Die US-Zölle auf Stahl- und Aluminiumprodukte betreffen auch die EU. Donald Trump rührt damit an den Grundsätzen des Welthandelsrechts
Trumps Argument ist schon gewagt: Konkret beruft er sich auf die nationale Sicherheit der USA. So sieht er eine Bedrohung des allgemeinen wirtschaftlichen Wohlstands und für die US-Waffenindustrie im Besonderen.
Auf dieser Grundlage führt Trump einen 25%igen Zoll auf den Wert (ad valorem) von Stahlprodukten und 10% auf Aluminiumprodukte ein (ad valorem ist die häufigste Art der Zollberechnung; daneben gibt es auch spezifische, verbundene und gemischte Zölle).
Zölle sind erlaubt…
Wir befinden uns hier im Welthandelsrecht, auch WTO-Recht genannt (da gut 97% des internationalen Handels unter WTO-Mitgliedern stattfindet). Zölle sind grundsätzlich erlaubt: Sie dienen zum etwa als Einnahmequelle (für ärmere Länder beziehungsweise deren Regierungen; in reicheren ist dieser Punkt vernachlässigbar) oder – wie im vorliegenden Fall – um die eigene Wirtschaft zu schützen.
Die WTO-Mitglieder sind allerdings dazu aufgefordert, in Verhandlungen zu treten, um Zölle zu senken (siehe dazu die Präambel des WTO-Abkommens und GATT Artikel XXVIIIbis).
The Parties to this Agreement, […]
Being desirous of contributing to these objectives by entering into reciprocal and mutually advantageous arrangements directed to the substantial reduction of tariffs […]
Für diese Verhandlungen und Zölle im Allgemeinen gilt die Meistbegünstigungsklausel: Daher können Staaten grundsätzlich keine länderspezifischen Zölle einheben, vielmehr gilt für alle derselbe Zolltarif. Genau deswegen sollen Zollverhandlungen nicht bilateral, sondern mulitlateral – also unter möglichst vielen wenn nicht allen Staaten geführt – werden.
Von der Meistbegünstigungsklausel ausgenommen sind Freihandelszonen. Hier räumen Länder einander völlige Zollbefreiungen ein, ohne sie auch Nicht-Mitgliedern zugute kommen lassen zu müssen.
… aber es gibt Grenzen
Das Ergebnis derartiger Verhandlungen bezeichnet man als Zollzugeständnisse: Die WTO-Mitglieder verpflichten sich zu Maximalzöllen, in den USA liegt der Durchschnittswert für alle Produkte bei 3,4% (die EU liegt bei 5%). Für die meisten Stahlprodukte etwa gilt eine Zoll-Obergrenze von 0%. Daher sind die von Trump anvisierten Schutzzölle in Höhe von 25% klar rechtswidrig.
Keine Regel ohne Ausnahme: Maßnahmen zur Wahrung von Sicherheitsinteressen
Mit seinem Verweis auf US-Sicherheitsinteressen hat sich Trump primär auf das US-Recht bezogen, konkret auf Section 232 Trade Expansion Act 1962, der ihm das Recht gibt, Maßnahmen zum Schutz der nationalen Sicherheit zu erlassen.
If […] the Director [of the Office of Emergency Planning] is of the opinion that the said article is being imported into the United States in such quantities or under such circumstances as to threaten to impair the national security, he shall promptly so advise the President, and […] he shall take such action, and for such time, as he deems necessary to adjust the imports of such article and its derivatives so that such imports will not so threaten to impair the national security.
Zugleich hat diese Rechtfertigung auch eine WTO-Komponente. Schließlich gestattet das WTO-Recht Maßnahmen zum Schutz der nationalen Sicherheit in Artikel XXI (b) GATT.
Nothing in this Agreement shall be construed […]
(b) to prevent any contracting party from taking any action which it considers necessary for the protection of its essential security interests […]
(ii) relating to the traffic in arms, ammunition and implements of war and to such traffic in other goods and materials as is carried on directly or indirectly for the purpose of supplying a military establishment;
Wie eine Stellungnahme von einem der damaligen Verhandler zeigt, ging es jedenfalls um die Balance zwischen Sicherheitsinteressen und freiem Warenverkehr:
We gave a good deal of thought to the question of the security exception which we thought should be included in the Charter. We recognized that there was a great danger of having too wide an exception and we could not put it into the Charter, simply by saying: ‘by any Member of measures relating to a Member’s security interests,’ because that would permit anything under the sun. Therefore we thought it well to draft provisions which would take care of real security interests and, at the same time, so far as we could, to limit the exception so as to prevent the adoption of protection for maintaining industries under every conceivable circumstance. … there must be some latitude here for security measures. It is really a question of balance. We have got to have some exceptions. We cannot make it too tight, because we cannot prohibit measures which are needed purely for security reasons. On the other hand, we cannot make it so broad that, under the guise of security, countries will put on measures which really have a commercial purpose.
Die genaue Reichweite dieser Bestimmung ist allerdings unklar. In der Praxis wurde Artikel XXI(b) nur in wenigen Streitfällen unter dem älteren GATT-Regime angewendet. Die WTO hat sich damit noch nie befasst.
Möglicherweise würden die USA sich im vorliegenden Fall darauf berufen. Zwar brauchen sie Artikel XXI(b) für die Anhebung von Zöllen grundsätzlich nicht – wohl aber, um die Zoll-Höchstgrenzen zu überschreiten oder um eine selektive Einhebung von Zöllen, etwa (nur) auf chinesische Produkte, zu rechtfertigen. Womit sich die Frage stellt, wie weit man den Begriff der nationalen Sicherheit fassen möchte – es wirkt jedenfalls nicht so, als würde die US-Waffenindustrie und damit letztlich die US-Verteidigung durch den internationalen Zollmarkt in Bedrängnis geraten können (was nicht heißt, dass der Stahlmarkt nicht verzerrt wäre!).
Ein Dilemma für die WTO
Die WTO kann hier nicht so handeln, dass alle zufrieden sind.
Zum einen könnte sie die US-Rechtfertigung hinnehmen, zumal es sich bei Artikel XXI um eine „self-judging“-Bestimmung handelt. Mit anderen Worten: Die Beurteilung nationaler Sicherheitsinteressen liegt im Ermessen des jeweiligen Staats, nicht der WTO. Das wäre jedoch ein gefährlicher Präzedenzfall. Die übrigen WTO-Mitglieder würden einerseits das Vertrauen in die Handelsregeln verlieren und andererseits eine Möglichkeit sehen, eigene Regelverstöße mit einem pauschalen Verweis auf ihre Sicherheitsinteressen zu rechtfertigen.
Sofern die WTO das Argument nationaler Sicherheitsinteressen einer eingehenden Prüfung unterziehen und gegen die USA entscheiden sollte, könnten diese wiederum ruppig reagieren. Eine solche Entscheidung könnte letztlich sogar mit einem US-Ausstieg aus der WTO enden (wie von Trump bereits während des Wahlkampfs angedacht). Rechtlich ist das grundsätzlich einfach, Artikel XV des WTO-Abkommens sieht eine lediglich 15-monatige Frist vor. Der Bedeutungsverlust des Welthandelsrechts und der WTO wäre jedoch enorm. Dafür gibt es auch einen historischen Vorläufer: Die Umsetzung der sogenannten International Trade Organisation unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg ist schließlich daran gescheitert, dass die USA dieser nicht beitreten wollten. Eine Welthandelsorganisation ohne der größten einzelstaatlichen Volkswirtschaft galt schließlich als sinnlos.
Abwärtsspirale?
Die Angst vor einem „Trade War“, in dem andere Länder und die EU entsprechend reagieren und ihrerseits neue Zölle oder bestehende drastisch anheben, steht im Raum. Im Extremfall würde das gegenwärtige WTO-System mit seinem Fokus auf genuinem Freihandel zerbröseln. Ein Blick in die Geschichte könnte hier allerdings Entwarnung geben: Auch unter George W Bush haben die USA Zölle auf Stahlprodukte eingehoben. Auch damals gab es heftige Kritik, aber das WTO-System blieb intakt. Sonderlich effektiv war diese Maßnahme übrigens nicht. Aufatmen würde ich allerdings noch nicht: 2018 ist nicht 2002.
Literaturtipps:
Peter Van den Bossche und Werner Zdouc, The Law and Policy of the World Trade Organization. Text, Cases and Materials (4th edition, Cambridge University Press 2017).
Christoph Ohler, Unilateral Trade Measures (Max Planck Encyclopedia of International Law 2012)