimmt? Ob er nicht doch eher der Vernunft und dem Willen folgt, – wie man gleichfalls heute annimmt? Ob er bestimmten Affekten besonders folgt, so dem geschlechtlichen, wie man heute annimmt? Oder doch nicht vor allem dem geschlechtlichen, sondern der psychologischen Wirkung wirtschaftlicher Bedingungen, wie man gleichfalls heute annimmt? Man kann ein so verwickeltes Gebilde, wie er es ist, von vielen Seiten ansehn und im theoretischen Bild das oder jenes als Achse wählen: es entstehen Teilwahrheiten, aus deren gegenseitiger Durchdringung langsam die Wahrheit höher wächst: Wächst sie aber wirklich höher? Es hat sich noch jedesmal gerächt, wenn man eine Teilwahrheit für das allein Gültige angesehen hat. Anderseits wäre man aber kaum zu dieser Teilwahrheit gelangt, hätte man sie nicht überschätzt. So hängt die Geschichte der Wahrheit und die des Gefühls mannigfach zusammen, aber die des Gefühls blieb dabei im Dunkel.
==========
Spaßig zum Beispiel, daß die religiösen, und also doch wohl leidenschaftlichen, Gedanken, die sich das Mittelalter über den Menschen gemacht hat, sehr von seiner Vernunft und seinem Willen überzeugt waren, während heute viele Gelehrte, deren Leidenschaft höchstens darin besteht, daß sie zuviel rauchen, das Gefühl für die Grundlage alles Menschlichen ansehn.
==========
was einen Gesunden von einem Geisteskranken unterscheidet, ist doch gerade, daß der Gesunde alle Geisteskrankheiten hat, und der Geisteskranke nur eine!«
==========
Feindliche »Beobachter« gab es rings um ihn und die anderen Hauptpersonen genug. Sie waren am raschesten daran zu erkennen, daß sie zu allem Ja sagten und die nettesten Leute waren, während doch die übrigen meist verschiedener Meinung waren.
==========
wie von dem Satz: »Das ist Gefühlssache!« Gebrauch gemacht wird, ohne den die Einrichtung unseres Geistes gar nicht zu denken ist. Dieser unentbehrliche Satz trennt das, was im Leben sein muß, von dem, was sein kann. »Er trennt« sagte Ulrich zu Agathe »die gesetzte Ordnung von einem eingeräumten persönlichen Spielraum. Er trennt das, was rationalisiert ist, von dem, was für irrational gilt. Er bedeutet, in der üblichen Art gebraucht, das Eingeständnis, daß die Menschlichkeit in den Hauptsachen ein Zwang sei, in den Nebensachen aber eine verdächtige Willkür. Man meint, das Leben wäre ein Zuchthaus, stünde es nicht in unserem Belieben, ob wir Wein oder Wasser vorziehn, Atheisten oder Frömmler sein wollen, und man meint nicht im geringsten damit, daß nun das, was Gefühlssache sei, wirklich dem Belieben überlassen bleibe; vielmehr gibt es ja, ohne daß die Grenze eindeutig wäre, erlaubte und unerlaubte Gefühlssachen.«
==========
»Moral ist Regelung des Verhaltens innerhalb einer Gesellschaft, vornehmlich aber schon die seiner inneren Antriebe, also der Gefühle und Gedanken.«
==========
»Die wahrscheinlichste ist aber,« betonte Ulrich »daß Moral wie alle andere Ordnung durch Zwang und Gewalt entsteht! Eine zur Herrschaft gelangte Gruppe von Menschen auferlegt den anderen einfach die Vorschriften und Grundsätze, durch die sie ihre Herrschaft sichert. Gleichzeitig hängt sie aber an denen, die sie selbst groß gemacht haben. Gleichzeitig wirkt sie damit als Beispiel. Gleichzeitig wird sie durch Rückwirkungen verändert: das ist natürlich verwickelter als man es in Kürze beschreiben könnte, und weil es keineswegs ohne Geist vor sich geht, aber auch keineswegs durch den Geist, sondern durch die Praxis, ergibt es schließlich ein unübersehbares Geflecht, das sich scheinbar so unabhängig wie Gottes Himmel über allem spannt. Nun bezieht sich alles auf diesen Kreis, aber dieser Kreis bezieht sich auf nichts. Mit andern Worten: alles ist moralisch, aber die Moral selbst ist nicht moralisch! –«
==========
»Seit Jahrhunderten« fuhr Ulrich fort »kennt die Welt Gedankenwahrheit und darum verstandesmäßig bis zu einem gewissen Grad Gedankenfreiheit. In der gleichen Zeit hatte das Gefühl weder die strenge Schule der Wahrheit, noch die der Bewegungsfreiheit. Denn jede Moral hat für ihren Zeitlauf das Gefühl nur soweit, und in diesem Umkreis noch dazu starr, geregelt, als gewisse Grundsätze und Grundgefühle für das ihr beliebende Handeln nötig waren; das übrige hat sie aber dem Gutdünken, dem persönlichen Gefühlsspiel, den ungewissen Bemühungen der Kunst und der akademischen Erörterung überlassen. Die Moral hat also die Gefühle den Bedürfnissen der Moral angepaßt und dabei vernachlässigt, sie zu entwickeln, obwohl sie selbst von ihnen abhängt. Sie ist ja die Ordnung und Einheit des Gefühls.«
==========
Moral war für ihn weder Botmäßigkeit, noch Gedankenweisheit, sondern das unendliche Ganze der Möglichkeiten zu leben. Er glaubte an eine Steigerungsfähigkeit der Moral, an Stufen ihres Erlebnisses, und nicht etwa nur, wie das üblich ist, an Stufen ihrer Erkenntnis, als ob sie etwas Fertiges wäre, wofür der Mensch bloß nicht rein genug sei. Er glaubte an Moral, ohne einer bestimmten Moral zu glauben. Gewöhnlich versteht man unter ihr eine Art von Polizeiforderungen, durch die das Leben in Ordnung gehalten wird; und weil das Leben nicht einmal ihnen gehorcht, gewinnen sie den Anschein, nicht ganz erfüllbar, und auf diese dürftige Weise also auch den, ein Ideal zu sein. Aber man darf die Moral nicht auf diese Stufe bringen. Moral ist Phantasie. Das war es, was er Agathe sehen lassen wollte. Und das zweite war: Phantasie ist nicht Willkür. Überantwortet man die Phantasie der Willkür, so rächt sich das.
==========
»Moral ist Regelung des Verhaltens innerhalb einer Gesellschaft, vornehmlich aber schon die seiner inneren Antriebe, also der Gefühle und Gedanken.«
==========
»Die wahrscheinlichste ist aber,« betonte Ulrich »daß Moral wie alle andere Ordnung durch Zwang und Gewalt entsteht! Eine zur Herrschaft gelangte Gruppe von Menschen auferlegt den anderen einfach die Vorschriften und Grundsätze, durch die sie ihre Herrschaft sichert. Gleichzeitig hängt sie aber an denen, die sie selbst groß gemacht haben. Gleichzeitig wirkt sie damit als Beispiel. Gleichzeitig wird sie durch Rückwirkungen verändert: das ist natürlich verwickelter als man es in Kürze beschreiben könnte, und weil es keineswegs ohne Geist vor sich geht, aber auch keineswegs durch den Geist, sondern durch die Praxis, ergibt es schließlich ein unübersehbares Geflecht, das sich scheinbar so unabhängig wie Gottes Himmel über allem spannt. Nun bezieht sich alles auf diesen Kreis, aber dieser Kreis bezieht sich auf nichts. Mit andern Worten: alles ist moralisch, aber die Moral selbst ist nicht moralisch! –«
==========
»Seit Jahrhunderten« fuhr Ulrich fort »kennt die Welt Gedankenwahrheit und darum verstandesmäßig bis zu einem gewissen Grad Gedankenfreiheit. In der gleichen Zeit hatte das Gefühl weder die strenge Schule der Wahrheit, noch die der Bewegungsfreiheit. Denn jede Moral hat für ihren Zeitlauf das Gefühl nur soweit, und in diesem Umkreis noch dazu starr, geregelt, als gewisse Grundsätze und Grundgefühle für das ihr beliebende Handeln nötig waren; das übrige hat sie aber dem Gutdünken, dem persönlichen Gefühlsspiel, den ungewissen Bemühungen der Kunst und der akademischen Erörterung überlassen. Die Moral hat also die Gefühle den Bedürfnissen der Moral angepaßt und dabei vernachlässigt, sie zu entwickeln, obwohl sie selbst von ihnen abhängt. Sie ist ja die Ordnung und Einheit des Gefühls.«
==========
»Aber es ist nur ein anderer Ausdruck für einen Zustand der Leidenschaft, der sich gegen die ganze Welt bewaffnet!«
==========
Moral war für ihn weder Botmäßigkeit, noch Gedankenweisheit, sondern das unendliche Ganze der Möglichkeiten zu leben. Er glaubte an eine Steigerungsfähigkeit der Moral, an Stufen ihres Erlebnisses, und nicht etwa nur, wie das üblich ist, an Stufen ihrer Erkenntnis, als ob sie etwas Fertiges wäre, wofür der Mensch bloß nicht rein genug sei. Er glaubte an Moral, ohne einer bestimmten Moral zu glauben. Gewöhnlich versteht man unter ihr eine Art von Polizeiforderungen, durch die das Leben in Ordnung gehalten wird; und weil das Leben nicht einmal ihnen gehorcht, gewinnen sie den Anschein, nicht ganz erfüllbar, und auf diese dürftige Weise also auch den, ein Ideal zu sein. Aber man darf die Moral nicht auf diese Stufe bringen. Moral ist Phantasie. Das war es, was er Agathe sehen lassen wollte. Und das zweite war: Phantasie ist nicht Willkür. Überantwortet man die Phantasie der Willkür, so rächt sich das.
==========
die Ankündigung einer Gefahr, die von der vaterländischen Aktion ausgehen sollte, wurde von jenen wachsamen Politikern vermerkt, die kein Vaterland anerkannten, sondern nur ein Mütterchen Volk, das mit dem Staat in aufgezwungener Ehe lebte und von ihm mißhandelt wurde; sie hatten schon lange geargwöhnt, daß aus der Parallelaktion bloß eine neue Unterdrückung hervorgehen werde.
==========
von dem Satz: »Das ist Gefühlssache!« Gebrauch gemacht wird, ohne den die Einrichtung unseres Geistes gar nicht zu denken ist. Dieser unentbehrliche Satz trennt das, was im Leben sein muß, von dem, was sein kann. »Er trennt« sagte Ulrich zu Agathe »die gesetzte Ordnung von einem eingeräumten persönlichen Spielraum. Er trennt das, was rationalisiert ist, von dem, was für irrational gilt. Er bedeutet, in der üblichen Art gebraucht, das Eingeständnis, daß die Menschlichkeit in den Hauptsachen ein Zwang sei, in den Nebensachen aber eine verdächtige Willkür. Man meint, das Leben wäre ein Zuchthaus, stünde es nicht in unserem Belieben, ob wir Wein oder Wasser vorziehn, Atheisten oder Frömmler sein wollen, und man meint nicht im geringsten damit, daß nun das, was Gefühlssache sei, wirklich dem Belieben überlassen bleibe; vielmehr gibt es ja, ohne daß die Grenze eindeutig wäre, erlaubte und unerlaubte Gefühlssachen.«
==========
Feindliche »Beobachter« gab es rings um ihn und die anderen Hauptpersonen genug. Sie waren am raschesten daran zu erkennen, daß sie zu allem Ja sagten und die nettesten Leute waren, während doch die übrigen meist verschiedener Meinung waren.
==========
Nun ist es bekanntlich eine große Erleichterung, wenn man sich ärgert, seinen Zorn an jemand auszulassen, auch wenn er nichts dafür kann; aber weniger bekannt ist das von der Liebe. Trotzdem ist es auch da geradeso, und die Liebe muß oft an jemand ausgelassen werden, der nichts dafür kann, da sie sonst keine Gelegenheit findet.
==========
Für seine eigenen Ideen soll sich jeder töten lassen, wer aber Menschen dazu bringt, für fremde Ideen zu sterben, ist ein Mörder!‹
==========
Für seine eigenen Ideen soll sich jeder töten lassen, wer aber Menschen dazu bringt, für fremde Ideen zu sterben, ist ein Mörder!‹ So war es vorgeschlagen,« fügte er hinzu »und ich hatte nicht den Eindruck, daß sich noch etwas ändern werde.« Der General rief aus: »Das ist der Wortlaut! So habe auch ich ihn schon gehört! Sind ja ekelerregend, diese geistigen Debatten!« Arnheim sagte milde: »Es ist der Wunsch der heutigen Jugend nach Festigkeit und Führung.« »Aber es ist doch nicht nur Jugend dabei,« entgegnete Stumm angewidert »sondern selbst Kahlköpfe sind zustimmend herumgestanden!«
==========
Für seine eigenen Ideen soll sich jeder töten lassen, wer aber Menschen dazu bringt, für fremde Ideen zu sterben, ist ein Mörder!‹ So war es vorgeschlagen,« fügte er hinzu »und ich hatte nicht den Eindruck, daß sich noch etwas ändern werde.« Der General rief aus: »Das ist der Wortlaut! So habe auch ich ihn schon gehört! Sind ja ekelerregend, diese geistigen Debatten!« Arnheim sagte milde: »Es ist der Wunsch der heutigen Jugend nach Festigkeit und Führung.« »Aber es ist doch nicht nur Jugend dabei,« entgegnete Stumm angewidert »sondern selbst Kahlköpfe sind zustimmend herumgestanden!« »Dann ist es eben das Bedürfnis nach Führung überhaupt« meinte Arnheim und nickte freundlich. »Es ist heute allgemein.
==========
Alle schöpferischen Zeiten sind ernst gewesen. Es gibt kein tiefes Glück ohne tiefe Moral. Es gibt keine Moral, wenn sie sich nicht von etwas Festem ableiten läßt. Es gibt kein Glück, das nicht auf einer Überzeugung ruht. Ohne Moral lebt nicht einmal das Tier. Aber der Mensch weiß heute nicht mehr, mit welcher –«
==========
Ein Wesen ist der Mensch, das nicht ohne Begeisterung auskommen kann. Und Begeisterung ist der Zustand, worin alle seine Gefühle und Gedanken den gleichen Geist haben. Du meinst, beinahe im Gegenteil, sie sei der Zustand, wenn ein Gefühl übermächtig stark sei, ein einziges, das – Hingerissensein! – die anderen zu sich hinreißt? Nein, du hast darüber gar nichts sagen wollen? Immerhin, es ist so. Es ist auch so. Aber die Stärke einer solchen Begeisterung ist ohne Halt. Dauer gewinnen die Gefühle und Gedanken nur an einander, in ihrem Ganzen, sie müssen irgendwie gleichgerichtet sein und sich gegenseitig mitreißen. Und mit allen Mitteln, mit Rauschmitteln, Einbildungen, Suggestion, Glauben, Überzeugung, oft auch nur mit Hilfe der vereinfachenden Wirkung der Dummheit, trachtet ja der Mensch, einen Zustand zu schaffen, der dem ähnlich ist. Er glaubt an Ideen, nicht weil sie manchmal wahr sind, sondern weil er glauben muß. Weil er seine Affekte in Ordnung halten muß. Weil er durch eine Täuschung das Loch zwischen seinen Lebenswänden verstopfen muß, durch das seine Gefühle sonst in alle vier Winde gingen. Das richtige wäre wohl, statt sich vergänglichen Scheinzuständen hinzugeben, die Bedingungen der echten Begeisterung wenigstens zu suchen. Aber obwohl alles in allem die Zahl der Entscheidungen, die vom Gefühl abhängen, unendlich viel größer ist als die jener, die sich mit der blanken Vernunft treffen lassen, und alle die Menschheit bewegenden Ereignisse aus der Phantasie entstehen, erweisen sich nur die Verstandesfragen überpersönlich geordnet, und für das andere ist nichts geschehn, was den Namen einer gemeinsamen Anstrengung verdiente oder auch nur die Einsicht in ihre verzweifelte Notwendigkeit andeutete: Ungefähr so sprach Ulrich, unter begreiflichen Protesten des Generals.
==========
Alle haben jetzt keine rechte Freude mehr an den großen Gedanken der Menschheit;
==========
»Die wenigsten Männer« rief er erbaut aus »haben eine Ahnung davon, welches tiefe Bedürfnis edle weibliche Wesen nach dem Edel-Mann haben, der schlicht mit dem Menschen in der Frau verkehrt, ohne durch geschlechtliche Gefallsucht gleich gestört zu werden!«
==========
Immer schon hatte er geglaubt, eine richtigere Auffassung vom Heldischen zu besitzen als Goethe. Von Scävolas, die ihre Hände ins Feuer stecken, Lukrezien, die sich durchbohren, oder Judithen, die den Bedrängern ihrer Ehre das Haupt abschlagen – »Motiven«, die Goethe jederzeit bedeutsam gefunden hätte, obzwar er sie nicht selbst behandelt hat – hielt Lindner nicht viel; ja, er war sogar trotz der Autorität der Klassiker überzeugt, daß diese Männer und Frauen, die für ihre persönlichen Überzeugungen Verbrechen begangen haben, heutigentags nicht sowohl auf den Kothurn als vielmehr in den Gerichtssaal gehörten. Er setzte ihrem Hang zu schweren Körperverletzungen eine »verinnerlichte und soziale« Auffassung des Mutes entgegen.
==========
Zweitens aber durfte eine planvolle Bewirtschaftung des moralischen Volksguts (diesen Ausdruck liebte Lindner, neben dem soldatischen Wort »Zucht«, wegen des Bäurischen und zugleich Fabriksneuen, das an ihm ist) auch deshalb die »kleinen Gelegenheiten« nicht verschmähen, weil der gottlose, von »Liberalen und Freimaurern« aufgebrachte Glaube, daß die großen menschlichen Leistungen gleichsam aus einem Nichts hervorgehn, mochte man es auch Genie nennen, schon damals im Veralten war.
==========
In seiner Umgebung gab es keinen Luxus, oder wie man in deutscher Sprache besser sagt, keinen Überfluß; denn das deutsche Wort eröffnet uns den Sinn, den das fremdländische verschließt. So hat auch Luxus die Bedeutung des Überflüssigen und Entbehrlichen, das müßiger Reichtum ansammeln mag; Überfluß dagegen ist nicht sowohl überflüssig, und insofern gleichbedeutend mit Luxus, als vielmehr auch überfließend und bedeutet dann eine leicht über den Rahmen schwellende Polsterung des Daseins oder jene überschüssige Bequemlichkeit und Weitherzigkeit des europäischen Lebens, die nur den ganz Armen fehlt.
==========
wenn ihm ein Mitschüler zu gescheit vorkam, so war er bereit, durch einen Fausthieb gegen Nase oder Magen das Verhältnis wieder erträglich zu gestalten.
==========
»Auch der Dichter Tolstoi sagt, die Enthaltsamkeit sei die erste Stufe zur Freiheit. Der Mensch hat viele knechtische Begierden, und damit der Kampf gegen alle erfolgreich sei, muß man bei den elementarsten beginnen: der Eßsucht, dem Müßiggang und der Sinnenlust.«
==========
Hagauers Briefe, ihr Abbild so abscheulich verzerrend wie ein schlechter Spiegel, ohne daß sich die Ähnlichkeit ganz hätte leugnen lassen. Dann wohl auch, daß sie diesen Mann vernichten wollte, nun aber doch nicht wirklich töten; und daß sie ihn einst wohl geheiratet hätte, aber auch nicht wirklich, sondern blind vor Selbstverachtung. Es gab lauter ungewöhnliche Halbheiten in ihrem Leben; aber schließlich hätte dann auch, alles vereinend, die zwischen Ulrich und ihr schwebende Ahnung zur Sprache kommen müssen, und diesen Verrat konnte sie ja doch nie und nimmer begehen! Sie fühlte sich unwirsch wie ein Kind, dem stets eine zu schwere Aufgabe zugemutet wird. Warum wurde das Licht, das sie manchmal sah, jedesmal gleich wieder verlöscht wie eine durch weites Dunkel schwankende Laterne, deren Schimmer von der Finsternis bald eingeschluckt, bald freigegeben wird?! Sie war aller Entschließung beraubt, und zum Überfluß entsann sie sich, daß Ulrich einmal gesagt habe, wer dieses Licht suche, der müsse über einen Abgrund, der keinen Boden und keine Brücke hat. Glaubte er also zuinnerst selbst nicht an die Möglichkeit dessen, was sie gemeinsam suchten? So dachte sie, und obwohl sie nicht wirklich zu zweifeln wagte, fühlte sie sich doch tief erschüttert. Niemand konnte ihr also helfen als der Abgrund selbst! Dieser Abgrund war Gott: ach, was wußte sie! Mit Abneigung und verächtlich musterte sie die Brücklein, die hinüberführen wollten, die Demut des Zimmers, die fromm an den Wänden angebrachten Bilder, alles das, was ein vertrauliches Verhältnis zu ihm vortäuschte. Sie war ebenso nahe daran, sich selbst zu demütigen, wie sich mit Grausen abzuwenden. Und am liebsten wäre sie wohl noch einmal davongelaufen;
==========
Hagauers Briefe, ihr Abbild so abscheulich verzerrend wie ein schlechter Spiegel, ohne daß sich die Ähnlichkeit ganz hätte leugnen lassen. Dann wohl auch, daß sie diesen Mann vernichten wollte, nun aber doch nicht wirklich töten; und daß sie ihn einst wohl geheiratet hätte, aber auch nicht wirklich, sondern blind vor Selbstverachtung. Es gab lauter ungewöhnliche Halbheiten in ihrem Leben; aber schließlich hätte dann auch, alles vereinend, die zwischen Ulrich und ihr schwebende Ahnung zur Sprache kommen müssen, und diesen Verrat konnte sie ja doch nie und nimmer begehen! Sie fühlte sich unwirsch wie ein Kind, dem stets eine zu schwere Aufgabe zugemutet wird. Warum wurde das Licht, das sie manchmal sah, jedesmal gleich wieder verlöscht wie eine durch weites Dunkel schwankende Laterne, deren Schimmer von der Finsternis bald eingeschluckt, bald freigegeben wird?! Sie war aller Entschließung beraubt, und zum Überfluß entsann sie sich, daß Ulrich einmal gesagt habe, wer dieses Licht suche, der müsse über einen Abgrund, der keinen Boden und keine Brücke hat. Glaubte er also zuinnerst selbst nicht an die Möglichkeit dessen, was sie gemeinsam suchten? So dachte sie, und obwohl sie nicht wirklich zu zweifeln wagte, fühlte sie sich doch tief erschüttert. Niemand konnte ihr also helfen als der Abgrund selbst! Dieser Abgrund war Gott: ach, was wußte sie! Mit Abneigung und verächtlich musterte sie die Brücklein, die hinüberführen wollten, die Demut des Zimmers, die fromm an den Wänden angebrachten Bilder, alles das, was ein vertrauliches Verhältnis zu ihm vortäuschte. Sie war ebenso nahe daran, sich selbst zu demütigen, wie sich mit Grausen abzuwenden. Und am liebsten wäre sie wohl noch einmal davongelaufen; als sie sich aber erinnerte, daß sie immer davonliefe, fiel ihr noch einmal Ulrich ein, und sie kam sich »furchtbar feig« vor. Das Schweigen zu Hause war doch schon wie eine Windstille gewesen, die dem Sturm vorangeht, und von dem Druck dieses Herannahens war sie hierhergeschleudert worden. So sah sie es jetzt an, nicht ganz ohne ein aufkommendes Lächeln; und da lag es auch nahe, daß ihr noch etwas einfiel, das Ulrich gesagt hatte, denn er hatte irgend einmal gesagt: »Niemals findet sich ein Mensch selbst völlig feig; denn wenn er vor etwas erschrickt, so läuft er genau so weit davon, daß er sich wieder als Held vorkommt!« Und da saß sie also!
Ulrich sagte: »Es ist ein Gleichnis. ›Wir waren außer uns‹, ›Wir hatten unsere Körper vertauscht, ohne uns zu berühren‹, sind auch Gleichnisse! Aber was bedeutet ein Gleichnis? Ein wenig Wirkliches mit sehr viel Übertreibung. Und doch wollte ich schwören, so wahr es unmöglich ist, daß die Übertreibung sehr klein und die Wirklichkeit fast schon ganz groß gewesen ist!«
==========
wie man gewöhnlich das Leben ohne Gefühl hinunterschlingt, so hat man manchmal viel später seinen geisterhaft gewordenen Geschmack auf der Zunge; und derart fühlte er alles, was er an solcher Schwärmerei versäumt hatte, alle achtlos und einsam, ehe er seine Schwester kannte, verbrachten Nächte plötzlich als silberübergossenes unendliches Gebüsch, als Mondflecken im Gras, als hangende Apfelbäume, singenden Frost und vergoldete Schwarzwässer wieder.
im allgemeinen folgten sie einfach, sobald sie das Haus verließen, den Großstadtströmungen, die ein Bild der Bedürfnisse sind und mit gezeitenmäßiger Genauigkeit die Massen, je nach der Stunde, irgendwo zusammenpressen und anderswo absaugen. Sie überließen sich dem ohne bestimmte Absicht. Es vergnügte sie, zu tun, was viele taten, und an einer Lebensführung teilzunehmen, die ihnen die seelische Verantwortung für die eigene zeitweilig abnahm.
==========
Das machte auf die freiwilligen Zwillingsgeschwister den Eindruck, daß sie durch ihre Erwartung und ihre Askese empfindlich geworden seien für alle unausgeträumten Zuneigungen der Welt, aber auch für die Schranken, die jedem Gefühl von der Wirklichkeit und Wachheit gesetzt werden; und es wurde ihnen die eigentümlich zweiseitige Beschaffenheit des Lebens sehr sichtbar, die jede große Bestrebung durch eine niedrige dämpft. Sie bindet an jeden Fortschritt einen Rückschritt und an jede Kraft eine Schwäche; sie gibt keinem ein Recht, das sie nicht einem anderen nähme, ordnet keine Verwicklung, ohne neue Unordnung zu stiften, und sie scheint sogar das Erhabene nur darum hervorzurufen, daß sie mit den Ehren, die ihm gebühren, bei der nächsten Gelegenheit das Platte überhäufen könne. So verknüpft ein schier unlöslicher und vielleicht tief notwendiger Zusammenhang alle hochgemuten menschlichen Bemühungen mit dem Zustandekommen ihres Gegenteils und läßt das Leben – über alle anderen Gegensätze und Parteiungen hinweg – für geistvolle, oder derart selbst nur halbvolle, Menschen ziemlich schwer erträglich sein, treibt sie aber auch an, eine Erklärung dafür zu suchen.
==========
Er wollte nicht von der Welt verlangen, daß sie ein Lustgarten des Genies sei. Ihre Geschichte ist nur in den Spitzen, wenn nicht Auswüchsen, eine des Genies und seiner Werke; in der Hauptsache ist sie die des Durchschnittsmenschen. Er ist der Stoff, mit dem sie arbeitet und der stets von neuem aus ihr wiederersteht. Vielleicht gab das ein Augenblick der Ermüdung ein. Vielleicht dachte Ulrich bloß überhauf, daß alles Mittelhohe und Durchschnittliche stämmig sei und beste Aussicht auf Erhaltung seiner Art darbiete; man hätte annehmen müssen, daß es das erste Gesetz des Lebens sei, sich selbst zu erhalten, und das möchte wohl stimmen. Sicherlich sprach bei diesem Beginn aber auch eine andere Aussicht mit. Denn mag es sogar gewiß sein, daß die menschliche Geschichte nicht gerade ihre Aufschwünge vom Durchschnittsmenschen empfängt; alles in allem genommen, Genie und Dummheit, Heldentum und Willenlosigkeit, ist sie eben doch eine Geschichte der Millionen Antriebe und Widerstände, Eigenschaften, Entschlüsse, Einrichtungen, Leidenschaften, Erkenntnisse und Irrtümer, die er von allen Seiten empfängt und nach jeder verteilt. In ihm und ihr mischen sich die gleichen Elemente; und auf diese Art ist sie jedenfalls eine Geschichte des Durchschnitts oder, je nachdem man es nehmen mag, der Durchschnitt von Millionen Geschichten, und wenn sie denn auch ewig um das Mittelmäßige schwanken müßte, was könnte am Ende unsinniger sein, als einem Durchschnitt seine Durchschnittlichkeit zu verübeln!
==========
das Durchschnittliche ist immer auch etwas Wahrscheinliches, und der Durchschnittsmensch der Bodensatz aller Wahrscheinlichkeit.
==========
Er hatte das Gleichnis einfach gewählt, um auszudrücken, er meine, daß sich das meiste von dem, was sich Kultur nenne, zwischen dem Zustand einer Räuberbande und dem müßiger Reife befinde;
==========
Auch ein genialer Mensch trüge ja ein Maß in sich, das ihn zu dem Urteil ermächtigen könnte, es gehe in der Welt auf schier unerklärliche Weise alles so zurück wie vorwärts; aber wer ist ein solcher?
==========
weiß auch nicht, wer das entscheiden sollte!« »Ein Senat der Wissenden!« sagte Agathe lächelnd. Sie kannte ihres Bruders oft recht ideokratische Gesinnung, mit der er sie in manchem Gespräch geplagt hatte, und erinnerte ihn durch ihre Worte etwas scheinheilig an die berühmte, aber in zweitausend Jahren nicht befolgte Forderung der Philosophie, daß die Leitung der Welt einer Akademie der Weisesten anvertraut werden sollte. Ulrich nickte. »Das schreibt sich schon von Platon her. Und hätte es verwirklicht werden können, so wäre auf ihn an der Spitze des regierenden Geistes wahrscheinlich ein Platoniker gefolgt, und das so lange, bis eines Tages – Gott weiß warum – die Plotiniker für die wahren Philosophen gegolten hätten. So verhält es sich auch mit dem, was für genial gilt. Und was hätten die Plotiniker mit den Platonikern angefangen, und vorher diese mit ihnen, wenn nicht das, was jede Wahrheit mit dem Irrtum tut: ihn unerbittlich ausmerzen? Gott hat vorsichtig gehandelt, als er anordnete, daß aus einem Elefanten wieder nur ein Elefant hervorgeht, und aus einer Katze eine Katze: aus einem Philosophen geht aber ein Nachbeter und ein Gegenphilosoph hervor!« »Also müßte Gott selbst entscheiden, was genial ist!« rief Agathe ungeduldig aus, nicht ohne einen leichten stolzen Graus bei dieser Vorstellung zu empfinden und sich deren voreiliger Heftigkeit bewußt zu sein. »Ich fürchte, daß es ihn langweilt!« sagte Ulrich. »Wenigstens den christlichen Gott. Er ist erpicht auf die Herzen, ohne zu achten, ob viel oder wenig Verstand bei ihnen ist. Übrigens glaube ich, daß die kirchliche Geringschätzung der bürgerlichen Genialität manches für sich hat!«
==========
Glaube, alle den Menschen bewegenden Ideen hätten zuvor im göttlichen Geiste geruht, sehr schön gewesen sein muß; aber daß es schwer ist, an göttliche Ausströmungen zu denken, seit sich unter dem, was uns viel bedeutet, Ideen befinden, die Schießbaumwolle oder Pneumatik heißen« entgegnete Ulrich
==========
»Es hat mir gefallen, daß du einmal von mir gesagt hast, ich sei deine Liebe zu dir selbst, die du verloren und wiedergefunden hast. Aber nun sagst du, daß du dich nicht liebst, und mich, nach strenger Logik und Beispiel, nur deshalb, weil du mich nicht kennst! Beleidigt es mich nicht gar, daß ich deine Selbstliebe bin?«
==========
Ulrich scherzte. Er hatte gut fragen, ob es denn besser wäre, daß er sie liebe, obwohl er sie kenne. Denn auch das gehört zur Bestimmung der Nächstenliebe. Es beschreibt die Verlegenheit, in die sie die meisten Menschen versetzt. Sie lieben einander, mögen sich aber nicht. »Sie mißfallen sich gegenseitig oder wissen, daß sie es nach längerer Bekanntschaft tun werden; und geben sich einen viel zu großen Gegenschwung!« behauptete er.
==========
»Aber was liebt man eigentlich an einem Menschen, wenn man ihn gar nicht kennt?« fragte sie unschuldig. Ulrich ließ sich Zeit. »Fällt dir nicht auf, daß es eigentlich stört, wenn uns ein Mensch heute begegnet, der uns persönlich gefällt und so schön ist, daß man über ihn etwas Passendes sagen möchte?« Agathe nickte. »Also richtet sich unser Gefühl« gab sie zu »nicht nach der wirklichen Welt und den wirklichen Menschen?« »Also hätten wir die Frage zu beantworten, welchem Teil davon es gilt oder welcher Umgestaltung und Verklärung des wirklichen Menschen und der wirklichen Welt?« ergänzte Ulrich leise. Nun war es Agathe, die zuerst keine Antwort gab; aber ihr Blick war erregt und phantastisch. Schließlich erwiderte sie schüchtern mit einem Gegenvorschlag. »Vielleicht kommt hinter der gewöhnlichen dann die große Wahrheit zum Vorschein?«
==========
»Sieh doch, man ist zugleich liebevoll und liebeleer. Man liebt alles und nichts Einzelnes. Man kann sich von der geringfügigsten Kleinigkeit nicht loslösen, und zugleich fühlt man, daß alles zusammen nicht von Wichtigkeit ist: Das sind Widersprüche; beides zugleich kann scheinbar nicht wirklich sein. Und doch ist es wirklich; es hätte ja gar keinen Sinn, das zu leugnen! Wenn ich dich also nicht bitten kann, unter mystischer Anteilnahme eine religiöse Zauberei zu verstehen, so bleibt nur die Annahme übrig, daß es zwei Arten, die Wirklichkeit zu erleben, gibt, die sich uns mehr oder weniger aufnötigen!«
==========
Der Mensch, recht eigentlich das sprechende Tier, ist das einzige, das auch zur Fortpflanzung der Gespräche bedarf. Und nicht nur, weil er ohnehin spricht, tut er es auch dabei; sondern anscheinend ist seine Liebseligkeit mit der Redseligkeit im Wesen verbunden, und das so tief geheimnisvoll, daß es fast an die Alten gemahnt, nach deren Philosophie Gott, Menschen und Dinge aus dem »Logos« entstanden sind, worunter sie abwechselnd den Heiligen Geist, die Vernunft und das Reden verstanden haben.
==========
Sie ist das gesprächigste aller Gefühle und besteht zum großen Teil ganz aus Gesprächigkeit. Ist der Mensch jung, so gehören diese sich auf alles erstreckenden Gespräche zu den Erscheinungen des Wachstums; ist er in der Reife, so bilden sie sein Pfauenrad, das sich, auch wenn es nur noch aus Federkielen besteht, umso lebhafter entfaltet, je später es das tut. Der Grund könnte in der Erweckung des kontemplativen Denkens durch die Gefühle der Liebe und in seiner dauernden Verbindung mit ihnen liegen; aber damit wäre freilich die Frage vorderhand nur verschoben, denn wenn auch das Wort Kontemplation fast ebenso oft gebraucht wird wie das Wort Liebe, ist es doch nicht deutlicher.
==========
Ob übrigens, was Agathe und Ulrich verband, als Liebe zu verklagen sei oder nicht, soll damit nicht entschieden sein, obgleich sie unersättlich mit einander sprachen. Auch was sie sprachen, drehte sich um Liebe, immer und irgendwie, das ist richtig. Aber es gilt von der Liebe wie von allen Gefühlen, daß sich ihre Glut umso größer in Worten ausbreitet, je weiter ihnen noch das Handeln ist; und was nach den zuerst vorangegangenen heftigen und unklaren Gemütserlebnissen die Geschwister bewog, sich Gesprächen zu überlassen, und ihnen zuweilen wie eine Verzauberung erschien, war in erster Linie die Unwissenheit, wie sie handeln könnten.
==========
Solange man ihn liebt und weil man ihn liebt, ist alles bezaubernd; aber umgekehrt gilt das nicht. Noch nie hat eine Frau einen Mann wegen seiner Meinungen und Gedanken geliebt, oder ein Mann eine Frau wegen der ihren. Diese spielen bloß eine wichtige Nebenrolle.
==========
Wie steht es um das so berühmte wie gern erlebte Beispiel der Liebe zwischen sogenannten zwei Personen verschiedenen Geschlechts? Es ist ein besonderer Fall des Gebotes, Liebe deinen Nächsten, ohne zu wissen, wie er ist; und eine Probe auf das Verhältnis, das zwischen Liebe und Wirklichkeit besteht. Man macht sich aus einander die Puppen, mit denen man schon in Liebesträumen gespielt hat. Und was der andere meint, denkt und wirklich ist, hat keinen Einfluß darauf? Solange man ihn liebt und weil man ihn liebt, ist alles bezaubernd; aber umgekehrt gilt das nicht. Noch nie hat eine Frau einen Mann wegen seiner Meinungen und Gedanken geliebt, oder ein Mann eine Frau wegen der ihren. Diese spielen bloß eine wichtige Nebenrolle.
==========
er hatte sich bloß daran ergötzt, daß es der Liebe, um zu entstehen und zu dauern, auf nichts wesentlich ankomme. Das heißt, man liebt jemand trotz allem und ebenso gut wegen nichts; und das heißt, daß entweder das Ganze eine Einbildung ist oder diese Einbildung ein Ganzes, wie die Welt eines ist, in der kein Sperling vom Dach fällt, ohne daß es der Allfühlende gewahr wird. »Es kommt also überhaupt auf nichts an!« rief Agathe abschließend aus. »Nicht auf das, was einer ist, nicht auf das, was er meint, nicht auf das, was er will, und nicht auf das, was er tut!«
==========
daß man sogar in dieser holden Benommenheit nicht wisse, ob man wirklich die Menschen, und ob man die wirklichen Menschen liebe, oder ob man, und durch welche Eigenschaften, von einer Einbildung und Umbildung geprellt werde, zeigte sich Ulrich redlich beflissen,
==========
»Man liebt einen Menschen, weil man ihn kennt; und weil man ihn nicht kennt. Und man erkennt ihn, weil man ihn liebt; und kennt nicht ihn, weil man ihn liebt. Und manchmal steigert sich das so, daß es plötzlich sehr fühlbar wird. Das sind dann die berüchtigten Augenblicke, wo Venus durch Apoll, und Apoll durch Venus auf einen leeren Haubenstock blicken und sich höchlich darüber verwundern, vorher dort etwas anderes gesehen zu haben. Ist dann die Liebe stärker als das Erstaunen, so kommt es zu einem Kampf zwischen diesen beiden, und manchmal geht daraus die Liebe – wenngleich erschöpft, verzweifelt, und unheilbar verwundet – noch einmal als Siegerin hervor. Ist sie aber nicht so stark, so kommt es zu einem Kampf zwischen den sich betrogen wähnenden Personen; zu Beleidigungen, zu rohen Einbrüchen der Wirklichkeit, zu Entehrungen bis ins letzte, die es wieder gutmachen sollen, daß man der Einfältige gewesen sei –« Er hatte diese Unwetter der Liebe oft genug mitgemacht, um sie heute gemächlich beschreiben zu können.
==========
»Die ganze Liebe wird überschätzt! Der Wahnsinnige, der in seiner Sinnestäuschung ein Messer zückt und damit einen Unschuldigen durchbohrt, der gerade an der Stelle seiner Halluzination steht –: in der Liebe ist er der Normale!« bestimmte Ulrich und lachte.
==========
Frage, wie man überhaupt liebe; oder anders gesagt, was Liebe wohl »eigentlich« sei. Das mag auf den ersten Blick etwas altklug anmuten und wahrlich auch eine allzu verständige Frage für ein Liebespaar sein. Aber sie gewinnt an Geistesverwirrung, sobald man sie auf Millionen Liebespaare und ihre Verschiedenheit ausdehnt. Diese Millionen sind nicht nur persönlich (was ihr Stolz ist), sondern auch nach Arten des Tuns, Gegenstands und der Beziehung verschieden. Manchmal kann man von Liebespaaren überhaupt nicht sprechen, und doch von Liebe; manchmal von Liebespaaren, aber nicht von Liebe, wobei es etwas gewöhnlicher zugeht. Und das Wort im ganzen umfaßt so viel Widersprüche wie der Sonntag in einer kleinen Landstadt, wo die Bauernburschen um zehn Uhr des Morgens zur Messe gehn, um elf Uhr in einer kleinen Nebengasse das Freudenhaus besuchen und um zwölf Uhr am Hauptplatz ins Wirtshaus zum Essen und Trinken eintreten. Hat es Sinn, ein solches Wort rund herum zu untersuchen? Aber indem man es benutzt, handelt man unbewußt, als ob man bei allen Unterschieden etwas Gemeinsamem inne wäre! – Es ist tausend und eins, einen Spazierstock oder die Ehre zu lieben, und niemand fiele es ein, das in einem Atem zu nennen, wenn man nicht gewohnt wäre, es alle Tage zu tun. Andere Spielarten dessen, was tausend und eins, und doch ein und dasselbe ist, lassen sich mit den Worten anreden: die Flasche, den Tabak und noch schlimmere Gifte zu lieben. Den Spinat und die Bewegung in freier Luft. Den Sport oder den Geist. Die Wahrheit. Die Frau, das Kind, den Hund. Sie ergänzten es, die darüber sprachen: Gott. Die Schönheit, das Vaterland und das Geld. Die Natur, den Freund, den Beruf und das Leben. Die Freiheit. Den Erfolg, die Macht, die Gerechtigkeit oder schlechthin die Tugend. Alles das liebt man; und kurz, es wird fast ebenso vieles mit Liebe verbunden, als es Strebens- und Redensarten gibt. Was ist aber die Unterscheidung und was die Gemeinsamkeit der Lieben? Vielleicht ist es dienlich, an das Wort Gabeln zu erinnern. Es gibt Eß-, Mist-, Ast-, Gewehr-, Weg- und andere Gabeln; und allen diesen ist ein bildendes Merkmal »Gabeligsein« gemeinsam. Es ist das entscheidende Erlebnis, das Gegabelte, die Gestalt der Gabel an den höchst verschiedenen Dingen, die so heißen. Kommt man von diesen, so erweist sich, daß sie alle unter denselben Begriff gehören; geht man vom anfänglichen Eindruck des Gabeligseins aus, so zeigt sich, daß er durch die Eindrücke der verschiedenen bestimmten Gabeln ausgefüllt und ergänzt wird. Das Gemeinsame ist also eine Form oder Gestalt, und das Unterschiedliche liegt zunächst an den mannigfaltigen Formen, die sie annehmen kann; sodann aber auch an den Gegenständen, die eine solche Form haben, an ihrem Stoff, Zweck und dergleichen. Aber derweil sich jede Gabel mit jeder unmittelbar vergleichen läßt, und sinnlich gegeben ist, wäre es auch nur in einem Kreidestrich oder in der Vorstellung, verhält es sich nicht so mit den verschiedenen Gestalten der Liebe; und der ganze Nutzen des Beispiels schränkt sich auf die Frage ein, ob es nicht doch auch da, entsprechend dem Gabeligsein der Gabeln, ein Haupterlebnis, etwas Liebeliges, Liebseiendes und Liebeartiges, in allen Fällen gebe. Aber die Liebe ist kein Gegenstand sinnlicher Erkenntnis, daß sie mit einem Blick, oder denn auch mit einem Gefühl, zu erfassen wäre, sondern ist ein moralisches Ereignis, wie es vorsätzlicher Mord, Gerechtigkeit oder Verachtung sind; und das hat unter anderem zu bedeuten, daß eine vielfach abbiegende und mannigfach gestützte Kette von Vergleichen zwischen ihren Beispielen möglich ist, deren entferntere einander ganz unähnlich sein können, ja bis zum Gegensatz von einander verschieden, und doch durch einen vom einen ans andere anklingenden Zusammenhang verbunden werden. Von der Liebe handelnd, läßt sich also gar bis zum Haß gelangen; und doch ist nicht etwa die vielberufene »Ambivalenz« davon die Ursache, die Gespaltenheit des Fühlens, sondern gerade die volle Ganzheit des Lebens. Trotzdem hätte auch ein solches Wort der sich anbahnenden Fortsetzung vorangehen können. Denn Gabeln und ähnlich unschuldige Hilfen beiseite, die gebildete Unterhaltung weiß heutigentags ohne Stocken mit dem Kern und Wesen der Liebe umzugehn, und sich trotzdem so packend auszudrücken, als ob dieser Wesenskern in allen Erscheinungen der Liebe stäke wie das Gabelige in der Mist- oder Salatgabel. Man sagt dann – und auch Ulrich und Agathe hätten durch allgemeine Gewohnheit dazu verleitet werden können – die Hauptsache an allem Liebesartigen sei Libido, oder sagt, daß sie Eros sei. Diese beiden Worte haben nicht die gleiche Geschichte, aber eben doch, und zumal in Ansehung der Gegenwart, eine vergleichbare. Als nämlich die Psychoanalyse (weil eine Zeit, die sich nirgends auf geistige Tiefe einläßt, mit Neugierde hört, daß sie eine Tiefenpsychologie habe) anfing zur Tagesphilosophie zu werden und die bürgerliche Abenteuerlosigkeit unterbrach, ist auch alles und jedes zur Libido erklärt worden, so daß sich am Ende von diesem Schlüssel- und Nachschlüsselbegriff so wenig sagen läßt, was er nicht wäre, wie das, was er ist. Und ganz das gleiche gilt vom Eros; nur ist es denen, die alle körperlichen und seelischen Bindungen der Welt höchst überzeugt auf ihn zurückführen, mit ihrem Eros schon von Anfang an so ergangen. Vergeblich wäre es, Libido mit Trieb und Verlangen, und zwar sexuellem oder präsexuellem, Eros hingegen mit geistiger, ja übersinnlicher Zärtlichkeit zu übersetzen; man müßte denn eine geschichtliche Sonderabhandlung hinzufügen. Der Überdruß daran macht die Unwissenheit zum Vergnügen. Dadurch kam es aber zum voraus dazu, daß das zwischen zwei Liegestühlen geführte Gespräch nicht die angedeutete Richtung einschlug, sondern schon an dem urwüchsig unzulänglichen Verfahren Anziehung und Erholung fand, einfach so viel Beispiele wie möglich von dem zu verbuchen, was Liebe heißt, und sie wie bei einem Spiel aneinander zu reihen, ja sich dabei aufs unbefangenste anzustellen, und auch die unweisesten nicht zu verschmähen.
==========
Vom Gefühl war aber unwillkürlich schon als erstem die Rede gewesen; denn scheinbar ist die ganze Natur der Liebe ein Fühlen. Umso überraschender ist die Antwort, daß das Gefühl das wenigste an der Liebe sei. Für die reine Unerfahrenheit wäre es wie Zucker und Zahnschmerz; nicht ganz so süß und nicht ganz so schmerzhaft, und so unruhig dabei wie von Bremsen geplagtes Vieh. Vielleicht mag dieser Vergleich nicht jedem, der selbst von Liebe geplagt wird, als Meisterstück erscheinen; trotzdem ist auch die übliche Beschreibung eigentlich nicht viel anders: ein Hangen und Bangen, Sehnen und Sehren, und unbestimmtes Begehren! Seit alters scheint es, daß sie nichts Genaueres von diesem Zustand zu erzählen weiß. Aber dieser Mangel an Gefühlseigentümlichkeit ist nicht etwa bloß für die Liebe bezeichnend. Auch ob einer glücklich oder traurig ist, erfährt er nicht so unwiderruflich und geradläufig, wie er das Glatte vom Rauhen unterscheidet, und andere Gefühle lassen sich ebensowenig rein am Fühlen, man möchte sagen, schon am Anfühlen erkennen. Darum war denn schon bei dieser Wendung eine Bemerkung anzubringen, die sie nach Gebühr hätte ergänzen können, und zwar über die ungleiche Anlage und Ausgestaltung von Gefühlen. Das war der Name, den ihr Ulrich vorausschickte; und er hätte auch Anlage, Ausgestaltung, und Verfestigung sagen können. Denn er leitete sie mit der natürlichen Erfahrung ein, daß jedes Gefühl eine überzeugende Gewißheit seiner selbst mit sich bringe, was offenbar schon zu seinem Kern gehöre, und fügte hinzu, daß aus ebenso allgemeinen Gründen auch angenommen werden müsse, schon bei diesem Kern beginne nicht minder die Verschiedenheit der Gefühle. Man höre es an seinen Beispielen. Die Liebe zu einem Freund hat anderen Ursprung und andere Grundzüge als die zu einem Mädchen, die Liebe zu einer voll ausgeblühten andere als die zu einer heilig verschlossenen Frau; und erst recht sind weiter auseinandergehende Gefühle, wie es, bei der Liebe zu bleiben, Liebe, Verehrung, Lüsternheit, Hörigkeit, oder die Arten der Liebe und die des Widerwillens wären, schon in der Wurzel von einander verschieden. Gibt man beiden diesen Annahmen statt, müßten also alle Gefühle von Anfang bis Ende fest und durchsichtig wie Kristalle sein. Und doch ist kein Gefühl unverwechselbar das, was es zu sein scheint; und weder die Selbstbeobachtung noch die Handlungen, die es bewirkt, geben Sicherheit darüber. Dieser Unterschied zwischen der Selbstgewißheit und der Unsicherheit der Gefühle ist nun gewiß nicht gering. Betrachtet man aber die Entstehung des Gefühls im Zusammenhang mit ihren sowohl physiologischen als auch sozialen Ursachen, wird er ganz natürlich. Diese Ursachen erwecken nämlich in großen Zügen, wie man sagen könnte, bloß die Art eines Gefühls, ohne es im einzelnen zu bestimmen; denn jedem Trieb und jeder Lebenslage, die ihn in Bewegung setzt, entspricht ein ganzes Bündel von Gefühlen, die ihnen Genüge leisten können. Und was davon zu Beginn vorhanden ist, kann man freilich den Kern des Gefühls heißen, das sich noch zwischen Sein und Nichtsein befindet; wollte man ihn aber beschreiben, so ließe sich von ihm, wie immer er auch beschaffen sei, nichts Zutreffenderes angeben, als daß er ein Etwas ist, das sich im Verlauf seiner Entwicklung, und abhängig von vielem, was hinzukommt oder nicht, zu dem Gefühl ausgestalten wird, das aus ihm hat werden sollen. Also hat jedes Gefühl außer seiner ursprünglichen Anlage auch ein Schicksal; und darum, weil seine spätere Entwicklung erst recht von hinzutretenden Bedingungen abhängt, gibt es keines, das von Anfang an untrüglich es selbst wäre, ja vielleicht gibt es nicht einmal eins, das unbezweifelbar und rein Gefühl wäre. Anders gesagt, folgt aus diesem Zusammenwirken von Anlage und Ausgestaltung aber, daß auf dem Gebiet des Gefühls nicht das reine Vorkommen und die eindeutige Erfüllung vorherrschen, sondern die fortschreitende Annäherung und die annähernde Erfüllung. Und etwas Ähnliches gilt auch von allem, das zu erfassen Gefühl verlangt.
==========
»Vergleiche« mahnte Ulrich »die gesunde Liebe junger Menschen für einander und die lächerlich übertriebene des Einsamen zu Hund, Katze oder Piepmatz. Sieh die Leidenschaft zwischen Mann und Frau erlöschen oder wie einen abgewiesenen Bettler lästig werden, wenn sie nicht oder nicht voll erwidert wird. Vergiß auch nicht, daß in ungleichen Verbindungen, wie sie zwischen Eltern und Kindern oder Herr und Diener bestehn, zwischen einem Mann und dem Gegenstand seines Ehrgeizes oder seines Lasters, das Verhältnis zur Gegenliebe der unsicherste, und schlechthin der verderbliche Teil ist. Überall, wo der regelnde natürliche Austausch zwischen dem Zustand und dem Gegenspieler der Liebe mangelhaft ist, entartet sie wie ein ungesundes Gewebe!« – Dieser Gedanke schien ihn durch etwas Besonderes anzuziehen. Er hätte sich vielfach und mit vielen Beispielen ausbreiten lassen; aber während sich Ulrich diese noch überlegte, lenkte etwas, worauf es dabei nicht abgesehen war, das aber wohl den abgesehenen Weg mit Erwartung belebte wie ein querfeldein kommender Wohlgeruch, scheinbar fast versehentlich das Nachdenken auf das, was in der Malerei Stilleben genannt wird, oder nach dem entgegengesetzten, aber ebenso guten Vorgang einer fremden Sprache die Nature morte. »Gewissermaßen ist es lächerlich, daß ein Mensch einen gut gemalten Hummer schätzt,« fuhr Ulrich unvermittelt fort »spiegelblanke Trauben und einen an den Läufen aufgehängten Hasen, in dessen Nähe immer auch ein Fasan ist; denn der menschliche Appetit ist etwas Lächerliches, und gemalter Appetit noch lächerlicher als natürlicher.« Und beide hatten sie das Gefühl, daß diese Anknüpfung tiefer zurückgreife, als es den Anschein hätte, und zu der Fortsetzung dessen gehöre, was sie von sich selbst zu sagen unterlassen hatten.
==========
Die Welt spricht von der Weihe und Würde des Todes; es gibt das poetische Motiv der aufgebahrten Geliebten seit hunderten, wenn nicht tausenden Jahren; es gibt eine ganze damit verwandte, zumal lyrische Todespoesie. Es ist wahrscheinlich etwas Knabenhaftes daran. Wer malt sich aus, daß ihm der Tod die edelste der Geliebten zu eigen schenkt? Dem der Mut oder die Möglichkeit fehlt, eine lebende zu haben! Von dieser poetischen Knabenhaftigkeit führt eine kurze Linie zu den Schauern der Geister- und Totenbeschwörung; eine zweite zum Greuel der wirklichen Nekrophilie; vielleicht eine dritte zu den krankhaften zwei Gegensätzen des Exhibitionismus und der gewaltsamen Nötigung.
==========
daß ein ungleichwertiger Gegenspieler die Liebe schief macht; es wäre bloß beizufügen, daß es nicht selten schon eine schiefe Verfassung des Gefühls ist, die ihn überhaupt wählen heißt. Und umgekehrt, wäre es der erwidernde, lebende, handelnde Mitspieler, der die Gefühle in Ordnung hält und bestimmt, und ohne den sie zur Spiegelfechterei entarten.
==========
Es gibt, den Gegensatz stark aufgetragen, zwei Arten leidenschaftlich zu leben, und zwei Sorten des leidenschaftlichen Menschen. Entweder man heult vor Wut oder Unglück oder Begeisterung jedesmal los wie ein Kind und entledigt sich seines Gefühls in einen kurzen, nichtigen Wirbel. In diesem Fall, und er ist der gewöhnliche, ist das Gefühl am Ende der alltägliche Vermittler des alltäglichen Lebens; und je heftiger und leichter erregbar es ist, um so mehr erinnert dieses an die Unruhe in einem Raubtierkäfig zur Fütterungsstunde, wenn das Fleisch an den Gittern vorbeigetragen wird, und bald nachher an die satte Ermüdung. Ist es nicht so? Die andere Art leidenschaftlich zu sein und zu handeln ist aber die: Man hält an sich und gibt der Handlung nicht im mindesten statt, zu der jedes Gefühl hinzieht und treibt. Und in diesem Fall wird das Leben wie ein etwas unheimlicher Traum, worin das Gefühl bis an die Wipfel der Bäume, an die Turmspitzen, an den Scheitel des Himmels steigt…! Allzu wahrscheinlich haben wir daran gedacht, als wir noch von Bildern, und nichts als ihnen, zu sprechen vorgaben.«
==========
Menschen des einen Schlags, es ist schon erwähnt worden, greifen lebhaft nach allem und nehmen alles in Angriff; sie gehen wie ein Sturzbach über Hindernisse hinweg oder schäumen darum in eine neue Bahn; ihre Leidenschaften sind stark und wechselnd, und das Ergebnis ist ein heftig gegliederter Lebenslauf, der nichts als ein Vorbeigerauschtsein hinterläßt. Dieser Art Mensch hatte der Begriff des Appetitartigen gegolten, als Ulrich daraus den einen Hauptbegriff des leidenschaftlichen Lebens hatte machen wollen; denn die andere Art ist im Gegensatz zu dieser nichts weniger, als ihm entspräche: Sie ist schüchtern, versonnen, undeutlich; schwer entschlossen, voll von Träumen und Sehnsucht und verinnerlicht in ihrer Leidenschaft. Zuweilen – in Gedanken, von denen jetzt nicht die Rede war – gebrauchte Ulrich für sie auch die Bezeichnung »kontemplativ«, ein Wort, das gewöhnlich anders gemeint wird, und etwa bloß in der lauwarmen Bedeutung von »besinnlich«; für ihn aber mehr als diesen gewöhnlichen Sinn hatte, ja geradezu dem vorhin erwähnten Orientalisch-Unfaustischen gleichkam. Vielleicht prägte sich in diesem Kontemplativen, und zumal in Gemeinschaft mit dem Appetithaften als seinem Gegenteil, ein Hauptunterschied des Lebens aus: Das zog Ulrich lebhafter an als ein Lehrbegriff. Aber daß man solche hochzusammengesetzten und anspruchsvollen Lebensbegriffe alle auf eine zweifache Schichtung, die schon jedes Gefühl hat, zurückführen könnte, diese elementare Möglichkeit der Erklärung war ihm doch auch eine Genugtuung. Natürlich war ihm klar, daß die beiden Arten des Menschseins, die dabei auf dem Spiel standen, nichts anderes bedeuten konnten als einen Mann »ohne Eigenschaften«, im Gegensatz zu dem mit allen Eigenschaften, die ein Mensch nur zu zeigen vermag. Man mochte den einen auch einen Nihilisten nennen, der von Gottes Träumen träumt; im Gegensatz zum Aktivisten, der in seiner ungeduldigen Handlungsweise aber auch eine Art Gottesträumer ist, und nichts weniger als ein Realist, der weltklar und welttätig sich umtut. »Weshalb sind wir denn keine Realisten?« fragte sich Ulrich. Sie waren es beide nicht, weder er noch sie, daran ließen ihre Gedanken und Handlungen längst nicht mehr zweifeln; aber Nihilisten und Aktivisten waren sie, und bald das eine bald das andere, je nachdem wie es kam.
==========
Von heute gilt —– beziehungsweise was Ulrich will: Jede Zeit muß ein Richtbild haben, wozu sie da ist, einen Ausgleich zwischen Theorie und Ethik, Gott und so weiter. Dem Zeitalter des Empirismus fehlt das noch.
==========
Identifiziere dich nicht mit der Theorie, sondern stelle dich gegen sie realistisch (erzählend) ein. Gib nicht dem Unmöglichen eine Theorie, aber laß sie in Stücken einfallen.
==========
Der Mann, der alles prüft und sich nach seinem Gewissen entscheidet, ist ein Atavismus. Der naturwissenschaftliche Mensch ist das Kind, das sein Spielzeug auseinandernimmt, der geisteswissenschaftliche der, der sich an ihm erregt. Ohne und mit Phantasie spielen —– Aber jeder weiß, daß man das Zerlegen nicht mehr wirklich verbieten kann. Also ist es wichtig, den entscheidenden Unterschied zu isolieren, das Hormon der Phantasie zu gewinnen, und das ist das ganze Bemühen um den »anderen Zustand«.
==========
Erlöseridee: Vor 1910, als Ulrich jung war, gab es fin de siècle, neue Wahrheit Weltaufbau. Mit anderen Worten Analyse und Emersonsche Zuversicht. Morbid und technoid. Alles Morbide war natürlich eine Kraftmode. Noch früher gab es den Naturalismus.
==========
Bei Ulrich hatte es die spezifische Form des die Welt anders Denkens—– Die Naturalisten erschienen ihm wie Vorläufer seiner selbst, weil sie keinen Geist hatten, kompakte, wertlose Menschen waren, nichts von Nietzschescher Differenziert-heit der Welt wußten. Nur weil sie unmoralisch waren, erschienen sie ihm gut. Ebenso interessierte ihn an den Morbiden durchaus nicht die Sensation, das subtile Erlebnis, sondern nur der Gegensatz gegen die Normalität hatte seine Sympathie. Einerseits war das also die stärkere In-tellektualität, die ihn schon damals von den Genossen trennte—-Die Vätergeneration war: Intellektualität, aber ungenügend im Moralischen. Die Negation ist seine ursprüngliche Stellung: Auch im Moralischen ausreichende Intellektualität. Das Ganze war aber – den Beteiligten unbewußt, weil über das enge historische Blickfeld hinausreichend, – nur eine Phase in folgendem Prozeß: 1870 hatte sich ein großer europäischer Organismus konstituiert. Bis 1890 zehrte er den übernommenen Ideenfond auf; war im Kampf gegen Grün-dertum, Kriegsnachrausch und dergleichen tugendhaft, bis alle Ideen leer waren. Dann kam um 1890 die geistige Krisis, Wehen einer eigenen Seele. Dieser Versuch mißlingt. Die um 1910 auftretende Erlöseridee ist bereits Resignation, ebenso die Wendung zu Religion und Seele. Die Synthese Seele-Ratio ist mißlungen. Das führt in direkter Linie zum Kriege. Deutsche Geschichte als Paradigma der Weltgeschichte. (Sichtbarer, weil der Organismus neu ist.‹ Deutschland als Weltvorbild, Weltheiland. Muß also mit einer gewissen Sympathie in aller Ironie geschrieben werden. Das war die geistige Situation vor dem Krieg; sie war ohne innere Direktion. Menschen, die das auf den verschiedenen Linien mitgemacht haben, gehören in den Roman. Auch Vertreter des Georgetypus und so weiter. Außer diesen geistigen Sphären dann noch die beziehungslosen der Wissenschaft und so weiter. Der Druck des kommenden wissenschaftlichen, objektiven Zivilisationszeitalters, wo alle Menschen weise und gemäßigt sein werden, lastet schon auf dieser Generation, deren letzte Zuflucht die Sexualität und der Krieg ist.
==========
Die Geschwisterliebe muß sehr verteidigt werden. Als etwas ganz Tiefes mit seiner Ablehnung der Welt Zusammenhängendes empfindet sie Ulrich. Die autistische Komponente seines Wesens schmilzt hier mit der Liebe zusammen. Es ist eine der wenigen Möglichkeiten von Einheit, die ihm gegeben sind
==========
Schreiben ist eine Verdoppelung der Wirklichkeit. Die Schreibenden haben nicht den Mut, sich für utopische Existenzen zu erklären. Sie nehmen ein Land Utopia an, in dem sie auf ihrem Platz wären; sie nennen es Kultur, Nation und so weiter. Eine Utopie ist aber kein Ziel, sondern eine Richtung. Aber alle Erzählungen fingieren, daß es etwas gibt, das gewesen oder gegenwärtig ist, wenn auch an einem unwirklichen Ort.
==========
Ulrich muß sein oder werden: Gegner des Patriotismus (Regionalismus—–). Die Landesgrenze als Moralgrenze anzusehn, liegt dem Deutschen nicht sehr; das macht seine Schwäche und gibt der patriotischen Moral eine gewisse Berechtigung.
==========
Stimmung: Es ist die Tragödie des gescheiteren Menschen (Richtiger: des Menschen, der in Gefühls-Verstandesfragen immer um eine Möglichkeit mehr kennt. Denn schlechtweg gescheiter ist er ja nicht), der immer allein ist, zu allem im Widerspruch, und nichts ändern kann. Alles andere ist logische Konsequenz.
==========
Ich glaube, daß man außer unter Selbstmördern nicht viele Existenzen in einem Augenblick gleicher Unsicherheit antreffen wird, und ich werde mich dieser wenig verlockenden Gesellschaft kaum entziehen können. Ich mache hier den einzigen mir möglichen Versuch, mich dagegen zu wehren.
==========
Machen wir hier eine Zwischenbilanz; was hat sich bisher ergeben? Dieser R. M., von dem ich jetzt spreche, als wäre ich nicht er selbst, – ich empfand starke Widerstände dagegen, von mir zu erzählen, obgleich ich mich entschließen mußte, es zu tun; aber so fängt es an, mich zu interessieren, da es mir selbst neu ist –, dieser Schriftsteller ist von großer Gleichgültigkeit gegen seine Stoffe. Es gibt Schriftsteller, die von einem Stoff gepackt werden. Sie fühlen: mit diesem oder keinem; es ist wie die Liebe auf den ersten Blick. Das Verhältnis des R. M. zu seinen Stoffen ist ein zögerndes. Er hat mehrere gleichzeitig und behält sie bei sich, nachdem die Stunden der ersten Liebe vorbei sind oder auch ohne daß sie dagewesen sind. Er tauscht Teile von ihnen willkürlich aus. Manche Teilthemen wandern und kommen in keinem Buch zum Ausdruck. Er hält offenbar das Äußere mehr oder weniger für gleichgültig. Und was bedeutet das? Hier kommt man schon auf das Problem, in welchem Verhältnis Inneres und Äußeres der Dichtung zueinander stehen. Es ist eine Binsenwahrheit, daß sie eine untrennbare Einheit bilden, aber wie sie das tun, ist weniger bekannt, ja es ist teilweise ganz unbekannt. Wir werden hier also sehr vorsichtig sein und vor allem wahrscheinlich mehrere verschiedene Arten dieser Synthese unterscheiden müssen. Auf den ersten Blick sieht es, nach dem, was ich erzählt habe, aus, als ob diese Synthese bei mir besonders schwach wäre; und die Wahrheit ist das Gegenteil davon, soweit ich es beurteilen kann. Bediene ich mich des Biographischen, um in dieser grenzenlosen Frage einen Leitfaden zu haben, so muß ich sagen, daß es zu Anfang, als ich den Törleß schrieb, das Problem für mich überhaupt nicht gegeben hat, daß es sich aber danach ganz plötzlich und mit stärkster Ausdrücklichkeit meiner bemächtigte. Ich erinnere mich noch an das Prinzip, von dem ich mich bei der Niederschrift des Törleß leiten ließ. Ein Prinzip der geraden Linie als der kürzesten Verbindung zwischen zwei Punkten. Keine Bilder gebrauchen, die nicht etwas zum Begriff beitragen, Gedanken – obwohl es mir sehr auf sie ankam – fortlassen, wenn sie sich nicht mühelos in den Gang der Handlung einfügen. Obwohl ich also auf die Handlung keinen Wert legte, gab ich ihr instinktiv große Rechte. Ich unterwarf mich einer improvisierten – und wie der Erfolg zeigte, richtigen Vorstellung von dem, was Erzählen sei, und begnügte mich, zu meiner Genugtuung gewisse Ideen »einfließen« zu lassen. Ich hatte noch wenig gelesen und kannte kein Vorbild.
Habe gerade zum wiederholten mal MoE Kapitel 107 gelesen. Nach meiner Ansicht äußerst aktuell im Jahr 2019.
LikeLike
Habe das „beste“ leider nicht gefunden. 🙂 (Warum eigentlich keine Hinweise auf Buch und Kapitel?
LikeLike
weil das viel zu viel Arbeit wäre und ich kein Geld für diesen Blog bekomme 🙂 welches ist denn Ihrer Meinung nach das beste?
LikeLike