Anonymität im Internet

Manche gewichtige Stimmen aus der heimischen Medienbranche fordern zur Bekämpfung von „Hass im Netz“ immer wieder eine „Klarnamenpflicht“ in Internetforen. Dagegen spricht so einiges. Simple Lösungen sind selten gut.

Und immer wieder grüßt das Murmeltier. In regelmäßigen Abständen fordern diverse Politiker oder Journalisten bzw. Chefredakteure ein Ende der Anonymität in Online-Foren. So sollen Beschimpfungen, Hetze – kurzum alles, was man unter dem mittlerweile inflationär verwendeten Begriff „Hass im Netz“ zusammenfasst – verhindert oder gegebenenfalls die Verfasser ausfindig gemacht werden. So weit, so simpel.

Medienlogik

Über die Motivlage hinter diesen Forderungen kann man freilich nur mutmaßen. Man darf sich fragen, ob das eigentliche Ziel darin besteht, einen Konkurrenten – der über eines der reichweitenstärksten Foren im deutschsprachigen Raum verfügt – zu schwächen. Aber das mögen andere besser beurteilen.

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Anonymität und Meinungsfreiheit

Jedenfalls gibt es gewichtige Argumente für die Wahrung der Anonymität beziehungsweise der Möglichkeit, unter Pseudonymen zu posten. Sie reichen von der Chance für Angehörige von Randgruppen, sich möglichst risikofrei auszutauschen über Kritik an Behörden im ländlichen Raum – wo die Menschen sich aus guten Gründen oft nicht mit Bürgermeistern oder Landesregierungen anlegen wollen – bis hin zur Beteiligung an politischen Diskussionen, ohne wegen seinen Ansichten Probleme am Arbeitsplatz zu bekommen (oder ihn gar zu verlieren).

Das ist jetzt nicht nur meine Privatmeinung – entsprechende Ausführungen findet man auch beim UN-Sonderberichterstatter zum Recht auf Meinungsfreiheit, der Staaten dazu aufgerufen hat, die Anonymität im Internet zu gewährleisten:

[der UN-Sonderberichterstatter] calls upon States to ensure that individuals can express themselves anonymously online and to refrain from adopting real-name registration systems.
Under certain exceptional situations where States may limit the right to privacy for the purposes of administration of criminal justice or prevention of crime, the Special Rapporteur underscores that such measures must be in compliance with the international human rights framework, with adequate safeguards against abuse.

Die generelle Abschaffung Anonymität hat auch schon Richter beschäftigt: So hat das südkoreanische Verfassungsgericht 2012 ein Gesetz zurückgewiesen, das online eine allgemeine Echtheitsbestätigung von Namen verlangte – ein solcher pauschaler Ansatz habe schließlich eine abschreckende Wirkung (chilling effect) und sei daher nicht mit der Meinungsfreiheit vereinbar. Ebenso fehle es an Verhältnismäßigkeit: Die Allgemeinheit werde schließlich wegen einer Minderheit an Menschen, die Anonymität missbrauchen, unter Generalverdacht gestellt.

Wo es keine Anonymität gibt

Ebenso lohnt sich ein Blick in jene Länder, in denen es keine Pseudonyme bzw. Anonymität gibt: Vietnam hat 2013 ein entsprechendes Verbot verabschiedet, im Iran müssen alle IP-Adressen heimischer Blogs registriert werden, in Russland müssen bekannte Blogger sich bei der nationalen Medienstelle registrieren und in China gibt es schon seit Jahren ein Cybersecurity-Gesetz, das jedwede Online-Anonymität unterbindet. Keine guten Vorbilder.

Pro und Contra

Das ändert natürlich nichts daran, dass Anonymität ihre Tücken hat. Niemand leugnet die Missbrauchsgefahr, von Schmähungen, Beschimpfungen, über das Streuen von Gerüchten, die Verbreitung extremistischer oder terroristischer Propaganda bis hin zu Hetze oder Drohungen. Schon Platon hat sich über die Gefahren der Anonymität – bei ihm freilich noch das bekannte und oftmals weiter verwurstete hypothetische Beispiel eines Rings, der unsichtbar macht (der Ring des Gyges): Ein solcher Ring würde den Träger zu Raub oder gar Mord verführen. Auf die Online-Welt gemünzt also zu den oben genannten Handlungen.

Dass eine Klarnamenpflicht hier Abhilfe schaffen würde, sei freilich dahingestellt (siehe dazu auch diese Pressemitteilung der österreichischen Internetanbieter). Platon musste seine Thesen noch nicht empirisch untermauern. Heute wissen wir jedenfalls, dass Hasskommentare oft unter den echten Namen gepostet werden (eine lesenswerte Studie aus Deutschland dazu ist hier zu finden). Ein eindringliches heimisches Beispiel sind die obszönen Nachrichten, die ein in österreichischen Social Media-Kreisen als „Bierwirt“ bekannter Klarnamen-Account an die Politikerin Sigi Maurer geschickt hat.

Gegen die Abschaffung der Online-Anonymität sprechen die eingangs erwähnten Gründe. Vor allem bedeutet sie Sicherheit und Schutz, vor allem für vulnerable Gruppen. Das kann der junge Homosexuelle in einer kleinen Gemeinde sein, der sich mit anderen austauschen möchte, ohne beim Wirten am Hauptplatz zum Gesprächsthema zu werden. Das in einem erzkonservativen Haushalt lebende Mädchen, das sich über Sexualität und Verhütung informieren möchte. Der Kritiker an Korruption in einem Umwidmungsverfahren, der die Wut des Bürgermeisters fürchtet. Und und und.

Mittelweg Pseudonyme?

Jetzt kann man freilich einen Mittelweg in der Erfordernis von Systemen zur Zertifizierung der Echtheit von Userdaten sehen (siehe obigen Tweet von Richard Schmitt). User dürften also weiter mit Pseudonymen posten, wenn sie Hasskommentare oder Beleidigungen schreiben, können sie von den Betroffenen aber leichter ausfindig gemacht werden.

Dabei bestehen freilich gewichtige Einwände rund um die Sicherheit von Daten: Ob privater Anbieter oder staatliche Behörden – Hacks und damit verbundene Verletzung der Privatsphäre (unbescholtener) User gehören heute leider zur Tagesordnung.

Außerdem stellt sich die Frage, wer darüber entscheidet, wann die Daten herausgegeben werden müssen und in welchen Fällen: Internet-Providern oder Forenbetreibern kann dieses Urteil jedenfalls nicht zugemutet werden. Gleichzeitig muss man sich im Einzelfall oft fragen, wo die Grenze zwischen legitimer Kritik und Beleidigung oder Rufschädigung liegt. Auch der Begriff „Hass im Netz“ wird mittlerweile so unterschiedlich ausgelegt, dass man fernab eindeutiger Beispiele nicht mehr so sicher sein kann, was genau darunterfällt.

Das Internet ist kein rechtsfreier Raum

Davon abgesehen lassen sich User auch jetzt allgemein ohnehin ausfindig machen – im simpelsten Fall über IP-Adressen, ansonsten müssen auch VPN-Anbieter gegebenenfalls Daten herausrücken. Bei Facebook lässt sich die Identität eines Nutzers wiederum oft über das Freunde-Netzwerk feststellen. Nur die wenigsten Menschen machen sich die Mühe und verfügen über das notwendige know how, zu (beinahe) 100% anonym zu sein.

Wenn österreichische Behörden Probleme haben, von den großen Tech Giganten entsprechende Informationen zu erhalten, liegt das in vielen Fällen an unzureichender bis fehlender Schulung beim Erstellen von Anfragen, weniger an den Anbietern selbst. Dazu sei auch auf die innerhalb Europas unterschiedliche Häufigkeit von behördlichen Anfragen bei Google oder Facebook, deren Erfolgsraten in manchen Ländern höher und in anderen niedriger sind; Österreichs Polizei schneidet bei Facebook-Anfragen übrigens schlecht ab.

Gelindere Mittel

Kurzum: Die bestehenden Mittel reichen aus, Betreiber können ohnehin schon jetzt in die Pflicht genommen werden (siehe das Delfi gegen Estland-Urteil des EGMR), gegebenenfalls kann man hier nachbessern. Eine Klarnamenpflicht ist nicht nur unnötig, sondern eine ungebührliche Einschränkung der Meinungsfreiheit mit ungeahnten Folgen für den öffentlichen Diskurs im Internet. Es gibt genügend best practice-Beispiele, die weniger weit gehen (siehe etwa hier). Man muss ja nicht immer gleich mit der Brechstange kommen.

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