Venezuela hat derzeit zwei Präsidenten. Beziehungsweise zwei Männer, die dieses Amt beanspruchen. Völkerrechtlich gesehen ist die Situation nach den Regeln der Anerkennung zu beantworten. Nur (man kann es sich wohl denken): so einfach ist die Sache nicht.
Why it matters
Ein Staat braucht Organe, die für ihn handeln. Das Hobbes’sche Bild vom Leviathan, also einem Staat, der sich aus der Summe seiner Individuen zusammensetzt, sollte hinlänglich bekannt sein. Die Regierung ist dabei gewissermaßen der Kopf: Sie (konkret vor allem das Staatsoberhaupt und der Regierungschef/die Regierungschefin und Außenminister/in) vertritt den Staat nach außen, indem sie
- völkerrechtliche Verträge abschließt,
- Diplomaten entsendet,
- über das im Ausland gelegene Vermögen verfügt beziehungsweise darauf Zugriff hat oder
- für den Staat auf internationaler Ebene „spricht.“
Anerkennung von Regierungen
Faustregel (oder Faustrecht): Effektivität
Traditionell war und ist die Sache simpel: Als Regierung gilt, wer die effektive Kontrolle über den Staatsapparat und das Staatsgebiet innehat. Jellineks berühmte normative Kraft des Faktischen bezog sich beispielsweise ausdrücklich auf diese Frage.
Schwierig wird es bei verfassungswidrigen Regierungswechseln, also in Bürgerkriegen oder bei einem versuchten oder tatsächlichen coup d’état. Grundsätzlich gilt hier eine Annahme zugunsten des status quo. Es wird also angenommen, dass die zuvor bestehende Regierung weiterhin fortbesteht. Erst, wenn sie endgültig enthoben wurde, kann eine andere Gruppe als Regierung anerkannt werden.
Legitimität?
Allerdings wird bisweilen auch auf Legitimität abgestellt. Neben den klassischen Völkerrechts-Doktrinen – die Tobar-Doktrin und die Estrada-Doktrin –, die im Zuge der Revolutionen in vielen lateinamerikansichen Ländern Anfang des 20. Jahrhunders beziehungsweise in den frühen 1930erjahren geprägt wurden, gab es nach Ende des Kalten Krieges weitere Entwicklungen.
Von Haiti nach Libyen
Seitdem hat sich fallweise Legitimität, verstanden als demokratische Repräsentativität, gegen Effektivität durchgesetzt. Die historischen Anwendungsfälle sind Haiti 1994 und Sierra Leone 1997: Hier wurde jeweils eine demokratische Regierung gestürzt und später mit Waffengewalt wiederhergestellt.
In anderen Situationen wie Libyen 2011 oder Gambia 2017 wurden ebenfalls andere Gruppen oder Personen als Regierung anerkannt, obwohl sie keine effektive Kontrolle über das (gesamte) Staatsgebiet hatten und es keine solche demokratisch-legitimierte Vorgängerregierung gab.
Und Venezuela?
In Venezuela gab es bislang verschiedene Formen der Anerkennung. Man muss hier zwischen de iure (also rechtlicher) und politischer (symbolischer) Anerkennung unterscheiden. Guaidó hat jedenfalls derzeit keine Kontrolle über den Staatsapparat. Im traditionellen Verständnis dürfte man ihn daher nicht anerkennen.
Kanada, die USA und zahlreiche lateinamerikanische Staaten haben ihn jedoch im rechtlichen Sinne anerkannt. Sie betrachten Guaidó also als venezolanischen (Interims-)Präsidenten. Damit könnte er theoretisch eine US-Militäroperation absegnen (ob andere Staaten das akzeptieren würden ist freilich eine andere Frage, derartige Interventionen auf Einladung sind jedenfalls äußerst umstritten; Russland würde mit Sicherheit protestieren) oder auf in den USA gelegene Finanzmittel zugreifen.
Russland sieht hierin wiederum auf Grundlage des oben erwähnten traditionellen Verständnisses von Anerkennung eine Verletzung des Interventionsverbots.
BREAKING: Foreign interference in #Venezuela’s internal affairs grossly violates international law – Putin https://t.co/CaGpLRLYcz pic.twitter.com/mlvpqvu1uN
— RT (@RT_com) 24. Januar 2019
Donald Tusk ist indes weniger weit gegangen. Er sieht ihn vielmehr als „legitimen Vertreter“, nicht aber als Interimspräsidenten. Federica Mogherini hat ebenfalls lediglich die Wiederherstellung der Nationalversammlung gefordert. Einzelne Länder wie Deutschland haben eine ähnliche Stellungnahme abgegeben wie Tusk.
I hope that all of Europe will unite in support of democratic forces in #Venezuela. Unlike Maduro, the parliamentary assembly, including Juan Guaido have a democratic mandate from Venezuelan citizens.
— Donald Tusk (@eucopresident) 23. Januar 2019
#Venezuela: „Germany and the EU are not neutral. We support the National Assembly, which is elected by the people. Maduro has no democratic legitimacy as President“, says Foreign Minister @HeikoMaas in New York. (1/2)
— GermanForeignOffice (@GermanyDiplo) 24. Januar 2019
Und Österreich?
Eine österreichische Stellungnahme steht derzeit noch aus. Große Abweichungen von der oben skizzierten Praxis der EU oder Deutschlands wird es wohl nicht geben. Österreich hält sich in derartigen Situationen traditionellerweise zurück.
Kanzler Kurz hat am 4. Februar verlautbart, Guaidó anzuerkennen. Das wirft einige völker- und verfassungsrechtliche Fragen auf. Siehe dazu hier.
Danke für die Erläuterungen.
Die überaus rasche Reaktion der USA kann Nachfragen auslösen.
Alle guten Wünsche für die Menschen in Venezuela.
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… dazu fand ich auch die Kurzfassung von Hobbes beachtlich.
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