Heute Schopenhauer (Zitat)

Gerade in Zeiten von Instagram und Co sind seine Aphorismen zur Lebensweisheit höchste Relevanz:

Dieses, also unser Dasein in der Meinung anderer, wird, infolge einer besonderen Schwäche unserer Natur, durchgängig viel zu hoch angeschlagen; obgleich schon die leichteste Besinnung lehren könnte, daß es, an sich selbst, für unser Glück, unwesentlich ist. Es ist demnach kaum, erklärlich, wie sehr jeder Mensch sich innerlich freut, so oft er Zeichen der günstigen Meinung anderer merkt und seiner Eitelkeit irgendwie geschmeichelt wird. So unausbleiblich wie die Katze spinnt, wenn man sie streichelt, malt süße Wonne sich auf das Gesicht des Menschen, den man lobt, und zwar in dem Felde seiner Prätension, sei das Lob auch handgreiflich lügenhaft. Oft trösten ihn, über reales Unglück oder über die Kargheit, mit der für ihn die beiden, bis hierher abgehandelten Hauptquellen unseres Glücks fließen, die Zeichen des fremden Beifalls: und, umgekehrt, ist es zum Erstaunen, wie sehr jede Verletzung seines Ehrgeizes, in irgendeinem Sinne, Grad oder Verhältnis, jede Geringschätzung, Zurücksetzung, Nichtachtung ihn unfehlbar kränkt und oft tief schmerzt. Sofern auf dieser Eigenschaft das Gefühl der Ehre beruht, mag sie für das Wohlverhalten vieler, als Surrogat ihrer Moralität, von ersprießlichen Folgen sein; aber auf das eigene Glück des Menschen, zunächst auf die diesem so wesentliche Gemütsruhe und Unabhängigkeit, wirkt sie mehr störend und nachteilig, als förderlich ein. Daher ist es, von unserm Gesichtspunkt aus, ratsam, ihr Schranken zu setzen und, mittelst gehöriger Überlegung und richtiger Abschätzung des Wertes der Güter, jene große Empfindlichkeit gegen die fremde Meinung möglichst zu mäßigen, sowohl da, wo ihr geschmeichelt wird, als da, wo ihr wehe geschieht: denn beides hängt am selben Faden. Außerdem bleibt man der Sklave fremder Meinung und fremden Bedünkens.

Demnach wird eine richtige Abschätzung des Wertes dessen, was man in und für sich selbst ist, gegen das, was man bloß in den Augen anderer ist, zu unserm Glücke viel beitragen.

Wenn man hingegen sieht, wie fast alles, wonach Menschen ihr Leben lang, mit rastloser Anstrengung und unter tausend Gefahren und Mühseligkeiten unermüdlich streben, zum letzten Zwecke hat, sich dadurch in der Meinung anderer zu erhöhen, indem nämlich nicht nur Ämter, Titel und Orden, sondern auch Reichtum und selbst Wissenschaft und Kunst im Grunde und hauptsächlich deshalb angestrebt werden und der größere Respekt anderer das letzte Ziel ist, darauf nun hinarbeitet; so beweist dies leider nur die Größe der menschlichen Torheit. Vielzuviel Wert auf die Meinung anderer zu legen, ist ein allgemein herrschender Irrwahn: mag er nun in unserer Natur selbst wurzeln, oder infolge der Gesellschaft und Zivilisation entstanden sein; jedenfalls übt er auf unser gesamtes Tun und Lassen einen ganz übermäßigen und unserm Glücke feindlichen Einfluß aus, den wir verfolgen können von da an, wo er sich in der ängstlichen und sklavischen Rücksicht auf das qu’en diva-t-on zeigt, bis dahin, wo er den Dolch des Virginius in das Herz seiner Tochter stößt, oder den Menschen verleitet, für den Nachruhm, Ruhe, Reichtum und Gesundheit, ja, das Leben zu opfern. Dieser Wahn bietet allerdings dem, der die Menschen zu beherrschen oder sonst zu lenken hat, eine bequeme Handhabe dar, weshalb in jeder Art von Menschendressierungskunst die Weisung, das Ehrgefühl rege zu erhalten und zu schärfen, eine Hauptstelle einnimmt: aber in Hinsicht auf das eigene Glück des Menschen, welches hier unsere Absicht ist, verhält die Sache sich ganz anders und ist vielmehr davon abzumahnen, daß man nicht zuviel Wert auf die Meinung anderer lege.

 

http://gutenberg.spiegel.de/buch/aphorismen-4996/6

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