Du solltest mehr Romane lesen, meinte eine Freundin als Reaktion auf die Kurz-Rezensionen, die ich hier immer wieder schreibe. Sie hatte Recht. Jetzt bin ich froh, endlich mal wieder einen – beziehungsweise diesen – gelesen zu haben.
Americanah von Chimamanda Ngozi Adichie also. Weil es einige Menschen empfohlen haben, von denen ich viel, teilweise sehr viel halte. Und ein lieber Mensch es mir geschenkt hat. Mehr Gründe braucht es nicht. Lesen Sie die Bücher, die man Ihnen schenkt.
Americanah ist die Art von Roman, bei dem man bleibt, den man ungern weglegt, der daran schuld ist, wenn man am nächsten Tag müde aussieht. Der einen in den Kopf der Progatonistin schlüpfen lässt, obwohl sie nicht einmal aus der Ich-Perspektive erzählt. In dem viel und wenig gleichzeitig passiert. Keine Notwendigkeit für Extremes. Ein Leben, ein nigerianisches Leben, das zu einem US-amerikanischen wird um letztlich beide Länder und Kulturen zu verweben.
Die großen Gegensätze
Die Biographie des Autors spürt man ja in jedem Roman, mal mehr, mal weniger. Hier mehr. Wenig überraschend liest man auf der letzten Seite, dass die Ngozi Adichie in Nigeria und den USA lebt. Ihre Hauptfigur, Ifemelu, lässt den Leser jedes Land mit den Augen des anderen sehen. Der bemüht-Positive US-amerikanische Habitus. Der Fetischismus für das Neue der niegerianischen Mittelschicht, der das gefällt, was ihre US-amerikanisches Gegenspieler bereits als Kitsch empfinden. Der gesättigte reiche Westen, der seine beste Zeit bereits hinter sich hat, sehnt sich nach der Vergangenheit, während ältere Häuser in Nigeria niedergerissen werden, um Platz für Neues zu schaffen. Ja, man hat viele „aha“-Momente, immer wieder bekommt man mundgerecht eine andere Sicht auf die Dinge präsentiert. Der Europäer darf hier als Außenstehender recht unbefangen eintauchen.
Lebenskitsch
Jeder nimmt aus einem guten Roman etwas anderes mit, wenn die Biographie des Autors auf die Biographe des Lesers trifft. Das zentrale Thema des Romans ist aber unabhängig jedweder Lebensumstände der klassisch bis kitschige Gedanken von dem einen und der einen.
Was in Hollywoodfilmen oder Büchern, die man in Tankstellen kauft, ins Absurde verklärt wird, bekommt in Americanah einen stilsicheren Rahmen. So bleibt der zweite, aber immer noch sekundäre Hauptcharakter, „Ceiling“ beziehungsweise „The Zed“ oder einfach nur Obinze, stets präsent, auch wenn er auf einem anderen Kontinent lebt. Die Frage nach dem was wäre gewesen wenn, nach dem wieso sind sie nicht zusammen geblieben durchzieht den Roman wie die Frage nach dem wann kommen sie endlich zusammen.
Zauber der Vergangenheit
Auf der einen Seite im Gedankenring steht die schwergewichtige Vorstellung von der Liebe für einen Menschen – als literarischer Stoff gerne eine Liebe, die sich nicht erfüllt, eine Geschichte, vom fehlenden happy end. Auf der anderen der beinharte Realismus – oder ist es Pessimismus – der Lebenserfahrung jedes Menschen ab ca. Ende 20, der nicht (mehr) daran glaubt, dass es unter all diesen Milliarden Menschen nur einen einzigen geben soll, zu dem man gehört, also wirklich gehört.
So gibt es der Romane viele, in denen jemand diese schon eigentlich mythologisch aufgeladene große Liebe findet, um sie irgendwann wieder zu verlieren. Vielleicht hatte man sie nie so wirklich (siehe etwa Kehlmanns Ich und Kaminski oder Milan Kunderas Der Scherz).
Auch Obinze ist für Ifemelu gleichzeitig fremd und vertraut, heißt es an einer Stelle (keine Sorge, kein Spoiler). Nun, wer einmal da war, um zu gehen, kommt nicht mehr als derselbe wieder. Man kann sich neu kennenlernen, ja, aber der Zauber des Vergangenen schafft es nicht ins Jetzt.
Haben Sie eine Nemesis?
Vielleicht ist die große Liebe auch einfach nicht dazu da, geheiratet zu werden. „Wir haben nicht die Frauen geheiratet, die wir lieben, sondern die, die da waren, als wir ins heiratsfähige Lebensphase gekommen sind“, sagt einer von Obinzes Geschäftspartnern. Vielleicht soll der Gedanke von der einen oder dem einen eine intensive und überzogene Erinnerung bleiben, eine vergilbte Projektionsfläche, ein Mensch, an dem man gleich denkt, wenn man eine Nachricht von einer unbekannten Nummer bekommt, ein Mensch, den man immer wieder zufällig auf der Straße sieht, um zu merken, dass es doch jemand ganz anderes ist, ein Mensch, von dem man sich oft fragt, was er wohl gerade tut, was er zu diesem und jenem Thema sagen würde, ein Mensch, der Unruhe stiftet, wenn er sich aus dem Nichts meldet, um kurz in ein Leben zu drängen, in das er eigentlich nicht gehört.
Eine Nemesis, sozusagen: Ein Mensch, an dem man gescheitert ist. Ein Scheitern, das ihn oder sie erst besonders macht. Ob Obinze Ifemelus Nemesis ist und umgekehrt, muss an dieser Stelle aber offen bleiben (DAS wäre nämlich ein Spoiler).