Leseliste #2

Eine kurze Zusammenfassung der letzten Lesewochen: Richard Haass, A World in Disarray, Samantha Power, A Problem From Hell. America and the Age of Genocide Christopher Clarkes The Sleepwalkers und Byung-Chul Hans Transparenzgesellschaft.

Richard Haass, A World in Disarray (2017)

Wenn der Präsident des renommierten Council on Foreign Relations ein Buch schreibt, kommt man als Völkerrechtler/International Relations-Mensch daran nur schwer vorbei. Viel Neues findet man jedoch nicht, Haass beginnt mit der Geschichte der internationalen Beziehungen und dem Konzept der Weltordnung vom Wiener Kongress über den Kalten Krieg bis heute: Nordkorea, der Regime Change in Libyen (Haass ist ein ausgesprochener Kritiker und fordert unter anderem, dass derartige Militäroperationen nicht unter als „Responsibility to Protect“ firmieren sollen), die Beziehungen zu Russland inklusive der NATO-Osterweiterung, das Risiko, im Mittleren Osten noch mehr Schaden anzurichten, Afghanistan, Pakistan und die Pazifikregion mit Fokus auf China. Im abschließenden Kapitel widmet Haass sich der Frage, wie die USA mit einer Welt in Unordnung umgehen sollen und erteilt jeglichen Unilateralismus der Marke Irakkrieg 2003 eine klare Absage:

no other country [als die USA] or group of countries has either the capacity or the mind-set to build a global order. Nor can order ever be expected to emerge automatically; there is no invisible hand in the geopolitical marketplace. Again, a large part of the burden (or, positively, opportunity) falls on the principal power of the day. There is more than a little self-interest at stake. The United states cannot remain aloof, much less unaffected by  a world in disarray. Globalization is more reality than choice. At the regional level, the United States actually faces the opposite problem, namely, that certain actors do have the mind-set and means to shape an order. The problem is that their views of order are in part or in whole incompatible to US interests. […] the United States for all its power cannot impose order. […] Unilateralism is rarely a serious foreign policy option. Partners are essential. […]

Samantha Power, A Problem From Hell. America and the Age of Genocide (2002)

Power steht repräsentativ für die „liberal hawks“-Strömung und nach der Lektüre ihres Buchs versteht man auch wieso. Minutiös skizziert sie die US-amerikanische Passivität beginnend mit der Verfolgung der Armenier, die Rolle Lemkins bei der Völkermord-Konvention, den Völkermord an den Juden, den Massenmord in Kambodscha, die Verbrechen im Irak unter Saddam Hussein an den Kurden, die Völkermorde in Ruanda und Srebrenica. Ihr zentraler Punkt: Die USA hätten im 20. Jahrhundert sehr viel Leid verhindern können und sollen, in der Praxis waren die jeweiligen Regierungen zumeist allerdings darauf bedacht, möglichst wenig zu tun: Durch Hinterfragen des Wahrheitsgehalts der Berichte von Betroffenen oder Verweise auf fehlende Informationen und die unklare Faktenlage sollten die USA sich aus Konflikten heraushalten, die für sie keine geopolitische Bedeutung hatten.

The real reason the United States did not do what it could and should have done to stop genocide was not a lack of knowledge or influence but a lack of will. Simply put, American leaders did not act because did not want to. They believed that genocide was wrong, but they were not prepared to invest the military, financial, diplomatic, or domestic political capital needed to stop it. The U.S. policies crafted in response to each case of genocide examined in this book were not the accidental products of neglect. They were concrete choices made by this country’s most influential decisionmakers after unspoken and explicit weighing of costs and benefits.

Christopher Clark, The Sleepwalkers (2012)

Der erste Weltkrieg und der Umgang damit zeigt, wie lange es dauern kann, nüchtern und unter Kenntnis aller oder zumindest wesentlicher historischer Dokumente über einschneidende Ereignisse zu sprechen. Clark verwehrt sich in seiner enorm detaillierten Aufarbeitung des frühen 20. Jahrhunderts gegen die These der deutschen Kriegsschuld und zeigt das komplexe diplomatische und militärische Geflecht, das letzten Endes zum Ausbruch des Krieges geführt hat. Klare Schuldzuweisungen trifft er dabei keine, am ehesten sieht er noch Russlands Truppenmobilisierungen als entscheidend an. Daneben wagt er auch einige Ausflüge und betont etwa die Rolle der Medien als staatliches Sprachrohr oder hinterfragt, inwiefern die jeweiligen (männlichen) Entscheidungsträger weniger von Staatsäson als von Stolz und Testosteron geleitet waren. Clarks Buch hat aufgrund der gegenwärtigen weltpolitischen Lage zusätzliche Bedeutung bekommen: Nicht wenige vertreten die Ansicht, dass die Welt auch heute schlafwandelt (so etwa Joseph Weiler auf EJIL:Talk!). Ab irgendeinem Punkt könnte eine Nachkriegsära sich zur Vorkriegszeit wandern (siehe dazu The Fourth Turning von Neil Howe und William Strauss). Wann und ob das eintritt, lässt sich freilich nicht vorhersagen

Byung-Chul Han, Transparenzgesellschaft (2012)

Ich habe im letzten Jahr eine Reihe von Byung-Chul Hans Büchern regelrecht verschlungen. Die Sätze sind fast schon gewöhnungsbedürftig knapp, viele seiner Gedanken inspirieren und oft finden sich schöne Formulierungen (oft auch gar banale Satzkonstruktionen). Transparenzgesellschaft war eine Zeit lang vergriffen und ist jetzt in der fünften Auflage erschienen. Wenig verwunderlich, Transparenz ist eines der Schlagworte unserer Zeit. Das Buch selbst enttäuscht aber leider; vielleicht leide ich aber auch einfach nur ein wenig an Han-Overflow. Han beschreibt einmal mehr das Benthamsche Panoptikum, einmal mehr spricht er von der Selbstausbeutung, einmal mehr führt er aus, wie unsere Positivgesellschaft den negativen Gefühlen den Raum nimmt, weswegen „auch die Liebe zu einem Arrangement angenehmer Gefühle und komplexitäts- und folgenloser Erregungen“ verflacht:

Die Liebe wird domestiziert und positiviert zur Konsum- und Komfortformel. Jede Verletzung soll vermieden werden. Leiden und Leidenschaft sind Figuren der Negativität. Sie weichen auf der einen Seite dem negativitätslosen Genuss. Auf der anderen Seite treten an ihre Stelle die psychischen Störungen wie Erschöpfung, Müdigkeit und Depression, die auf das Übermaß an Positivität zurückzuführen sind.

Diese Positivgesellschaft kann man im Lichte der unzähligen Bücher zur Glückspsychologie und der Bereitschaft zur Einnahme von Stimmungsaufhellern durchaus sehen, wenn man will. Ob die von ihm beschriebenen Folgen kausal folgen, belegt er, wie üblich, allerdings nicht.

Bei seiner Kritik an der Transparenz bezieht Han sich auf den berüchtigten Carl Schmitt; Politik und die damit verbundene Strategie braucht das Spiel hinter dem Vorhang; fehlt eine solche, fällt auch die Hierarchie, die Geheimdiplomatie und die Politik als solche weg Transparenz als Post-Politik; daher fordert Schmitt mehr „Mut zum Geheimnis.“

Neben der Positivgesellschaft nennt Han auch einige weitere Typen: Die Kontrollgesellschaft („Hyperkommunikation garantiert die Transparenz“), die Informationsgesellschaft (in der die Informationsmasse keine Wahrheit erzeugt), die Intimgesellschaft (die Welt von heute als „Markt, auf dem Intimitäten ausgestellt, verkauf und konsumiert werden), die Beschleunigungsgesellschaft (Narration als Selektion, Datenhaufen als ungeschichtete „Dinge im Trödelladen“) oder die Ausstellungsgesellschaft („den Dingen wächst nur ein Wert zu, wenn sie gesehen werden“). Allesamt Elemente, mit denen er Gedankenbrücken schlägt, die jedenfalls in gewohnter Manier anregen und vom Analytischen gerne ins Poetische abgleiten. Um, ganz in Han-Manier, eine weitere Gesellschaftsform zu benennen: Die Empiriegesellschaft, die alles belegt sehen will und nach vermeintlichen oder tatsächlichen Fakten giert, hat für Hans Thesen wenig übrig. Vielleicht mag ich ihn ja genau deshalb so: Er entzieht sich Trends und wendet sich fast schon verspielt gegen den Strom.

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