Es war einer der Orte, der das Wort Kult wirklich verdient (so abgedroschen es auch sein mag): die Buchhandlung in der Operngasse 26, sie hatte Öffnungszeiten wie man sie sonst nur von Bäckereien kennt. Jetzt ist sie geschlossen, die Bücher sind weg, vielleicht mitten in der Nacht abtransportiert. Eine Art Nachruf.
Sie war irgendwie immer schon da. Mit immer ist die Zeit gemeint, bevor die Gegend – also das Freihausviertel und seine Ausläufer – sozusagen in wurde. Also als es noch weniger von den vielen Gallerien gab, bei denen ich mich schon immer frage, wie sie sich finanzieren. Die bisweilen bemüht-hippen Restaurants, denen am Ende doch irgendwie der Charme fehlt. Die Swing Kitchen-Filiale am Eck war damals noch eine spärlich besuchte undefinierbare Mischung aus Kaffee und Beisl.
Das Freihausviertel, das war damals Kebab Haus, Roxy, Johnny’s Pub und Anzengruber. Vielleicht noch das Four Bells, das noch neu war und Mc Adam’s hieß (der Keller hatte eine eigentümliche Skikurs-Disko-Atmosphäre). Mitte bis Ende der 2000er also, meine Zeit. Ob ich mich aktiv an die Buchhandlung erinnern kann oder es mir im Nachhinein tatkräftig einbilde, lässt sich nicht sagen. Dass sie nicht da gewesen sein soll erscheint aber doch irgendwie undenkbar. Sie muss da gewesen sein.
Hineingegangen bin ich erst später. Das war 2011, Sommer. Ich hatte damals das, was man eine mittelgroße Lebenskrise nennen könnte. Studium beendet, Beziehung auch. Das sind die Momente, in denen man vor der eigenen Wohnung wegläuft. Abends wird es eben besonders dunkel.
Da kann man schon mal in einer Buchhandlung landen. Bücher als Freund, Viktor Frankl sprach vom Buch als Therapeutikum. Begrenzt wirksam, aber doch.
Es ging mir aber nicht unbedingt um ein Buch, in erster Linie wollte ich erfahren, wieso die Buchhandlung oft so spät (und ich meine wirklich spät, das konnte auch 3h früh sein) offen hat. Eine emotionale, mitreißende oder sonstwie zum Nachdenken anregende Erklärung. Tiefpunkte sind ja Momente, in denen man Dinge tut, auf die man sonst nicht kommen würde. Das muss nicht immer eine Mutprobe oder was ach so Extravagantes sein. Es kann auch einfach nur bedeuten, dass man eine Buchhandlung aufsucht und ein Gespräch beginnt.
Es war zwar nicht drei, aber doch neun. Und in meinem Kopf sah ich schon ein gedankenschweres philosophisches Gespräch mit der älteren Besitzerin der Buchhandlung vor mir. Als Buchhändler ist man ja zur Küchenphilosophie gewissermaßen verpflichtet.
Die Räumlichkeiten hielten durchaus, was man sich erwarten darf, das Bedürfnis nach Mystik wurde ausreichend bedient. Gut sortiert (sagt man ja so bei Buchhandlungen), wenn auch nicht im klassischen Sinne. Geordnet, doch, aber auch nicht aufgeräumt. Inspiration genug. Jedenfalls war ich naiv genug zu glauben, zu erfahren, wieso die Dame zu solch atypischen Zeiten geöffnet hatte, zumal das auch berauschte „Kundschaft“ aus dem weniger Meter entfernten Roxy bedeuten konnte. Zum Beispiel.
Nun, ich sollte keine Erklärung bekommen. Ich erinnere mich nur an den skeptischen Blick und dass mir meine vermeintlich indiskrete Frage unangenehm war. Wie die Situation zu Ende gegangen ist, kann ich nicht mehr genau sagen. Fest steht, dass ich recht bald wieder auf der Straße war. Der Mythos blieb, die Antwort sollte nie kommen. Die Buchhandlung habe ich einige Jahre nicht mehr betreten.
Bis vor wenigen Monaten, um genau zu sein. Eine unspannende Angelegenheit, ich bin spontan hineingegangen und habe mir ein Buch gekauft, ich weiß ehrlich gesagt gar nicht mehr, welches. Woraus sich ein kurzes ungezwungenes Gespräch über russische Klassiker ergeben hat, woraufhin sie mir eindringlich Turgenjew ans Herz legte. An offer you can’t refuse, Buchhändlerin-Version. Ich ließ ihn mir auf die Seite legen und habe noch zwei weitere Bücher bestellt (Freuds Unbehagen in der Kultur und Foucaults Macht der Psychiatrie; die handgeschriebene Rechnung habe ich noch). Einige Tage später, es war (an konventionellen Buchhandlungen gemessen) wieder spät am Abend, habe ich sie im tiefsten Winter spontan auf dem Heimweg von einer Weihnachtsfeier geholt. Außer den Turgenjew, dafür hatte das Bargeld nicht gereicht. Hier war mit einem Bankomat nichts zu holen
Es sollte keinen Besuch mehr geben, so oft ich wohnortbedingt auch an der Buchhandlung vorbei gefahren sein mag. Man weiß eben nicht immer, wann man etwas zum letzten Mal tut. Ich hoffe jedenfalls, dass es der Besitzerin gut geht. Das Freihausviertel ist um einen Ort ärmer.