Kaliningrad-Transitverbot: Alles rechtens?

Litauen setzt die EU-Sanktionen gegen die russische Exklave Kaliningrad um. Sicherheitspolitisch nicht so ohne, die EU-Kommission will (mit deutscher Unterstützung) die Sache daher entschärfen. Aber wie sieht das eigentlich rechtlich aus?

Enklaven- und Exklaventransit

Beginnen wir mit den Grundlagen: Kaliningrad ist ein Teil russischen Staatsgebiets, der nicht mit dem Rest Russlands direkt verbunden ist. Es handelt sich allerdings um keine Enklave im eigentlichen Sinn, weil es nicht nur von einem Staat umgeben ist, sondern von zwei (Litauen und Polen) und obendrein Zugang zum baltischen Meer hat. Allerdings kann man es als EU-Enklave ansehen, weil beide umschließenden Staaten EU-Mitglieder sind und der Meereszugang funktionell durch deren und weitere EU-Hoheitsgewässer limitiert ist.

Exklaven brauchen also eine Verbindung, die durch fremde Staaten verlaufen. Der Luft- und Seeweg ist nicht betroffen. Für den Landweg kommen traditionell „Staatsservituten“ in Betracht, also Durchfahrtsrechte für Güter und Personen. In Bezug auf Kaliningrad gibt es einen Vertrag zwischen Russland und Litauen aus dem Jahr 1993, der den ungehinderten Transport von Gütern und Passagieren vorsieht:

The Contracting Parties shall ensure the unhindered transportation of passengers and goods by Lithuanian road transport vehicles through the Kaliningrad region to and from the Republic of Lithuania and, similarly, the transportation of passengers and goods by Russian road transport vehicles in transit through the territory of the Republic of Lithuania to and from the Kaliningrad region.

PROTOCOL ON THE PROCEDURE AND TERMS FOR THE TRANSPORTATION OF GOODS AND PASSENGERS BETWEEN THE KALININGRAD REGION AND OTHER REGIONS OF THE RUSSIAN FEDERATION IN TRANSIT THROUGH THE TERRITORY OF THE REPUBLIC OF LITHUANIA

Zu diesem Zweck gibt es die Möglichkeit eines privilegierten Eisenbahn-Durchgangsverkehrs bzw. Korridorverkehrs, also die Durchfahrt durch Litauen ohne Zwischenstopps. Das wurde von russischer Seite vorgeschlagen, aber (meines Wissens nach!) nie umgesetzt. Im gleichen Atemzug haben Russland und die EU in einer gemeinsamen Stellungnahme 2003 die „unique situation“ von Kaliningrad anerkannt und betont, dass Litauen flexible Grenzkontrollen durchführen darf. Davon abgesehen gelten für den quasi-innerrussischen Warenverkehr die allgemeinen Regeln des Artikel V GATT, demzufolge bei bloßem Transit keine Zölle anfallen und unnötige Beschränkungen und Verzögerungen untersagt sind.

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Gegenmaßnahmen sind erlaubt

Die litauische Blockade von Baumaterial, Metall und Kohle verletzt damit eine Reihe von Verpflichtungen und auch die allgemeinen Grundsätze guter Nachbarschaft, die Staaten den Zugang zu Exklaven garantieren.

Nur: Das Ganze geschieht ja nicht ohne Grund, sondern als Reaktion auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Damit wurde, um es einmal mehr zu betonen, das Gewaltverbot nach Artikel 2(4) UN-Charter verletzt. Und dieses stellt eine erga omnes-Verpflichtung dar, es ist allen Staaten geschuldet – also der Ukraine und sämtlichen anderen UN-Mitgliedern.

Damit können sie ihrerseits Russlands Rechte verletzen. Konkret spricht man hier von Gegenmaßnahmen, die sie als selbst unmittelbar in ihren Rechten verletzte Staaten oder zur Unterstützung der Ukraine (dann spricht man von kollektiven Gegenmaßnahmen) setzen können. Aufgrund der Schwere des Angriffs und der hohen Bedeutung des Gewaltverbots haben Staaten beziehungsweise die EU hier viel Ermessensspielraum – auch wenn das russische Außenministerium Drohungen ausspricht und Propagandisten im Staatsfernsehen von einem Kriegsgrund (casus belli) sprechen. Ein solcher liegt hier zweifelsohne nicht vor, zumal es die Unterscheidung zwischen Aggressor (Russland) und jenen Staaten auf den Kopf stellt, die darauf bloß reagieren.

Rechtlich ist die Ausdehnung der Sanktionen gegen Kaliningrad beziehungsweise Russland also durchaus gedeckt. Aber das Völkerrecht hat hier nicht das letzte Wort. Die Europäische Kommission versucht fieberhaft, eine Lösung zu finden.

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