Wie auch letztes Jahr im April haben die USA auf einen Assad zu Last gelegten Giftgaseinsatz mit Militärschlägen reagiert. Grundsätzlich ist diese Vorgehensweise völkerrechtswidrig. Aber das spielt eine allenfalls untergeordnete Rolle.
Das Gewaltverbot gemäß Artikel 2(4) UN Charta ist eine der simpelsten Regeln des Völkerrechts (Thomas Franck hat es sogar als „idiot rule“ bezeichnet): Staaten dürfen keine direkte oder indirekte – beispielsweise Waffenlieferungen an oder die Ausbildung von Aufständischen/Terroristen/Rebellen – gegen andere Staaten anwenden. Die einzigen zwei allgemein anerkannten Ausnahmen sind das Recht auf Selbstverteidigung gemäß Artikel 51 der UN Charta oder Maßnahmen auf Grundlage einer Autorisierung des Sicherheitsrats.
Selbst schwerste Menschenrechtsverletzungen sind für sich genommen daher keine ausreichende Rechtsgrundlage. Dabei gilt es den historischen Kontext zu bedenken: Die Verfasser der UN-Charta wollten missbräuchliche Anwendungen und Alleingänge einzelner Staaten verhindern. Außerdem wurde die UN Charta noch während des Zweiten Weltkriegs und damit in einer Zeit ausgearbeitet, zu der noch ein anderes Verständnis von Souveränität und Menschenrechten vorherrschte.
Der Sicherheitsrat funktioniert nicht
Proponenten des Rechts auf humanitäre Intervention verweisen seit je her darauf, dass der Sicherheitsrat aufgrund des Vetos oft blockiert ist. Dabei gilt es freilich zu bedenken, dass das Vetorecht eine Grundbedingung für den Beitritt der USA oder der Sowjetunion war. Großmächte haben kein Interesse daran, durch Internationale Organisationen in ihrer Souveränität eingeschränkt beziehungsweise gegen ihren Willen gebunden zu werden.
Souveränität und Menschenrechte
Seit Schaffung der Vereinten Nationen hat sich freilich viel getan, 1948 wurden die Völkermordkonvention und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet, 1966 folgten die beiden UN-Menschenrechtspakte, später kamen zahlreiche weitere menschenrechtliche Verträge hinzu. Auch der Sicherheitsrat ergreift immer wieder Maßnahmen zum Schutz von Menschenrechten, bereits 1992 wurde in Somalia erstmals die Gewaltanwendung innerhalb eines nicht-internationalen Konflikts autorisiert.
Kein Recht auf humanitäre Intervention
Bereits in den 1960erjahren wurde immer wieder argumentiert, dass das Gewaltverbot restriktiv interpretiert werden sollte, um militärische Maßnahmen zum Schutz von Menschenleben zu erlauben. Im Zusammenhang mit Syrien hat auch die britische Regierung in diese Richtung argumentiert.
3.The UK is permitted under international law, on an exceptional basis, to take measures in order to alleviate overwhelming humanitarian suffering. The legal basis for the use of force is humanitarian intervention, which requires three conditions to be met:
(i) there is convincing evidence, generally accepted by the international community as a whole, of extreme humanitarian distress on a large scale, requiring immediate and urgent relief;
(ii) it must be objectively clear that there is no practicable alternative to the use of force if lives are to be saved; and
(iii) the proposed use of force must be necessary and proportionate to the aim of relief of humanitarian suffering and must be strictly limited in time and in scope to this aim (i.e. the minimum necessary to achieve that end and for no other purpose).
Ein ein solches Recht auf humanitäre Intervention konnte sich allerdings bis heute nicht durchsetzen, zumal es nur von sehr wenigen Staaten vertreten wird/wurde. Daran hat auch die Responsibility to Protect nichts geändert, zumal sie ausdrücklich auf die Notwendigkeit eines Mandats des Sicherheitsrats verweist.
Wer hat das Gewaltverbot (schon wieder) getötet?
Selbst wenn man der britischen Position ablehnend gegenübersteht – es ist immerhin ein Argument. Unabhängig davon, wie man zu den Militärschlägen steht: Dass die USA und Frankreich keine elaborierten Begründungen ausformuliert haben, ist eine verpasste Gelegenheit.
Diese (jedenfalls gefühlte) Irrelevanz des Gewaltverbots ist übrigens kein neues Phänomen. Schon 1970 hat Thomas Franck die Frage aufgeworfen, „wer Artikel 2(4) getötet“ hat.“ Vielleicht war er eigentlich nie am Leben.
So ernüchternd es als Völkerrechtler auch sein mag: Die derzeitigen Debatten rund um das Gewaltverbot finden über weite Strecken nur in akademischen Zirkeln statt. Auch wenn manche Oppositionsparteien damit Politik machen, bleiben die Regierungen in Frankreich, den USA und Großbritannien oder auch Deutschland (das zwar nicht teilgenommen hat, Angela Merkel bezeichnete sie allerdings als „erforderlich und angemessen“) unbeeindruckt. Schwer vorstellbar, dass Donald Trump sich die UN Charta beziehungsweise Artikel 2(4) – der Gewaltverbot beinhaltet – durchgelesen hat. Und selbst wenn, hat sie ihn offensichtlich nicht von seinem Befehl abgebracht.