Der Taiwan-Besuch der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi sorgt für diplomatische Verstimmungen. Nur: Was ist Taiwan eigentlich? Staat, kein Staat, China, nicht China?
Staat
Es könnte ja einfach sein: Die Staatsdefinition lernt man früh im Jus-Studium, Staatsgebiet, -gewalt und -volk. Alles bei Taiwan vorhanden, 23 Millionen Einwohner, eine funktionierende Verwaltung inklusive Militär und ein einigermaßen klar umrissenes Territorium.
Wenn es so einfach wäre, müsste man freilich keinen Blogpost schreiben. Taiwan will nämlich (1.) kein eigener Staat sein und (2.) unterhält nur mit sehr wenigen Staaten offizielle diplomatische Beziehungen.
So hat seine Regierung lange beansprucht, ganz China zu vertreten. Also neben seinen Inselgebieten auch das Festland. Nur hatte die Regierung in Taiwan – die Kuomintang – nach der Niederlage im Bürgerkrieg 1949 dort nichts mehr zu melden, die Insel war quasi ihr Exil. Dennoch galt sie rechtlich als Vertreterin ganz Chinas, auch bei der UNO. Das hat sich erst in den 1970ern geändert, als die USA unter Präsident Nixon spät aber die Fakten akzeptierten (siehe dazu auch „Ping Pong“-Diplomatie): Nämlich, dass nahezu das gesamte Staatsgebiet unter kommunistischer Führung steht. Und damit ist die Vertretung Chinas bei der UNO von Taiwan auf Peking übergegangen, 1979 sind die USA endgültig nachgezogen.
Ein oder zwei Chinas?
Taiwan hat seinen Vertretungsanspruch dennoch bis in die 1990er beibehalten, obwohl mehr und mehr Staaten die Volksrepublik, also des kommunistisch regierten Festlands, China ansahen. Taiwan unterhält daher nur noch mit einigen kleinen Staaten und dem Heiligen Stuhl vollwertige diplomatische Beziehungen. Heute setzt man auf doppelte Anerkennung, also des Festlands und von Taiwan, kein entweder-oder. Wer sich entscheiden muss, entscheidet sich schließlich für die Volksrepublik.
Dennoch versucht Taiwan keine Abspaltung (Sezession) von China. Der völkerrechtliche Zwischenstatus als Nichtstaat aber eben auch nicht normaler Teil Chinas wird also bis auf Weiteres beibehalten. Eine taiwanesische Unabhängigkeitserklärung würde unnötig zusätzlichen Staub aufwirbeln, im Extremfall einen Angriff auslösen – man erinnere sich nur an den Furor rund um die Aussage des ehemaligen Präsidenten 1999, dass Taiwan die Beziehungen zur Volksrepublik China fortan als zwischenstaatlich betrachte.
Taiwan will also ein eigener Staat sein, ohne sich als solcher zu bezeichnen, völkerrechtlich ist es damit ein (stabilisiertes) de-facto-Regime: Es wirkt wie ein Staat, wird aber von anderen nicht als Staat behandelt, es gibt beispielsweise keine Botschaften in Taiwan und umgekehrt nur wenige offizielle taiwanische Botschafter. Damit entfällt auch eine Aufnahme in internationale Organisationen, denen nur Staaten angehören können (wie die WHO, die UNO oder der Weltpostverein). China kann eine solche Aufnahme stets verhindern, braucht sie üblicherweise doch Einstimmigkeit, und außerdem will ohnehin kaum wer mächtige Staaten verärgern.
(Quasi-)Schutzmacht USA
Was uns zur Rolle der USA bringt: Die sehen Taiwan zwar auch nicht als Staat an, aber eben auch nicht als regulären Teil chinesischen Gebiets. Taiwan wird auch militärisch unterstützt, ob man im Falle eines Angriffs – den Xi Jinping mehr oder minder explizit ins Spiel gebracht hat, um China wieder zu vereinigen – selbst und direkt einschreiten würde, hat man aber offen gelassen. Diese strategische Ambiguität wurde unter Biden zurückgefahren, er hat vielmehr offen klargestellt, dass die USA Taiwan in einem solchen Fall zur Hilfe kommen würden. Außerdem hat er als erster Präsiden taiwanische Repräsentanten zu seiner Angelobung eingeladen und US-Diplomaten haben im Umgang mit ihnen mehr Spielraum und US-Kriegsschitte patrouillieren regelmäßig durch die Taiwanstraße.
Das gilt freilich nicht für Nancy Pelosi. Sie ist zwar wahrlich nicht irgendwer, aber eben auch nicht Teil der US-Regierung, sondern Sprecherin des Repräsentantenhauses. Das macht sie zur höchstrangigen US-Politikerin in Taiwan seit ihrem Amtsvorgänger Newt Gingrich, der 1997 dort war. Aber immer noch nicht zu einem offiziellen Staatsgast. Abgeordnete können reisen, wohin sie wollen, sie vertreten Teile der Bevölkerung im Parlament, aber nicht den Staat nach außen. Gingrich selbst hat Chinas Reaktion übrigens heruntergespielt und Pelosis Besuch gutgeheißen: Schließlich zeige man damit doch, dass Taiwan beiden Parteien, Demokraten wie Republikanern, ein Anliegen sei.
Ob China die Sache ähnlich sieht, sei dahingestellt. Eskalations-Rhetorik gab es schon im Vorfeld, China reagiert schärfer als zu Zeiten Gingrichs, Militärübungen und was weiß man noch inklusive.
Die Welt hat sich seit damals gedreht. Davon abgesehen steht Xi Jinping innenpolitisch aufgrund des Umgangs mit dem Coronavirus und des nahenden Parteitags unter Zugzwang, die US-Demokraten können ihrerseits nicht so knapp vor den Wahlen einknicken. Jetzt hat keiner so wirklich was davon.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Ich freue mich über Unterstützung!