Ein paar Buchempfehlungen. Weil Weihnachten

Auf der Suche nach Geschenken? Bücher gehen immer. Ein paar Empfehlungen aus meiner Leseliste der letzten Monate. Viel Politik, inklusive Islam, und ein wenig Philosophie; auch „Liebe und so“ darf freilich nicht fehlen.

Tim Marshall, Prisoners of Geography / Die Macht der Geographie

Spätestens seit der russischen Einverleibung der Krim wird wieder über Geopolitik — also der Einfluss geographischer Gegebenheiten auf die internationale Politik — gesprochen. Tim Marshalls Buch beginnt  auch sogleich mit der russischen Ausgangsposition, um nach und nach jede einzelne Region beziehungsweise jeden größeren Konflikt aus seiner geographischen Lage heraus zu erklären. Auch wenn Geopolitik alleine nicht alles erklären kann, so wird doch vieles dadurch mit einem Male verständlicher. Nebenbei wird wird dadurch übrigens sogleich altes Schulwissen mit-aufgefrischt.

Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften

Eines der großen Bücher (vor allem neben James Joyces Ulysses das jeder kennt und keiner gelesen hat. Ich bin selbst noch nicht ganz fertig (Kindle sagt 92%!), aber bald. Und es hat sich ausgezahlt. Es passiert zwar eigentlich kaum was, aber unzählige der Dialoge und Aussagen einzelner Protagonisten verdienen zweifelsohne das Prädikat zeitlos. Das Buch passt erstaunlich bis erschreckend gut in unsere Zeit. Haben wir es gegenwärtig gar mit einer Generation ohne Eigenschaften zu tun (siehe https://ralphjanik.wordpress.com/2016/08/19/der-mann-ohne-eigenschaften-und-die-generation-y/)? Selbst wenn der Beschenkte es vermutlich nie lesen wird, sollte es zumindest im Bücherregal stehen.

Paul Collier, Exodus / Exodus: Warum wir Einwanderung neu regeln müssen

Paul Collier hat das nur schwer Mögliche geschafft: Er hat ein vernünftiges, ja das vermutlich aktuell beste Buch über Flucht- und Migrationsbewegungen geschrieben. Darin beschreibt er deren Auswirkungen aus dreierlei Perspektive: Der Gesellschaften, die junge, motivierte und teilweise gut ausgebildete Menschen verlieren; der jungen Menschen selbst und die Auswirkungen auf die Zielländer. Zentral dabei seine These einer natürliche Grenze gibt, ab der Migration keine positiven Effekte hat, sondern sich nachteilig auswirkt. Weil das wechselseitige Vertrauen sinkt, sinkt auch die Solidarität und die Bereitschaft, den Wohlfahrtsstaat zu finanzieren. Dass Migration vor allem die unteren sozialen und wirtschaftlichen Schichten härter trifft, tut das Übrige.

Henry Kissinger, World Order / Weltordnung

Was auch immer man von der historisch-politischen Figur Henry Kissinger halten mag: Wer sich für internationale Politik interessiert, kommt am Historiker und Experten Kissinger nicht vorbei.

Michel Houellebecq, Soumission / Unterwerfung

Eines der meistdiskutierten Bücher der letzten Monate; wer es noch nicht gelesen hat sollte das endlich tun. Nicht nur wegen des absurd-zeitnahen Erscheinens zu den Anschlägen von Paris, sondern weil Houellebecq darin eine Dystopie entwirft, die erschreckend imminent erscheint, gemischt mit einer psychopathologischen Analyse zur Strahlkraft des pragmatischen politischen Islams in post-ideologischen, sinnleeren bis gar nihilistischen westlichen Gesellschaften.

Tamim Ansary, Destiny Disrupted: A History of the World Through Islamic Eyes

Wo wir schon beim Islam sind: Ansary schreibt eine Weltgeschichte aus dem Blickwinkel der islamischen Welt. Stichwort Eurozentrismus. Erklärt viele gängige Narrative im islamischen Raum und zeigt, wie für „uns“ epochale Ereignisse dort entweder egal oder gänzlich anders konnotiert sind.

Shereen El Feki, Sex and the Citadel: Intimate Life in a Changing Arab World / Sex und die Zitadelle: Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt

Seit der Kölner Silvesternacht wird viel über die im arabischen Raum vorherrschenden Sexual- und Moralvorstellungen gesprochen. El Feki ist als Kind ägyptischer Eltern in Kanada aufgewachsen und hat sich damit intensiv auseinandergesetzt, mit einem Schwerpunkt auf ihrem Heimatland. Unbedingte Leseempfehlung die zeigt, dass selbst die rigidesten Moralvorstellungen die Sexualität nicht unterdrücken können und auch mit vielen Missverstädnissen aufräumt.

Byung-Chul Han, Agonie des Eros, Müdigkeitsgesellschaft, die Austreibung des Anderen, Psychopolitik

Byung-Chul Han hat oberflächlich betrachtet (m)einen Traumjob: Kleine Essays in Buchform raushauen und seine Meinung zu eh fast allem kundtun. Phasenweise ein eigenwilliger Schreibstil, von dem man das Gefühl hat, dass der Gute möglichst viel Zitables schreiben möchte. Stellenweise sehr repetitiv (vor allem seine zentrale Feststellung, dass wir heutzutage nicht (mehr) durch eine übermächtige fremde Macht, ausgedrückt durch das Bentham’sche und, daran anschließend, das Foucault’sche Panoptikum, ausgebeutet werden, sondern uns selbst, aus eigenem Antrieb unter Druck setzen). Ändert aber nichts am enormen Gehalt seiner Schriften, die immer wieder wunderbar zum Nachdenken anregen.

Philipp Blom, Die zerrissenen Jahre: 1919 -1938

Philipp Blom ist ja gerade äußerst beliebt; wenig verwunderlich, hat er doch zwei historische Bücher verfasst, die sich mit Phasen auseinandersetzen, die aufgrund der heutigen politischen Lage mit einem Male wieder aktuell werden: Den Jahren vor dem ersten Weltkrieg und der Zwischenkriegszeit. Allein des Themas und der Parallelen zum Heute sind beide höchst interessant, da ich mit ersterem noch nicht fertig bin, empfehle ich an dieser Stelle nur zweiteres. Wehrmutstropfen: Dort und da arbeitet Blom ungenau, vertut sich mit Zahlen oder nimmt unhinterfragt die Mythen rund um die Aktion Lebensborn als nationalsozialistische Zuchtstätte für perfekte Arier auf (ganz so war es dann doch nicht, siehe hier).

Eva Illouz, Why Love Hurts / Warum Liebe weh tut

Furchtbarer Titel (Verlage wollen eben verkaufen, also muss es oft ein wenig reißerisch sein), toller Inhalt. Der Untertitel bzw. Nebentitel erklärt es besser: Eine soziologische Erklärung. Illouz setzt die Liebe in einen größeren soziologischen Kontext. Beschreibt, wie unser Denken über diesen Dauerbrenner der Aufmerksamkeitsökonomie gesellschaftlich geprägt wird und wie dieser größere Kontext sich über die Jahre gewandelt hat. Man liest davon, dass die „Ressource gebildeter Mann“ knapp wird und dadurch der „Bindungswille“ von Männern ab- und die Sexualisierung zunimmt (siehe dazu auchhttps://ralphjanik.wordpress.com/2016/06/21/die-liebe-und-die-ratio/). Von der Liebesheirat als rezentes Phänomen und der ursprünglichen ökonomischen Funktion. Ganz allgemein: Der einzelne kann sich dem gesellschaftlichen Umgang mit Beziehungen nicht entziehen.

Neil Postman, Amusing Ourselves to Death / Wir amüsieren uns zu Tode

Neil Postman beschreibt die Auswirkungen des Fernsehens auf Politik, Stichwort Politeinment, also die unheilvolle Allianz mit der Unterhaltung. Man denke nur an die US-Wahlen, bei denen die Berichterstattung sich äußerlich kaum von Sportsendungen auf ESPN unterschied. In Zeiten von Social Media und dem Postfaktischen (das Wort des Jahres übrigens) relevanter denn je, auch wenn manche Referenzen auf die US-amerikanische Populärkultur sich für Europäer nur schwer nachvollziehen lassen (ist aber auch nicht so wichtig).

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