Jedes Ende kann nachdenklich machen. Denn in der liquiden Moderne (Zygmunt Bauman) bleibt der stete und immer schneller werdende Wandel als einzige Konstante. Ob Unternehmen, Arbeitsplätze oder zwischenmenschliche Beziehungen: Sicherheit und Dauerhaftigkeit existieren nicht einmal mehr als Schein.
Irgendwann hat Chronos noch einen zusätzlichen Gang eingelegt. Wer beim Lebensmarathon zu langsam läuft, bleibt auch nach Abbau des Zieleinlaufs auf der Strecke.
Wer verweilt, fällt zurück
Bis auf einige verbliebene und gut behütete bis protegierte Nischen scheint alles von steten Veränderungen durchdrungen. (Dienst-)Verträge werden befristet abgeschlossen oder lassen sich zumindest leicht kündigen. In einer hypervolatilen Welt ist Flexibilität weniger Bonus als Grundvoraussetzung. Gelegenheiten müssen ergriffen werden. Nur nicht allzu gemütlich machen. Wer zu lange ein und derselben Beschäftigung nachgeht, macht seinen Lebenslauf verdächtig: Hat hier das Peter-Prinzip zugeschlagen? Fehlt es an Biss und Zielstrebigkeit? Hat man es mit einem vermeintlichen Faulpelz zu tun?
Selig jene, die stets nach neuen Herausforderungen gieren. Dazu die Bereitschaft, ins Ausland zu gehen oder sich entsenden zu lassen. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit will genutzt werden. Städtehocker, die sich in ihrer Komfortzone einnisten, bleiben im wahrsten Sinne des Wortes zurück. 2017 hat keinen Platz für Immanuel Kant (der ja nie aus seinem beschaulichen Königsberg herausgekommen sein soll).
Liquide Freundschaften
Freundschaften enden so schnell wie sie entstehen. Irgendwann fragt man sich bei jedem Treffen, wieso das letzte schon wieder so lange zurückliegt. Unter Umständen war die Verbindung bei genauerer Betrachtung weniger stabil als gehofft; genuine Nähe braucht Zeit, die man oft nicht hat oder haben will. Um unser Bedürfnis nach nahestehenden Menschen dennoch zu befriedigen werden Freundschaften bisweilen so schnell intensiv wie sie wieder de-eskalieren. Wenn sie nicht mehr funktionieren, sieht man sich im zwischenmenschlichen Ersatzteillager nach neuen um.
Beziehungen hören auf, bevor sie angefangen haben
Dasselbe gilt mutatis mutandis in Liebesangelegenheiten. Bei Beziehungen denken viele schon am Anfang ans Ende. Nur nicht allzu stark binden oder gar Verpflichtungen eingehen. Am Ende wartet doch der Schmerz. Wenn beide Partner sich fortwährend neu orientieren (müssen), lebt es sich leicht auseinander.
Zyniker haben die Oberhand. Jede gescheiterte Beziehung gilt als Bestätigung: Pessimismus als Realismus. Weggefährten gehen nur ein Stück neben einem, Lebensmenschen begleiten einen oft nur einen Abschnitt lang. Am Ende ist man doch wieder allein. Die Vorstellung von der Familie als letzte vermeintliche Bastion sozialer Stabilität bröckelt immer weiter. Alternative zwischenmenschliche Sicherheitskonstruktionen werden gesucht, aber nur selten gefunden.
Nur die Naiven können ohne den Mund zu verziehen von Konstrukten wie „ewiger Liebe“ sprechen. Der Glaube daran lebt trotzdem weiter fort – als radikaler Gegenentwurf zu einer Zeit, die Stasis in Liebesangelegenheiten nicht zulassen will. Irgendetwas muss doch noch Bestand haben.
Erfahrung lehrt den Umgang?
Traurig stimmt der Anblick von betagten Pärchen, die immer noch Händchen halten. Geschäften mit Waren, die nur noch die wenigsten nicht via Amazon und Co bestellen. Von Orten, die sich überdauert haben. Verbliebene Boten aus einer Zeit, die in der nachträglichen Konstruktion wundersam beschaulich daherkommt.
Denn berufliche, persönliche und eben auch mediale Trennungen (Ruhe in Frieden, nzz.at) werden uns mitsamt den damit einhergehenden Neuanfängen auf unabsehbare Zeit begleiten. Rapider Wandel auf allen Ebenen ist ein Kennzeichen der liquiden Moderne. Gut möglich, dass die allumfassende Fluktuation sogar weiter zunimmt. Nichts ist sicher, so viel ist gewiss.
[diesen Text habe ich nach dem Ende von nzz.at geschrieben, eine Veröffentlichung ist sich nicht mehr ausgegangen. Dieser Tage ist mir eingefallen, dass ich ihn damals geschrieben habe. Er soll dennoch das Licht der Welt erblicken.]