Der Kosovo hat heute vor 10 Jahren seine Unabhängigkeit erklärt. Völkerrechtlich ist er aber immer noch kein Staat.
Es ist eines der Lieblingsthemen vieler Völkerrechtler, das sich hervorragend für universitäre Lehrveranstaltungen und als Anschauungsbeispiel in Lehrbüchern eignet: Die Staatlichkeit des Kosovo.
Obwohl der Kosovo mittlerweile von 116 Staaten anerkannt wurde, ist diese Frage immer noch nicht geklärt. Was auch daran liegt, dass die völkerrechtliche Staatsdefinition manche Lücken aufweist.
Die drei Elemente-Lehre
Grundsätzlich ist die Sache ja einfach. Ein Staat fußt auf drei Elementen, die wir etwa bei Georg Jellinek (er war jedoch nicht der „Erfinder“ dieser Definition, auch frühere Völkerrechtler haben den Staat ähnlich beschrieben) finden:
- Staatsgebiet,
- Staatsvolk und
- Staatsgewalt
Soweit, so gut: Wenn Menschen dauerhaft und organisiert auf einem Gebiet leben kann man von einem Staat sprechen. Jellinek und seine Zeitgenoßen wollten damit vor allem unorganisierten oder nomadischen Völkern die Staatlichkeit absprechen. Man darf nicht vergessen, dass der moderne Staatsbegriff ein Kind des 19. Jahrhunderts ist.
Heikle Fragen lassen sich damit aber nicht klären. Was, wenn, wie im Falle des Kosovos, (1.) es konkurrierende Gebietsansprüche von Seiten eines anderen Staates (Serbien) gibt und (2.) das Gebiet obendrein international verwaltet wird?
Zur Rolle der Anerkennung
Grundsätzlich könnte man die Frage simpel beantworten: Der Kosovo wird anerkannt (unter anderem auch von Österreich), also ist er ein Staat. Aber für wen? Und was ist mit den Staaten, die ihn nciht anerkennen?
Das Problem dabei: Die Anerkennungspraxis richtet sich nicht immer nach den faktischen Gegebenheiten. Bisweilen werden Gebilde als Staat anerkannt, um ihnen damit Legitimität zu verschaffen und sie auf ihrem Weg zur faktischen Staatlichkeit zu unterstützen (ein anderes Beispiel wäre die Anerkennung Palästinas).
Anderen Staaten wird die Anerkennung wiederum verweigert, um damit ein politisches Signal zu setzen. Damit wird diese Entscheidung zum Politikum, zumal es keine Pflicht zur Anerkennung gibt: Saudi-Arabien erkennt Israel nicht an, obwohl es faktisch existiert und UN-Mitglied ist. Umgekehrt wird der Kosovo wie gesagt von vielen Staaten anerkannt, obwohl er keine unabhängige Selbstverwaltung aufweist und auch nicht in die Vereinten Nationen aufgenommen wurde (wegen dem russischen Veto im Sicherheitsrat, das damit die serbischen Interessen wahrt).
Und was ist mit der UNO?
Zwar braucht es keine UN-Mitgliedschaft, um als Staat zu gelten. Man kann sie aber gewissermaßen als „Gütesiegel“ verstehen. Nicht alle Staaten sind UN-Mitglieder, aber alle UN-Mitglieder sind Staaten (schließlich können nur Staaten in die UN aufgenommen werden, siehe Artikel 4 der UN-Charta).
Kosovo zwischen Staat…
Man kann die Staatlichkeit des Kosovo also prüfen, indem man das Vorliegen der eingangs erwähnten drei Elemente prüft. Nur: Hat er eine souveräne Staatsgewalt, die nach innen das Gewaltmonopol ausübt und nach außen hin unabhängig von anderen Staaten oder internationalen Organisationen agiert?
Eine Frage, die man aufgrund der Verwaltung durch die Vereinten Nationen, die NATO und die EU verneinen muss. Dagegen ließe sich allenfalls einwenden, dass die Rolle dieser Organisationen auf dem Einverständnis der kosovarischen Regierung beruht. Womit man sich einmal mehr fragen müsste, wie souverän die kosovarische Regierung wirklich ist.
… und Sonderfall
Der Kosovo lässt sich daher eher als Sonderfall beschreiben, der sich mit dem allgemeinen Staatsbegriff (noch) nicht erfassen lässt: Er wird von vielen als Staat angesehen und grundsätzlich auch dementsprechend behandelt, von anderen nicht. So gesehen ist er ein Staat und ein Nicht-Staat zugleich. Eine völkerrechtliche Schizophrenie, die einen an Schrödingers Katze denken lässt.
Um Klarheit zu schaffen: Streng genommen ist der Kosovo kein Staat. Auch wenn er als solcher anerkannt wird. Es handelt sich vielmehr um ein autonomes Gebiet unter internationaler Verwaltung.
Dabei gilt es auch zu bedenken, dass Sicherheitsrats-Resolution 1244 von 1999 (die nach der humanitären Intervention gegen Serbien erlassen wurde) die territoriale Integrität Serbiens (bzw. der damaligen Bundesrepublik Jugoslawien) betont und lediglich von weitgehender Autonomie und Selbstverwaltung spricht. Der endgültige Status des Kosovos sollte wiederum auf dem Verhandlungsweg geklärt werden – was bekanntermaßen bis heute nicht passiert ist.
Resolution 1244 vom 19. Juni 1999
The Security Council,
Reaffirming the commitment of all Member States to the sovereignty and territorial integrity of the Federal Republic of Yugoslavia and the other States of the region […]
Reaffirming the call in previous resolutions for substantial autonomy and meaningful self-administration for Kosovo […]
Danke für den Artikel! Ein paar Fragen/Anmerkungen:
Nach obiger Definition ist aber BiH auch kein Staat, oder? Gleichzeitig denke ich, dass die Staatsgewalt im Kosovo doch gefestigt ist, das staatliche Gewaltmonopol nach innen von den Bürger/innen anerkannt wird und der Staat gleichzeitig seine Hauptaufgaben gegenüber den Bürgern erfüllt. Die Regierung ist demokratisch gewählt, anerkannt und die öffentliche Verwaltung funktioniert. Trifft natürlich alles nur auf den Süden zu, die fehlende Integration des Nordens in die staatliche Ordnung ist natürlich ein riesen Problem… aber da wären wir auch wieder bei BiH.
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BiH ist jedoch UN-Mitglied, daher beseitigt die Anerkennung etwaige Restzweifel. Außerdem gibt es keine konkurrierenden Besitzansprüche
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