Zynisches Gewaltverbot

Es gibt wohl kaum ein zynischeres Teilgebiet des Völkerrechts als das ius ad bellum.

Seit Beginn der Ära des Gewaltverbots haben Staaten und VölkerrechtlerInnen sich in Gedankenakrobatik geübt, um Rechtsverletzungen zu rechtfertigen. Für Thomas Franck schon 1970 Anlass genug, die Existenz des Gewaltverbots per se anzuzweifeln.

AnhängerInnen des Neo-(Realismus) zweifeln routinemäßig an der Bindungswirkung des Völkerrechts. Das Gewaltverbot und die Idee friedlicher Streitbeilegung galt schon E H Carr als Utopie, die in der Zwischenkriegszeit den Blick auf harte geopolitische Realitäten verstellt hat. Seit der Annexion der Krim wurden wesensidente Argumente angeführt, um die Idee einer „liberalen Weltordnung“ endgültig in das ideologische Exil zu drängen.

Das Völkerrecht wurde dabei nicht mit Ignoranz bedacht, sondern – und hier liegt der Anknüpfungspunkt zu dieser Konferenz – mit Zynismus.

Die großen zwischenstaatlichen Kriege aber auch kleinere Interventionen der letzten Jahre wurden stets mit unterschiedlich kreativen Argumenten gerechtfertigt. Der Gedanke der humanitären Intervention wurde im Irak über seinen eigentlichen Zweck hinaus ausgedehnt. Russland hat im Zuge des Georgienkriegs das Wesen der Responsibility to Protect verfremdet und sie auf eine (ungebührlich weite) Anwendung des Schutzes von Angehörigen der russischen Nation reduziert. In der Ukraine berief man sich, nachdem erst ein ähnliches Argument angedeutet wurde, auf ein Schreiben des abgesetzten Präsidenten.

In Syrien hat Russland wiederum das traditionelle Völkerrecht und die Möglichkeit einer Intervention auf Einladung verwiesen und seinerseits die westlichen Länder einer Verletzung des Gewaltverbots bezichtigt – mussten diese ihren Kampf gegen den „Islamischen Staat“ doch mit einer komplexen Rekonfiguration des Selbstverteidigungsrechts (kollektive Selbstverteidigung auf Bitte des Iraks gegen ein quasi-de-facto-Regime, die USA haben wiederum strittige „unwilling or unable“-Doktrin angeführt) rechtfertigen. Im Zuge der Intervention gegen Assads Einsatz von Chemiewaffen gingen die USA wiederum so weit, eine Art „humanitärer Gegenmaßnahme“ anzudenken.

Auch das System kollektiver Sicherheit – so es einmal funktioniert – schafft hier nicht unbedingt Abhilfe. In Libyen warfen China und Russland der NATO eine Überschreitung des Mandats vor. Dagegen steht die Frage, wieso ein Staatsoberhaupt auch nach schweren Menschenrechtsverletzungen und trotz eines Auslieferungsantrags des ICC im Amt bleiben sollte. Restlos geklärt wird die Debatte wohl nie sein.

Selbst in Nebenschauplätzen bleibt das Völkerrecht bisweilen ein Spielball der Interpretationsartisten. Um ein rezentes Beispiel zu nennen: In Gambia hatten einige Länder ein mulmiges Gefühl dabei, eine Intervention auf Einladung durch ein zwar gewähltes, aber nicht effektiv im Amt befindliches Staatsoberhaupt anzunehmen. Die damals geäußerten Bedenken hinsichtlich einer Betonung der Legitimität bei der Anerkennung von Regierungen schlagen gerade auch in Venezuela voll durch.

Was bleibt, ist der Zynismus des Völkerrechtlers, der sich auf das ius ad bellum spezialisiert hat. Viel Diskussion um nichts? Wer fragt, ob das Gewaltverbot getötet wurde, muss weitergehen und sich damit auseinandersetzen, ob es jemals am Leben war. Wie man sich denken kann, muss die Antwort wohl negativ ausfallen. Was nicht heißt, dass man nicht mit einem positiven Ausblick enden darf: das Gewaltverbot hat dennoch seine Berechtigung. Ein bisschen Utopie darf schon sein.

 

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