Reaktion auf Eva Illouz‘ Artikel „Völkermord? Im Ernst?

Ich habe der Süddeutschen einen Leserbrief geschrieben, in dem ich einige völkerrechtliche Klarstellungen zu der von Eva Illouz verfassten Kritik am Völkermord-Vorwurf gegenüber Israel versucht habe. Ob er abgedruckt wird, weiß ich nicht, aber ich will ihn zumindest hier veröffentlichen.

Eva Illouz – deren Bücher ich sehr schätze und mit großem Interesse gelesen habe – hat am 29. Dezember eine Entgegnung zum gegenüber Israel erhobenen Völkermord-Vorwurf veröffentlicht. Er verlangt nach kurzen völkerrechtlichen Klarstellungen.

Sie beginnt mit der Frage, ob „es ein Genozid oder ein Krieg“ und betont später, dass „die Abgrenzung zwischen Krieg und Völkermord“ entscheidend sei. Nur: Hier besteht kein Widerspruch. Wie die Geschichte zeigt, gehen diese Gräuel leider oftmals Hand in Hand. Die Völkermord-Definition stellt darauf ab, ob eine Gruppe mit genozidaler Absicht teilweise oder gänzlich zerstört werden soll. Nicht darauf, ob das während eines Krieges oder zu Friedenszeiten geschieht.

Später führt Illouz einige historische Beispiele an, in denen keine Völkermord-Klagen eingebracht wurden. Abgesehen davon, dass ihr der damit verbundene Whataboutism, wie sie selbst sagt, bewusst ist, hat das in einigen Fällen einen simplen juristischen Grund: Der Biafrakrieg fand von 1967 bis 1970 statt, Nigeria ist aber erst 2009 der Völkermordkonvention beigetreten, Zimbabwe erst 1991 und damit nach den als Gukurahundi bekannten Massakern, Burundi erst 1997 und damit nach den Völkermorden 1972, 1988 und 1993, Indonesien ist bis heute nicht Vertragspartei. Klagen waren und sind damit nicht möglich. In den anderen Fällen wäre eine Klage zwar durchaus möglich gewesen. Allerdings haben Staaten allgemein nur selten von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Dass der Internationale Gerichtshof zeitgleich mit drei Völkermordverfahren beschäftigt ist, ist eine Ausnahme, er hat – wie Illouz selbst bemerkt – in seiner 75jährigen Geschichte in Summe erst wenige Verfahren geführt (Illout schreibt von fünf, ich zähle acht), von denen zwei im Übrigen aussichtslos waren (die Klage Serbiens gegen die NATO und eine alte, aus dem Jahr 1973 stammende Klage Pakistans gegen Indien).

Im nächsten Absatz konkretisiert Illouz ihren Vorwurf gegen Südafrika: „Warum, so müssen wir uns fragen, hat Südafrika nie Beschwerde eingelegt gegen den Völkermord an den Kongolesen, den Sudanesen in Darfur, den Rohingya oder den Syrern?“, wie sie schreibt. „Warum hat kein Land je gegen ein anderes Beschwerde geführt, von dem es nicht selber bedroht war, außer im Fall von Israel?“ fragt sie weiter und nennt sie auch die höheren Todeszahlen in Syrien und Myanmar.

Dazu ist einerseits zu sagen, dass gegen Myanmar seit Jahren ein Völkermord-Verfahren beim Internationalen Gerichtshof geführt wird (bei dem übrigens auch Deutschland beteiligt ist). Und Gambia – das die Klage angestrengt hat – war und ist eben nicht von Myanmar bedroht.

Andererseits geht Illouz, wie gesagt, anscheinend von einer falschen Definition des Völkermordbegriffs aus. Die Anzahl der Todesopfer spielt eine untergeordnete Rolle. Vielmehr müsste man (beispielsweise) Assad nachweisen, dass er die Sunniten, Alawiten oder sonstiger Volksgruppen ganz oder teilweise vernichten wollte, also ob er dahingehende Aussagen getätigt oder Pläne gefasst hat. Im Übrigen wird auch gegen Syrien ein Verfahren geführt, nur eben nicht wegen Völkermord – der sich nur schwer nachweisen lässt –, sondern wegen Folter. Darin, dass Südafrika, wie viele, vielleicht alle Staaten, ein nur selektives Interesse an Menschenrechten hat, ist ihr dennoch zuzustimmen.

Illouz‘ Frage, weshalb der Völkermord in Ruanda – im Gegensatz zu Israels Vorgehen gegen Gaza – erst spät als solcher benannt wurde verkennt wiederum die damalige innenpolitische Lage in den USA, die nach dem gescheiterten Vorgehen in Somalia 1992 ein neuerliches Engagement in einem afrikanischen Land ausschließen wollten. Daher rührt der anfängliche Widerwille, von einem Völkermord zu sprechen – hätte er doch eine moralische und, der damaligen Ansicht einiger US-Völkerrechtler folgend, gar eine rechtliche Pflicht ausgelöst, militärisch einzuschreiten. Mit Israel hat das alles nichts zu tun.

Danach kommt Illouz zum Internationalen Strafgerichtshof. Das ist allein deswegen verwirrend, weil dort gar keine Anklage wegen Völkermords erhoben wurde, weder gegen Netanjahu noch gegen Gallant. Aber dennoch möchte ich auch hier ein paar Anmerkungen machen: Bei Illouz‘ Vorwurf, dass der Haftbefehl gegen Mohammed Deif „ein Novum nicht ohne Komik“ sei, weil Deif „zum Zeitpunkt der Anklage allgemein für tot gehalten wurde“ muss man das Prozessrecht des Internationalen Strafgerichtshofs mitbedenken: Karim Khan kann keinen Haftbefehl verhängen, er kann ihn nur beantragen. Und zum Zeitpunkt seiner Anträge war Deif, ebenso wie im Übrigen auch Sinwar und Haniyeh, noch am Leben. Es sei außerdem angemerkt, dass Khan externe Berater hinzugezogen hat – auch, um erwartbaren Antisemitismus-Vorwürfen entgegenzutreten. So hat hat unter anderem der Holocaust-Überlebende und Völkerstrafrechts-Experte Theodor Meron die Anträge auf Haftbefehle für Netanjahu und Gallant befürwortet.

Eine letzte Klarstellung verlangt Illouz‘ Kritik, dass „hier zum ersten Mal ein demokratisch gewählter Regierungschef und ein Verteidigungsminister angeklagt werden, die einen Krieg führen, um ihre Bevölkerung zu schützen.“ Im Völkerstrafrecht ist es unerheblich, ob jemand gewählt wurde, das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshof oder das deutsche Völkerstrafgesetzbuch erwähnen Demokratie und Wahlen mit keiner Silbe. Es geht nur darum, was jemand tut – nicht darum, wer es tut.

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