Ratko Mladic verurteilt

Ratko Mladic wurde bereits im Juli 1995 angeklagt, verurteilt wurde er aber erst jetzt. Ein paar kurze Anmerkungen zu den Mühlen der internationalen Strafgerichtsbarkeit.

Begonnen hat das Verfahren gegen Mladic im Mai 2012. Insgesamt dauerte es 530 Gerichtstage, 592 Zeugen wurden befragt, rund 10 000 Beweisstücke  herangezogen. Das ist notwendig, um den Vorwurf der Parteilichkeit und der Siegerjustiz zu entkräften. Er wird dennoch ertönen. Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien gilt unter Serben als gebiaset und ungerecht, viele erachten ihn als anti-serbisch.

Völkermord: Das große Wort

Völkermord (bzw. Genozid) ist in Artikel II der UN-Völkermordkonvention von 1948 definiert:

In the present Convention, genocide means any of the following acts committed with intent to destroy, in whole or in part, a national, ethnical, racial or religious group, as such :
(a) Killing members of the group;
(b) Causing serious bodily or mental harm to members of the group;
(c) Deliberately inflicting on the group conditions of life calculated to bring about its physical destruction in whole or in part;
(d) Imposing measures intended to prevent births within the group;
(e) Forcibly transferring children of the group to another group.

Mladic wurde wie erwartet wegen dem Völkermord an bosnischen Männern in Srebrenica (und anderen Verbrechen) zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt:

„Es sei klar, dass Mladic die muslimischen Bosnier in verschiedenen Teilen des Landes auslöschen wollte. Er habe den Tod von Tausenden von Menschen verschuldet“ paraphrasierte die NZZ lapidar. Mladic selbst hat die Richter angeschrien, was nichts Neues ist – auch Slobodan Milosevic war mit dispektierlichem Verhalten aufgefallen.

Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien: Anfang und Ende einer Ära

Das Gericht wird in wenigen Tagen seine Pforten schließen. Rechtsgrundlage war eine Resolution des Sicherheitsrats, ein Novum nach damaligen Verhältnissen. Seit den Nürnberger und Tokioter Prozessen war das Konzept der internationalen Strafgerichtsbarkeit, also der Verfolgung von Einzeltätern, ja eingeschlafen.

Die internationale Staatengemeinschaft wollte zwar nicht direkt intervenieren (bzw nur einschränkt), aber doch etwas tun. Heute gibt es mit dem Internationalen Strafgerichtshof ein eigenes ständiges Gericht, das allerdings seinerseits unter Druck steht – insbesondere afrikanische Regierungen sehen sich benachteiligt, erst vor Kurzem ist Burundi als erster Staat wieder ausgetreten.

Europa zwischen Aufbruch und Schockstarre

Europa bzw. die EU war hilflos, überfordert, unwillig: Wer die Zeit nach dem Ende des Kalten Kriegs als Phase des Aufbruchs sieht, sollte nicht vergessen, dass Europa seit 1945 keinen Krieg gesehen hatte. Srebrenica passte nicht in das Denkmuster dieser Zeit. Wer aus seiner Kindheit oder jüngeren Jahren den Überraschungserfolg bei der EM 1992 in Erinnerung hat, sollte auch bedenken, dass die Dänen nur deshalb (doch) mitspielen durften, weil Jugoslawien sich damals bereits im Zustand des Bürgerkriegs befand.

Kriege, das war damals noch etwas, das in der Wahrnehmung zwischen Staaten geführt wird, nicht innerhalb eines (zerfallenden) Staates, nicht unter Völkern, die sich eigentlich so ähnlich sind wie Serben, Kroaten und (muslimische) Bosnier, zumal sie jahrzehntelang friedlich nebeneinander gelebt haben. Michael Ignatieff hat die Jugoslawienkriege mit Anleihen bei Sigmund zu erklären versucht: Die Kain und Abel-Theorie. Hass unter Brüdern, Hass, weil man sich so ähnlich ist, nicht wegen Verschiedenheit.

Die USA in Zeiten des Völkermords

Die USA waren unschlüssig, ruderten vor und zurück. Wie so oft in der Vergangenheit wollten Politiker den Begriff des Völkermords vermeiden. Weil insbesondere in den 1990er Jahren viele der Ansicht waren, dass aus der Völkermordkonvention eine Quasi-Verpflichtung zum Einschreiten erwachse. Man darf nicht vergessen, dass die USA die Konvention erst 40 Jahre nach ihrer Verabschiedung – also 1988 – unterzeichnet hatten.

Samantha Power, US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen unter Barack Obama, nennt Srebrenica in ihrem Buch „A Problem from Hell“ als eines von vielen Beispielen, in denen die USA versagt hatten:

There was much the United States might have done. It might have used the Serb seizure of Srebrenica and the ghastly television images to convince its European allies to rewrite the rules of the road in urgent fashion. It might have threatened to bomb the Serbs around Srebrenica and elsewhere in Bosnia if their troops did not depart the enclave, turn over the male prisoners unharmed, or at the very least stop shelling the Muslims who were in the woods trying to escape. It might have acted preemptively, warning the victorious Serbs that, they would be met with stiff retaliation if they turned their sights on Zepa, the safe area just south of Srebrenica, which was home to 16,000 vulnerable Muslims. If the United States failed to win support for such an aggressive response, and if the allies refused to support bombing, senior U.S. officials might, at the very least, have made the fate of the Muslim men their chief diplomatic priority. They might have warned Serbian president Slobodan Milosevic that economic sanctions would be stiffened and prolonged if the men in Mladic’s custody were ill treated. They might have carefully tracked the whereabouts of the prisoners so as to send a signal to Mladic, Krstic, and the other Serb officers that they were being watched. Instead, the United States did none of the above.

 Und heute?

„Ratko Mladić will die in jail. But go to Bosnia: you’ll see that he won.“ schrieb Ed Vulliamy, der gegen ihn ausgesagt und bereits 1992 die horrenden Zustände in den Gefangenenlagern aufgedeckt hat.

Heute bleiben die Fragen. Manche meinen, das alles komme ohnehin zu spät: Die Hinterbliebenen mussten lange warten, viele sehen der Gerechtigkeit immer noch nicht Genüge getan. Die Toten werden ohnehin nicht zurückkehren.

Mladic selbst bleibt für viele ein Held, vermutlich jetzt erst recht. Milorad Dodik, Präsident der Republika Srpska wird in der New York Times mit den Worten „unabhängig vom Urteil, das wir alle als Teil einer Kampagne gegen Serben sehen, bleibt Ratko Mladic für die serbische Nation“ zitiert.

 

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