Trump kann nicht mehr tweeten. Auch Facebook hat eine dauerhafte Sperre angekündigt. Gegen Ende seiner Präsidentschaft und nachdem die Demokraten die Macht im Staate übernommen haben. Bisschen feig. Jedenfalls sollten wir einmal mehr über die gesellschaftliche Rolle von großen Technologieunternehmen sprechen.
Die Begründung: Trump hat wiederholt gegen die Richtlinien verstoßen. Sowohl Twitter als auch Facebook sprechen vom Sturm auf das Kapitol und den Auswirkungen seiner Aussagen:
After close review of recent Tweets from the @realDonaldTrump account and the context around them — specifically how they are being received and interpreted on and off Twitter — we have permanently suspended the account due to the risk of further incitement of violence.
https://blog.twitter.com/en_us/topics/company/2020/suspension.html
The shocking events of the last 24 hours clearly demonstrate that President Donald Trump intends to use his remaining time in office to undermine the peaceful and lawful transition of power to his elected successor, Joe Biden
https://www.theguardian.com/us-news/2021/jan/07/donald-trump-twitter-ban-comes-to-end-amid-calls-for-tougher-action
Rechtlich sind solche die Sperren prima facie kein Problem: das 1st Amendment zur Meinungsfreiheit bezieht sich nur auf den Staat. Twitter, Facebook und Co. gelten in den USA nicht als „public forum“. Die einschlägige US-Rechtsprechung – die letzte von einem Gericht zweiter Instanz – zu Youtube und einen far right-Account („PragerU“), der gegen seine Löschung protestierte, formulierte die Sache wie folgt:
despite YouTube’s ubiquity and its role as a public facing platform, it remains a private forum, not a public
forum subject to judicial scrutiny under the First Amendment merely hosting speech by others is not a traditional, exclusive public function and does not alone transform private entities into state actors subject to First Amendment constraints.
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Mit anderen Worten: Social Media-Unternehmen genießen eine Art digitales Hausrecht. Wer sich daneben benimmt, kann hinausbefördert/und oder Quasi-Lokalverbot bekommen. Die Frage ist primär privatrechtlicher und nicht grundrechtlicher Natur. Meinungsfreiheit umfasst zwar das Recht, (fast) alles sagen zu können (die absolute Grenze ist das Strafrecht, also Verhetzung, Aufrufe zu Gewalt oder gar zum Aufruhr – man denke an den Sturm auf das Kapitol). Nicht aber das Recht, sich überall äußern zu können. Trotz ihrer Marktdominanz gelten Youtube, Twitter oder Facebook als „privat“ und sind somit nicht verpflichtet, individuellen Nutzern den Zugang zu gewährleisten.
Das kommt nicht von ungefähr: Letztes Jahr hatte der Supreme Court bereits festgehalten, dass ein nichtkommerzieller „offener“ TV-Kanal (vergleichbar mit OktoTV) kein „public forum“ ist.
Providing some kind of forum for speech is not an activity that only governmental entities have traditionally performed. Therefore, a private entity who provides a forum for speech is not transformed by that fact alone into a state actor. After all, private property owners and private lessees often open their property for speech. … In short, merely hosting speech by others is not a traditional, exclusive public function and does not alone transform private entities into state actors subject to First Amendment constraints. … If the rule were otherwise, all private property owners and private lessees who open their property for speech would be subject to First Amendment constraints and would lose the ability to exercise what they deem to be appropriate editorial discretion within that open forum. Private property owners and private lessees would face the unappetizing choice of allowing all comers or closing the platform altogether. … The Constitution does not disable private property owners and private lessees from exercising editorial discretion over speech and speakers on their property.
Diese Rechtsprechung gilt laut der genannten US-Rechtsprechung auch für Social Media-Plattformen (es gibt noch keine einschlägige höchstgerichtliche Entscheidung). Dennoch bleibt die Frage, inwiefern das oben skizzierte freie Ermessen auch für Parteien, Spitzenpolitiker oder eben den US-Präsidenten gilt. Twitter selbst hat anlässlich der Sperre Trumps klargestellt, dass auch Staats- und Regierungschefs und andere gewählte Politiker nicht tun können, was sie wollen:
Our public interest framework exists to enable the public to hear from elected officials and world leaders directly. It is built on a principle that the people have a right to hold power to account in the open. However, we made it clear going back years that these accounts are not above our rules entirely and cannot use Twitter to incite violence, among other things.
Blick nach Deutschland: Drittwirkung der Grundrechte
Diese strikte Trennung zwischen privat und öffentlich ist nicht unumstritten (siehe dazu auch hier), zumal der US Supreme Court selbst ursprünglich weniger streng war. In Ländern wie Deutschland gibt es bei dieser Frage einen anderen Zugang. Hier greift die Drittwirkung der Grundrechte. Dominante private Anbieter können also an die Meinungsfreiheit gebunden bzw. dazu verpflichtet sein, unliebsame Inhalte zuzulassen: So hat das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung zu einer (weit) rechtsgerichteten Partei – dem „dritten Weg“ – unmittelbar vor den letzten Europawahlen 2019 gegen eine Sperre durch Facebook entschieden:
Die Folgenabwägung geht zum Teil zugunsten der Antragstellerin [die Partei „der Dritte Weg“] aus. Die Folgen, die einträten, wenn der Antragstellerin eine Nutzung ihres Internetangebots auf Facebook versagt bliebe, sich später aber herausstellte, dass die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens zur Wiedereröffnung des Zugangs hätte verpflichtet werden müssen, wiegen erheblich schwerer als die Folgen, die entstünden, wenn die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens einstweilig zur Wiederherstellung des Zugangs verpflichtet würde, sich später aber herausstellte, dass die Sperrung beziehungsweise Zugangsverweigerung zu Recht erfolgt war. Dies gilt jedenfalls für den Zeitraum bis zur Durchführung der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland (Europawahl), für den die Antragstellerin eine besondere Dringlichkeit in ihrem Antrag dargelegt hat.
Die Antragstellerin bedient sich des Angebots der Antragsgegnerin, das nach deren Werbeangaben von über 30 Millionen Menschen in Deutschland monatlich genutzt wird, um ihre politischen Auffassungen darzulegen und zu Ereignissen der Tagespolitik Stellung zu nehmen. Die Nutzung dieses von der Antragsgegnerin zum Zweck des gegenseitigen Austausches und der Meinungsäußerung eröffneten Forums ist für die Antragstellerin von besonderer Bedeutung, da es sich um das von der Nutzerzahl her mit Abstand bedeutsamste soziale Netzwerk handelt. Gerade für die Verbreitung von politischen Programmen und Ideen ist der Zugang zu diesem nicht ohne weiteres austauschbaren Medium von überragender Bedeutung. Durch den Ausschluss wird der Antragstellerin eine wesentliche Möglichkeit versagt, ihre politischen Botschaften zu verbreiten und mit Nutzern des von der Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens betriebenen sozialen Netzwerks aktiv in Diskurs zu treten. Diese Möglichkeiten blieben ihr bei Nichterlass einer einstweiligen Anordnung verwehrt und würden dazu führen, dass die Wahrnehmbarkeit der Antragstellerin und ihrer Foren für diese Zeit in erheblichem Umfang beeinträchtigt wäre. Das gilt mit besonderer Dringlichkeit für den Zeitraum bis zum Abschluss der unmittelbar bevorstehenden Europawahl, an der die Antragstellerin als politische Partei mit einem gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 EuWG vom Bundeswahlausschuss zugelassenen Wahlvorschlag teilnimmt und für den allein sie eine besondere Eilbedürftigkeit geltend macht.
Präzedenzfall?
Ob der US Supreme Court das ähnlich sehen würde ist aufgrund der oben genannten Rechtsprechung fraglich. Was das Grundsatzproblem verschärft, dass Technologiekonzerne ohne öffentlicher Aufsicht darüber entscheiden können, wer ihre enorme Reichweite nutzen kann – und wer nicht. Was bei Trump aufgrund des Inhalts seiner Tweets in Verbindung mit seiner Position und Reichweite durchaus gerechtfertigt erscheint – zumal er immer noch die Möglichkeit hat, über Pressekonferenzen u.ä. zu kommunizieren –, kann bei kleineren Accounts zum Problem werden. Das Risiko für die Meinungsfreiheit ist hier ungleich größer. Das US-amerikanische „Freedom House“ warnt daher vor „digitalem Authoritarianism“. Ebenso hat der UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit schon 2011 zu bedenken gegeben, dass digitale Plattformen aus Sorge vor Strafen im Zweifel lieber zu viel als zu wenig zensieren („overcensoring“):
given that intermediaries may still be held financially or in some cases criminally liable if they do not remove content upon receipt of notification by users regarding unlawful content, they are inclined to err on the side of safety by overcensoring potentially illegal content. Lack of transparency in the intermediaries’ decisionmaking process also often obscures discriminatory practices or political pressure affecting the companies’ decisions. Furthermore, intermediaries, as private entities, are not best placed to make the determination of whether a particular content is illegal, which requires careful balancing of competing interests and consideration of defences.
The Special Rapporteur believes that censorship measures should never be delegated to a private entity, and that no one should be held liable for content on the Internet of which they are not the author. Indeed, no State should use or force intermediaries to undertake censorship on its behalf …
Wer Trump sperrt, könnte auch Biden sperren. Was aber nichts daran ändert, dass ersterer aufgrund seiner Sonderstellung ein schlechter Präzedenzfall ist. Dennoch bleibt die Frage, wie man mit kleineren regierungskritischen Accounts umgehen sollte. Im Idealfall wahren große Social Media-Konzerne die Balance zwischen Meinungsfreiheit und Missbrauch, im Extremfall gibt es ungerechtfertigtes Abdrehen berechtigter oder jedenfalls nicht über das Ziel hinausschießender Kritik an der Regierung. Wir müssen einmal mehr über die Rolle von Twitter, Facebook & Co. auf dem Feld der Meinungsfreiheit sprechen. Aber vielleicht nicht im Zusammenhang mit Trump.
Links:
- American Bar Association, In the Age of Social Media, Expand the Reach of the First Amendment
- Gregory P. Magarian, The First Amendment, The Public-Private Distinction, and Nongovernmental Suppression of Wartime Political Debate
- Gregory C. Sisk, Private Property, Expression on
- JUSTIA US Law, Government Restraing of Content of Expression
- Harvard Law Review, Developments in the Law — State Action and the Public/Private Distinction
Danke für die Erläuterungen!
Erstmal freue ich mich, dass Twitter den Alt-Präsidenten abstellt. Auf einem anderen Blatt steht, was seine Follower:innen damit machen.
Darüber hinaus befürworte ich seit längerem, den betreffenden Unternehmen in Europa gleiche Steuern zu berechnen.
Viele Grüße
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