Waffenruhe in Syrien

Der Sicherheitsrat hat nach zähen Verhandlungen eine dreißigtägige Waffenruhe in Syrien verordnet. Ein paar Anmerkungen.

Leicht war es nicht. Die unterschiedlichen Interessenlagen in Syrien sind ja hinlänglich bekannt. UN-Generalsekretär António Guterres hat Ost-Ghouta als die Hölle auf Erden für die 400 000 betroffenen Menschen bezeichnet, Amnesty International wirft Assad Kriegsverbrechen vor. Für unterschiedliche Sichtweisen zu den Kämpfen und zu der Frage, wieso Assads Gegner sich nicht ergeben wollen siehe hier oder hier.

Die Sicherheitsrats-Resolution

Im Zuge eines zweistündigen Treffen des Sicherheitsrats wurde einstimmig (und ohne Enthaltungen) eine dreißigtägige Waffenruhe angeordnet:

The Security Council, […]

1. Demands that all parties cease hostilities without delay, and engage immediately to ensure full and comprehensive implementation of this demand by all parties, for a durable humanitarian pause for at least 30 consecutive days throughout Syria, to enable the safe, unimpeded and sustained delivery of humanitarian aid and services and medical evacuations of the critically sick and wounded, in accordance with applicable international law;

Keine absolute Waffenruhe

Allerdings nimmt die Resolution zugleich im zweiten Absatz den Kampf gegen den „Islamischen Staat“, Al-Kaida, die Al-Nusra Front und andere Terrorgruppen aus:

2. Affirms that the cessation of hostilities shall not apply to military operations against the Islamic State in Iraq and the Levant (1S1L, also known as Da’esh), A1 Qaeda and A1 Nusra Front (ANF), and all other individuals, groups, undertakings and entities associated with A1 Qaeda or ISIL, and other terrorist groups, as designated by the Security Council;

Damit genießen Russland und Syrien einen gewissen Spielraum. Schließlich lassen sich etwaige Nicht-Einhaltungen des Waffenverbots als Maßnahmen im Kampf gegen diese Gruppen rechtfertigen. Ob dem tatsächlich so ist, lässt sich naturgemäß nicht immer eindeutig sagen.

Dirty Tactics

Des weiteren sollen Hilfslieferungen und Hilfsorganisationen Zugang zu den betroffenen Gebieten erhalten. Gleichzeitig darf es keinen Missbrauch geben – schließlich wird die Neutralität von Hilfslieferungen und medizinischem Personal (bzw. das Verbot, diese anzugreifen) oft missbraucht, um damit Waffen und Kämpfer zu transportieren. Ebenso sollen Kämpfer sich nicht in der Nähe von Spitälern und anderen zivilen Einrichtungen aufhalten, um sich damit vor Angriffen zu schützen – (leider) ein Merkmal asymmetrischer Kriege, in denen schwächere Gruppierungen ihre Unterlegenheit oft mit derartigen Methoden (zu Lasten der Zivilbevölkerugn) wettzumachen versuchen.

8. Demands that all parties facilitate safe and unimpeded passage for medical personnel and humanitarian personnel exclusively engaged in medical duties, their equipment, transport and supplies, including surgical items, to all people in need, consistent with international humanitarian law and reiterates its demand that all parties demilitarize medical facilities, schools and other civilian facilities and avoid establishing military positions in populated areas and desist from attacks directed against civilian objects;

Ein Ende der Belagerung

Zuletzt soll die Belagerung von Ost-Ghouta und anderen dichtbesiedelten Gebieten aufgegeben werden. Hier ist der Text allerdings zurückhaltender, da er nur dazu aufruft („calls upon“) und nicht anordnet („demands“). Dabei gilt es zu bedenken, dass es sich beim gezielten Aushungern von Kampfgebieten um ein allgemein anerkanntes Kriegsverbrechen handelt (siehe hier).

Kein Verweis auf Kapitel VII

Der Sicherheitsrat hat außerdem nicht ausdrücklich auf Kapitel VII der UN Charter verwiesen. Das ist insofern bedeutsam, als sich dort das System kollektiver Sicherheit befindet. Und damit auch die Kompetenz des Sicherheitsrats, Sanktionen zu verhängen oder kriegerische Maßnahmen zu autorisieren.

Dennoch zeigt der Resolutionstext, dass der Sicherheitsrat im Rahmen von Kapitel VII handelt. Ein eigener ausdrücklicher Verweis ist zwar üblich, aber nicht unbedingt notwendig. Die Resolution begnügt sich, Artikel 25 der UN-Charter zu betonen, der die Verpflichtung festlegt, Sicherheitsrats-Resolutionen umzusetzen.

Eine Bedrohung für den regionalen Frieden?

Zuletzt weist die Resolution einen ungewöhnlichen Aspekt auf: Sie spricht einer Bedrohung für Frieden und Sicherheit in der Region – wohingegen Kapitel VII (genau genommen Artikel 39 der UN-Charter) eine Bedrohung von internationalem Frieden und Sicherheit verlangt.

Der Sicherheitsrat hat das auch in Haiti 1994 gemacht: Dort waren die Umstände jedoch andere. Damals ließen die USA ihre Militärintervention zur Wiedereinsetzung von Bertrand Aristide, der drei Jahre zuvor durch das Militär unter Raoul Cédras geputscht wurde, vom Sicherheitsrat absegnen. Hintergrund waren die Fluchtbewegungen aus Haiti in die USA, die so eingedämmt werden sollten. Die übrigen Sicherheitsratsmitglieder sahen die Menschenrechtslage in Haiti jedoch nicht als schwerwiegend genug an, um von einer Bedrohung des Weltfriedens.

In Syrien/Ghouta liegt eine solche jedoch gewiss vor. Russland scheint sich allerdings trotzdem gegen eine derartige Einstufung gewehrt zu haben. Ein Anzeichen dafür, dass es den Krieg baldmöglichst als beendet erklären möchte.

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