Ein paar kurze Rezesionen aus den letzten Lesewochen: Fire and Fury, Men Explain Things to Me, Feminism is for Everybody, die neuen Dschihadisten, Theories of International Politics and Zombies und Football against the Enemy.
Michael Wolff, Fire and Fury. Inside the Trump Whitehouse (2018)
Ich wollte es ja eigentlich nicht lesen. Politischer Gossip ist das meine nicht und zu Trump und den Absurditäten seines Privatlebens beziehungsweise Umfelds liest man ohnehin genug. Aber dann habe mich doch dazu hinreißen lassen. Und es zahlt sich dann doch aus. Weil man einen besseren Einblick in die US-Innenpolitik im Allgemeinen und zu Trumps engstem Zirkel im Besonderen erhält. Den Dreikampf zwischen Jared Kushner und Ivanka Trump „Jarvanka“), Steve Bannon und Reince Priebus. Mit allem, was dazugehört: Ausmanövrieren, Leaks und ein Zweikampf (Priebus war hier außen vor) darum, wer Donald Trump am besten manipuliert. Oder, mehr noch, welcher Donald der „richtige“ ist: Während Jarvanka einen gemäßigten, ja fast schon staatsmännischen Mainstream-Donald sehen wollten, hat Bannon den Anti-Mainstream Rabiat-Donald gepushet. Jede Fraktion hat dabei ihre Etappensiege davongetragen, aber Bannon hat bekanntlich letzten Endes verloren.
Fazit: Ein nettes Psychogramm – Trump als unbelehrbarer Narzisst, der „einfach nur geliebt werden will“, seine Meinung innerhalb kürzester Zeit ändert und eine äußerst kurze Aufmerksamkeitsspanne hat – und ein guter Einblick in die Abgründe von Trumps Welt: Ungeachtet dessen, ob sich alles in der tat so zugetragen hat wie von Wolff beschrieben. Se non è vero, è ben trovato sagt der Italiener – wenn es nicht stimmt, so ist es gut erfunden. Besonders spannend ist Wolffs These, wonach Trump eigentlich nicht Präsident werden wollte – und nach seinem Wahlsieg eine regelrechte Metamorphose durchmachte:
A pro wrestling fan who became a World Wrestling Entertainment supporter and personality (inducted into the WWE Hall of Fame), Trump lived, like Hulk Hogan, as a real-life fictional character. To the amusement of his friends, and unease of many of the people now preparing to work for him at the highest levels of the federal government, Trump often spoke of himself in the third person. Trump did this. The Trumpster did that. So powerful was this persona, or role, that he seemed reluctant, or unable, to give it up in favor of being president—or presidential. […]
The transmogrification of Trump from joke candidate, to whisperer for a disaffected demographic, to risible nominee, to rent-in-the-fabric-of-time president-elect, did not inspire in him any larger sense of sober reflection. After the shock of it, he immediately seemed to rewrite himself as the inevitable president.
Rebecca Solnit, Men Explain Things to Me (2014)
Ich habe mir zum neuen Jahr vorgenommen, mehr feministische Literatur zu lesen. Und da Mansplainen eines der Schlagworte der Stunde ist, hat der Buchtitel allein schon ausgereicht. Ob dieses Konzept inflationär gebraucht wird oder nicht ändert nichts daran, dass viele Männer Frauen tagaus tagein ungefragt die Welt erklären, oft auch noch mit Halbwissen. Solnit erzählt etwa, wie ein Mann ihr von ihrem eigenen Buch erzählt und ihr dabei klarmacht, dass es das wirklich bedeutende Buch zu dem Thema sei. Von derartigen Episoden abgesehen setzt Solnit sich in ihrem kleinen Buch auch mit anderen damit zusammenhängenden Themen auseinander – von gleichgeschlechtlichen Ehen bis hin zur Definition und Rolle von Feminismus:
Feminism, as writer Marie Sheer remarked in 1986, “is the radical notion that women are people,” a notion not universally accepted but spreading nonetheless. The changing conversation is encouraging, as is the growing engagement of men in feminism. There were always male supporters. When the first women’s rights convention was held in Seneca Falls, New York, in 1848, thirty-two of the one hundred signatories to its Declaration of Independence–echoing manifesto were men. Still, it was seen as a women’s problem. Like racism, misogyny can never be adequately addressed by its victims alone. The men who get it also understand that feminism is not a scheme to deprive men but a campaign to liberate us all. There’s more that we need to be liberated from: maybe a system that prizes competition and ruthlessness and short-term thinking and rugged individualism, a system that serves environmental destruction and limitless consumption so well—that arrangement you can call capitalism. It embodies the worst of machismo while it destroys what’s best on Earth. More men fit into it better, but it doesn’t really serve any of us.
Bell Hooks, Feminism is for Everybody (2000)
„Feminism is for Everybody“ ist das zweite Buch zum Thema, das ich in Angriff genommen habe. Auch hier war der Titel beziehungsweise die Ambition des Buchs ausschlaggebend. Hooks zeigt dabei so manche Trennlinien in der Geschichte des modernen Feminismus auf: So etwa jene zwischen weißen (Haus-)Frauen, die arbeiten woll(t)en und schwarzen Frauen, die (unter schlechten Bedingungen) arbeiten mussten. Ihre Hauptaussage ist dabei bereits im Titel: Feminismus heißt nicht, dass es Männern schlechter gehen soll, damit Frauen es besser haben. Feminismus ist eben etwas für alle. Wenn man ihn so versteht wie oben geschildert, profitieren Männer gleichermaßen davon, Frauen als genuin-gleichwertig anzuerkennen.
Feminist focus on careerism, getting women employed in high-paying professions, not only alienated masses of women from feminist movement; it also allowed feminist activists to ignore the fact that increased entry of bourgeois women into the work force was not a sign that women as a group were gaining economic power. Had they looked at the economic situation of poor and working-class women, they would have seen the growing problem of unemployment and increased entry of women from all classes into the ranks of the poor.
Visionary feminists have always understood the necessity of converting men. We know all the women in the world could become feminists but if men remain sexist our lives would still be diminished. Gender warfare would still be a norm. Those feminist activists who refuse to accept men as comrades in struggle – who harbor irrational fears that if men benefit in any way from feminist politics women lose – have misguidedly helped the public view feminism with suspicion and disdain. And at times man-hating females would rather see feminism not progress than confront the issues they have with men. It is urgent that men take up the banner of feminism and challenge patriarchy. The safety and continuation of life on the planet requires feminist conversion of men.
Peter Neumann, Die neuen Dschihadisten (2014)
Neumann ist einer der großen Namen unter den Terrorismusforschern. Seine Terrorismus-Theorie lehnt sich über weite Strecken an Rapoports „vier Wellen“ der Terrorismusgeschichte an, denen er eine fünfte hinzufügt: Gefährlicher als früher, weil es mehr gibt und die unterschiedlichen Gruppierungen obendrein miteinander konkurrieren. Im Zusammenspiel mit der gesellschaftlichen Polarisierung eine hochgefährliche Mixtur.
Europa, so mein Argument, steht am Beginn einer neuen Welle des Terrorismus, die uns noch eine Generation lang beschäftigen wird. Die Lage ist deshalb so gefährlich, weil die Anzahl der Dschihadisten viel höher ist als in der Vergangenheit; weil wir es mit neuen, zum Teil noch sehr jungen Rekruten zu tun haben; und weil sich innerhalb der dschihadistischen Bewegung ein Konkurrenzkampf entwickelt hat, der Anschläge im Westen begünstigt. Der hieraus resultierende Terrorismus wird vielen Menschen in Europa das Leben kosten. Aber es gibt noch eine zweite, mindestens genauso große Gefahr: dass sich unsere Gesellschaften polarisieren; dass Parteien und militante Gruppen am rechten Rand an Zulauf gewinnen; und dass – in letzter Konsequenz – das Zusammenleben von Menschen unterschiedlichen Glaubens und unterschiedlicher Herkunft in Europa schwieriger wird. Die neue Welle des Terrorismus kostet nicht nur Menschenleben, sondern ist auch eine Bedrohung für Minderheiten wie europäische Juden und – nicht zuletzt – die Muslime, deren gesellschaftliche Integration, politischer Status und physische Sicherheit auf dem Spiel stehen. Die neuen Dschihadisten, die dieses Buch beschreibt, sind eine Herausforderung für die Sicherheitsorgane, aber – mehr noch – für unsere Demokratie und das europäische Gesellschaftsmodell.
Daniel W Drezner, Theories of International Politics and Zombies (2011)
Ja, der Titel stimmt so. Und der Inhalt dreht sich auch wirklich darum. Drezner beschreibt, was die unterschiedlichen Theorien der internationalen Beziehungen – vom (Neo-)Realismus über den Liberalismus bis hin zum Konstruktivismus – zu einer allfälligen Zombie-Invasion sagen würden. Das mag absurd klingen, ist aber für als plastisches Erklärungsstück durchaus brauchbar. Ein wenig Fleisch auf die trockenen Theorieknochen sozusagen. Nordkoreaner hätten aufgrund der Isolation des Landes bei einer Zombie-Apokalpyse beispielsweise bessere Überlebenschancen als US-Amerikaner oder Europäer.
Wie Drezner selbst in der Einleitung anmerkt, haben sich auch Vertreter aus anderen Disziplinen mit dieser nur scheinbar absurden Frage auseinandergesetzt, um ihr Gebiet anschaulicher zu machen. Einige „was habe ich da gerade gelesen?“-Momente gibt es freilich dennoch.
The different theories also provide a greater variety of possible outcomes than the bulk of the zombie canon. Traditional zombie narratives in film and fiction are quick to get to the apocalypse. Most of the theoretical approaches presented here, however, suggest that there would be a vigorous policy response to the menace of the living dead. Realism posits an eventual live-and-let-live arrangement between the undead and everyone else. Liberals predict an imperfect but useful counterzombie regime. Neoconservatives believe that an aggressive and thorough military deployment would keep the undead menace at bay. Some constructivists would predict a robust pluralistic security community dedicated to preventing new zombie outbreaks and socializing existing zombies into human society. Poststructuralist feminists would posit a world without distinctions between humans and posthumans. Organizations might err in their initial response, but they could also adapt and overcome. Individuals would be hardwired toward an aggressive policy response against the living dead. These kinds of predictions suggest that maybe, just maybe, the zombie canon’s dominant narrative of human extinction is overstated.
Simon Kuper, Football against the Enemy (1994)
Fußballfans über 30, im Idealfall noch älter, werden dieses Buch lieben und in vielen Fällen wohl bereits kennen. Ein Klassiker, der mir entgegangen ist, bis mir ein Freund davon erzählt hat (bis dato dachte ich, How Football Explains the World von Franklin Foer wäre das einzige Werk dieser Art für politikinteressierte Fußballfans). Zum einen führt Football against the Enemy einen zurück in die fußballgeprägte Kindheit/Jugend und zu den Stars aus dieser Zeit. „Das waren noch echte Charaktere“ möchte man fast sagen (so wie die heutigen Jungen das eines Tages von den aktuellen Größen sagen werden): Pelé, Roger Milla, Ruud Gullit oder Paul Gascoigne, um nur einige zu nennen. Kuper beschreibt die großen Spiele und Rivalitäten vergangener Zeiten, bisweilen mitsamt den politischen Zusammenhängen: Von Der Slowakei, Ungarn bis hin zu Barcelona, die Niederlande, Südafrika oder Argentinien und die USA. Fußball ist mehr als nur ein Spiel.
When a game matters to billions of people it ceases to be just a game. Football is never just football: it helps make wars and revolutions, and it fascinates mafias and dictators. […] when Celtic play Rangers in Glasgow, Ulste grows tenser, and […] half the Dutch population took to the streets to celebrate when Holland beat Germany in 1988. I had read that the Brazilian team gave the military government a few more years in power by winning the 1970 World Cup 8this turned out to be nonsense), and that the Nigerian-Biafran war ceased for a day to allow Pelé, then visiting the country, to play a match. We have all heard of the Soccer War between El Salvador and Honduras.
My first question, then, was how football affects the life of a country. My second was how the life of a country affects its football. What, in other words, makes Brazil play like Brazil, England like England, Holland like Holland? Michel Platini told L’Equipe, ‚A football team reresents a way of being, a culture.‘ Is that so?