Ich hab mir die neuen Gilmore Girls-Folgen angesehen (also die ersten 3, Winter fehlt noch, bitte nicht spoilen). Nicht alle sind mit derartigem TV-Konsumverhalten einverstanden. Wie seicht darf Unterhaltung sein? Und welchen Wert hat das Seichte?
Manche sehen im Fernsehen den Beginn des kulturellen und auch politischen Verfalls. So weit muss man nicht unbedingt gehen, aber es gibt in der Tat bessere Beschäftigungsmöglichkeiten als sein Leben auf der Wohnzimmercouch auszusitzen. Wie es in „Tinseltown to the Boogie down“ von Scritti Politti (feat. Mos Def) heißt:
You know that time waits for no man, in time you’ll see
That you’re wasting all you time while you’re watching TV
Ich selbst habe meinen alten Röhrenfernseher vor vielen Jahren entsorgt und es nicht bereut. Was natürlich nicht heißt, dass ich nicht ab und an den Freuden der Bildschirmunterhaltung fröne. An manchem Abend hat Selbstentsorgung auf der Couch ja eine fast schon meditative Wirkung. Davon abgesehen entwickel die mediale Omnipräsenz mancher Serien oder Filme eine äußerst starke Sogwirkung. Zumeist kann man widerstehen (Game of Thrones z.B. ist an mir bislang vorbeigezogen), aber eben nicht immer.
So hat der Hype um die Gilmore Girls-Neuauflage auch mich erreicht. Die Generation „um die 30“ scheint ja besonders empfänglich für Recycling-Unterhaltung. Die vielen Remakes sind sowas wie die Nostalgiker-Steuer für all jene, die für ein paar Stunden in ihre Kindheit, Jugend und frühe Adoleszenzphase zurückkehren wollen, selbst wenn man meistens schon im Voraus mit Enttäuschungen rechnet: Man denke nur an Transformers, Turtles, Rocky VI, Ghost Busters und so weiter.
Jeder Zeit ihr Fernsehen
Gilmore Girls hat jedoch auch eine tiefergehende Berechtigung. Jede Zeit wird durch ihre jeweiligen (massen)kulturellen Phänomene geprägt. Die 20er hatten Metropolis als Abbild der gesellschaftlichen Disparität zwischen arm und reich, der Nationalsozialismus Leni Riefenstahls Propaganda-Inszenierungen oder Charlie Chaplins The Great Dictator, die Besatzungszeit den Third Man, der Vietnamkrieg Apocalpyse Now, um nur einige wenige zu nennen.
Bei Gilmore Girls handelt es sich um ein Abbild einer gewissen sozialen Kohorte. Rory Gilmore als bemüht-prototyptischer Millenial, als Identifikationsfigur für all jene, die es irgendwie geschafft haben und dennoch gescheitert sind. Gebildet, aber keine allzu starke Nachfrage am Jobmarkt: Ein erfolgreicher Artikel in einem bekannten Journal (der New Yorker ist ja kein Revolverblatt), aber keine Fixanstellung. 15 minutes of fame, aber nichts Nachhaltiges. Unabhängig, aber ohne fester Beziehung. In die große Welt hinausgezogen, um in den Schoß der idyllischen Heimat zurückzukehren. Das überzeichnet-beschauliche Städtchen Stars Hollow ist ja sowas wie ein radikaler Gegenentwurf zur Megacity New York und, in einem breiteren Kontext, der hyperkomplexen Welt im Zeitalter der Globalisierung. Stabilität in der „liquiden Moderne“ (Zygmunt Bauman).
Wenn nachfolgende Generationen sich für die 2000er (die ursprüngliche Serie wurde ja von 2000 bis 2007 gedreht) und eben auch die Jahre danach interessieren, können sie auch auf Gilmore Girls zurückgreifen. Weniger, um eine originalgetreue Abbildung unserer Zeit zu finden denn die Frage, wie sie rezipiert und dargestellt wurde. Was hat die Menschen beschäftigt? Welche Rollenbilder wurden erzeugt (am Rande sei erwähnt, dass ich diese neue Maneater-Rory nicht gutheißen kann. „Rory Gilmore is a Monster“ kann man in der Washington Post sogar lesen)? Wieso hat Rory Gilmore drei Smartphones?
Auch deswegen „darf“ man Gilmore Girls schauen. Weil man jetzt schon Vermutungen anstellen kann, mit welchen Augen die Zukunft „uns“ sehen und wie sie uns beurteilen wird. Oder weil man manchmal in Nostalgie schwelgen will. Oder es angesichts der Temperaturen manchmal einfach am angenehmsten ist, im Warmen zu bleiben und das Gehirn im Energiesparmodus zu lassen.