Weihnachten bedeutet Schenken. Schenken birgt Gefahren. Manche scheinen hier eine Gabe zu haben, andere scheitern, gut gemeint oder aus Desinteresse, regelmäßig. Über alledem schwebt die Gefahr der De-Balancierung zwischenmenschlicher Beziehungen. Wer viel beziehungsweise „gut“ schenkt und wenig bekommt, könnte misstrauisch werden.
Do ut des, ich gebe, damit du gibst, hieß es bei den Römern in Bezug auf zweiseitige Vertragsbeziehungen. Das gilt auch für das Schenken, wiewohl es sich de iure freilich um kein synallagmatisches Verhältnis handelt. Denn unilaterales Schenken legt die Vermutung, ja den Verdacht einer asymmetrischen Beziehung nahe. Ich mag, damit du magst, heißt es in der „Like for like“-Gesellschaft. Schenken als Freundschafts- und Beziehungs-Lackmustest; unerwiderte Liebe schmerzt und verlangt nach Re-Balancierung, die allerdings auch in kontiniuerlich zunehmende Schieflage münden kann. Oft führt das umso größere Bemühen einer Seite zum noch weitergehenden Rückzug, bis hin zur vollständigen Selbstisolation der anderen. Sobald das Missverhältnis die Grenze des Akzeptablen überschreitet, naht zumeist irgendwann das Ende. Ebenso kann es zum Einfrieren der dauerhaften einseitigen Hingebung kommen, die zur Selbstaufgabe und Abhängigkeit wird: Nicht für sich, sondern für einen anderen Menschen leben, der diese bisweilen ins Bedingungslose reichende Hingabe oft nicht oder nur wenig würdigt, ja gar als Zeichen von Schwäche, als Opferdasein versteht. Die große Ausnahme besteht nach Freud im archetypischen, an keine Auflagen geküpften Ideal der Mutterliebe.
Die Gefahren der Asymmetrie gelten, wenn auch in etwas abgeschwächter Form, für ungleiche Qualitäten des Schenkens. Das Geschenk als Aufmerksamkeits- und Intimitätsbeweis: „Ich habe mitbekommen, mit welch Begeisterung du über dieses und jenes Objekt gesprochen hast.“ / „Ich weiß, wie gerne du dort und dahin reisen würdest.“ / „Ich spüre, welches Buch dir zusagen könnte.“
Umgekehrt wird ein „schlechtes“, unpassendes oder gar herzloses Geschenk als Affront aufgefasst. Kennt der Schenkende einen so wenig? Hat er sich keine Mühe gemacht? Achtet er so wenig auf die eigenen Bedürfnisse und Interessen, hört er nicht hin, vergisst er Hinweise oder hat er sie gar nicht erst wahrgenommen?
Das Gruppengeschenk
Eine noch komplexere Sonderfrage betrifft das Gruppengeschenk. Es ist zugleich Aktion, es ist ein kollektiver Freundschafts-, Sympathie- oder Liebesbeweis. Hinter dem Gruppengeschenk steht nicht nur das Geschenk an sich, sondern auch die damit einhergehenden organisatorischen Mühen: Die Umsetzung einer im Idealfall sogar gemeinschaftlich ausgegorenen Idee. Sie braucht eine bis mehrere treibende Kräfte, um auch die passiven bis apathischen Charaktere innerhalb eines Freundschafts- und Bekanntenkreises zu mobilisieren.
Der Beschenkte bekommt dadurch eine Sonderrolle. Er wird vom Zeitpunkt der Geschenkidee bis hin zur Überreichung zum Objekt überbordender Aufmerksamkeit. Daraus kann eine gemeinschaftsstiftende Wirkung ausgehen, aber auch das delikate Gleichgewicht aus den Fugen geraten. Handelt es sich beim Gruppengeschenk um einen einmaligen Akt, dauert die Sonderrolle auch nach Übergabe des Geschenks weiter an. Bekommen später nur einige wenige weitere Mitglieder, nicht jedoch alle eine ähnlich intensive Aufmerksamkeit, können Risse im Mantel des Unausgesprochenen entstehen und Fragen aufgeworfen werden, die sich zuvor nicht gestellt haben: Wo liegt die Grenze, wie weit reicht der Kreis, wer steht am Rand oder gar außerhalb, ohne es gemerkt zu haben? Wie ausgeglichen ist die Aufmerksamkeitsverteilung?
Risikofaktor Schenken
So gerät das Schenken zum Hazardspiel. Es kann Bestätigung geben, im positiven Sinne überraschen, als Zuneigungszertifikat dienen. Aber eben auch Unruhe, überzogene bis berechtigte Reaktionen evozieren und neue Zweifel wecken oder bestehende nähren. Man merkt: Schenken will gekonnt und überlegt sein.
Vergleiche: Marcel Mauss, Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften …
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