Ein russischer Sieg

Russlands Armee scheint die ukrainische Schlüsselstadt Bachmut einzunehmen. Vielleicht ist sie zwar nicht so stark, wie viele befürchtet haben, aber eben auch nicht so schwach, wie viele sich eingeredet haben.

Vielleicht haben wir uns ja von den Bildern aus der Anfangsphase ebenso blenden lassen wie von unserer eigenen Propaganda – schaut, wie desolat, schlecht organisiert und korrupt die russische Armee ist, wie alt ihr Kriegsgerät, wie schlecht gewartet, hihihi. Vielleicht kann Putin mit rücksichtslosem Vorgehen und Masse – an Menschen und Kriegsgerät – ja doch „gewinnen“ (die „“ deshalb, weil es in Kriegen keine echten Sieger gibt, sondern nur Verlierer). Zumal auch die russische Armee dazu lernt und, wie wir alle wissen, auf seeeeehr viel (altes) Material zurückgreifen kann.

Politische Wendepunkte

Außerdem kann Putin – durchaus zu Recht – darauf bauen, dass der Westen die Ukraine irgendwann nicht mehr unterstützen will. Politisch sähe die Sache unter einem anderen US-Präsidenten vielleicht ganz anders aus, ebenso gibt es in Europa so einige Parteien, die so tun, als müsste man nur die Sanktionen und Waffenlieferungen einstellen und die Welt wäre wieder ein schöner Ort. So ganz ohne jedwede wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Probleme. Man hat dasselbe Denkmuster ja auch während der Pandemie erlebt, da waren die Maßnahmen schuld, ohne die es keinen Virus gegeben hätte. Heute gäbe es ohne Sanktionen eben keinen Putin (gemäß dieser Logik).

Selbst wenn der politische Wille zur Unterstützung der Ukraine (jedenfalls in den Kernländern) weiter ungebrochen bleibt, können immer die Produktionskapazitäten fehlen, die Geberländer selbst nicht genug haben oder sie sonstwie überfordert sein. So reibungslos funktioniert auch der Westen nicht, die Financial Times schreibt von zwei wesentlichen Hindernissen bei der langfristigen Unterstützung der Ukraine: Strukturelle Faktoren, weil man im Westen nach Ende des Kalten Krieges gespart und sich auf unkonventionelle Bedrohungen durch Terroristen und Aufständische konzentriert hat. Zwischenstaatliche Kriege, so die seit damals gehegte Hoffnung, sollten der Vergangenheit angehören: die „Friedensdividende„.
Der zweite Grund sind bürokratische Hürden: Militärische Beschaffung scheitert nicht nur an Geld, sondern auch an langfristigen Planungen. Kurzfristige Verträge, die bei (überraschend) geänderter Bedrohungslage wieder beendet oder zumindest verändert werden könnten, sind ein Risiko, das kaum ein Unternehmen eingehen will:

Western officials say supplying Ukraine has not jeopardised their own countries’ military readiness, while Russian military shortages are far worse. Moscow is having to source weapons such as artillery shells and drones from North Korea and Iran. Yet, while there is a near-consensus across Nato, especially its European members, on the need to bulk up their militaries and defence industries, companies can only proceed once they have more contractual certainty.


Niederlage, und dann?

Was die Frage immer drängender macht, die seit über einem Jahr im Raum steht und dennoch ignoriert wird: Was würde es bedeuten, wenn Russland seine Ziele erreicht, die Ukraine zu erobern und ihre Regierung zu stürzen? Für die Betroffenen in den besetzten Gebieten, wo es zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen wie Massenhinrichtungen und anderen Kriegsverbrechen kommt? Wie gehen wir mit potenziell Millionen ukrainischen Flüchtlingen in Europe um, die alleine deswegen nicht unter russischer Besatzung leben wollen oder können? Wie verändert sich die Sicherheitsstrategie in Österreich und Deutschland, wenn Russland direkt vor unserer (EU-)Haustür, an der Grenze zur Slowakei und zu Polen, steht? Irgendwas mit „wir sind eh neutral“ und „verhandeln“ ohne konkret zu werden wird da nicht reichen. Zumal Putin und seine Handlanger nach wie bei ihren (oben genannten) Maximalzielen bleiben. Wenn sie so kompromissbereit und rational – in unserem Sinne – wären, wie manche glauben, hätten sie diesen Krieg gar nicht erst begonnen. Und nein, der Mythos von der Verhandlungsbereitschaft stimmt nicht (siehe hier).

Abgesehen davon: Worüber will man überhaupt verhandeln, zumal Putins Regime gar nicht verhandeln will? Sieger müssen keine Kompromisse schließen, Sieger können diktieren. Die beiden Weltkriegen wurden auch nicht mit Gesprächen beendet, sondern am Schlachtfeld entschieden.
Abgesehen davon: Wie und wieso sollte man jemandem vertrauen, der alle früheren Verpflichtungen und Vereinbarungen verletzt hat und einen Vernichtungskrieg gegen ein ganzes Volk führt?
Man mag mich Schwarzmaler nennen. Bin ich auch. Ich denke aber, dass sich Sicherheitspolitik an worst case-Szenarien orientieren muss, nicht an Hoffnungen oder „wird scho werdn“-Denke. Im Moment ist es eher umgekehrt.

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