Postfaktisch hier, postfaktisch da. Jetzt sogar ganz offiziell Wort des Jahres. Wir suchen nach der Wahrheit und verankern sie oft, ja manchmal sogar immer, in der Mitte. Stimmt aber nicht, sie liegt heute immer öfter im Nirgendwo, jedenfalls aber nicht in der Mitte.
Das Schema ist altbekannt. Meinung A sagt dieses, Meinung B jenes. Dann kommt der nüchterne Beobachter, der gemäßigte. Die gesunde Mitte, frei nach Aristoteles, und spricht mit der Gelassenheit tausende Jahre alter Philosophiegeschichte den großen Stehsatz aus: „Die Wahrheit liegt in der Mitte.“
Nein, tut sie nicht. Und wenn, dann eher zufällig. Abgesehen davon, dass niemand so richtig weiß, was die Wahrheit ist — sonst gäbe es ja keine Philosophie –, gibt man damit einer oder zwei Extrempositionen (bei mehr wird es mit der Mitte noch schwieriger) ungebührlich viel Deutungshoheit. Bei Dan Ariely können wir ja schön darüber lesen, wie wir jede Person oder Position mit den jeweils nahestehenden in Verbindung setzen. Einen Ankerpunkt suchend, anhand des Extrems das Gemäßigt(er)e bestimmen.
Nur, je schlimmer das Extrem, desto schlimmer auch das somit lediglich scheinbar Gemäßigte. Wenn eine Position himmelschreienden Blödsinn vertritt und ein anderer Extrem nur ein bisschen falsch liegt, verlagert sich die Mitte in die falsche Richtung. Neben Hardcore-fundamentalistischen Gruppierungen wie dem „Islamischen Staat“ wirken andere islamistische Kämpfer „moderat.“ Ein Rechtsextremer weniger arg neben einem Vollblut-Nationalsozialisten. Ein Leninist harmloser neben einem Stalinisten. Und so weiter. Um das eine Extrem auszugleichen, stets das andere Extrem suchen oder krampfhaft konstruieren. Oder sich einfach vom Gedanken verabschieden, dass die Wahrheit in der Mitte liegt. Dort wird sie zwar oft gesucht. Aber finden wird man sie, wenn überhaupt, dann doch woanders.
[zur Klarstellung: Natürlich sind das keine großen philosophischen Erkenntnisse; oft genug scheint dem jedoch nicht zu sein. Oder auch: Es gehört ab und an gesagt/wiederholt/betont]