Diesmal nur wenige Bücher (zur Erklärung siehe hier): Keith Lowe, Savage Continent. Europe in the Aftermath of World War II, Anthea Roberts, Is International Law International?, Thomas x Hammes, The Sling and the Stone. On War in the 21st Century.
Keith Lowe, Savage Continent
Anlässlich der Feiern zum Tag der Befreiung beziehungsweise dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat Florian Klenk auf Twitter einen interessanten Artikel aus dem Falter gepostet: „Der Jubel kam zu früh“ von Keith Lowe. Er handelt von einer historisch schwierigen wie unterthematisierten Periode: die Jahre unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg.
Der Artikel gab mir Anlass genug, auch Lowes Buch zu diesem Thema – Savage Continent – zu lesen. Eine ausführliche und, so weit ich das zu beurteilen vermag, neutrale Darstellung. Kein Thema bleibt ausgespart, von den Zuständen in den Gefangenenlagern, die Massenvergewaltigungen durch sowjetische Soldaten, die Vertreibung der deutschen Minderheiten, der polnisch-ukrainische Konflikt, die fortgesetzte Diskriminierung von Juden, das Massaker von Bleiburg, der Beginn des Stalinismus in Rumänien, die Ausbreitung des Sozialismus/Kommunismus im damaligen Osteuropa, der griechische Bürgerkrieg, die Partisanen in den baltischen Ländern – um nur einige zu nennen.
Lowe beschreibt nur nur, er ordnet auch ein. Einordnungen, die bitter notwendig sind, um dem Strudel wechselseitiger Anschuldigungen zu entkommen, der sich bis heute fortsetzt. Ein angesichts der Instrumentalisierung der Geschichte durch politische Kräfte quer durch Europa ungemein aktuelles und wichtiges Buch.
The immediate postwar period is one of the most important times in our recent history. If the Second World War destroyed the old continent, then its immediate aftermath was the protean chaos out of which the new Europe was formed. It was during this violent, vengeful time that many of our hopes, aspirations, prejudices and resentments first took shape. Anyone who truly wants to understand Europe as it is today must first have an understanding of what occurred here during this crucial formative period. There is no value in shying sway from difficult or sensitive themes, since these are the very building blocks zpon which the modern Europe has been built.
It is not our remembering the sins of the past that provokes hatred, but the way in which we remember them. The immediate postwar period has been routinely neglected, misremembered and misused by all of us. …
Those who wish to harness hatred and resentment for their own gain always try to distort the proper balance between one version of history and another. They take events out of context; they make blame a one-sided game; and they try to convince us that historical problems are the problems of today. if we are to bring an end to the cycle of hatred and violence we must to precisely the opposite of these things. We must show how competing views of history an exist alongside each other. We must show how past atrocities fit into their historical context, and how blame necessarily attaches itself not just to one party, but to a whole variety of parties. We must strive always to discover the truth, particularly when it comes to statistics, and then put that truth to bed. If is, after all, history, and should not be allowed to poison the present.
Anthea Roberts, Is International Law International?
Anthea Roberts hat bei mir und wohl auch bei vielen anderen einen völkerrechtlichen Nerv getroffen. Der Gedanke von einem Völkerrecht, das alle mehr oder weniger gleich wahrnehmen, ist eine schnöde Illusion. Eine Illusion, die einem mit dem ersten Kontakt mit Völkerrechtlern aus anderen Ländern bewusst werden sollte.
Aus der Fülle meiner quasi-epiphanischen Erlebnissen dieser Art sei eine kleine Konferenz an der Wiener diplomatischen Akademie genannt: Es ging dabei unter anderem um die Krim, zu der auch ein russischer Völkerrechtler referierte. Er sprach, der Regierungslinie entsprechend, vom Selbstbestimmungsrecht, vom Kosovo als Präzedenzfall und der Schutzverantwortung gegenüber den Russen auf der Krim. Sein Verständnis des Gewaltverbots und der Definition von Annexionen war ein gänzlich anderes als jenes, das man in der einschlägigen Resolution der UN-Generalversammlung, den hiesigen Lehrbüchern und der Mehrheit von Beiträgen zu dem Thema findet. Ich war nach ihm an der Reihe und war geneigt, eine Spontan-Replik zu beginnen. Ich beließ es bei ein paar Worten und dem Vorschlag, später darüber genauer zu diskutieren (da er leider schnell wegmusste, ist es dazu leider nie gekommen).
Roberts geht über das Episodische hinaus (das erste Kapitel kann man übrigens auf SSRN downloaden). Sie war mit Völkerrechtlern aus den unterschiedlichen Ländern in Kontakt, hat die jeweiligen Diskurse genau untersucht oder die führenden Lehrbücher ausgewertet. Ihre Frage ist klar beantwortet. Es gibt nicht ein oder zwei, sondern viele „Völkerrechte“.
Thomas x Hammes, The Sling and the Stone. On War in the 21st Century
Mittlerweile dürften es auch die letzten gemerkt haben: Der Krieg hat sich gewandelt. Weg von den direkten militärischen Konfrontationen der Massenarmeen hin zu klandestiner Kriegsführung mitsamt einer Vermischung von Zivilisten und Kombattanten. Ziel ist weniger die Vernichtung auf dem Schlachtfeld als das Brechen des gegnerischen Willens – oft über den Umweg der dahinterstehenden Zivilbevölkerung. Begleiterscheinungen sind identity politics, die Einbettung von Konflikten in die (Welt-)Wirtschaft und die gezielte Einbeziehung der Medien zur Verbreitung von den Botschaften der militärisch unterlegenen Seite.
Dafür gibt es unterschiedlichste Begriffe und Kategorien: Asymmetrische Kriegsführung, Kriege der dritten Art, „neue Kriege“, Guerilla-Kriege, hybride Kriege, etc. – oder eben Kriege der vierten Generation, wie Hammes es nennt.
Sein Buch schwächelt an manchen Stellen (die historischen Ausflüge wirken ein wenig unbeholfen) und es ist auf die USA beziehungsweise deren Schwächen bei der Auseinandersetzung mit bewaffneten Gruppen im Irak oder Afghanistan zugeschnitten: Aber vor allem die ersten Kapitel sind analytisch wertvoll, zumal sie aus Sicht eines Militärs und keines Schreibtisch-Kriegstheoretikers geschrieben wurden.
Succus: Der Wandel des Krieges war von keinem Wandel der (westlichen) staatlichen Armeen begleitet. Einen solchen braucht es aber, denn auf die vierte folgt eventuell schon jetzt die fünfte Generation, die mit Massenvernichtungswaffen oder anderen chemischen Mitteln kämpfen könnte. Herausforderungen, auf die die USA (und erst Recht Europa) nicht bereit sein dürften.
Fourth-generation warfare (4GW) uses all available networks – political, economic, social, and military – to convince the enemy’s political decision makers that their strategic goals are either unachievable or too costly for the perceived benefit. It is an evolved form of insurgency, Still rooted in the fundamental precept that superior political will, when properly employed, can defeat greater economic and military power, 4GW makes use of society’s networks to carry on its fight. Unlike previous generations of warfare, it does not attempt to win by defeating the enemy’s military forces. Instead, via the networks, it directly attacks the minds of enemy decision makers to destroy the enemy’s political will. Fourth.-generation wars are lengthy – measured in decades rather than months or years. …
The greatest strength of any insurgent is the fact that he doesn’t have to win. He simply has to stay in the fight until the coalition gives up and goes home. As long as the insurgents can stay in the fight, it is not over. Their forces are not going home. By simply not losing, they compel their opponent to choose – either continue to fight, perhaps indefinetely, or quit and go home.