Der mittlerweile 49 Jahre zurückliegende Einmarsch von Truppen des Warschauer Pakts in der damaligen Tschechoslowakei hallt bis heute nach. Ein paar Gedanken und Anmerkungen zu einem der traurigen Höhepunkte des Kalten Krieges.
Die Konfrontation zwischen Osten und Westen war auch ein Aufeinanderprallen (geopolitischer) Sicherheitsdoktrinen. Zentral war dabei stets die Absicherung der eigenen Einflussphäre.
US-Doktrinen: Von Eindämmung bis zur Intervention
So prägte Truman in Bezug auf Länder wie Griechenland oder die Türkei den Gedanken des „Containment“ (weswegen sie 1952, dem letzten Jahr seiner zweiten Amtszeit, auch NATO-Mitglieder wurden). Sein Nachfolger Dwight D. Eisenhower (ich muss bis heute an die Folge von „eine schrecklich nette Familie“ denken, bei der Al Bundy kein anderer Präsident einfällt) gelobte nach der Suezkrise und dem wachsenden sowjetischen Einfluss in Ägypten und Syrien, dass jedes Land im Falle einer kommunistischen Bedrohung die wirtschaftliche und auch militärische Hilfe der USA beanspruchen konnte.
Kennedy und Lyndon B. Johnson wiederum verlagerten den Fokus auf Lateinamerika, den geopolitischen Hinterhof der USA. In diese Zeit fällt neben der (gescheiterten) Invasion in der Schweinebucht und die Kubakrise; aus Sorge vor einem oder mehreren Kubas intervenierten die USA 1965 in der dominikanischen Republik: Spätestens von nun an war klar, dass ein kommunistisches Regime in dieser Region nicht als innerstaatliche Angelegenheit behandelt werden würde.
Prager Frühling und Breschnew-Doktrin
Als Gegenstück zu den unterschiedlichen US-Doktrinen hielt die Sowjetunion unter Breschnew fest, die Abkehr vom Sozialismus in einem Land als Bedrohung für „die Sicherheit des gesamten sozialistischen Staatengemeinschaft“ zu betrachten, womit sie „nicht nur ein Problem des betreffenden Landes“ darstellt. So gesehen genossen die sozialistischen Staaten nur eine eingeschränkte, an die Beibehaltung ihres politischen Systems geknüpfte Souveränität.
Die Breschnew-Doktrin war die nachträgliche politisch-programmatische Rechtfertigung für die Niederschlagung des Prager Frühlings. Völkerrechtlich berief die Sowjetunion sich auf das Konzept der Intervention auf Einladung: Wenn der betroffene Staat der Gewaltanwendung auf seinem Gebiet zustimmt, liegt kein Verstoß gegen das Gewaltverbot vor. Ein solches muss jedoch von einer entsprechend befugten Stelle ausgesprochen werden. Die von der Sowjetunion ins Spiel gebrachte schriftliche Bitte stammte allem Anschein nach von einigen konservativen Angehörigen der kommunistischen Partei der Tschechoslowakei, aber gewiss nicht von führenden Vertretern des Staates. Insofern ist die damalige Invasion ein Paradebeispiel für eine missbräuchliche Anwendung des – aus genau solchen Gründen strittigen – Konzepts der Intervention auf Einladung.
Die KSZE und ihre Schlussakte
Das Ende des Prager Frühlings gab auch der seit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs weit verbreiteten Sorge vor einem sowjetischen Einmarsch in Westeuropa neuen Auftrieb. Aus diesem Grund wurde unter Beteiligung der USA, Kanadas, der Sowjetunion sowie aller europäischen Staaten mit Ausnahme Albaniens (das unter Enver Hoxha einen radikal-isalotionistischen Kurs verfolgte), die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) einberufen. Ihr Abschlussdokument von 1975 (der Helsinki Schlussakte) betonte und formulierte zehn zentrale Prinzipien der friedlichen Koexistenz: die souveräne Gleichheit, die Enthaltung von der Gewaltandrohung und -anwendung, die Unverletzlichkeit der Grenzen mitsamt dem Respekt vor ihrer territorialen Integrität und des Einmischungsverbots, das Gelöbnis, internationale Streitfälle auf friedlichem Wege zu lösen, die Achtung der Menschenrechte, das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen nach Treu und Glauben.
Die Helsinki Schlussakte stellt nach wie vor eine der bedeutsamsten Zusammenfassungen der maßgeblichen völkerrechtlichen Grundsätze dar – so wurde sie etwa auch von der UN-Generalversammlung in ihrer Resolution zum russischen Vorgehen auf der Krim als Beleg für die Bedeutung der territorialen Integrität, der Souveränität und des Gewaltverbots genannt.
Flüchtlingskrise?
Der Prager Frühling war auch anlässlich der Flüchtlingskrise 2015 einmal mehr in aller Munde: Die durch den Prager Frühling ausgelösten Fluchtbewegungen hatten auch Auswirkungen auf Österreich, bis Dezember 1968 sind um die 210 000 Menschen (übrigens ließ Breschnew selbst die Menschen ausreisen, die Eindämmung eines solchen Protests mit den Füßen sollte erst später folgen) gekommen (von denen jedoch ein Viertel Jugoslawien-Touristen waren, die nicht über die ungarische Grenze heimfahren konnten), in Österreich geblieben sind allerdings nur 2- 3000. Parallelen zur Flüchtlingskrise 2015 sind insofern nur von beschränkter Aussagekraft.