Verhandlungen oder Kapitulation? Wie Kriege enden

Ein Ende des russischen Angriffs auf die Ukraine scheint nicht in Sicht. Verhandlungen stoßen in solchen Situationen an ihre Grenzen (im wahrsten Sinne des Wortes).

Von der langfristigen Schwächung Russlands bis hin zur Kissinger’schen Forderung, für den Frieden auf weite Teile des eigenen Staatsgebiets zu verzichten. Es mangelt in diesem Krieg an vielem, aber nicht an Meinungen.

Dazu zählt freilich auch der Stehsatz, man solle doch verhandeln. Als ob das so einfach wäre. In Deutschland mahnte SPD-Fraktionsvorsitzender Rolf Mützenich, dass „allen klar“ sei, „dass der Krieg letztlich nicht auf dem Schlachtfeld beendet wird“, in Österreich hat Altkanzler Sebastian Kurz jüngst sogar behauptet, dass „noch jeder Krieg mit Verhandlungen ein Ende gefunden“ hat.

Eine – gelinde gesagt – geschichtliche patscherte Aussage, für die es viel Kritik gegeben hat (siehe auch hier). Denn: Zwischenstaatliche Kriege enden oft genug durch einen eindeutigen militärischen Sieg: Das beginnt schon beim Friedensvertrag von Brest-Litowsk 1918, mit dem Deutschland dem revolutionären Russland seine Interessen diktiert hatte, und geht weiter mit dem Ende des Ersten Weltkriegs durch den Waffenstillstand von Compiègne und bei dem es keinen

Spielraum für Verhandlungen [gab], so dass die Bedingungen der Alliierten nur mit geringfügigen Änderungen angenommen werden mussten: Räumung der besetzten Gebieten in Frankreich und Belgien sowie der Rückzug aus Elsass-Lothringen, Besetzung der linksrheinischen Gebiete in Deutschland durch alliierte Truppen, Annulierung des Friedensvertrages von Brest-Litowsk, Auslieferung eines großen Teils des Kriegsmaterials, der U-Boote und der Hochseeflotte sowie von Lokomotiven, Eisenbahnwaggons und Kraftwagen, Rückführung der alliierten Kriegsgefangenen ohne Verpflichtung zur Gegenseitigkeit sowie die Aufrechterhaltung der Blockade.

Quelle

Beim Zweiten Weltkrieg sah die Sache bekanntlich noch eindeutiger aus, endete er doch bekanntlich mit der bedingungslosen und vollständigen Kapitulation der Wehrmacht. Nix mit Verhandlungen.
Auch seit 1945 gibt es zahlreiche weitere Beispiele, in denen eine Seite klar gewonnen und keine echten Verhandlungen geführt hatte, in den Sinn: Neben den israelischen Siegen im Sechs-Tage-Krieg und dem Jom-Kippur-Krieg (die darauf folgenden Friedensverhandlungen bezogen sich nicht auf das Ende des Krieges, sondern die Verhütung späterer, neuer Angriffe), wären da der Falklandkrieg, die NATO-Luftangriffe auf Serbien wegen der Menschenrechtsverletzungen im Kosovo, der Irakkrieg 2003 oder der Libyenkrieg 2011, die allesamt mit einer Kapitulation endeten: Beim Falklandkrieg sagte Margaret Thatcher noch ausdrücklich, dass die Verhandlungen mit der argentinischen Militärdiktatur bloßer Selbstzweck gewesen seien (sie war „under an almost intolerable pressure to negotiate for the sake of negotiation.”), bei der Kosovo-Intervention ging es darum, Belgrad zum Einlenken zu zwingen, nach dem Irakkrieg wurde Saddam Hussein vor Gericht gestellt und letztlich mit dem Tod bestraft, Gaddafi wurde wiederum von libyschen Rebellen getötet. Soviel zur historischen Realität hinter der Aussage von Sebastian Kurz.

Empirie

Allgemeine Ableitungen sind bei Kriegen natürlich so eine Sache. Dazu sind sie und ihre Hintergründe wie auch die involvierten Kontrahenten zu unterschiedlich.

Probieren kann man es aber dennoch. So haben Tim Sweijs und Mattia Bertoloni vom Hague Centre for Strategic Studies im Mai 2022 eine Studie zur Beendigung von Kriegen veröffentlicht. So gab es zwischen 1946 und 2005 63 zwischenstaatliche Kriege, von denen 21% mit dem eindeutigen „Sieg“ einer Partei gewonnen wurden, 30% endeten mit einem Waffenstillstand und nur ein Sechstel mit einem Friedensvertrag (die restlichen Fälle fallen dazwischen), die noch dazu oft gebrochen wurden. Außerdem kommt es in Kriegen, die mit einem „Unentschieden“ enden, eher zu einem Wiederaufflammen der Kampfhandlungen. Insofern wäre ein entscheidender Sieg der Ukraine, also die Vertreibung der russischen Truppen aus ihrem Gebiet, auch langfristig stabiler.

Friedensverhandlungen heute

Das soll nicht heißen, dass es keine Verhandlungen geben soll. Man muss sich nur fragen, ob sie auf Augenhöhe geführt werden und worüber überhaupt verhandelt wird. Also ob es sich um einen Diktatfrieden mit Scheinverhandlungen oder ein echtes Entgegenkommen handelt.

Hier liegt genau die Crux: Russland führt einen ideologisch motivierten Angriffskrieg, will einen „regime change“, selbst der Vorwurf des Genozids am ukrainischen Volk steht im Raum – gibt es doch unzählige Aussagen von Putin und Vertretern seiner Regierung, die der Ukraine ihre Staatlichkeit und ihrer Bevölkerung den Charakter als Nation absprechen (eine Sammlung gibt es hier). Die russischen Forderungen vom letzten Dezember waren dementsprechend so unrealistisch-übertrieben, dass hier kein Entgegenkommen möglich war.

Bei derartigen Maximalzielen besteht kaum bis kein Spielraum. Je bedeutender der Kriegsgrund (unabhängig davon, ob er nachvollziehbar ist), desto geringer die Bereitschaft für Zugeständnisse. Verhandeln verlangt aber ein Mindestmaß an Vertrauen und gegenseitigem Entgegenkommen. Nur: Worüber will man hier genau verhandeln? Wo sollte die Ukraine entgegenekommen, wieso sollte sie z.B. Teile ihres Staatsgebiets mitsamt den dortigen Bewohnern und deren Eigentum „herschenken“? Wie verhandelt man mit jemandem, der grundlos angreift, zahlreiche Kriegsverbrechen begeht und einen auslöschen will? So ernüchternd es auch klingen mag – unter solchen Umständen zählt das, was auf dem Schlachtfeld passiert. Um es mit den Worten einer jüngst erschienen Übersicht des SWP zu den bisherigen Verhandlungen und ihren Erfolgsaussichten zu sagen:

Putins Entscheidung, den Krieg trotz der militärischen Pro­bleme immer weiter zu eskalieren, wirft auch bei seinen Unterstützern in Peking oder Ankara Fragen auf. Mit den jüngsten Anne­xionen hat der russi­sche Herrscher weiteren Ver­handlungen einen Riegel vorgeschoben. Hoffnung auf eine diplomatische Lösung unter Wahrung der ukrainischen Eigenstaatlichkeit, Unabhängigkeit und territo­rialen Integrität wird es erst dann geben, wenn Russland keine Mög­lichkeiten mehr sieht, den Krieg militärisch zu ent­scheiden.

Timothy Snyder sieht Verhandlungen skeptisch: Putin sei schließlich ideologisch getrieben, nicht rein-machtpolitisch.

Das heißt natürlich nicht, dass man es nicht versuchen soll. Im Gegenteil, seit 1945 sind Friedensverhandlungen während laufender Kampfhandlungen wesentlich häufiger als früher (mehr als doppelt so oft, von 11.5 auf 27.5%).
Aber eben auch wesentlich seltener erfolgreich. Dazu passt, dass die Zahl der Friedensverträge seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs stark zurückgegangen ist – zumal diese völkerrechtlich in der Regel ohnehin nicht gültig sind: Militärischer Zwang und freie Willensbekundung, das geht sich nicht aus.

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2 Kommentare zu „Verhandlungen oder Kapitulation? Wie Kriege enden

  1. Tja, klug, aber auch erschreckend ist die These, dass Verträge, die Gewalthandlungen einvernehmlich beenden, „völkerrechtlich in der Regel ohnehin nicht gültig“ seien: denn „Militärischer Zwang und freie Willensbekundung“ gehen nicht zusammen.
    Da diese „ungültigen“ Verträge doch eine positive Funktion haben, muss auch rechtlich etwas daran sein.

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