Katalonien hat also seine Unabhängigkeit erklärt: Das neueste Kapitel in einer Phase wechselseitiger Eskalation.
Erst ist Katalonien ja zurückgerudert, dann wollte Madrid die Sache ein für allemal im Keim ersticken. Dafür hat es auch seine polizeilichen Muskeln spielen lassen und Puidgemont entsprechend gefragt, was denn nun genau mit dieser ursprünglichen Unabhängigkeitserklärung gemeint war. Die aktuelle Unabhängigkeitserklärung und auch Puidgemonts Statement sind unmissverständlich. Hier wird ein neuer Staat ausgerufen. Unilateral, also ohne die Zustimmung des betroffenen „Mutterstaats“ Spanien.
The Parliament of Catalonia constitutes the Catalan Republic, as an independent, sovereign, democratic, social State under the rule of law pic.twitter.com/RW5xck7PYN
— Catalan Government (@catalangov) 27. Oktober 2017
Catalunya és i serà terra de llibertat. Al servei de les persones. En els moments difícils i en els moments de celebració. Ara més que mai
— Carles Puigdemont (@KRLS) 27. Oktober 2017
Was sagt das Völkerrecht?
Seit Beginn dieser Krise wird immer wieder das Völkerrecht bemüht. Viel ist vom Selbstbestimmungsrecht die Rede, auch unter Verweis auf die Unabhängigkeitserklärung vom Kosovo und das anschließende Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs (IGH) in Den Haag. Dieses Gutachten sagt allerdings weniger aus als viele glauben. Im Grunde genommen hat der IGH lediglich festgestellt, dass das Völkerrecht weder ein Verbot, noch eine explizite Erlaubnis von Unabhängigkeitserklärungen enthält. Mit anderen Worten: Es sagt einfach gar nichts dazu, dieser Aspekt von Sezessionen ist schlichtweg keine völkerrechtliche Frage.
Klar ist jedenfalls: Das Selbstbestimmungsrecht bedeutet kein Recht auf einen eigenen Staat. So wurde es lediglich im Zusammenhang mit der Kolonialzeit verstanden. Ansonsten wird heute das interne Selbstbestimmungsrecht betont – ein Volk/eine Nation (so genau unterscheidet hier ja niemand, überhaupt sind diese Begriffe kaum definiert bzw. lassen sie sich kaum definieren) hat es also innerhalb eines Staates auszuüben. Konkret fallen darunter also unterschiedlich stark ausgeprägte Autonomierechte in kulturell bedeutsamen Bereichen wie der Sprache oder der Erziehung.
Manche argumentieren, dass es im Falle schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen von Seiten der Zentralbehörden oder auch „nur“ bei einer systematischen Verweigerung des internen Rechts auf Selbstbestimmung ein Recht auf Abspaltung gibt (so etwa insbesondere der kanadische Supreme Court in seinem richtungsweisenden Gutachten zu einer etwaigen Abspaltung Quebecs, para. 138). Ob es ein solches Recht tatsächlich gibt, ist bis heute ungeklärt. Selbst wenn, stellt sich die Frage, bei wem man es einklagen würde. Schließlich gibt es keine wie auch immer geartete Verpflichtung, einen (neu entstandenen) Staat anzuerkennen.
Eskalationsstufe rot
So wie es keine Parallelen zur Unabhängigkeitserklärung des Kosovo gibt, gibt es leider auch Parallelen: Der Geist vom Kosovo hat einen langen Atem. Die damalige Botschaft war nämlich klar: Wenn man gegen den Willen der betroffenen Regierung unabhängig werden will, muss man kämpfen. Spätestens wenn die polizeilich und militärisch überlegene Regierung massive Gewalt anwendet, verliert sie die Sympathie der Weltöffentlichkeit. Zu einem Milosevic (man verzeihe mir das Weglassen der diakritischen Zeichen) wird man Rajoy dennoch nicht stilisieren können. Das ist immer noch eine Unabhängigkeitsbewegung innerhalb eines demokratischen Staates. Es wäre gar ernüchternd, wenn sich das nicht auf friedliche und für alle (einigermaßen) akzeptable Art und Weise lösen ließe.