Joe Biden hat angekündigt, die US-Truppen am 11. September 2021 aus Afghanistan abzuziehen. Also genau 20 Jahre nach den 9/11-Anschlägen und der daran anschließenden „Operation Enduring Freedom“.
Wie Biden betonte, ist er der vierte US-Präsident, 2 Demokraten, 2 Republikaner, in dessen Amtszeit dieser Krieg fällt. „Operation Enduring Freedom“ ist damit der längste dauerhafte Einsatz von US-Truppen, auch vor Vietnam. Biden hat sich mit seiner Entscheidung über die US-Generäle hinweggesetzt, die eine kleine Präsenz aufrechterhalten wollten, um ein zweites Irak zu verhindern, das in der zweitgrößten Stadt Mosul drei Jahre nach dem Truppenabzug vom „Islamischen Staat“ überrollt wurde. Andere kritisieren, dass das Ende des US-Engagements nach dem Krieg mit der Sowjetunion die Machtergreifung der Taliban überhaupt erst ermöglich hatte.
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Die Verlängerung der Frist könnte auch ein politischer Boomerang werden. Trump hatte sogar Mai geplant, die Taliban im Gegenzug keine US-Soldaten angegriffen, seit einem Jahr ist keiner mehr gestorben. Wenn die Taliban jetzt oder nach Mai diesen Pakt brechen, darf man sich fragen, ob der Truppenabzug hält.
Davon abgesehen wurde das ursprüngliche Versprechen, Menschen- und insbesondere Frauenrechte zu stärken, nicht eingelöst. Überhaupt klingt die Rede von George W. Bush zum Afghanistankrieg von 2001 wie aus einer anderen Welt.
Auch wenn die Lage sich gebessert hat, ist Afghanistan nach wie vor chronisch instabil, (es liegt auf Platz 9 am Fragile State Index – ist die Art von Rangliste, bei der man weit hinten sein will). Wenn die ohnehin schwache „Regierung“ danach oder sogar davor kollabiert bedeutet das ein erhöhtes Sicherheitsrisiko für die USA und auch für Europa, das übrigens erst vor Kurzem vom Abzug erfahren hat (das NATO-Statement dazu gibt es hier).
Im schlimmsten Fall bekommt Al-Kaida den „sicheren Hafen“ zurück, wegen dem die USA den Krieg ursprünglich begonnen hatten (siehe dazu die Kritik vom ehemaligen US-Kommandanten in Afghanistan David Petraeus). Spätestens dann ist der status quo ante bellum (der Zustand vor dem Krieg) wiederhergestellt. Viel Militär um nichts.
Übrigens haben in Österreich bis Februar (neuere Zahlen gibt es noch nicht) 505 Afghanen Asylanträge gestellt, wir sind nach wie vor ein „beliebtes“ Zielland. Abschiebungen dorthin sind schon jetzt rechtlich höchst fragwürdig, weil Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention es verbietet, Menschen einer Situation auszusetzen, in denen ihnen ein „ernsthaftes Risiko“ droht, gefoltert, unmenschlich oder erniedrigend behandelt zu werden. Spätestens dann, wenn der US-Truppenabzug die Sicherheitslage weiter verschlechtert, sind Abschiebungen nach Afghanistan rechtlich nicht mehr möglich (so wie etwa auch nach Syrien). Was dort passiert, hat auch Auswirkungen auf uns, ob wir es wollen oder nicht.