Wo beginnt der Weltraum?

Branson, Bezos, Musk: Drei Milliardäre beginnen ein privates Wettrennen um „Weltraum-Tourismus“. Aber waren sie überhaupt im All? Eine kurze völkerrechtliche Anmerkung zu vertikalen Staatsgrenzen.

Eines gleich vorweg: Es gibt keine allgemein – also universal bzw. weltweit – anerkannte rechtliche Grenze zwischen nationalem Luftraum und dem Weltraum. Fest steht nur, dass der Luftraum zum Staatsgebiet gehört. Artikel 1 des Chicagoer Abkommens über die internationale zivile Luftfahrt zufolge besitzt „jeder Staat im Luftraum über seinem Hoheitsgebiet volle und ausschließliche Souveränität„, was gemäß Artikel 2 neben den Landgebieten übrigens auch „angrenzende Hoheitsgewässer“ umfasst (hier gilt eine Grenze von maximal 12 Seemeilen vom Landgebiet weg gerechnet).

Wie weit diese Souveränität reicht, sagt das Abkommen aber nicht. Auch kein anderes völkerrechtliches Übereinkommen, allen voran der Weltraumvertrag, beinhaltet eine vertikale Staatsgrenze.

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Selbst die bekannteste und zuletzt am häufigsten diskutierte Grenze zur Unterscheidung zwischen Luft- und Raumfahrt, die Kármán-Linie, bietet wiederum eine technische, keine rechtliche Definition. Die von Jeff Bezos‘ Weltraumorganisation Blue Origin aufgestellte Behauptung, dass der Weltraum für „96% der Weltbevölkerung bei 100 Kilometern beginnt“ ist aus völkerrechtlicher Sicht nicht einmal ansatzweise haltbar – auch wenn es schön wäre, wenn endlich einmal etwas so klar wäre. Ist aber nicht (siehe auch hier).

Grenze, keine Grenze?

Vielmehr legen Staaten ihre vertikalen Staatsgrenzen unterschiedlich fest. Oder auch gar nicht (etwa, weil sie keine Notwendigkeit dafür sehen), so etwa die Niederlande, das Vereinigte Königreich oder auch, mitunter überraschend, Russland und die USA.

So hatte die Sowjetunion schon nach dem erfolgreichen Start von Sputnik-1 Vorwürfe über mögliche Verletzungen des Luftraums anderer Staaten mit dem Argument zurückgewiesen, dass das Weltall allen gehöre. Er gilt in der Tat als „gemeinsames Erbe der Menschheit“, was eine Unterscheidung zum „normalen“ Luftraum so wichtig macht. Auch Russland hat als Rechtsnachfolger der UdSSR anscheinend (correct me if I’m wrong!) bis heute keine Definition seiner vertikalen Staatsgrenze vorgenommen.

Das gilt gleichermaßen für die USA, die als führende Weltraum-Nation zwar seit Jahrzehnten darüber diskutieren, aber bislang nur von der zukünftigen Möglichkeit, ihre vertikale Souveränität einseitig zu beanspruchen, gesprochen haben. Was einer US-amerikanischen Festlegung der Staatsgrenze im Luftraum nahekommt, ist die Voraussetzung, um als Astronaut zu gelten: seit 2003 gilt hier der Weltall („space“) als der Bereich ab 50 Meilen (80.4 Kilometer) über der Erdoberfläche (diese Definition wird vom US-Militär und der NASA verwendet).

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Diese verhältnismäßig niedrige Grenze macht Richard Brenson zwar – wie gesagt, in den Augen der USA – zum Astronauten. Im Weltall war er – aus rechtlicher Sicht – streng genommen aber nicht.

Die meisten Definitionen gehen nämlich wesentlich weiter. Hier muss man zwischen zwei Ansätzen unterscheiden: dem „funktionalen“ (functional) und einem „räumlichen“ („spatial“) Ansatz.

Der „funktionale“ Ansatz

Ersterer trifft die Unterscheidung danach, ob ein „Weltraumflug“ ohne Bezug zum darunterliegenden Territorium ausgeführt wird. Der Vorteil besteht darin, dass sich diese flexible Grenze an den technologischen Fortschritt anpasst. Allerdings kann ein und dasselbe Flug- bzw. Weltraumobjekt damit je nachdem, was es gerade tut, unterschiedlichen, mitunter widersprüchlichen Regeln – eben dem Weltraumrecht oder dem Recht der zivilen Luftfahrt – zur Sicherheit oder Navigation unterworfen sein.

Beispiele für dynamische Definitionen des Weltraums oder des staatlichen Luftraums finden wir in jedenfalls in Südafrika, das den Weltraum als „the space above the surface of the earth from a height at which it is in practice possible to operate an object in an orbit around the earth“ definiert, oder auch in Österreich, konkret der Verordnung des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie sowie des Bundesministers für Landesverteidigung und Sport über die Regelung des Luftverkehrs 2014 (Luftverkehrsregeln 2014 – LVR 2014), in der die „obere Staatsgrenze“ wie folgt beschrieben wird:

jene Höhe, in der sich Luftfahrzeuge nicht mehr aufgrund des aerodynamischen Auftriebs, sondern nur aufgrund der Keplerschen Kraft zu bewegen vermögen.

Quelle

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Der „räumliche“ Ansatz

Zweiterer Ansatz möchte durch eine konkrete Grenze rechtliche Klarheit schaffen. Allerdings gibt es hier, wie mehrfach betont, keine Einigkeit in der Staatenwelt. So beansprucht Australien in Übereinstimmung mit der oben erwähnten Kármán-Linie 100 Kilometer für sich, andere Vorschläge für eine konkrete Grenzziehung reichen von 40 bis 160 Kilometern. Auch hier gibt es Kritik: Zum einen lässt sich eine starre Grenze nicht so leicht ändern, das Recht könnte also hinter dem technologischen Fortschritt hinterherhinken. Bei einer Festlegung einer Höhe von mehr als 100 Kilometern wird außerdem befürchtet, dass kleinere Staaten und Binnenstaaten faktisch vom Weltraumtransport ausgeschlossen wären, weil sie gar nicht erst so weit kommen. Außerdem bleibt unklar, wie mit Weltraum-Tourismus umgegangen werden soll, also wenn Flugobjekte sich die die meiste Zeit im nationalen Luftraum befinden und nur wenige Minuten die magische Grenze überschreiten.

Weltraum, ja oder nein?

Damit zurück zu Jeff Bezos. Wie wir gesehen haben, sind die 100 Kilometer durchaus magisch, aber eben weniger eindeutig als angenommen (und als Blue Origin uns weismachen will). Technisch sind allerdings 160 Kilometer der niedrigste Punkt für Satelliten, 120 Kilometer wiederum der Wieder-Eintrittspunkt für Raumfahrtssysteme. Der Bereich zwischen 50-120 Kilometern ist eher „weltraumnahe“ („Near Space“), also ein Mittelding zwischen „normalem“ Luftraum und dem Weltall (für Näheres siehe hier). Letzterer beginnt erst ab 120 Kilometern oder überhaupt erst ab 160 Kilometern. So gesehen hat Jeff Bezos die USA nie verlassen, er war nur (sehr) weit oben. Aber eben nicht weit genug.

Aber das kann ja noch werden. Wie Bezos selbst betont hat, zahlen die Kunden und Angestellten von Amazon ja dafür. Es hat schon was von einem dystopischen Film (siehe diesen Kommentar im Atlantic): Drei Milliardäre verlassen während einer Pandemie und in Zeiten des Klimawandels und globaler Ungleichheit mal eben die Erde. Oder auch nicht. Womit wir wieder am Anfang wären.

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