Haftbefehl gegen Putin: Ein Dammbruch

Der Haftbefehl für Putin ist ein völkerstrafrechtlicher Dammbruch: Das Staatsoberhaupt eines mächtigen Staats, das sich im Krieg befindet, wird von einem internationalen Strafgerichtshof verfolgt.

Ein Rückblick

Der Haftbefehl gegen Wladimir Putin hat freilich eine lange völkerrechtliche Vorgeschichte. Vorläufer finden wir durchaus, in der Vergangenheit gab es zwei Anklagen gegen Staatsoberhäupter größerer Staaten, Kaiser Wilhelm im Ersten Weltkrieg, Karl Dönitz im Zweiten. Nur: Bei ersterem kam es letztlich zu keinem Verfahren, weil er erfolgreich in die Niederlande geflohen war (die ihn nicht ausliefern wollten), zweiterer folgte Hitler erst nach, als der Krieg schon entschieden war. Bei Kaiser Hirohito hatte man eine Anklage letztlich verworfen, um die Besetzung Japans nicht zu gefährden – er ist damit der „Kriegsverbrecher, der davon gekommen ist“.
In jüngerer Vergangenheit kommen Verfahren gegen die Präsidenten weniger mächtiger Staaten dazu: Slobodan Milosevic wurde an den Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien ausgeliefert, starb aber während des Verfahrens. Die Bilder von seiner Verhaftung und sein renitentes Verfahren im Gerichtssaal könnten symbolträchtiger nicht sein: Handschellen und Anklagebank statt Präsidentenpalast.

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Erste Verurteilung und weitere Anklagen

Die damalige Anklägerin Carla Del Ponte ist bis heute davon überzeugt, dass es zu einer Verurteilung gekommen wäre. Juristisch festgestellt wird es nie, für Tote gibt es keine Gerichtsurteile.

Damit war Charles Taylor (Liberia) der erste ehemalige Staatschef seit Dönitz, der von einem internationalen Strafgericht verurteilt wurde: 2012 (2013 wurde das Urteil bestätigt) sprach der Sondergerichtshof für Sierra Leone – ein Sondergericht, das durch eine gesonderte Übreinkunft zwischen den Vereinten Nationen und der Regierung von Sierra Leone eingerichtet wurde – ihn wegen der Unterstützung bewaffneter Gruppen im dortigen Bürgerkrieg und Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie der Rekrutierung von Kindersoldaten schuldig (siehe hier). Die Strafe belief sich auf fünfzig Jahre Freiheitsentzug.

Weitere Anklagen, keine Verurteilungen

Nach Charles Taylor folgte noch eine weitere Anklage und Verurteilung: Hissene Habre aus dem Tschad, der 2016 von einem durch die Afrikanische Union unterstützten Sondergerichtshof wegen seiner Terrorherrschaft zwischen 1982 und 1990 verurteilt wurde.

Diese beiden Fälle bleiben bislang aber die ersten und letzten: Beim ehemaligen sudanesischen Präsidenten Omar al-Baschir wurde zwar 2009 ein Haftbefehl erlassen, seine Auslieferung steht aber bis heute in den Sternen – weder der Sudan noch eines der Länder, das er seitdem besucht hatte, waren dazu bereit. Dieser Fall zeugt bis heute vom Spannungsverhältnis zwischen völkerstrafrechtlicher Verfolgung auf der einen und der Immunität von Staatsoberhäuptern auf der anderen Seite. Selbst Mitglieder des Internationalen Strafgerichtshofs hatten al-Baschir wegen völkerrechtlicher Bedenken nicht festgenommen und ausgeliefert (konkret Jordanien und Südafrika). Nachdem der Sudan ungleich weniger mächtig ist als Russland, erscheint eine solche Vorgehensweise bei Wladimir Putin damit um ein Hauseck weniger realistisch (auch wenn die zuständige Kammer des Internationalen Strafgerichtshofs bei al-Baschir eine derartige Verpflichtung bestätigte).

Nach al-Baschir hatte der Internationale Strafgerichtshof gegen zwei weitere Staatsoberhäupter Haftbefehle erlassen, Libyens Muammar al-Gaddafi und Laurent Gbagbo (zu diesem Zeitpunkt bereits ehemaliger) Präsident der Elfenbeinküste. Ersterer wurde jedoch gegen Ende des dortigen Bürgerkriegs getötet und zweiterer letztlich freigesprochen. Der letzte hier zu nennende Fall betrifft den kosovarischen Präsidenten Hashim Thaci, der sich vor dem Kosovo-Sondertribunal verantworten muss und aus diesem Grund auch zurückgetreten war.

Ausblick

Der Haftbefehl gegen Wladimir Putin sticht damit doppelt heraus: Zum einen, weil er noch Amtsinhaber ist. Zum anderen, weil er ungleich mächtiger ist als die anderen genannten Angeklagten. Im Gegensatz zu Hirohito hat man bei ihm keine politische Rücksicht auf die Stellung Russlands in der Welt genommen. Ob ein Staat ihn tatsächlich festnehmen und ausliefern, dazu gar sein Flugzeug abfangen würde, darf man bezweifeln.

Auch völkerrechtlich sind die Tücher alles andere als trocken. Zwar nimmt der Internationale Strafgerichtshof seinem Statut zufolge (konkret Artikel 27) keine Rücksicht auf die Eigenschaft als Staatsoberhaupt und sonstige Immunitäten. Aber ob das auch in Fällen gilt, in denen der Angeklagte aus einem Land stammt, das nicht einmal Mitglied des Gerichtshofs ist, darf bezweifelt werden. Die Sache ist und bleibt höchst umstritten. Die Immunität mag in Fällen schwerster völkerrechtlicher Verbrechen nicht mehr so absolut gelten wie früher. Ganz verschwunden ist sie aber noch lange nicht. Im Gegenteil, sie dürfte auf dem Rücken des globalen Trends in Richtung Autokratie ein Comeback feiern.

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