Belgrad: NATO-Narben

Ich war letztes Wochenende seit zehn Jahren wieder in Belgrad. Die Folgen der NATO-Luftangriffe von 1999 sind immer noch zu sehen. Vielleicht sollen manche Wunden einfach nicht verheilen.

Wenn man einen Ort zum wiederholten Male bereist, drängt sich einem die eigene
Vergangenheit regelrecht auf. In diesem Fall also der Sommer von 2007, Roadtrip nach Montenegro zu viert im 5er BMW. Am Rückweg spontaner Abstecher nach Belgrad – „wenn man schon mal da ist“.20170422_175858
Von der Stadt selbst haben sich neben der alten Burg, der Fußgängerpassage und dem Fortgehen zu Turbo-Folk am Flussufer insbesondere die Spuren der NATO-Luftangriffe von 1999 eingeprägt.

Klaffende Wunden

Sie sind bis heute nicht verschwunden, nach wie vor steht mitten in der Stadt das stark beschädigte Verteidigungsministerium. Als ich zum ersten Mal daran vorbei fahre, versuche ich den Taxifahrer mit einer Mischung aus meinem äußerst rudimentären Serbisch und Englisch zu fragen, wieso es noch nicht instand gesetzt wurde: „I don’t know… maybe no money… maybe no plan… with the military you never know what they do and why.“20170422_194424

Auf dem Gebäude selbst ist ein riesiges Plakat angebracht, es zeigt eine mit strengem Blick salutierende Soldatin. Die aus Bildsprache und der Größe des Plakats erwachsende Imposanz spießt sich mit dem Anblick der Zerstörung.

Operation Allied Force

Denn die NATO-Luftangriffe waren auch eine Machtdemonstration, ein Schauspiel der Asymmetrie. Kein Krieg, sondern eine Polizeiaktion. Eine Belehrung für das in den Augen der USA und des Westens immer noch widerspenstige und konfliktträchtige Serbien: Wie man in Samantha Powers Buch „A Problem from Hell“ nachlesen kann, hatten die USA Ende der 1990erjahre endgültig genug von Milosevic; nach den Jugoslawienkriegen war die Geduld an ihrem Ende angelangt; es galt, ihn endgültig loszuwerden. Daher wurde parallel zu den Luftangriffen die serbische Opposition (Otpor!) unterstützt. Milosevic sollte nicht von außen, sondern von innen, von seinem eigenen Volk gestürzt werden. Da man annahm, dass Angriffe auf staatliche Ziele alleine nicht ausreichen würden, griff man sogar seine private Residenz an (übrigens sind auch hier die Spuren nach wie vor sichtbar, sie liegt gleich neben dem Tito-Mausoleum).

Operation Allied Force beschäftigt die (Welt-)Politik bis heute. Immer noch wird über die Ereignisse im Kosovo vor, während und nach der Luftangriffe ebenso gestritten wie über das Ultimatum an die serbische Regierung. Auf westlicher Seite wurde damals mit dem schlimmsten gerechnet, zumal die Erinnerungen an Srebrenica noch frisch war.

Kritiker meinen wiederum,  dass die westliche Bevölkerung gezielt manipuliert worden sei, um die als humanitäre Intervention gerechtfertigen Luftangriffe zu akzeptieren (siehe dazu die auf dem WDR ausgestrahlte Doku „es begann mit einer Lüge„). Zugleich wird betont, dass es erst nach nach Beginn der Luftangriffe zu den gravierendsten Menschenrechtsverletzungen und Vertreibungen der Kosovo-Albaner gekommen war und später die serbische Minderheit im Kosovo vertrieben beziehungsweise drangsaliert wurde und wird.

Putin in Belgrad

Kosovo und alles damit Zusammenhängende hat außerdem eine weltpolitische Dimension. Russland hat ein Interesse daran, dass diese Frage nicht in Vergessenheit gerät. Zum einen,um die schon seit geraumer Zeit (man denke nur an den Ersten Weltkrieg) bestehende russisch-serbische Nahebeziehung zu erhalten. Russland hatte 1999 mit der Ankündigung, von seinem Vetorecht Gebrauch zu machen, schließlich eine Autorisierung des Sicherheitsrats verhindert (daher handelt es sich bei der als humanitäre Intervention bezeichneten Operation Allied Force um einen Verstoß gegen das Gewaltverbot). Putins Ethnopolitik war und ist auch in Russland beliebt, zumal sein Vorgänger Jelzin noch als schwacher Vasall des Westens galt. Nach außen hin ist er seit jeher – Stichwort Panslawismus – aktiv darum bemüht, die Politik am Balkan zu beeinflussen. Es ist kein Zufall, dass der Bau der großen orthodoxen Kirche in Belgrad (der Dom des heiligen Sava) von Gazprom (mit)finanziert wird: „The project to create a mosaic for the main dome of the St Sava Cethadral is funded by Russia’s Gazprom Neft as part of a large-scale programme to support Serbia’s Culture and preserve its historic heritage.“ kann man dort lesen.

Daneben zeigt sich der russische Einfluss bei jedem kleinen Souvernierstand; hier  gibt es T-Shirts oder Kühlschrank-Magneten mit Putins Konterfei, auf manchen steht „Kosovo je Srbija. Krim je Rusija.“ Das letzte Wort in dieser Sache ist jedenfalls noch nicht gesprochen, der Kosovo-Stachel sitzt nach wie vor tief.

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Putine Ubico: „Mörder Putin/Putin du Mörder“ – auch das kann man auf Belgrader Hauswänden lesen

Des weiteren eignet Operation Allied Force sich hervorragend als Präzedenzfall: Im Zusammenhang mit der Krim oder im Georgienkrieg hat Russland den Schutz von Menschenrechten eigener Staatsangehöriger betont. Die NATO-Intervention wurde explizit als Rechtfertigung beziehungsweise Symbol westlicher Doppelmoral angeführt. Russland zufolge hat es bei der Krim etwas substantiell Ähnliches gemacht wie der Westen im Kosovo. Insofern habe man keine Berechtigung, dem Land eine Verletzung des Völkerrechts vorzuwerfen. Auch wenn es sich damit um einen klassischen Fall von whataboutism handelt, wirken die Folgen des Kosovo-Dilemmas folglich bis heute nach (wobei Russland auf Basis des Selbstbestimmungsrechts der Völker und der Abstimmung auf der Krim argumentiert und daher keinen Völkerrechtsverstoß sieht).

Wer deine Feinde sind

Neben dem Verteidigungsministerium wird auch vor dem Parlament an die Folgen der Luftangriffe und den Kosovokrieg erinnert; „[NATO] We will never forgive you for killing our Children“ steht dort in großen, auch vom Auto aus leicht lesbaren Lettern, auf unzähligen Plakaten sieht man teilweise sehr explizite Fotos der Opfer.20170423_141630

So gesehen gibt es mitunter einen simplen Grund, wieso das Gebäude in seinem desolaten Zustand belassen wurde. Vielleicht soll das serbische Volk die NATO-Luftangriffe nicht vergessen. Mitten in der Hauptstadt wird es täglich daran erinnert. Während man anderswo wieder aufbaut (man denke an die alte Brücke in Mostar), lässt man hier bewusst eine Wunde offen: Niemals vergessen, wer eure Feinde – und wer eure Freunde – sind.

 

 

 

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