Völkerrecht in der Krise. Völkerrecht in der Krise?

Syrien, Nordkorea, Iran, Türkei und die Kurden. Nur einige von wenigen Beispielen, die nicht nur von einer geopolitischen, sondern auch von einer völkerrechtlichen Krise zeugen.

„An das Völkerrecht hält sich eh niemand“ bekommt man als Vortragender immer wieder zu hören. Beziehungsweise ganz allgemein, wenn man sich als Völkerrechtler ausweist.

Schlechte Nachrichten

Dieser Eindruck kommt nicht von ungefähr. Nur allzu oft liest man von Menschenrechtsverstößen, Kriegsverbrechen oder gar von Angriffskriegen. In Syrien weiß man gar nicht, wo man anfangen soll: Hier scheint das Völkerrecht nicht einmal ansatzweise eine Rolle zu spielen, für niemanden.

In der Flüchtlingskrise hat Europa Regeln geschaffen, die es nicht erfüllen will (oder kann): Ein Recht auf Asyl, das faktisch unterminiert wird, indem man mit afrikanischen Regierungen oder gar libyschen Milizen zusammenarbeitet, damit die Menschen gar nicht so weit kommen, um Asyl zu beantragen. Die Krim ist faktisch nach wie vor Teil von Russland, was sich auch in naher Zukunft nicht ändern dürfte. Die US-Militärschläge gegen ein syrisches Flugfeld im letzten Jahr wurden aus juristischer Sicht kaum diskutiert, viele Regierungen haben sie trotz fehlender Rechtsgrundlage aber begrüßt. Der „Islamische Staat“ hat unzählige Verbrechen begangen, darunter sogar einen Völkermord, das „crime of crimes.“ Jetzt, wo er besiegt scheint, beginnt mit dem Krieg der Türkei gegen die syrischen Kurden eine neue Phase in Syrien. Eine allseits akzeptierte völkerrechtliche Grundlage fehlt hier, die europäischen Regierungen schweigen aber: Wegen der Bedeutung der Türkei beziehungsweise Erdogans als „Türsteher Europas“ oder auch der schwierigen Definition des Terrorbegriffs: Die Türkei begründet ihr Vorgehen als Teil des Kampfs gegen Terror.

Krisenordnung

Wir befinden uns tatsächlich in einer handfesten globalen Krise. Richard N Haass spricht von einer Welt in Unordnung („A World in Disarray„), Henry Kissinger warnte vor den Auswirkungen einer US-Intervention in Syrien für die regionale und globale Stabilität und Walter Russell Mead verkündete die Rückkehr der Geopolitik nach den Jahren westlicher Hoffnungen auf eine liberale Weltordnung.

Was heißt das für das Völkerrecht und seine Wirkkraft? Zum einen muss man sich seiner Funktionen und Grenzen bewusst sein: Es regelt die Beziehungen der Völkerrechtssubjekte, allen voran von Staaten und den großen internationalen Organisationen. Eine gemeinsame Sprache von Staaten, Völkern und Kulturen.

Stillschweigendes Vorbeireden

Nur: oft werden dieselben Worte verwendet, aber anders verstanden. Viele Konzepte sind nebulös, selbst bei der Definition von scheinbar unstrittigen Begriffen wie Aggression oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit gibt es Kontroversen. Umso schwieriger, wenn Staaten von Demokratie, dem Selbstbestimmungsrecht der Völker, Freiheit oder Terrorismus sprechen. Je nach den Umständen vertreten Russland, die EU, die USA, die Türkei oder China gänzlich unterschiedliche Auffassungen.

Das Völkerrecht ist alles andere als perfekt. Aber es ist immer noch der große minimale Grundkonsens, auf dem die internationale Gesellschaft (von einer Gemeinschaft zu sprechen halte ich für einen Euphemismus) basiert.

Technisches vs. politisches Völkerrecht

Zum anderen muss man sich darüber im Klaren sein, dass es das Völkerrecht als solches nicht gibt. Vielmehr gilt es, zwischen unterschiedlichen Regelungsbereichen zu unterscheiden. Je technischer und im Umkehrschluss apolitischer, desto besser funktioniert es. Man denke etwa an den grenzüberschreitenden Postversand (die Universal Postal Union).

Dazwischen liegen Wirtschaftsangelegenheiten wie das internationale Handelsrecht oder das Investitionsschutzrecht, die über weite Strecken ebenso eingehalten werden wie das Diplomatenrecht.

Die Grenzen des (Völker-)Rechts

Schlagzeilen wie „heute hat kein Staat gegen das Gewaltverbot verstoßen“ bringen kaum Leser und Zuseher. Dadurch entsteht der Eindruck, dass das Völkerrecht habituell gebrochen wird beziehungsweise wird die Wahrnehmung entsprechend verzerrt (man spricht von „availability heuristic„).

Dadurch wird aber nicht der Wert des Völkerrechts als solches in Frage stellt, sondern vielmehr seine Wirkkraft in Zeiten manifester Krisen. Hier unterscheidet es sich aber nicht vom innerstaatlichen Recht: Auch dieses stößt in Ausnahmesituationen an seine Grenzen. Und so wie es in der Völkerrechtsordnung mächtigere Staaten gibt, gibt es auch im innerstaatlichen Rahmen mächtigere Menschen, Unternehmen und Institutionen.

Wenn wir von Kriegen lesen, sind wir damit im sensibelsten Bereich des Völkerrechts. Wohl kaum ein Staat wird, wenn er seine vitalen Interessen bedroht sieht, von einer Handlung Abstand nehmen, weil sie gegen das Völkerrecht verstößt. Vielmehr wird er allfällige negative Konsequenzen in Kauf nehmen, die sich umso eher verkraften lassen, je mächtiger er ist. Das war leider schon immer so (dazu empfehle ich einen Blick in die einschlägigen Völkerrechts-Lehrbücher aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert, etwa Oppenheim’s International Law).

 

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