Zur Demokratisierung der Kunst

Die Hölle, das sind die anderen liest man bei Sartre schon in der Überschrift. Weiter muss man nicht einmal lesen. Knackige Sätze leben oft davon, dass jeder das Seine hineininterpretieren kann und es auch tut. Auf diese unsere Zeit bezogen grinst uns die Hölle der anderen leicht verfügbar auf unseren Smartphones entgegen. Wer will und kann da noch passiv bleiben? Social Media verodnet die kollektive vita activa.

Wir können jederzeit nachsehen, was andere tun und wir folglich nicht. Unter anderem, wer auf eine angesagte Ausstellung geht oder vielleicht gar selbst eine macht. Selbstoptimierung hat viele Gesichter. Mit Byung-Chul Han könnte man vom Panoptikon in uns selbst sprechen, das den Neoliberalismus so erfolgreich macht. Hans Thesen passen eben nicht nur zur Welt der Arbeit („Arbeitnehmerfortbildung“, „lebenslanges Lernen“, ein ein Seminar beim Rhetoriktrainer mit schneeweiß gebleachten Zähnen und perfekt einstudiertem Fake-Lachen da, ein Workshop zu perfektem Zeitmanagement da), sondern auch zu unserer Freizeitgestaltung, sofern man diese Dichotomie überhaupt noch vertreten darf.  Lapidar ausgedrückt: Auch am Wochenende sind wir Sklaven unserer selbst und vergleichen uns ganz ohne fremde Kontrollinstanz mit dem Bild der anderen (nur selten von einem anderen), indem wir 100 Facebook-Timelines zu einer zusammenfassen: Die Summe der vielen, die wir oft kaum bis gar nicht kennen ist der wahre nietzscheanische Übermensch, der uns als Vergleichsmaßstab das Leben so schwer machen kann. Das macht aus Konsumenten nur allzu oft Produzenten.

Ob aus gesellschaftlichem oder aus den Tiefen des Selbst heraus dringendem Druck; erstere werden genötigt, zweitere nötigen sich entweder selbst oder haben wirklich genuinen Spaß an der Sache (soll es geben).  Es reicht nicht, Bücher zu lesen, man muss auch selbst welche schreiben, zur Not gibt es immer noch Eigenverlage und für jene mit zu kurzem Atem für den ganz großen Wurf immer noch Blogs oder Statusupdates. Bei Diskussionsveranstaltungen mit honorigen Damen und Herren aus der intellektuellen Oberschicht scheinen so einige nur zu warten, bis sie die offene Runde für ihr Co-Referat nutzen können.

Foto-Ausstellungen ansehen schön und gut, irgendwann soll es dann die eigene sein. „Das kann ich eigentlich auch“, jedenfalls heute, wo die Spiegelreflex erschwinglich und die iphone-Kameras immer besser und werden. Wenn schon keiner Interesse zeigt, weil Kontakte oder was man sonst so braucht fehlen, dann bleibt immer noch Instagram als virtueller Ausstellungsraum. Die Produktion ist demokratisiert, die Erstellung beziehungsweise Einrichtung eines entsprechenden Accounts dauert kürzer als der Weg zur nächsten Wahlurne. Auf der Strecke bleiben jene, die sich einbilden, eine Sache um ihrer selbst Willen zu tun. Denn jeder braucht den Beobachter, niemand will sein eigenes Publikum sein. Selbst ein Franz Kafka wollte insgeheim wohl doch, dass sein Werk irgendwie der Öffentlichkeit zugänglich wird, sonst hätte er es doch selbst verbrannt, anstatt es Max Brod, einem seiner größten Fürsprecher erster Stunde, anzuvertrauen.   Damit wären wir  auch schon beim großen Dilemma unserer Zeit. Je höher die Anzahl der Produzenten, desto mehr gerät die Balance zu den Passiven außer Fugen. Wenn der Literatur-, Kunst-, Theater- und sonstige Kritiker sich über ein gewisses Maß selbst betätigt, schärft das sein Urteil nicht nur, es leidet auch. Statt idealiter reinem Blick auf das Endprodukt rückt der Herstellungsprozess mit in den Fokus, eventuell werden Parallelen zum eigenen Werk, eigenen Motivationen gezogen, mitunter gar mit Unterstellungen gearbeitet, wieso dieses und jenes Thema gerade zu dieser und jener Zeit, zu der es ja ach so gut passt, gewählt wurde. Der Amateur ist obendrein oft anmaßend, eben weil er ein Amateur ist und nur Ausschnitte kennt. Mit Wissen steigt die Skepsis. Kurzum: Die Kontemplation, der möglichst unverfängliche Blick auf eine Sache, ein Werk an sich wird vernebelt. Auf der Bühne stehen Schauspieler, die von Impro-Workshop-Teilnehmern beäugt werden. Statt dem Bild, ob gemalt oder fotografiert, gilt das Interesse den sonstigen auf der Vernissage anwesenden Personen, die einem selbst dazu verhelfen könnten, „auch einmal“ ausstellen zu dürfen. Manche träumen ja davon, dass eine Welt der Mindestsicherung ein wahres Künstlerparadies schaffen würde: Unzählige Menschen, die sich frei von äußeren Zwängen ohne Kapitalisierungs- und Erhaltungszwang betätigen und umgekehrt konsumieren, um sich inspirieren zu lassen. Vielleicht verschiebt sich allerdings lediglich der Fokus auf unsere neue Währung: Aufmerksamkeit, und die ist inhärent begrenzt. Vielleicht braucht es die Arbeit nicht nur als — leider (!) — kollektiv-sinnstiftendes Element, sondern auch zur Wahrung des richtigen Verhältnisses zwischen Konsumenten und Produzenten.

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