Ein paar Hintergründe zur europäischen Flüchtlingspolitik im Allgemeinen und dem Flüchtlingslager in Moria im Besonderen.
1.) Begriffsverwirrung: Flüchtlinge, Migranten, Kinder, und unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
Die vielen emotionsgeladenen Diskussionen beginnen schon mal mit den Worten: Wer „Flüchtlinge“ oder Migranten sagt, wird kritisiert, weil er damit Migration mit Flucht gleichsetzt – weil Flüchtlinge als „Migranten“ pauschalisiert werden oder umgekehrt.
Dabei ist es eigentlich einfach: Flüchtling ist – rechtlich gesehen –, wer aus „wohlbegründeter Furcht“ vor Verfolgung wegen eines oder mehren der Fluchtgründe im ersten Artikel der Genfer Flüchtlingskonvention sein Heimatland verlassen hat, also „Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung“.
Dazu gibt es den Begriff des Asylwerbers, also jene, die um eine Anerkennung als Flüchtling angesucht haben. Der Begriff ist, solange das Verfahren läuft, also der gewissermaßen „objektivste“, weil er die meisten Menschen umfasst: also auch jene, bei denen im Zuge eines laufenden Verfahrens festgestellt wird, dass sie keinen der oben genannte Fluchtgründe aufweisen. Gleichzeitig gilt man völkerrechtlich bereits ab Verlassen des Heimatlandes als Flüchtling: Die Zuerkennung des Asyl- bzw. Flüchtlingsstatus bestätigt diesen nur, sie „verwandelt“ den Asylwerber also nicht in einen Flüchtling (juristisch gesprochen hat das Asylverfahren nur deklaratorische, keine konstitutive, „rechtsbegründende“, Wirkung).
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Migrant ist im weitesten Sinne (siehe zB die IOM-Definition) jeder, der das eigene Land verlässt, oft aus ökonomischen Gründen – besseren Perspektiven, Jobaussichten, Lebensstandard –, aber nicht nur (denkbar ist ja auch Migration aus Beziehungs- oder Familiengründen). Jeder Flüchtling ist also auch Migrant, aber nicht jeder Migrant auch Flüchtling.
In Bezug auf Moria ist außerdem oft von Kindern zu lesen, die man aus den Lagern holen soll. Das sorgt teilweise für Verwirrung, weil viele reflexartig an (Klein-)Kinder denken. Völkerrechtlich, also nach der UN-Kinderrechtskonvention, gilt allerdings „jeder Mensch, der das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat“ als Kind (außer, die Volljährigkeit tritt nach dem jeweiligen Recht des Landes, in dem es sich befindet, früher ein). Im innerstaatlichen (österreichischen) Recht wird je nach Bundesland wiederum weiter unterschieden, in Salzburg gelten unter zwölfjährige als „Kinder“, in der Steiermark, Tirol, Vorarlberg und Kärnten unter vierzehnjährige. Wer über zwölf bzw. 14 aber unter 18 ist, gilt als „junger Erwachsener“. Im Burgenland, Niederösterreich, Oberösterreich und Wien greift wiederum (nur) der Begriff „junge Erwachsene“ für unter 18jährige.
Das EU-Recht verwendet wiederum den Begriff des (unbegleiteten) „minderjährigen Flüchtlings“, gemeint sind wiederum unter 18-jährige. Der Begriff umfasst also auch Kinder.
2.) Asylanträge und -bewilligungen und pro Kopf: Österreich im Spitzenfeld
Ein weiterer Einwand dreht sich rund um den Beitrag der unterschiedlichen europäischen Länder, wenn es um die Aufnahme von Asylwerbern geht.
So hat Österreich allen Unkenrufen zum Trotz in den letzten Jahren auf die Bevölkerungszahl gerechnet mehr Asylwerber aufgenommen als die meisten anderen EU-Länder (plus Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein, die von der europäischen Statistikagentur miterfasst werden): 2015 war man bei den Asylanträgen hinter Schweden auf Platz zwei (die ungarischen Zahlen gilt es zu ignorieren [siehe Seite 14 hier], weil hier auch jene eingerechnet wurden, die in andere Länder weitergefahren sind), 2016 hinter Deutschland und Griechenland auf Platz drei. In den darauffolgenden Jahren lag Österreich außerdem bei den positiven Asylbescheiden im Spitzenfeld, 2016 auf Platz drei hinter Deutschland und Schweden, 2017 auf Platz zwei hinter Deutschland, 2018 sogar auf Platz 1 (mit Respektabstand vor Schweden und Deutschland), 2019 immer noch auf Platz 2 (hinter Griechenland).
Seit dem Fluchtjahr 2015 hat sich das Bild zwar geändert, die Zahl der Antragstellern ist – nicht zuletzt aufgrund des EU-Türkei-Deals – stark zurückgegangen. Außerdem ist Österreich, möglicherweise als Folge von schwarzblau (?), im Verhältnis zu anderen EU-Ländern wieder unbeliebter geworden, 2019 lag es bei den Asylanträgen pro Kopf auf Platz 13, im ersten Quartal 2020 auf Platz zehn (siehe auch hier); aktueller Spitzenreiter ist Griechenland.
3.) Aufnahmen aus Moria
Damit kommen wir zum letzten Punkt, der Debatte rund um die Aufnahme von minderjährigen, Kindern, kranken und allgemein Flüchtlingen aus den griechischen Lagern, allen voran Moria. Hier zeigt sich, dass aktuell nur eine Minderheit der EU-Länder (neun, außerdem die Schweiz) zur Aufnahme bereit ist, neben Österreich fehlt erstaunlicherweise auch das eigentlich humanitär ausgerichtete Schweden. Laut dem Spiegel stellte „der sozialdemokratische Ministerpräsident Stefan Löfven jetzt im Parlament einen Zusammenhang zwischen Einwanderern, mangelnder Integration und der jüngsten Verbrechenswelle her: Das ist sonnenklar“.
Übrigens legt sich im Moment die griechische Regierung selbst quer: Alles nicht so einfach.