Israel hat iranische Stellungen in Syrien zerstört und sich dabei auf das Selbstverteidigungsrecht berufen. Ein dreipersonales Konfliktverhältnis also.
Israelischen Angaben zufolge wurden 20 Raketen auf den Golan (der völkerrechtlich zu Syrien gehört, aber seit dem Ende des 6-Tages-Kriegs von Israel kontrolliert und später auch annektiert wurde) abgefeuert. Israel hat darauf mit Luftangriffen auf iranische Stellungen in Syrien reagierte. Außerdem wurde die syrische Luftabwehr getroffen. Der Iran sprach wiederum von einem Vorwand für eine klare Verletzung der syrischen Souveränität. Israel hatte in Syrien immer wieder vereinzelte Angriffe in Syrien (etwa auf Waffenlieferungen) ausgeführt.
Staat A gegen Staat B auf dem Gebiet von Staat C
Fest steht: Es handelt sich hier um keinen klassischen Anwendungsfall für das Selbstverteidigungsrecht: Der Iran hat Israel nicht von seinem eigenen Staatsgebiet aus angegriffen und Israel hat keine im Iran gelegenen Ziele unter Beschuss genommen.
Schauplatz ist vielmehr Syrien, wo der Iran sich mit bis zu 20 000 Kämpfern (darunter 6 bis 8 000 Hisbollah-Angehörigen, siehe zur iranischen Präsenz in Syrien auch hier) und bewaffneten Drohnen im Zuge des Krieges regelrecht eingraben konnte.
Das ist für sich genommen allerdings kein Problem, zumal die iranische Präsenz auf dem Einverständnis Syriens beruht (im Gegensatz zum „Islamischen Staat“ etwa). Assad macht sich damit gewissermaßen zu einem Beihelfer und wird nicht von der Souveränität geschützt. Komplexere Fragen würden sich erst ergeben, wenn Syrien ein neutraler oder gar ein vom Iran okkupierter Staat wäre (siehe dazu Yoram Dinstein, War, Aggression and Self-Defence, CUP 2017, 218ff.).
Präventiv oder prä-emptiv?
Die entscheidende Frage dreht sich vielmehr darum, ob Israel zuerst angegriffen wurde oder dem Iran zuvorkommen will. Gute Gründe sprechen dafür, dass Israel die Zeit unmittelbar nach dem US-Ausstieg aus dem Irandeal genutzt hat, um eine rote Linie für den Iran und die Hisbollah in der Region rund um die Golanhöhen zu ziehen.
Wenn Israel dabei auf iranische Angriffe reagiert, wäre die Verhältnismäßigkeit entscheidend. Wobei ich hier jetzt eine wirklich lange Abhandlung über die unterschiedlichen Lesarten der Selbstverteidigung verfassen könnte.
Oder es einfach nur bei der lapidaren Feststellung belassen, dass es sich hier um das mühsamste aller Kriterien des Rechts auf Selbstverteidigung handelt. Jedenfalls muss die Verhältnismäßigkeit sich nicht notwendigerweise auf Angriffs- und Verteidigungshandlung beziehen. Vielmehr können Selbstverteidigungshandlungen wesentlich weiter gehen als der auslösende Angriff.
Was auch daran liegt, dass dem Selbestverteidigungsrecht auch ein präemptives Element innewohnt: Staaten versuchen oft, zukünftige potentielle Angriffe zu unterbinden. (wobei das auch gilt, wenn man der Meinung vertritt, dass Israel den Iran zuerst angegriffen hat).
Kriegszustand?
Zuletzt könnte man auch das Argument vertreten, dass der Iran und Israel sich ohnehin im Kriegszustand befinden und damit nicht mehr zwischen Angriffs- und Verteidigungshandlung unterschieden werden muss (siehe Dinstein, 227). Ein solcher liegt jedoch – im Gegensatz zur Situation zwischen Syrien und Israel, die seit dem Yom Kippur-Krieg nur einen Waffenstillstand, nicht aber einen Friedensvertrag beschlossen haben – weder im objektiven und noch viel weniger im subjektiven Sinne (also etwa in Form von Kriegserklärungen) vor.
Vom Wandel der Gewalt
Man sieht: Das Selbstverteidigungsrecht (wie auch das Gewaltverbot) folgt keinem typischen Ablauf. Nicht immer greift Staat A seinen Nachbarstaat B an. Heutige Konflikte sind wesentlich diffiziler: Mit indirekter Unterstützung (Waffenlieferungen und Ausbildung von Kämpfern), einem Staat zurechenbaren oder nicht zurechenbaren Milizen, anderen bewaffneten Gruppierungen aller Art oder sogar quasi-staatlichen Erscheinungen wie dem „Islamischen Staat.“ Das Völkerrecht braucht heute demgemäß ein hohes Maß an Flexibilität – bisweilen so viel, dass vor lauter verbiegen am Ende nichts Handfestes übrigt bleibt.