Vom Kosovo nach Katalonien

Wer Katalonien sagt, bekommt oft Kosovo zu hören. Manche werfen der EU beziehungsweise ihren Mitgliedern sogar Doppelmoral vor, weil sie den Kosovo anerkannt haben und Katalonien alleine lassen. Der entscheidende Unterschied liegt jedoch darin, dass die Kosovaren (genau genommen die UCK) einen Krieg geführt haben. Müss(t)en die Katalanen kämpfen?

Der Kosovo (genau genommen das kosovarische Parlament) hat 2008 seine Unabhängigkeit erklärt. Seit damals wurde er von zumindest 111 Staaten anerkannt, darunter 23 der 28 EU-Mitglieder. Dabei wird immer wieder betont, dass es sich beim Kosovo um einen speziellen Fall handelt, aus dem sich keine allgemeinen Regeln destillieren lassen.

Spanien hat den Kosovo nie anerkannt. Der Grund ist heute offensichtlicher denn je: Die spanischen Sorgen vor den Unabhängigkeitsbestrebungen in Katalonien, aber auch im Baskenland.

Kosovo und Katalonien

Der Vergleich zwischen Kosovo und Katalonien ist stark verkürzend. Es gibt Parallelen, aber eben auch große Unterschiede.  Vor allem, weil im Kosovo ein Krieg geführt wurde und das Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen ein wesentlich drastischeres Ausmaß erreicht hatte. Der Kosovo wurde auch anerkannt, weil ein weiterer Verbleib in Serbien als unzumutbar beziehungsweise unrealistisch galt. Die normative Kraft des Faktischen also. Daher ist

Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass es hinsichtlich des Ausmaßes der serbischen Kriegsverbrechen und ihrer medialen Darstellung unterschiedliche Meinungen gibt. Und immer wieder betont wird, dass sie erst nach Beginn der NATO-Luftangriffe begonnen haben. Ebenso ist fraglich, ob es den damals von führenden Politikern „Hufeisenplan“ wirklich gegeben hat. Wie so oft in Kriegen wird die Faktenlage hinterfragt. (etwa in einer auf ARD ausgestrahlten Doku mit dem Titel „Es begann mit einer Lüge“)

„Wenn ihr Hilfe wollt, müsst ihr kämpfen“

Was bleibt, ist das Faktum, dass es im und Kosovo einen Krieg gegeben hat. Und in Kriegen unweigerlich von allen Seiten Verbrechen begangen werden (also auch durch die kosovarische UCK). Spätestens ab dem Vertrag von Dayton fühlten sich die Kosovaren jedoch ignoriert. Der von Seiten der kosovarischen Elite in den 1990erjahren propagierte passive und dezidiert friedlichen Widerstand hatte wenig bis keine Wirkung gezeigt.

Die UCK begann wenig später mit Anschlägen auf serbische Polizeistationen und Behörden, 1997 gelangten leichte Waffen aus dem instabilen Albanien in ihre Hände. Dabei steht der Vorwurf im Raum, dass die UCK eine massive Gegenreaktion der Serben in Kauf nahm, eventuell sogar provozieren wollte. Damit sollte letzten Endes eine Intervention von außen herbigeführt werden, Alan Kuperman spricht hier von „Moral Hazard“: Um diese These zu untermauern zitiert er neben führenden Köpfen der UCK (“The more civilians were killed, the chances of international intervention became bigger, and the KLA of course realized that.” soll Dugi Gorani etwa gesagt haben; Hashim Thaci zufolge wusste die UCK, dass any armed action we undertook would trigger a ruthless retaliation by Serbs against our people. . . . We knew we were endangering civilian lives, too, a great number of lives.”) auch einen Diplomaten, demzufolge Kosovo erst ab einer gewissen Anzahl von Toten internationale Beachtung findet.

Moral Hazard in Katalonien?

Damit ist der Kosovo nicht nur ein schlechtes, sondern sogar ein höchst besorgniserregendes Beispiel. Eine entscheidende Parallele fehlt – ungeachtet der Härte, mit der die Polizei bislang agiert hat, ist Katalonien weit vom Kriegszustand entfernt. Die Geschichte zeigt jedoch, dass erfolgreiche Sezessionen oft gewaltsam herbeigeführt wurden. Die Botschaft aus dem Kosovo ist klar: Wer unabhängig sein will, muss bereit sein, zu kämpfen. Alleine deswegen sollte man bei dieser Parallele äußerst vorsichtig sein.

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